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Lehrbeispiel an Zynismus

…oder an Ignoranz und Heuchelei?

Von Felix Abt

Die alte Tante von der Falkenstrasse veröffentlichte ein Op-ed ihres Sportjournalisten Daniel Germann, wo dieser zu einem Boykott gegen die Winterolympiade in Bejing aufruft, weil eine berühmte chinesische Tennisspielerin, die einen pensionierten hohen Politiker der Vergewaltigung (ihr chinesischer Originaltext verwendet das Wort Vergewaltigung nicht) bezichtigt, nachdem die jahrelange, heimliche Liebesaffaire mit vielen Hochs und Tiefs zwischen den beiden in die Brüche ging.

Nun hat der sich vom Sport- zum Politjournalisten gemauserte Germann in der NZZ nachgelegt mit einem Artikel, wo er sich beklagt, dass das olympische «Ideal» wegen China und seinem übel misshandelten Tennisstar in Scherben liege und dass der Fall «ein Lehrbeispiel an Zynismus» sei, mit besonderem Hinweis auf die amoralischen westlichen Sponsoren.

Selbstverständlich sollte jede Anschuldigung sexueller Übergriffe untersucht werden. Ob China das tun wird, wissen wir nicht. In dieser jahrhundertealten Meritokratie, in der Beamte immer noch Eignungsprüfungen über sich ergehen lassen müssen, und Versager, wie z.B. der Bürgermeister und andere hochrangige Kader in Wuhan, nach ihrem Fehlverhalten beim Ausbruch des Coronavirus in die Wüst geschickt wurden (die NZZ berichtete nicht darüber), ist das nicht auszuschliessen. Eine gewisse Stetigkeit kann man dem Land nicht absprechen, denn als der chinesische Gesundheitsminister vor zwanzig Jahren vor die Mikrofone trat, um die Ernsthaftigkeit des SARS-Virus kleinzureden, war er anschliessend seinen Job los. Selbstverständlich hegen westliche Medien Zweifel daran, dass der hochrangige, von ihnen bereits vorverurteilte kommunistischen Unhold einer gerechten Strafe zugeführt werden wird, denn jetzt ist nicht mehr Wladimir der Schreckliche der grösste Bösewicht der Welt, sondern Xi JingPing, der noch Schrecklichere, hat er sich doch angeblich zum Diktator von Rotchina auf Lebenszeit erküren lassen.

Treibende Kraft ist Konfuzius

Hätte der damalige chinesische Vizepräsident Xi JingPing das ernste, ihm zur Lösung anvertraute Problem der SARS-Pandemie vor zwanzig Jahren oder Chinas erste und prestigetraechtige Sommerolympiade, für die er auch verantwortlich gemacht wurde, verbockt, wäre er allerdings nie Präsident geworden. Als Chinabeobachter und als einer, der in Grosskonzernen Karriere machte, ist mir aufgefallen, dass die Kommunistische Partei Chinas in der Personalselektion, –Förderung  und –beförderung sehr viel gemeinsam hat mit den Personalabteilungen westlicher Konzerne. So zum Beispiel rekrutiert die Partei Neumitglieder vornehmlich von den besten Universitäten des Landes. Oder ein von der Personalabteilung der Partei geleitetes Untersuchungsteam beurteilt die Leistungen und Tugenden von Kandidaten und empfiehlt die besten zwei von ihnen für die nächste Karrierestufe.

Dass dieses System von «Diktator» Xi Jinping auf den Kopf gestellt werden könnte, ist sehr unwahrscheinlich. Treibende Kraft dahinter ist der Philosoph Konfuzius (Kong), der auch ein Vorbild Xi Jinpings ist. Master Kong wollte, dass, unabhängig von ihrer Abstammung, die Fähigsten, nicht die Beliebtesten oder diejenigen mit den besten Beziehungen, die Geschicke des Landes lenken. Und er erklärte seinen Schülern, dass der vom Himmel gesandte Führer vom Volk vertrieben werden darf, wenn er sich als unfähig erweist, im Interesse des Volkes zu handeln. Jetzt kann man vielleicht verstehen, wenn Amerikaner gerne von der «China Threat» reden, die tatsächlich besteht, wenn man bedenkt, dass in Amerika – aber nicht nur dort – im Unterschied zu China sogar ausgesprochen unfähige, aber beliebte Populisten, mit Hilfe von schwerreichen Gönnern die Wahlen gewinnen und Präsident werden können.

Meinungen statt Analysen und Fakten

Nun gut, man sollte mit der NZZ und anderen Schweizer Medien nicht zu harsch ins Gericht gehen, wenn weit prominentere Medien wie z.B. die New York Times auch nur an der Oberfläche kratzen und mehr unfreundliche Meinungen über China als fundierte Analysen und Fakten liefern. Immerhin überrascht eine andere alte Tante, nämlich die BBC, die es wagt, ihren Lesern zu erklären, dass «über 2000 Jahre lang die Normen des konfuzianischen Denkens die chinesische Gesellschaft prägten. Der Philosoph (551-479 v. Chr.) entwarf ein ethisches System, das Hierarchie, d. h. das Wissen um den eigenen Platz in der Gesellschaft, mit Wohlwollen, d. h. der Erwartung, dass die Höhergestellten sich um die Untergebenen kümmern, verband».

Nun höre ich schon die Stimmen derer, die aufgeregt entgegnen, dass China im Vergleich zum Westen doch ein unfreies Land sei. Es ist richtig, dass im Westen Otto Normalverbraucher die Regierenden scharf kritisieren und heftig beschimpfen darf, ohne bestraft zu werden und dass Journalisten Wahres – und auch Unwahres – veröffentlichen dürfen, so viel sie wollen oder soviel die Medienbesitzer und Inserenten zulassen. Das ist in China in der Tat anders.

Lehrbeispiel der Heuchelei?

Das heisst aber keineswegs, dass diejenigen, welche Dampf ablassen, einen wirklichen Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger haben würden. Echte Demokratie ist wohl eher etwas, wo die Regierenden nicht im Eigeninteresse und dem ihrer reichen Gönners und Förderer handeln. In einem solchen Wettbewerb dürfte die «Diktatur» Chinas mit der «Demokratie» westlicher Länder gar nicht so schlecht abschneiden. Und sehr zum Unbehagen seiner Kritiker hat Chinas Regierungspartei auch kürzlich wieder gezeigt, dass sie sich nicht von seinen Milliardären kaufen lässt.

Zurück zur Behauptung der NZZ, dass das Abhalten der kommenden Winterolympiade in China und das Verhalten der Sponsoren ein Lehrbeispiel an Zynismus sei. Vielleicht ist es ein Lehrbeispiel an Heuchelei: Immerhin haben 26 Amerikanerinnen Präsident Donald Trump sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen.

Haben denn damals die NZZ und andere gleichgesinnte Medien wegen den Anschuldigungen gegen Trump Sanktionen und Boykotte gegen sein ganzes Land gefordert?