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Die Teilmobilmachung

Netterweise hat Putin gewartet, bis die Queen unter der Erde war.

Sehr selten in Friedenszeiten: Obwohl es sich beim Ukrainekrieg offiziell weiterhin um eine militärische Spezialoperation handelt, ordnete Russlands Präsident Putin eine Teilmobilmachung an. Eigentlich bräuchte er dafür zuerst die Zustimmung des Parlaments (die er natürlich kriegen würde). Aber wo kein Krieg ist, muss auch nicht zugestimmt werden.

300’000 russische Reservisten sollen nun aktiviert werden, um die gelichteten Reihen der Roten Armee in der Ukraine aufzufüllen. Natürlich sollen auch weitere Geländeverluste vermieden werden, möglicherweise will Russland zur Gegenoffensive ansetzen. Damit beginnt eine neue, noch blutigere Phase des Kriegs.

Gleichzeitig ist es eine eindeutige Eskalation, zumal Putin nicht müde wird zu beteuern, dass sich Russland im Ernstfall «mit allen Mitteln» verteidigen werde, und das sei «kein Bluff». Mit anderen Worten: Die Welt ist einem Atomkrieg wieder ein Stückchen nähergerückt. Vor allem auch durch Putins Plan, mittels «Referenden» Teile der Ukraine Russland zuzuschlagen. Und Angriffe darauf wie einen Angriff auf russisches Kerngebiet zu betrachten – und notfalls mit Atomwaffen zu beantworten.

Während Russland gleichzeitig zum ersten Mal eine gewisse Gesprächsbereitschaft signalisiert hat, lehnt die Ukraine Friedensgespräche zurzeit prinzipiell ab. Zu gross ist offensichtlich der Triumphalismus nach den überraschend grossen und schnellen Terraingewinnen durch die Gegenoffensive.

Mit dieser Teilmobilisierung setzt Putin die Verzwergung Russlands konsequent fort. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa und den USA sind dermassen zerrüttet, dass es lange Jahre dauern wird, sie wieder zu normalisieren. Zudem hat sich Russland als unsicherer Kartonist erwiesen; gerade auf internationalem Gebiet müssen Verträge und Vereinbarungen eigentlich konsequent eingehalten werden. Tut das ein Handelspartner nicht, dann dauert es sehr lange, bis man wieder in ihn Vertrauen fasst.

Da Russland trotz allen gegenteiligen Anstrengungen weiterhin im Wesentlichen ein Zweit-Welt-Land mit Rohstoffen und Atomwaffen ist, hängt seine Industrie bedeutend von westlichem High-Tech ab. In modernen Gerätschaften kann schon ein fehlender Chip Riesenapparate lahmlegen. Deshalb schmerzen die westlichen Sanktionen zunehmend.

Dass Russland unter Bruch internationaler Verträge, inklusive die zugesicherte und beschworene Akzeptanz der territorialen Unverletzlichkeit der Ukraine, in sein Nachbarland eingefallen ist, macht die russische Regierung als verlässlicher Gesprächspartner ebenfalls unglaubwürdig. Das erschwert auch den möglichen Abschluss eines Friedensvertrags. Wie soll man da russischen Zusicherungen glauben, wenn die in der Vergangenheit schonmal gebrochen wurden?

Nun kommt auch noch ein militärisches Desaster dazu. Offensichtlich hat die russische Armee der vom Westen hochgerüsteten Ukraine nur wenig an Mensch und Material entgegenzusetzen. Das gibt natürlich all den Staaten zu denken, die sich von Russland militärisch beschützt wähnen. Ausserdem ist dieses Versagen Gift für russische Waffenexporte in alle Welt. Wenn die eigene Armee mit dieser Ausrüstung krachende Niederlagen einfährt, wozu soll es dann dienen, sich russische Waffen zu kaufen?

Schliesslich trägt diese Teilmobilmachung für diese «Spezialoperation», die angeblich nur ein paar Tage dauern sollte, den Krieg mitten in die russische Gesellschaft.

Auf der anderen Seite sind die Folgen für die europäische Wirtschaft noch nicht abzusehen. Es ist klar, dass es zu einem Wohlstandsverlust kommen wird. Wie dramatisch der ausfallen wird? Das kommt wohl darauf an, in welchem Bereich des Mittelstands der Betroffene lebt. Am unteren Rand wird es sicherlich bitter werden. Wenn zum Beispiel eine Verdreifachen der Stromrechnung in ernste Probleme stürzt, wer bei einer Verdoppelung der Heizkosten anfängt, im Wintermantel in der Stube zu sitzen, der wird’s schwer haben.

Die offiziellen Inflationszahlen widerspiegeln nur sehr ungenügend die sogenannte gefühlte Inflation, also was in der Lebenswirklichkeit des Konsumenten ankommt. Dort liegt die Inflationsrate bereits locker im zweistelligen Bereich. Auch das wird kein schnell vorübergehender Zustand sein. Und wie lange der Staat noch in der Lage ist, die Folgen der Sanktionspolitik mit Geld zuzuschütten, steht ebenfalls in den Sternen.

Also rundum unfrohe Aussichten …