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Ein entlarvendes Interview

Tamedia übertrifft sich im Framing mal wieder selbst.

«Bschiss», «Bischiss», «Bschiss». Ein paar Redaktoren beim Tagi können vor lauter Wichtigkeit kaum mehr geradeaus laufen. Ihre Enthüllung erschüttere angeblich die Schweiz. Tausende von Unterschriften unter Initiativen seien wohl nicht nur gekauft, sondern auch gefälscht. Und keiner habe was gemerkt, bis der Tagi kam.

Der erste Teil der Ansage harrt noch des Beweises. Der zweite Teil ist erwiesenermassen falsch. Um eine solche Story am Köcheln zu halten, braucht es natürlich unter anderem auch das Interview mit dem Fachmann. Mit einem Experten. Voilà:

«Nach den Enthüllungen dieser Redaktion verlangt Campaigner Daniel Graf einen sofortigen Stopp des Unterschriftenkaufs.» Nicht nur Thomas Baumann fragt sich in der «Weltwoche», ob Graf da wirklich der geeignete, neutrale Fachmann sei.

Denn hier wie kaum sonst gilt ein genialer Satz von F.W. Bernstein:

«Die schärfsten Kritiker der Elche
waren früher selber welche».

Jacqueline Büchi stellt ihn dem Leser einleitend vor (Graf, nicht den Elch): «Kaum jemand im Land kennt den Maschinenraum der direkten Demokratie so gut wie Campaigner Daniel Graf. Der Historiker ist Mitbegründer der Stiftung für direkte Demokratie und der Plattform Wecollect. Im Interview übt er scharfe Kritik am heutigen System.»

Das grenzt nun schon an Fake News. Denn richtig ist, dass der «Campaigner» das Thema Unterschriftensammlungen sehr, sehr gut kennt. Er darf hier auch Staatstragendes absondern: «Es steht viel auf dem Spiel, es geht um das Vertrauen in die direkte Demokratie.»

Zunächst einmal steht hier wieder die Glaubwürdigkeit des Tagi auf dem Spiel. Denn wäre es nicht redlich gewesen, dem Leser ein wenig mehr Informationen über den Interviewten zu geben? Da gibt schon mal die Webseite seiner Bude «wecollect» Auskunft: «Seit dem Start 2015 haben wir über 800 000 Unterschriften gesammelt.» Ach so, der Mann ist kein «Campaigner», sondern ein Unterschriftensammler.

Wir wollen ihm natürlich nicht unterstellen, dass er das mit unlauteren Mitteln täte. Aber es ist doch vielleicht ein wenig unfair, einen Unterschriftensammler über andere herziehen zu lassen, ohne den Leser darüber zu informieren, dass das möglicherweise nicht ganz uneigennützig  oder objektiv geschieht.

Das ist ungefähr so, wie wenn man einen Coop-Marketingmenschen über die Rabattpolitik der Migros interviewen würde – ohne zu sagen, dass der Interviewte für den direkten Konkurrenten arbeitet.

Dass Graf sich selbst eindeutig im linksliberalen Lager verortet, ist für Büchi auch kein Problem; sie lässt ihn ungebremst über die «Bürgerlichen» herziehen, wobei er den Namen Blocher gar nicht erwähnen muss: «Zudem gibt es im bürgerlichen Lager Komitees, die über sehr viel Geld verfügen und im Extremfall ganze Initiativen kaufen.» Allerdings kann er für diesen happigen Vorwurf nur ein einziges Beispiel anführen, die Blackout-Initiative. Und was er zu erwähnen vergisst: für Unterschfitensammeln bezahlen, das ist erlaubt. Kennt er selbst.

Aber Baumann hat noch ein weiteres Schmankerl auf Lager. Graf verfügt ja über eine der besten Adresskarteien der Schweiz. Die er selbstverständlich nur für Gotteslohn zur Verfügung stellt. Er fordert: «Ich befürworte schon lange, dass Unterschriften auch elektronisch gesammelt werden können. Beim sogenannten E-Collecting könnte man die Handynummer hinterlegen.»

Ganz abgesehen von schweren staatspolitischen und datenschützerischen Bedenken: «Können Unterschriften auch elektronisch gesammelt werden, dann gewinnt die «berühmte» Adresskartei von Daniel Graf noch mehr an Macht», schliesst Baumann messerscharf.

Man sieht (bzw. sieht nicht): hier gäbe es einiges an Aufklärungsbedarf, wenn man diesen Graf schon die Gelegenheit für Gratiswerbung und Selbstdarstellung gibt. Aber da er mit seiner Haltung in die Gesinnungsblase der Tamedia-Redaktion passt, hält es Büchi nicht für nötig, dem Leser einige Informationen mit auf den Weg zu geben, mit denen er das Geblubber von Graf richtig einordnen könnte.

Stattdessen die Lieblingsbeschäftigung der Qualitätsjournalisten von Tamedia: Leserverarsche.

China-Missversteher, Teil 3

«Die Partei und der Staat sind paranoid und bauen einen Überwachungsstaat auf».

Hier geht’s zu Teil eins.

Hier geht’s zu Teil zwei.

Von Felix Abt

Für Herrn Baumann ist klar: Die paranoide Partei treibt den Aufbau eines umfassenden Überwachungsstaates voran.

Jerry Grey hat vor einiger Zeit ein Video über den Überwachungsstaat gedreht, das Sie sich ansehen sollten. Es könnte Ihnen eine bessere Perspektive geben.

Ich kann nicht viel zu dieser Überwachungsstaatsthese sagen, außer auf Links zu verweisen, wo externe Agenturen China untersucht haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass China ganz anders ist, als Herr Baumann es wahrnimmt:

– Das Ashe Center der Harvard Universität beschäftigte sich seit 13 Jahren mit dieser Frage. Hier ist einer seiner Befunde.

– Die Ipsos Global Satisfaction Survey ergab, dass China unter den 32 untersuchten Ländern den ersten Platz belegte.

– Die Universität von San Diego stellte fest, dass China sowohl happy als auch stabil ist.

Ich möchte chinesische Quellen nicht erwähnen, weil sie reflexartig als Propaganda angesehen würden, auch wenn sie genauso glaubwürdig oder unglaubwürdig sein können wie westliche Quellen.

“In China wird die Geschichte fast bis zur Unkenntlichkeit gefälscht”

So lautet die Geschichtsverfälschtertheorie von Thomas Bauman. Jerry Grey beschäftigt sich mit chinesischer Geschichte und erklärte mir das: “Wie bei allen Unwahrheiten über China steckt darin auch ein Körnchen Wahrheit – tatsächlich wird in China eher restauriert als gefälscht, aber wenn etwas für immer verschwunden ist, wie das alte Fort aus der Ming-Dynastie in Jaiyuguan, dem Ende der großen Mauer, wurde das Fort verlassen. Ich selbst komme aus dem Nordosten Englands und weiß, dass mit dem Hadrianswall genau das Gleiche passiert ist: Er wurde in den 100 Jahren, nachdem die Römer die Region verlassen hatten, als Baumaterial genutzt, und die Angelsachsen und Dänen kämpften um ihn. China hat die Festung als historische Stätte wiederaufgebaut – manch einer mag behaupten, sie fälschen die Geschichte, aber in Wahrheit stellen sie etwas Verlorenes wieder her – meine eigene Heimatstadt ist ein gutes Beispiel dafür – normalerweise verwende ich Wikipedia nicht als Quelle, aber aus Gründen der Zweckmäßigkeit hier ein Link zu meiner Heimatstadt South Shields im Norden Englands – fälschen die Briten die Geschichte oder schaffen sie ein Museum zur Erinnerung daran?

Grey fährt fort: “Der Sommerpalast steht noch, die Verbotene Stadt ist noch intakt, die Terrakotta-Krieger in Xi’an wurden während der Kulturrevolution entdeckt und sind eines der größten archäologischen Weltwunder der Welt. Eine der ältesten Zivilisationen der Welt befand sich in der Nähe des heutigen Chengdu, Sanxindui ist als neuntes Weltwunder bekannt. China fälscht die Geschichte nicht, sondern bewahrt sie, und wo das nicht möglich ist, stellt es sie neu her – man mag das als Fälschung bezeichnen, ich bin da anderer Meinung

Einer der Gründe, warum ich nicht zustimme, ist Chinas bekanntestes historisches Bauwerk, die Chinesische Mauer. Hätte China nicht so viel Zeit und Mühe in die Restaurierung gesteckt, hätten wir jetzt einen Haufen Steine und Schutt vor uns – ist das eine Fälschung? Manch einer mag das bejahen, aber ist es nicht besser, dass sie das getan haben, was sie getan haben, und dass die Menschen sich an den Ort erinnern können, an dem er einmal war, und nicht an eine Baustelle?

Fürs Protokoll: Es werden kilometerlange Restaurierungsarbeiten an der originalen großen Mauer in Westchina durchgeführt – ich bin mit dem Fahrrad entlanggeradelt und habe sie mit eigenen Augen gesehen. Als ich sie 2014 zum ersten Mal sah, sah sie so aus:

Im Jahr 2019 arbeiteten dort Teams bereits an der Restaurierung und Erhaltung
der wiederaufgebauten Mauer.

 

Ohrenbetäubende, diskriminierende Propaganda?

Als Herr Baumann die Lautsprecher in Kashgar, Xinjiang, hörte, die die Einheit des Landes beschworen, rollte ein Kantoneser resigniert mit den Augen, als er ihm sagte, er könne sich eine Reise nach Nordkorea sparen. Nun, dieser Han-Chinese würde wahrscheinlich zu den ersten Opfern gehören, wenn es von ausländischen Mächten unterstützte islamistischen Separatisten gelänge, die Provinz von China abzuspalten. Es ist mir oft passiert, dass Chinesen und Vietnamesen mit den Augen rollten, wenn ich sagte, dass ich in Nordkorea lebte. Ältere Chinesen brachten oft ihre Familie mit Kindern und Kindeskindern in den Urlaub nach Pjöngjang, um ihnen zu sagen: «Seht mal, so war es früher bei uns, hahaha!» Baumann schiebt nach, dass kulturelle Sensibilität in China sowieso nicht angesagt ist. Vielleicht wäre es interessanter gewesen, von ihm zu erfahren, warum auf chinesischen Banknoten die fünf Sprachen Mandarin, Tibetisch, Mongolisch, Uighurisch und Zhuang stehen und warum sogar ethnische Han in Tibet obligatorisch Tibetisch lernen müssen. Mehr über den angeblichen kulturellen Völkermord erfahren Sie, ebenfalls von Jerry Grey, in seinem Artikel hier.

Schließlich macht Baumann noch einen Seitenhieb auf die «bloß billig zusammengebauten iPhones», die die Menschen im Westen haben wollen, und bestätigt damit für einige den Eindruck, dass die KPCh die Bürger Chinas für schlechte Löhne zugunsten des Wohlstands im Westen ausbeutet.

Auch hier möchte ich einen echten Experten zu Rate ziehen, nämlich den Apple-CEO Tim Cook selbst, der sich dazu wie folgt äußerte:»Die gängige Meinung ist, dass Unternehmen wegen der niedrigen Arbeitskosten nach China kommen. …. Es ist schon seit Jahren nicht mehr das Land mit den niedrigsten Arbeitskosten. Der Grund, warum sie nach China kommen, sind die dortigen Fähigkeiten.» Er erläutert die beeindruckenden “Skills” der chinesischen Ingenieure, die er anderswo nicht finden kann.

Trau, schau, wem! — ein chinesisches Prinzip

Manch einer mag sich fragen, warum die westliche Berichterstattung über China so lausig ist und warum sich westliche Journalisten ihre China-Weisheiten aus den Fingern saugen müssen. Die Antwort ist einfach: Wichtige Akteure wollen keine Informationen mit ihnen teilen, weil sie ihr bescheidenes Vertrauenskapital längst verspielt haben.

Ende

China-Missversteher, Teil 2

“In China gibt es aber immer nur alles oder nichts”

Von Felix Abt

Hier geht es zum Teil eins.

Thomas Baumann schreibt in seinem Artikel, dass Peking «praktisch jedes einzelne Viruspartikel bekämpft«. Und dass die Partei “paranoid” ist und es für sie nur eine Politik des «alles oder nichts» gibt. Das bedeutet deshalb zwangsläufig eine totale Abriegelung während der Covid-Pandemie! Ich gebe zu, dass ich kein China-Experte bin, aber ich kenne einige, die es wirklich sind. Einer von ihnen ist mein Freund Jerry Grey, der ein britischer Polizeioffizier war, dann Chef des größten Sicherheitsunternehmens in Australien und jetzt seit 20 Jahren mit seiner chinesischen Frau in China lebt. Seine Leidenschaft ist das Radfahren durch das Land. Der rüstige Rentner, der fließend Mandarin spricht, hat Zehntausende von Kilometern auf seinem stählernen Drahtesel zurückgelegt und war zum Beispiel mehrmals in Xinjiang und der Inneren Mongolei unterwegs.

Zu Covid schrieb er mir folgendes: “Es stimmt, die Covid-Politik wurde zentral festgelegt, die Umsetzung  erfolgte auf kommunaler Ebene, die nicht einheitlich war – während fast drei Jahren. Ich reiste an viele Orte und erlebte viele verschiedene Situationen, aber es gab kaum Abriegelungen nach dem ersten Februar 2020 bis Ende 2022, als die Welt die Abriegelung Shanghais sah – zur gleichen Zeit gab es Abriegelungen in Guangzhou, aber ich reiste in und aus Guangzhou, trotz Abriegelungen, zum Beispiel war Liwan vielleicht offen, aber Yuexie war abgeriegelt, Huadu war vielleicht offen, aber Baiyun nebenan war abgeriegelt. Zwei Jahre lang gab es so gut wie keine Einschränkungen. Meine Frau und ich sind im März, April und Mai 2021 sieben Wochen lang mit dem Fahrrad von Zhongshan in Guangdong aus durch die ganze Provinz und nach Guanxi gereist und haben wahrscheinlich mehr als 50 Städte ohne jegliche Einschränkungen besucht. Ein Beweis dafür sind meine WeChat-Momente, in denen ich fast jeden Tag gepostet habe.

Neben der Aussage von Jerry Grey habe ich ähnliche Aussagen von anderen in China lebenden Ausländern und von Chinesen gehört.

Eine weitere steile These von Herrn Baumann ist diese: «Die WHO musste erst die chinesische Regierung bitten, informiert zu werden, während halb Asien bereits nervös flüsterte.» Er erwähnt nicht, dass die USA (dank Donald Trump) die Pekinger Niederlassung der CDC einige Monate vor dem Covid-Ausbruch geschlossen hatten und dass sie aktiv in den Prozess eingebunden gewesen wäre, wenn sie noch geöffnet gewesen wäre. Es gibt auch eine Covid-Zeitleiste, aus der klar hervorgeht, dass die CDC in den USA am 31. Dezember 2019 benachrichtigt wurde und die DNA-Sequenz am 11. Januar 2020, also nur 12 Tage später, von China veröffentlicht wurde. Während dieser Zeit war es noch möglich, im benachbarten Vietnam ein- und auszureisen, und ich konnte nirgendwo ein «Nervenflattern» feststellen. Sicherlich wurden in Wuhan Fehler gemacht (z. B. wurden Großveranstaltungen nach Bekanntwerden des Virus nicht abgesagt), was zur Entlassung von hochrangigen Partei- und Stadtverwaltungsbeamten führte.

Gulag-ähnliche Bedingungen?

Herr Baumann schreibt von «Xinjiang-spezifischen Internierungslagern«. Die Provinz Xinjiang hat 25 Millionen Einwohner, so viele wie Australien, das über 100 Gefängnisse hat. Natürlich gibt es auch in Xinjiang Gefängnisse. Viele der Erziehungsstätten und Berufsschulen (im Westen oft «Internierungslager» genannt), die nach jahrelangen Terroranschlägen uigurischer Islamisten eingerichtet wurden, stehen jedoch auch allen anderen ethnischen Gruppen offen. Wer sich informieren will, was sich genau abspielt, kann das hier, hier und hier tun.

Chinesischer Überwachungswahn?

Herr Baumann schreibt von Nachbarschaftskomitees, «alten Vierteln, die verschwinden, um neue zu bauen«, – «riesigen Wohnkomplexen, die auf dem Lande gebaut werden – unter perfekter Überwachung.» Mit anderen Worten: Es wird alles getan, damit die drangsalierten Chinesen auf Schritt und Tritt von der Kommunistischen Partei überwacht werden können.

Zunächst einmal gibt es auch in Vietnam Nachbarschaftsausschüsse. Dort, wo ich wohne, kümmert sich das Nachbarschaftskomitee nicht darum, wer in meinem Haus ein- und ausgeht. Sie kümmern sich eher darum, dass es weniger Stromausfälle gibt, dass die Straßen repariert werden und dass das Internet schneller wird. Wenn es denn das Komitee nicht gäbe, würde ich vorschlagen, eines zu gründen.

Jerry Grey erklärte mir, dass in China die Nachbarschaftskomittees die Grundlage der chinesischen Demokratie sind, da sie den lokalen Behörden Vorschläge unterbreiten, die schließlich zu neuen Gesetzen führen können. Sie sind keine «neugierigen» Nachbarn, sondern Freiwillige, die sich für die Bedürfnisse ihrer Gemeinschaft einsetzen. “Ein weiterer kleiner Mythos über den Social Credit Score stammt ebenfalls aus diesem Bereich: Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, können für ihre guten Taten Punkte sammeln und erhalten früher Zugang zu Eintrittskarten für Veranstaltungen, können ihre Kinder auf bessere Schulen schicken und können diese Punkte sogar als Nachweis dafür verwenden, dass sie gute Bürger sind, wenn sie sich um eine Parteimitgliedschaft bewerben wollen. Aber niemand ist verpflichtet, einem Nachbarschaftskomitee beizutreten.” Oder zusammenfassend: Wer freiwillig anderen hilft, wird dafür belohnt.In diesem Artikel stellt und beantwortet Jerry Grey die Frage, ob das vermeintlich allumfassende Sozialkreditsystem, das im Westen als repressives Instrument gebrandmarkt wird, überhaupt existiert.

Jerry Grey erklärt: “Was das Verschwinden alter Stadtviertel angeht, so ist das absolut richtig – man darf nicht vergessen, dass China vor 70 Jahren wirtschaftlich zu den fünf schwächsten Nationen der Welt gehörte. In vielen Regionen ist die Wirtschaft immer noch unterentwickelt, und Xinjiang ist da keine Ausnahme. Oft reden die Leute über Kashgar, wenn sie über das Thema sprechen, und ich habe das auch in einem Video auf Substack behandelt.”

Auch in Vietnam werden alte, dicht gedrängte Stadtviertel, die teilweise überfüllt sind und nicht einmal genug Platz für die Müllabfuhr haben und in denen oft keine Autos geparkt werden können, durch großzügigere Viertel ersetzt. Ich kenne vietnamesische Stadtplaner, die sich nicht so sehr um die Sicherheit der Regierung kümmern, sondern viel mehr darum, sichere Straßen für ihre Nutzer und Orte zu schaffen, an denen Kinder in Sicherheit spielen können.

Fortsetzung folgt

China-Missversteher, Teil 1

Und gefürchtete Agenda-Journalisten.  Ein Versuch, Missverständnisse zu klären.

Von Felix Abt

In Zeiten, in denen Verstehen verpönt ist – man denke nur an die vielgeschmähten Putin-Versteher – sind die China-Missversteher gefragt. Selbst die in China ansässigen «Spiegel»-Journalisten müssen sich dem China-Narrativ ihrer auf strikt atlantisch (d.h. antichinesisch) getrimmten Redakteure in Deutschland unterordnen. Deshalb lesen sich Artikel über China im «Spiegel» so, als wären sie in Hamburg von ausgewiesenen China-Missverstehern geschrieben worden.

Ich habe auch über China geschrieben. Aber kann jemand, der sieben Jahre lang in Nordkorea gelebt hat, China verstehen? Nein, sagt der Ökonom und freie Autor Thomas Baumann, der auch für die NZZ schreibt, in seinem Zackbum-Artikel «Ein Breitbandantibiotikum namens KPCh«. Auf den ersten Blick hat er recht. Aber lassen Sie mich dieses und einige andere Missverständnisse ausräumen, um gleichzeitig zu einem etwas ungetrübteren Bild von China zu kommen.

Unvermeidbares China

Wenn ein Ausländer wie ich eine Fabrik in Nordkorea aufbaut und Maschinen und andere Ausrüstungen, Verbrauchsmaterialien und Software benötigt, die er in Nordkorea nicht finden kann, wo bekommt er sie dann? Genau, in China, wo alles verfügbar ist. Wo schult er seine nordkoreanischen Mitarbeiter, bevor die Fabrik in Betrieb geht? Auch in China, bei befreundeten Unternehmen, denn in keinem anderen Land kann man das modernste Produktions- und Logistik-Know-how besser erlernen als dort (zu den Freunden komme ich gleich noch). Wenn die Produktion anläuft, aber schlecht ausgelastet ist, weil der heimische Markt noch zu klein ist, sucht er sich anderswo einen guten Absatzmarkt, also wieder China. Wenn es im Verwaltungsrat des Joint-Venture-Unternehmens unterschiedliche Meinungen über die Unternehmensstrategie und -führung gibt, was macht dann der Ausländer: In meinem Fall habe ich einen erfahrenen und kompetenten chinesischen Geschäftsmann in den Verwaltungsrat geholt. Während der Kulturrevolution wurde der neue Verwaltungsrat, der damals Chef eines großen chinesischen Unternehmens war, von den damaligen roten Wächtern – heute wären sie wohl grün – abgesetzt und zu einem Arbeiter an einem Arbeitsplatz degradiert, an dem er giftigen Dämpfen ausgesetzt war. Als Chinas woke Kulturrevolution vorbei und sein Unternehmen ruiniert war, wurde er zurück an die Spitze des Unternehmens geholt, um es wieder aufzubauen. Er war der erste in seiner Branche, der ein Joint Venture mit einem ausländischen (amerikanischen) Unternehmen einging. Henry Jin wurde ein enger Freund von mir, dem ich den Artikel im “Diplomat” gewidmet habe: “When Capitalism came to North Korea. How a Chinese businessman helped spark North Korea’s pharmaceutical industry.”

Außerdem habe ich vereinzelte VR-Sitzungen in China abhalten lassen. Dies gab uns die Möglichkeit, für meine nordkoreanischen VR-Kollegen Informationsbesuche bei chinesischen Unternehmen zu organisieren.

Bei einem Treffen mit dem Vorstandsvorsitzenden eines großen Staatsunternehmens fragten die Nordkoreaner ihn, welche Anweisungen er von der Partei und der Regierung erhalte. Der Vorstandsvorsitzende wusste, worauf sie anspielten: Auch in China mischten sich in der Vergangenheit Ministerien und andere staatliche Stellen in das Tagesgeschäft ein, und der Vorstandsvorsitzende war lediglich ein Befehlsempfänger, kein Gestalter. Die Antwort verblüffte meine nordkoreanischen Kollegen: «Die einzige Erwartung der Regierung ist, dass wir das Unternehmen so führen, dass es rentabel und nachhaltig bleibt. Wenn nicht, bin ich meinen Job los

Gefürchtete Agenda-Journalisten

Ich hatte schon lange vor meiner Nordkora-Zeit geschäftlich mit China zu tun. Jahrelang hatte ich eine in Hongkong registrierte Firma, die für die Geschäfte in China zuständig war. Wir bauten ein in diesem Teil der Welt unverzichtbares, und deshalb wertvolles Netzwerk von Freunden und Bekannten im Reich der Mitte auf, über das ich auch all die Informationen bekam, die in westlichen Zeitungen nicht zu finden sind. In einer Karaoke-Halle hatte ich einmal ein Gespräch mit einem chinesischen CEO eines erfolgreichen Unternehmens. Er erzählte mir: «Der Satz ‹Kein Zutritt für Hunde und Chinesen!›, den westliche Kolonialisten am Eingang ihrer Banken und in chinesischen Parks angebracht hatten, ist in die Seele vieler Westler eingebrannt.» Ich fragte ihn, ob er westlichen Journalisten keine Interviews gebe, worauf er antwortete: «Wir haben kein Interesse daran, denen zu helfen, die uns schlecht machen wollen.» Auf meine Frage, warum er mit einem Westler wie mir spreche, antwortete er: «Sie und ich sind Geschäftsleute, die keine politischen Ziele verfolgen. Wir haben Geschäftsinteressen, die sich gegenseitig ergänzen, also sind wir Partner und können Freunde sein. Und alles, worüber wir sprechen, bleibt unter uns.» Andere chinesische, koreanische, indonesische und vietnamesische Unternehmer haben sich mir gegenüber so oder ähnlich geäußert.

Als Anna Fifield, eine Journalistin der «Financial Times«, eine mehrteilige Reportage über Nordkorea machen wollte, half ich ihr, das einzige Interview zu führen, das ein nordkoreanischer Geschäftsmann jemals einem westlichen Medium gegeben hatte. Der Chef eines Industriekonglomerats, das damals in Südkorea als das nordkoreanische Pendant zu Samsung angesehen wurde und das bereits erfolgreich Produkte in China vermarktete, war auf der Suche nach weiteren Exportmärkten. Ich sagte dem fließend Englisch und Chinesisch sprechenden Geschäftsmann, dass die Financial Times sicher Leser hat, die sich für sein Unternehmen und seine Produkte interessieren könnten. Selbst wenn das Produkt und der Preis stimmen, gibt es in den ostasiatischen Ländern noch eine weitere Bedingung, um Geschäfte zu machen oder die Türen zu öffnen: Vertrauen. Wenn der Nordkoreaner mir nicht vertraut hätte, wäre das Treffen mit der Journalistin nicht zustande gekommen. Und wenn die Journalistin ihn in die Pfanne gehauen hätte, wäre das als Vertrauensbruch meinerseits gewertet worden mit den entsprechenden Konsequenzen für mich. Was für Asiaten gilt, gilt auch für Westler in diesem Teil der Welt: Man lässt nicht jeden an seine wertvollen Kontakte heran.

Zusammen mit dem Chef des nordkoreanischen Industriekonglomerats, das nach seinen Worten auch «coole Motorräder» herstellt. Ausnahmsweise sprach er mit der Financial Times.

Fortsetzung folgt.