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Zeit der Gedankenleere

Israel/Palästina: eigentlich ein Idealfall für Intellektuelle.

Der heimtückische Überfall der fundamentalistischen Terrororganisation Hamas auf Israel ist ein durch nichts zu rechtfertigendes Verbrechen. Raketen wahllos auf zivile Ziele abfeuern, Nicht-Kombattanten als Geiseln nehmen, in Dörfern um sich schiessen: unsäglich.

Die Hamas (Bewegung des Islamischen Widerstands), ein Ableger der Muslimbrüderschaft, regiert seit ihrem Wahlsieg von 2006 diktatorisch im Gazastreifen. Ihr erklärtes Ziel ist die Beseitigung des Staates Israel mit militärischen Mitteln. Zu ihren wichtigsten Unterstützern gehört der Iran, der zwar Israel 1948 sofort anerkannte, aber nach der islamistischen Revolution das Existenzrecht eines israelischen Staates nicht mehr anerkennt.

Der einzige erkennbare Grund für den Überfall könnte sein, dass damit die Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien, einem Todfeind des Irans, torpediert werden soll. Völlig ungeklärt ist die Frage, wie der israelische Geheimdienst, der wohl beste der Welt, der ganze Infiltrationsteams im Gazastreifen unterhält, die monatelangen Vorbereitungen übersehen haben kann.

Die Folgen dieses terroristischen Überfalls für den Gazastreifen werden fürchterlich sein.

Das sind wohl soweit die einigermassen gesicherten Tatsachen.

Anschliessend wird es aschgrau. Es gibt einige versprengte Anhänger des Antisemitismus, die fundamental gegen die Juden sind und auch Zweifel an der Existenzberechtigung Israels haben. Sie sind in der intellektuellen Auseinandersetzung über das Thema irrelevant.

Viel komplizierter wird es bei der Linken, die traditionell das Kopftuch à la Arafat als modisches Statement um den Hals geschlungen hatte und hat. Die mehr oder minder unreflektiert das, was sie für die Sache der Palästinenser hält, unterstützt. Die zwar das Existenzrecht Israels anerkennt, aber genauso einen Palästinenserstaat fordert. Dabei allerdings übersieht, dass sich die Zeiten seit der Herrschaft von Yassir Arafat massiv geändert haben. Ihm war es noch gelungen, die Al-Fatah als zwar terroristische, aber politische und nicht religiöse Bewegung auf der internationalen Landkarte zu etablieren.

Aktuell bestünde eigentlich die Aufgabe von Intellektuellen, Journalisten, Analysten, Experten darin, zu versuchen, die in die verschlungene Geschichte des Nahen Ostens nicht Eingeweihte mit Hintergrundinformationen zu versorgen. Sie versagen einmal mehr.

Aktuell bestünde die Aufgabe von Politikern und politischen Parteien, die sich traditionell der palästinensischen Sache verschrieben haben, darin, sich zu diesem Angriff zu äussern. Die «Gesellschaft Schweiz Palästina», immer noch präsidiert von Geri Müller: tiefes Schweigen. Der Co-Präsident von Swissaid, der Freund des Mafiastaates Kosovo, der SP-Nationalrat und Vielschwätzer Fabian Molina behauptet, er sei «schockiert» über «das Leid, welches diese Gewalteskalation bei der Zivilbevölkerung in Israel und Palästina» auslöse. Ein terroristischer Überfall, verkleidet als «Gewalteskalation»? Und welche Zivilbevölkerung Palästinas? Ein Geeier. Dann verkündet Molina noch allgemein: «Angriffe auf Zivilpersonen sind niemals legitim.»

Auch Balthasar Glättli, aalglatter Präsident der Grünen, ist um eine Verurteilung nicht verlegen: «Unser Mitgefühl gilt den Opfern dieser barbarischen Gewalt», salbadert er, als müsste er eine Trauergemeinde verbal trösten.

Nun ist es heutzutage leider so, dass dank Internet so ziemlich jede vergangene Äusserung auffindbar bleibt. Nehmen wir mal ein paar Organisationen durch. Da wäre zum Beispiel Greta Thunberg und «Fridays for Future». Israel begehe «Kriegsverbrechen um Kriegsverbrechen», regte sich die Kämpferin für eine bessere Welt auf. Auch die Organisation  selbst sieht die Sache eher einseitig: «Unsere Herzen sind bei den Märtyrern, ihr Blut wird nicht vergessen gehen.» Damit meinte sie aber nicht israelische oder zivile Opfer, sondern getötete fundamentalistische Terroristen.

Auch ein Mitbegründer der Klimakämpfer «Extinction Rebellion» hat ein etwas verrutschtes Geschichtsbild; so bezeichnete er den Holocaust flappsig als «just another fuckery» (einfach so ein weiterer Scheiss) in der Menschheitsgeschichte.

Auch die SP hat eine lange Geschichte der militanten Verteidigung der Sache der Palästinenser. Noch 2002 organisierte die Partei (zusammen mit den Grünen, den Gewerkschaften und dem reformierten Kirchenbund) eine grosse Demo in Bern mit 10’000 Teilnehmern. Kein Geringerer als der damalige Fraktionschef der SP verurteilte in seiner Rede Israel, das «ganz gezielt ein ganzes Volk massakriere» dabei «die systematische Ausrottung der Palästinenser» plane.

Heute haben alle Kreide gefressen. Molina warnt kleinlaut davor, alle Palästinenser in den gleichen Topf zu werfen. Noch 2022 hatte er, mit einer Mehrheit von 125 Nationalräten, gegen ein Verbot der Hamas in der Schweiz gestimmt. Und auf der Webseite der SP Schweiz findet man unter dem Stichwort Palästina zwei Einträge. Einer von 2014 und der zweite von 2010 … Die Hamas existiert dort nicht.

So gibt es unzählige grössere und kleinere linke Organisationen, Medien oder Einzelmasken, denen es äusserst peinlich wäre, an vergangene Äusserungen zum Nahostkonflikt erinnert zu werden. Man kann ja seine Meinung ändern, das ist erlaubt und aufrechter, als am ewigen Politikertalk festzuhalten: «Ich habe schon immer gesagt.» Aber: eine redliche und genauso öffentliche Auseinandersetzung mit vergangenen Irrtümern wäre anständig und nötig.

Genauso unredlich ist es allerdings, diesen abscheulichen Überfall dazu zu missbrauchen, mal wieder jegliche Kritik an der verbrecherischen Politik Israels, der völkerrechtswidrigen und in unzähligen UNO-Resulotionen verurteilten Besetzung fremder Territorien, der ebenfalls allen internationalen Gepflogenheiten widersprechenden illegalen Siedlungspolitik und an den aktuellen Versuchen, den Rechtsstaat aus den Angeln zu heben, mit der grossen Keule «Antisemitismus» zu erschlagen, wie das nicht nur Amoks wie Giuseppe Gracia tun.

Intellektuelle, die sowieso kaum Einfluss auf das Weltgeschehen haben, versagen bei ihrer wichtigsten Aufgabe: Die Weltlage analysieren, differenziert und informiert der Öffentlichkeit Erklärungen und Erkenntnisse vermitteln, mit denen sie etwas anfangen kann und sich eine eigene Meinung bilden.

Die Medien, die Journalisten versagen aufs Neue und immer wieder krachend, unsäglich, peinlich. Wie wünschte man sich einen Arnold Hottinger zurück, der wohl als Einziger in deutscher Sprache kompetente und nachvollziehbare und erhellende Erklärungen liefern konnte.

Dass das nicht naturgesetzlich ist, sondern ein spezifisch deutschsprachiges Problem, das beweist ein Blick über die Sprachgrenzen hinaus. Alleine der Artikel «The lessons from Hama’s assault on Israel» in «The Economist» enthält in aller gebotenen Kürze mehr Informationen, Erkenntnisse, Erklärungen und Analysen als so ziemlich alles, was bislang auf Deutsch erschienen ist.

Was zurzeit in Israel geschieht, ist ein Verbrechen und eine Tragödie. Sie wird ihre Fortsetzung im Gazastreifen finden. Was sich intellektuell im deutschen Sprachraum abspielt, ist ein Trauerspiel. Wie sich Exponenten der palästinensischen Sache winden und verwinden, ist zum Fremdschämen. Wie Anhänger Israels diesen Überfall missbrauchen wollen, um jegliche Kritik an Israel mit der Antisemitismuskeule zu erschlagen, ist widerwärtig.

Die überbordende Berichterstattung über dieses Verbrechen beinhaltet die fortgesetzte völlige Wurstigkeit gegenüber noch grösseren Verbrechen in der gleichen Weltgegend, im Jemen, im Sudan, in Äthiopien. Oder gegenüber der Erdbebentragödie in Afghanistan. Das ist beschämend.

 

11. September 2001

Afghanistan ist das vorläufige Ende einer fatalen Entwicklung.

Es fehlen noch 11 Tage, dann jährt sich einer der brutalsten Terroraktionen der jüngeren Geschichte zum 20. Mal.

Es sind Bilder, die sich ins kollektive Gedächtnis der Welt eingegraben haben. Jeder weiss noch, wo er war, als er das erste Mal die einstürzenden Zwillingstürme in New York am TV gesehen hat.

Wenn es – innerhalb der perversen Logik dieser religiösen Fanatiker – einen erfolgreichen Anschlag gegeben hat, dann war es dieser. Er führte zwar dazu, dass in Afghanistan die Steinzeit-Taliban von der Macht verjagt wurden, weil sie Osama Bin Laden und vielen anderen Terrororganisationen Unterschlupf gewährt hatten. 

Aber derselbe Bin Laden konnte dann unbehelligt viele Jahre in Pakistan leben. Nicht zuletzt deswegen, weil sich die USA nicht so leicht an ein Land herantrauen, das die Atombombe besitzt. Also wurde die logistische und sonstige Unterstützung islamistischer Terrororganisationen durch das pakistanische Militär und den Geheimdienst toleriert.

Der irakische Diktator Saddam Hussein hingegen konnte sich zu Recht darüber beschweren, dass er mit falschen Anschuldigungen («the guy who tried to kill my daddy», George W. Bush Junior) von der Macht vertrieben wurde.

Er hatte – unterstützt durch die USA – jahrelang einen mörderischen Angriffskrieg gegen den Iran führen dürfen. Er durfte Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzen. Ungestraft. Er hatte aber weder Osama Bin Laden, noch andere Terrororganisationen unterstützt, geschweige denn Massenvernichtungswaffen in seinem Besitz. Aber mit dieser Begründung wurde er gestürzt.

Chaos durch den Kampf gegen den Terrorismus

Und der Irak ins Chaos gestürzt, kurz darauf die halbe arabische Welt. Libyen, Syrien, eine Blutspur der Verwüstung, Zerstörung, begleitet von der wöchentlich durch den Friedensnobelpreisträger Präsident Obama abgenickten «Kill List», seine Autorisierung für die Liquidation angeblicher Terroristen, meistens mit Drohnenangriffen. Dass dabei Kollateralschäden wie die Bombardierung von Hochzeitsgesellschaften und gar anschliessender Trauerfeierlichkeiten hingenommen wurden, trieben den religiösen Fanatikern scharenweise Anhänger zu.

Die wichtigsten Unterstützer des islamistischen Terrors, die Staaten der arabischen Halbinsel, in erster Linie Saudi-Arabien und Katar, kamen aber immer ungeschoren davon. Verbündete des Westens, wichtige Öllieferanten, Verbündete im Kampf gegen den Iran.

Das Kalifat, der Islamische Staat, das Wiedererstarken einer mittelalterlichen Verliererreligion, all das hatte seinen Anfang im Terroranschlag von 9/11.

Ein Anschlag in dieser Dimension hat sich in den letzten 20 Jahren nicht mehr wiederholt. Das mag an den hochgerüsteten Sicherheitsmassnahmen liegen. Das mag an der Unfähigkeit der Terroristen liegen, eine vergleichbare logistische Leistung nochmal hinzukriegen. Aber vor allem in Europa wurden viele Staaten, darunter Grossbritannien, Spanien, Frankreich, Deutschland, mit brutalen terroristischen Kleinaktionen gequält.

Autos, Bomben, ja Messer kamen dabei zum Einsatz, plus ein Fanatismus entwurzelter Gläubiger einer Verliererreligion. Befeuert durch ihre Wiederauferstehung als vermeintlicher Halt in zerfallenden Staatswesen. Während die Kolonialisten im 19. Jahrhundert wenigstens noch Nation Building betreiben wollten, sorgte der Westen diesmal nur für den Zerfall jeglicher staatlicher Ordnungsmacht.

Nicht mal mehr der Schein …

Nirgends zeigte sich das brutaler als in Afghanistan. Es sollte der Schein gewahrt werden, dass eine Zentralregierung in Kabul das Fortschreiten in eine moderne Gesellschaft leite. In Wirklich beherrschte diese Marionette, korrupt und durch und durch morsch, kaum die nähere Umgebung der Hauptstadt.

Wie selten in der Militärgeschichte erwies sich die afghanische Armee als reiner Popanz, als Showveranstaltung. Teuer ausgerüstet, aber schlecht bezahlt, gut ausgebildet, aber schlecht motiviert. Die Kämpfer der Taliban mussten kaum Waffengewalt anwenden, um diese Karikatur einer Armee in Staub zu verwandeln.

Eine Billion Dollar (das sind 1000 Milliarden) und viele Tausend Tote später wiederholt sich in Afghanistan die Geschichte. Nicht einmal einen anständigen Abzug kriegen die westlichen Alliierten hin. Gedemütigt haben sie Tausende ihrer Unterstützer verraten, die im Vertrauen darauf, am Aufbau einer modernen Gesellschaft mithelfen zu können, unter dem militärischen Schutzschirm der NATO, sich engagierten und nun erkennen müssen, dass der Westen einen Scheiss auf ihr Schicksal gibt.

Strahlende Sieger auf allen Kampfplätzen sind bislang die Taliban. Mit kaum mehr Aufwand, als aufs Gaspedal von ihnen in die Hände gefallenen Militärfahrzeugen der aufgelösten Armee drücken zu müssen, haben sie die Macht in der Hauptstadt übernommen.

Dem kläglichen Rest der Invasionsarmee überlassen sie den Flughafen. Die Elendsbilder von verzweifelten Massen entschädigen die Taliban für den Verlust von ein paar tausend gutqualifizierten Afghanen. Ausserdem ist nun Schluss mit der Scharade,  ein blutiger Anschlag sorgte noch für den letzten Tritt in den Hintern, damit keiner auf die Idee kommt, das Ende der Evakuierung heute noch hinausschieben zu wollen.

Im Elendstal der modernen Medien

Während verzweifelte lokale Helfer zurückgelassen werden, laden die USA gegen deren Willen Journalisten in die letzten Flieger – als wollten sie Hand in Hand mit den Taliban eine weitere Berichterstattung nach Möglichkeit verhindern. Darunter eine Reporterin des «Guardian» und einer des «Spiegel».

Die Elendsgestalten zum Skelett heruntergesparter deutschsprachiger Medien versuchen, die Lage in Afghanistan mit dem Fernrohr oder dem Teleskop zu beobachten. Aus Unkenntnis oder Unfähigkeit geben sie Lautsprechern der Taliban Gelegenheit, von einer neuen Regierung mit menschlichem Antlitz zu schwafeln. Aus Unkenntnis oder Unfähigkeit bieten sie alle Zukunftsperspektiven von «könnte was werden» bis zu «wird grauenhaft».

Über die eigentlich entscheidenden Entwicklungen und Kräfte, also die Atommächte China, Pakistan und Indien und deren Absichten, wird kaum ein Wort verloren.

Kümmert sich jemand um die Frage, ob der Westen zum 20. Jahrestag von 9/11 mit einem neuerlichen grossen Terroranschlag rechnen muss? Nein, all das liegt ausserhalb der intellektuellen Reichweite und hat vor allem nichts mit der Bauchnabelschau zu tun, der sich in Schweizer Medien die meisten Journalisten vornehmlich widmen.