Schlagwortarchiv für: Tamedia

Die sexistische Seite des Tagi

Frauen an der Spitze bedeutet noch gar nichts.

Kein anderer Medienkonzern macht so ein Gewese um Inkludierung, Kampf gegen Sexismus, gendergerechte Sprache und ähnlichen Unfug wie Tamedia.

So kriegt sich Nora Zukker über ein Buch gar nicht ein, das sich mit der Frage beschäftigt, was Männlichkeit heute sei. Allerdings lässt schon der Titel Übles ahnen: «Oh Boy: Männlichkeit*en heute». Die Inhaltsangabe bestätigt den Verdacht:

«Ein Mann, der sich die eigene Übergriffigkeit eingesteht. Eine non-binäre Person, die ihr Genital nicht googeln kann. Ein Gefangener zwischen Krieger oder Loser. Diese Texte erzählen von männlichem Leistungsdruck, von Männerfreundschaften, Söhnen und ihren Vätern. Sie ergründen die Kapitalisierung von Männlichkeit, beschreiben Intimität und Verlust.»

Ach, und wem das noch nicht reicht: ein gewisser Kim Irgendwas schreibt auch einen Beitrag. Wir nehmen mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis: das Eierattentat scheint er ohne Schreibstau überstanden zu haben.

Dann wird der Tagi aber recht locker: «Ferien, das ist Sex mit Vorspiel». Aber hallo. Die Prostitution wird mal wieder entzaubert: «Kein anderer Job macht Menschen so kaputt». Dabei sehen viele Feministen «Sexarbeit» als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung.

Alexandra Bröhm will mit einem weiteren (männlichen) Vorurteil aufräumen. Der Unterteilung in jagende Männer und sammelnde Frauen in dunklen Vorzeiten. Stimmt gar nicht, sagt Bröhm. Beweis: in ein, zwei Gräbern seien die Überreste von Jagdwaffen gefunden worden. Bei weiblichen Skeletten. Wahnsinn. Die Geschichte des Neandertalers muss umgeschrieben werden. Denn: «Frauen sind Jägerinnen». Eigentlich hätte auch das generische Maskulin gereicht, aber «Frauen sind Jäger» käme einer Autorin natürlich nie in die Tastatur. Obwohl die feminine Verdoppelung etwas leicht Pleonastisches hat. Aber frau und schreiben …

Zurück in die Jetztzeit und zu einem ganz üblen, frauendiskriminierenden Ausrutscher. Ein weiterer Beitrag zum Thema: ein männlicher Politiker würde niemals so beschrieben werden. Wie? «Yolanda Díaz ist …» kompetent, charismatisch, durchsetzungsfähig, engagiert? Aber nein, ist zuallererst und zuvorderst «modebewusst».

Wahnsinn, und das im Tagi. Aber danach kommen nun sicherlich Beschreibungen ihrer politischen Fähigkeiten: Nun ja: sie ist «modebewusst, meist gut gelaunt …» Man stelle sich diese Beschreibung eines spanischen Politikers –männlich – vor. Noch nie gelesen? Eben. Aber aller schlechten Dinge sind drei, nun wird vielleicht noch die Intelligenz, die klare politische Linie der Politikerin erwähnt? Fast: sie «ist modebewusst, meistens gut gelaunt – und erfolgreich».

Aha. Erfolgreich, weil modebewusst und immer lächelnd? Kämpft sie etwa mit den Waffen einer Frau? Als Schlusspointe zitiert der Tagi sogar die Konkurrenz von rechts: «Rechten Medien wie der Zeitung «El Debate» gilt Yolanda Díaz schon als Sanchez’ Geheimwaffe, ihr Lächeln als ihre schärfste Munition.»

Dass das spanische Machos so sehen, mag ja noch angehen. Aber der sensible Tagi, mit seitenlangen Erklärungen über gendergerechte Sternchensprache immer zur Hand, sofort auf den Barrikaden, wenn es angeblich überkommene Frauenbilder und Geschlechterrollen zu kritisieren gilt? Und dann das?

Hat das Raphaela Birrer gesehen? Ist das für Kerstin Hasse feministisches digitales Storytelling? Entspricht das ihrer Forderung nach «kompletter, ehrlicher und offener Gleichstellung»? Wildes Gefuchtel ist einfach. Genaues Hinschauen im eigenen Laden, nun ja. Wahrscheinlich ist die (weibliche) Chefetage schon in den Familienferien, hoffentlich ohne Flugscham.

Kriegsberichterstattung, reloaded

Kann man absurd steigern? Die Medien probieren’s.

Neues vom Sändele im militärischen Sandkasten. Das Kriegsglück schwankt, die Meldungen sind widersprüchlich, aber energisch vorgetragen.

In der militärischen Kommandozentrale des «Blick», aka Samuel Schumacher, «Ausland-Reporter» mit Einsatzgebiet Newsroom, herrscht Konsternation:

Statt Triumphmeldungen von den tapferen Ukrainern muss Schumacher Trauriges vermelden: «Das Fiese am russischen Killer-Kopter: Er kann seine Raketen aus bis zu zehn Kilometern Entfernung abfeuern und sie mit seinem integrierten Laserstrahl auf jedes erdenkliche Ziel in seinem Blickfeld lenken – bei Tag und bei Nacht. Damit liegt der Alligator ausserhalb der Reichweite der allermeisten ukrainischen Flugabwehrgeräte an der Front. Ein verzweifelter ukrainischer Soldat sagte gegenüber der «Bild»: «Wir haben nichts, um die russischen Helikopter in acht Kilometern Entfernung zu bekämpfen

Ist ja wirklich fies von den Russen, eine neue Wunderwaffe einzusetzen, mit der niemand gerechnet hat. Wobei: «Seit 2008 wird der 310-Stundenkilometer schnelle Killer-Heli in Russland seriell hergestellt.» Also eher ein Oldie auf dem Schlachtfeld.

Schon am 21. Juni musste Chiara Schlenz, «Ausland-Redaktorin» mit Einsatzgebiete Bildschirm, Unerwartetes von der Front vermelden:

Da sind die fernen «Kriegsbeobachter» mal wieder «überrascht», diese schwankenden Gestalten. Sie können ja auch nur abschreiben, was geschrieben steht: «Berichte über eine heftige russische Gegenoffensive zur Gegenoffensive häufen sich in den letzten Tagen.» Und versuchen, das Beste draus zu machen: «Diese aufwendigen Verteidigungsanlagen zeugen aber nicht nur von guter russischer Vorbereitung – sondern auch von russischer Angst.»

Wechseln wir zu Organen, die wenigstens behaupten, Journalismus in langen Hosen zu betreiben. In der neu benannten Rubrik «Russlands Krieg» zeigt Tamedia Tierliebe («Tiere suchen nach der Flut von Cherson ein neues Zuhause», was man als Tierporno bezeichnen könnte). Dann erholen sich «Ukrainierinnen, die von Russen missbraucht worden sind, im Zistertienserinnenkloster in Freiburg». Putin gebe «sich ganz volksnah», und im «Ticker» wird auch nur Pipifax vermeldet. Alles ruhig an der Front, wenn man Tamedia glauben will.

Auch CH Media berichtet weitab vom Kampfgeschehen: «Rache ist süss – Putin liquidiert das Wirtschaftsimperium des Söldner-Chefs». Auch der «Ukraine-Newsblog» muss News zusammenkratzen: «Selenski will Ukraine für Basis für Rakentschutzschirm in Europa machen» und «Bedrohter Getreidedeal: EU -Staaten erwägen Zugeständnis an Europa». «Will» und «erwägen», die beiden Allheilverben für: alles reine Spekulation. Eine knallharte Reportage hingegen ist das hier: «Die besten Skiakrobaten der Ukraine trainieren in der Schweiz – was macht der Krieg mit ihnen

Ach, und: «Rätselhafter Angriff in der Wüste – der Druck auf die Wagner-Söldner ausserhalb von Russland steigt». Das haben wir noch vergessen: «Druck steigt», die Allerweltsformel für «nichts Genaues weiss man nicht».

Nun ein militärstrategischer Zwischenruf der Kriegsmaschine «watson»:

Das trifft sich gut; da Putin bekanntlich auch wahnsinnig ist, müssten sich die beiden ausgezeichnet verstehen.

«20 Minuten» hat die geheimen Operationskarten des ukrainischen und des russischen Generalstabs durchgeblättert und versucht es mit einer grafischen Darstellung der Lage:

Korrekt ist sicherlich Transnistrien eingezeichnet, der Rest ist allerdings gegendarstellungsfreier Vermutungsraum.

Weit in die Vergangenheit blickt hingegen die NZZ, um weit in die Zukunft zu schauen:

Tatsächlich korreliert der Rückzug aus Afghanistan mit der Auflösung der UdSSR, wieweit er auch kausal daran beteiligt sein soll, weiss nur Ulrich Schmid, der Russland-Experte auf allen Kanälen. Noch wilder ist sein Blick in die Zukunft: «Was geschieht mit dem Vielvölkerstaat Russland nach einer Niederlage in der Ukraine?» Wenn man das auch historisch sehen will: nichts. Abgesehen davon, dass es zu einer Niederlage noch weit, sehr weit hin ist. Und zur Voraussetzung hätte, dass auch Russland, wie die USA in Vietnam oder Korea, gegen den Ratschlag der Militärs auf den Einsatz von Atomwaffen verzichten würde.

Aber die NZZ sorgt sich auch um die Heimatfront: «Die Schweiz wird als Spionage-Drehscheibe für Russland wichtiger – müssen die Behörden härter durchgreifen?» Die Frage stellen, heisst natürlich für die NZZ, sie auch beantworten.

Wer sich die Mühe machen würde, die Kriegsberichterstattung im Ersten oder Zweiten Weltkrieg durchzublättern, würde wenig überrascht zur Kenntnis nehmen: dass die Wahrheit im Krieg zuerst stirbt, ist eine ewig gültige Wahrheit.

Xplain hat einiges zu erklären

Behörde, Datensicherheit, Widerspruch.

Zögerlich sind Bundesbehörden und Medien aufgewacht. Bei der privaten Sicherheitsfirma Xplain sind mehrere Millionen sensible Daten abhanden gekommen und waren zeitweise im Darknet einsehbar.

Mehr als 30 Schweizer Amtsstuben sind Kunden der IT-Firma aus Interlaken. Vertraulich sind dabei in erster Linie die Geschäftsbeziehungen. Wie wird eine solche Firma ausgewählt, wie wird ihr Sicherheitsstandard überprüft. Oder einfach gefragt: wie kann es offenbar russischen kriminellen Hackern gelingen, dermassen viele Daten abzusaugen und nach einem misslungenen Erpressungsversuch zu veröffentlichen?

Gleich sieben Kräfte wirft Tamedia in die Informationsschlacht. Die bringen so wertvolle Erkenntnisse an die Oberfläche wie die, dass die IT-Bude ihre Räumlichkeiten oberhalb einer Kebab- und einer India-Bude hat. Scharf recherchierte Erkenntnis: «Es duftet nach Tandoori Chicken und Döner mit scharf.»

Das war sicherlich insofern eine gute Nachricht, weil die dortige Einkehr im Rahmen des Spesenreglements von Tamedia gelegen haben dürfte. Aber obwohl es den Informationsbeschaffern sogar gelungen ist, mit dem  Gründer und CEO von Xplain zu sprechen, ergibt sich daraus nur: «Darüber kann Löwinger derzeit nicht sprechen.»

Worüber aber zu sprechen wäre, listet «20 Minuten» auf. Der neuste Datenskandal ist ein weiterer in einer langen Liste. Den Anfang machte «Insieme» im Jahr 2012. Korruption vom Feinsten, freihändige Vergabe von Millionenaufträgen, ungetreue Amtsführung. 120 Millionen Franken später zog der Bundesrat die Notbremse und beendete das Projekt.

Der bundeseigene Rüstungsbetrieb Ruag wurde ein Jahr lang ausspioniert, bis die angebliche Expertin für Datensicherheit vom Nachrichtendienst des Bundes 2016 darauf aufmerksam gemacht wurde; selbst hatte sie nix bemerkt.

2022 poppte das Milliardenprojekt für die Cybersicherheit der Armee auf. Es soll zwischen 800 Millionen und 3 Milliarden kosten, oder so. Es soll auch irgendwann fertig werden, zu unbekannten Kosten.

Zur Bearbeitung der Welle von Asylgesuchen nach Ausbruch des Ukrainekriegs beschaffte sich der Bund schnell ein Registriertool für 2,8 Millionen Franken. Freihändig, also ohne Ausschreibung. Und jetzt Xplain.

Dazu kommt noch das Datenleck bei den Corona-Krediten und der Skandal um die angeblich sichere Verschlüsselungstechnologie der Crypto AG.

Und jetzt Xplain. Neben vielem anderen kann man die Adressen von Bundesräten oder Top-Kadern einsehen, heikle Daten von Interpol, SBB-Datensammlungen über Kunden, Fahndungslisten, und, und, und.

Anscheinend soll sich die Firma in Absprache mit dem Bund geweigert haben, ein gefordertes Lösegeld zu bezahlen. Das alles ist sozusagen normaler Bestandteil des aktuellen Kampfes um Datensicherheit. Dabei gilt grundsätzlich: was von A nach B transportiert wird, kann auch abgegriffen werden.

Sowohl die Verschlüsssler wie die Knacker rüsten unablässig auf, aber es bleibt die Tatsache bestehen, dass nicht einmal nur physisch gelagerte Daten vor Diebstahl sicher sind. Allerdings erhebt sich hier wieder einmal eine ganze Latte von Fragen.

In erster Linie: wieso die Unsitte von Behörden, Aufträge freihändig zu vergeben, obwohl es klare und eindeutige Vorschriften gibt, dass ab einer niedrigen Schwelle obligatorisch eine Ausschreibung zu erfolgen hat, niemals Konsequenzen hat. So bekam Xplain offenbar nach Gewohnheitsrecht mehr und mehr Aufträge in Millionenhöhe, ohne dass die Behörden in der Lage wären, deren Sicherheitsstandards zu überprüfen.

Erschwerend kommt hinzu, dass sensible Daten offenbar auf Servern von Xplain gelagert wurden, möglicherweise sogar in der Cloud. Auch wenn sie dort verschlüsselt sind, ist das natürlich eine laut ausgesprochene Einladung an Hacker.

Hacken ist dabei ein Geschäft wie jedes andere. Es geht um Aufwand und Ertrag. Hacker haben null Interesse, sich an mit allen Schikanen und modernsten Mitteln verschlüsselten Daten die Zähne auszubeissen. Sie nehmen sich immer Kandidaten vor, bei denen Schwachstellen zu vermuten sind.

Etwas anderes sind übrigens Hacks, von denen nicht zuletzt Tamedia immer wieder profitiert. Hier geht es um das Stehlen von Geschäftsunterlagen, die dann als «Papers» oder «Leaks» ausgeschlachtet und als Hehlerware veröffentlicht werden. Wobei die Motive der Hacker, die diese Datenseen gratis zur Verfügung stellen, immer im Dunklen bleiben. Genau wie die Kriterien der profitierenden Medien, nach welchen sie einzelne Personen medial ans Kreuz nageln – und andere nicht.

Diese Veröffentlichungen hatten bei den Profiteuren der Hehlerware noch nie personelle oder andere Konsequenzen. Genau so wird es nun wohl auch bei den schlampigen Bundesbehörden gehen, obwohl Alfred Heer, Mitglied der Geschäftsprüfungskommission, bereits «lückenlose und rasche Aufklärung» sowie personelle Konsequenzen gefordert hat. Abgesehen davon, dass er dafür das falsche Parteibuch hat – SVP – wird es höchstens zu ein paar Frühpensionierungen kommen.

Ob allerdings Xplain diesen Schlag überlebt, ist mehr als zweifelhaft.

Sonntags-Zumutung

ZACKBUM trifft die SoZ. Aua.

Es gab Zeiten, und die liegen noch nicht so lange zurück, da wäre so ein Cover als schlechter Scherz vom Tisch gefegt worden:

 

Ein für Tamedia-Verhältnisse sexistisches Aufmacherbild zu einem Thema, aus dem das Sommerloch so gross gähnt, dass man als Leser Schiss bekommt, hineingezogen und verschlungen zu werden.

Daneben gleich dem Zielpublikum noch eins in die Fresse: Benzin muss und soll doch teurer werden, verstärkte Beimischung von «Biotreibstoff» ist doch eine gute Sache, bis die Schweiz dann völlig CO2-frei wird.

«So wird der Garten attraktiv für Vögel», eine Wahnsinns-Schlagzeile – für die «Tierwelt». «Heisse Liebe, wie die Sonne unser Verhalten beeinflusst». Tut sie das? Und wieso wussten wir das die vergangenen 30’000 Jahre nicht?

Dann kommt eine Doppelseite nach der Devise: fällt der Redaktion trotz Kopfkratzen gar nichts ein, dann machen wir doch ein paar Statistiken. Die gelingen dann besonders gut, wenn man selbst und willkürlich die Auswertungskriterien festlegt. Dann kommt man auch zu Wunschresultaten:

Zudem weiss die SoZ: «Auf einer Skala von – 10 (links) bis + 10 (rechts) befindet er sich mit einem Wert von 10.0 am äussersten rechten Rand.»

Aber eigentlich hätte ihm die SoZ am liebsten eine + 11 gegeben …

Aber, oh Schreck, es ist immer noch Platz frei im Blatt, was tun?

«Der Sozialpsychologe untersucht»; solche Untersuchungen sind normalerweise der Rettungsanker im Boulevard, wo die absurdesten Korrelationen hergestellt werden. «Glatzenträger haben weniger Sex» oder so. Da will neuerdings die SoZ nicht abseits stehen, dabei ist es erst Anfang Juli. Wie sich das Blatt bis in den August durchhangeln will? Den zahlenden Leser erwartet ein echter Belastungstest.

Hat das Blatt noch etwas ausgelassen? Ja, natürlich, den Beitrag zu «wenn Wünschen helfen würde»:

Das wäre natürlich eine Weltsensation erster Güte. Worin besteht die denn? Wenn Aliens landen und uns neue, ungekannte Energiequellen schenken? Fast. Der GLP-Präsident Jürg Grossen ergreift die Chance beim Schopf, dass in der verzweifelten Suche nach Storys jede Furz-Idee punkten kann. Apropos, gegen seinen Vorschlag war die Furz-Idee von Peter Bodenmann mit den Solarpanels in den Alpen geradezu seriös und konkret.

Nach langfädiger Einleitung im Interview rückt Grossen dann mit seiner Furz-Idee heraus:

«Die sicherste Lösung für Saisonspeicher in der Schweiz ist die sogenannte Power-to-Liquidto-Power-Technologie. Sie funktioniert so: Statt als Gas speichert man den Strom in Flüssigtreibstoffen, die man im Winter wieder verstromen oder für den klimaneutralen Flug- und Schwerverkehr nutzen kann. Die heute bestehenden Tanklager würden reichen, um den für den Winter benötigten Vorrat zu speichern. Diese Treibstoffe sind vergleichsweise einfach zu handhaben.»

Selbst der SoZ fallen dazu aber eine ganze Reihe von Killerargumenten ein: «Diese Technologie steckt aber noch in den Kinderschuhen, ist nicht marktreif und bis jetzt ineffizient: 85 Prozent der Energie gehen verloren.»

Das räumt Grossen auch grossmütig ein: «Ganz so schlimm ist es nicht, aber die Technologie hat heute leider tatsächlich noch einen niedrigen Wirkungsgrad.» Aber: «Ich bin zuversichtlich, dass die Speicherung von Strom als Flüssigtreibstoff in den kommenden Jahren marktreif wird.»

Also schon wieder einer, der die Energieversorgung der Schweiz in einem Wolkenkuckucksheim betrachtet. Aber, sonst wäre es ja nicht die GLP, obwohl er eigentlich gegen AKW ist, hält sich Grossen auch hier alle Optionen offen: «Gegen eine neue Generation von Reaktoren, bei denen das Problem des radioaktiven Abfalls gelöst ist und die kein Sicherheitsrisiko darstellen, würde ich mich nicht wehren

Allerdings verrät er uns nicht, wie denn das Problem des radioaktiven Abfalls gelöst werden könnte.

Wir fassen zusammen: Unter einem Brüller-Titel schrumpft die «sicherere, besserer und günstigere Lösung» auf den Vorschlag zusammen, eine völlig unausgereifte Technologie mit einem Wirkungsverlust von 85 Prozent als Garantie für die zukünftige Stromversorgung der Schweiz anzubieten. Wenn’s als Satire gemeint ist, kann man das so stehenlassen.

Schon kommen wir zum nächsten Brüller:

Das ist tatsächlich ein Skandal. Was Autor Cyrill Pinto aber zu erwähnen vergisst: die SoZ gehörte zuvorderst zu den Organen, die eine allumfassende Maskenpflicht und das sofortige Anlegen von ausreichenden Reserven, von Käufen, koste es, was es wolle, lautstark befürwortete und somit die Hysterie um das Maskentragen ankurbelte. Um dann kleinlaut und kleingedruckt einzuräumen, dass deren Wirkung inzwischen allgemein und selbst von damaligen Befürwortern bezweifelt wird.

Aber auch nur ein maskierter Hauch von Selbstkritik? Niemals.

Selbst für eine Sommerloch-Ausgabe ist dann dieser Artikel schon starker Tobak:

Nichts gegen Tiere, aber: muss sich mit solchen Meldungen der Aufenthalt des SoZ-Redaktors Cyrill Pinto in Cherson amortisieren? Und hat er von dort aus, während er mit einer Hand einem Hund die Ohren kraulte, den Artikel über die Maskenvernichtung geschrieben?

Aber immerhin, das Urgestein Martin Suter löckt noch etwas gegen den Stachel und gegen die Einheitsmeinung, die von der «Süddeutschen» in die Tamedia-Organe schwappt, dass das, was Trump getan habe, dann im Fall noch viel schlimmer sei:

Wie der Skandal um den Präsidentensohn zuerst ignoriert, dann kleingeschrieben wurde und wird, kein weiteres Ruhmesblatt für den einseitigen Blasenjournalismus, auch bei der fremdbestimmten Tamedia.

Im «Fokus» (kaum ein Gefäss ist dermassen auf den Hund gekommen wie dieses) versprüht die SoZ nun etwas Sozialneid:

Da muss es doch der urbanen, grün-woken Leserschaft der SoZ glatt die vegane Butter vom Vollkornbiogipfeli blasen. Okay, der Mediensprecher von «Renovate Switzerland» sieht das vielleicht entspannter und würde sich nie vor einem Ferrari auf die Autobahn kleben. Vor allem, wenn er zuerst damit hingefahren ist.

Einsamer Lichtblick ist wie meist Peter Schneider:

Auch Rico Bandle zeigt keine Scheu vor der Gefährdung seines Arbeitsplatzes, indem er begründet und belegt nachweist, wieso jegliche Behauptung, die SVP sei noch weiter rechts als die AfD, ins Reich der Fantasie gehört, bzw. eine polemische Propagandalüge ist, ein typischer Fall von Fake News.

In der «Wirtschaft» geht’s aber gleich wieder ins Sommerloch:

Eine völlig zeitlose Geschichte, die man gestern, heute oder morgen bringen kann; Newswert null. Dass sich die EU um ein Verbot bemüht, ist ungefähr so spannend wie der Farbe an der Wand beim Trocknen zuzuschauen.

Auch das Sammelgefäss (um es nicht Abfalleimer zu nennen) «Leben & Kultur» wartet mit News auf, ohne die wir problemlos durch den Sonntag kommen:

Meiner Treu, Jeff Bezos von Amazon hat sich für teures Geld scheiden lassen und eine viel jüngere Geliebte. Dass er deswegen muskulöser und breitschultriger als auch schon rumläuft, so what, kann man nur sagen. Aber wenn man auch hier verzweifelt eine ganze Seite füllen muss, was man halt nicht nur mit einem Riesenfoto des neuen Schwarzenegger schafft …

Es bleibt dem Leser auch hier nichts erspart: «8 Tipps für Restaurants mit sommerlichem Flair und lauschigen Freisitzen». Schlimmer ist eigentlich nur, wenn Christian Seiler schnippelfreie Tipps für verantwortungslose vegane Mamis mit Kleinkind im Arm gibt.

Geht’s noch blöder? Immer:

DER Schauspieler Pine lief KÜRZLICH nicht irgendwo, sondern in Mailand BARFUSS. Wahnsinns-News. Ob er auch keine Unterhosen trug oder fluchte, als er in einen Hundehaufen trat, ist leider nicht übermittelt. Das sind die Berichte, die wir dringend brauchen, wenn wir uns beim Gähnen den Unterkiefer ausrenken wollen (he, das wäre mal ein Nutzwert-Artikel: «richtig gähnen, wir liefern die Anlässe und die Anleitung»).

Schliesslich noch «Warum manche Menschen ständig zu spät kommen». ZACKBUM hat da eine schlagende Theorie: weil sie beim Lesen der SoZ oder des Tagi weggeschnarcht sind.

Immerhin, die Auto-Seite präsentiert diesmal nicht einen 300’000-Franken-Sportwagen, sondern den Togg. Hä? Na, den «SUV Togg T10X, das erste türkische E-Auto». Immerhin merkt der Autor kritisch an: «Ob man aber bei uns ausgerechnet auf einen türkischen SUV wartet, sei mal dahingestellt.» Das muss er so säuseln, schliesslich füllt er eine Seite damit. ZACKBUM hingegen kann kurz und knapp die richtige Antwort geben: nein.

Der schönste Brüller kommt aber ganz am Schluss; Reisen. Da schimpft zunächst Chris Winteler über durchaus sinnvolle Bestandteile eines Hotelzimmers:

Wieso er zum Beispiel die Bügelvorrichtung weghaben will, erschliesst sich nicht. Entweder kann Winteler auf Spesen seine Kleidung waschen und bügeln lassen, oder er hatte noch nie einen Geschäftstermin, bei dem ein knitterfreier Anzug und ein gebügeltes Hemd durchaus minimale Höflichkeit und Achtung dem Gesprächspartner gegenüber ausdrücken.

Aber das ist noch nicht der Brüller, der kommt vorher (oder nachher, denn als Sparmassnahme wird Reisen ja auf der letzten Seite angeteasert und sollte wohl rückwärts gelesen werden). Die exotische Reiseempfehlung ist diesmal Island. Toller Ökotourismus. Der Flug dorthin dauert auch nur vier Stunden. Flug? Aber ja, das ist doch bekanntlich auch für Klimakleber kein Problem, die fliegen sogar nach Mexiko oder auf die Malediven. Da darf doch der SoZ-Leser wenigstens den Hüpfer nach Island machen. Dauert bloss vier Stunden, ein paar tausend Flugkilometer, das lässt die Gletscher auf Island doch sicher nicht schneller schmelzen.

Wir stellen die Gretchenfrage: Ist das Gebotene Fr. 6.40 wert? Sagen wir mal so: Am 6. Juli 1997 bekam man 104 Seiten für Fr. 2.80. Das war ein Seitenpreis von 2,7 Rappen. Der ist auf aktuell genau 10 Rappen hinaufgeschnellt, der Umfang auf 64 Seiten eingeschrumpft. Ist etwas mehr als die Hälfte den vierfachen Preis wert?

Das würde ja eine Verachtfachung der Qualität, des Inhalts, der komprimierten Fachkompetenz, des Nutzwerts, der Analysequalität bedeuten.

Auch da ist die Antwort einfach und klar: nein.

 

Whataboutism

Gegenfrage und Themenwechsel. Die Königsdisziplin der Betroffenen.

Twint
Mastercard
Visa
Amex
PayPal


Der Vergleich lag so nahe, dass ihm Simon Widmer von Tamedia nicht widerstehen konnte: «Analyse zum Titanic-.Tauchboot: die toten Migranten haben mehr Anteilnahme verdient». Ist das so? Weil sie mehr sind?

Hält Widmer einer fühllosen Gesellschaft den Spiegel vor, blicken wir in eine teilnahmslose Fratze? Auch Adrian Kreye von der «Süddeutschen Zeitung» macht sich seine Gedanken: «Über die vermutlich 500 Flüchtenden, die vor Griechenland starben, weiß man nur wenig.» Dabei sei es «das Sinnbild des herzlosen Nordens , der nicht bereit ist, die Menschen zu retten, die aus dem Süden vor Krisen wie Krieg, Klima oder Armut fliehen mussten, an denen der Norden oft Mitschuld hat».

Ähnlich sieht das auch Widmer: «Das Schicksal der superreichen Titan-Passagiere treibt viele mehr um als der Tod von Hunderten Migranten.» Interessante Beobachtungen von zwei Mitmachern. Zwei Journalisten. Über die U-Boot-Tragödie erschienen in den letzten sieben Tagen 684 Artikel. Über die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer im letzten Monat ganze 31. Also beklagen die beiden etwas, woran sie selber mitbeteiligt sind.

Denn statt zu klagen, hätten sie ja den toten Flüchtlingen im Mittelmeer mehr Aufmerksamkeit verschaffen können. Stattdessen fällen sie moralische Werturteile über etwas, woran sie selber schuld sind.

Daraus entsteht dann dieser unsägliche Whataboutism, wofür es kein adäquates deutsches Wort gibt. Diese Leiter kann man beliebig hinaufsteigen. Wieso gibt es im vergangenen Monat über 15’000 Meldungen zur Ukraine, lediglich 522 zum Sudan? Findet denn dort kein Krieg statt, mit Massakern, Verwüstungen, Flüchtlingen, Elend, Misere?

Und whatabout die 10’000 Kinder, die jeden Tag an Hunger oder leicht heilbaren Krankheiten sterben? Ein Massenmord, wie Jean Ziegler nicht müde wird zu betonen.

Und whatabout die Millionen Menschen in Armut, im Elend, die Ausgebeuteten, Erniedrigten, Geknechteten, Versklavten, die Kinderarbeiter ohne Zukunft, die Sweat Shops, wo die T-Shirts all der besorgten Gutmenschen genäht werden, die in der Schweiz jährlich ein Trinkgeld für nachhaltig hergestellte Kleider ausgeben?

Während aber Kreye sich wenigstens allgemein Gedanken über das Missverhältnis in unserer Aufnahmefähigkeit von Tragödien macht, fordert Widmer ultimativ «mehr Teilnahme». Ohne das allerdings begründen zu können. Das Problem fällt ihm selber auf, also versucht er es mit untauglichen Hilfskonstruktionen: «Vom missglückten Tauchgang des Titanic-Tauchbootes lassen sich über den Fall hinaus nur wenige Lehren ziehen.» Das mag so sein. «Beim Schiffsunglück im Mittelmeer stellt sich hingegen eine ganze Liste an juristischen, politischen und moralischen Fragen.» Auch das mag so sein.

Was für Lehren will Widmer daraus ziehen? Am Schluss wird’s absurd: «Und selbstverständlich bleibt zu hoffen, dass alle Titan-Passagiere doch noch lebend geborgen werden können. Doch dieselbe Anteilnahme haben auch die Flüchtlinge verdient, die in der vergangenen Woche ertrunken sind

Welche Anteilnahme haben nun die Flüchtlinge verdient? Die Hoffnung, dass auch sie noch lebend geborgen werden könnten? Nein, sie sind tot, wie die Besatzung des U-Boots, wie man inzwischen weiss. Anteilnahme ist nicht das Gleiche wie Lehrenziehen. Abstrakte Anteilnahme ist wohlfeil, die Forderung danach ist geradezu schäbig, wenn sie ein Journalist äussert, der Bestandteil der Erregungsbewirtschaftung um das U-Boot ist. Statt sich an seine Redaktionskollegen zu wenden, erhebt er gegenüber der Öffentlichkeit den Mahnfinger. Dabei liest und diskutiert die doch nur, was ihr Widmer, Kreye und Kollegen servieren.

Widmer ist auch schon ganz woanders. Er erklärt den Lesern die abgeschriebenen Wirren um ein Kindermädchen in Kolumbien. Statt den Schicksalen der ertrunkenen Flüchtlinge nachzugehen.

Heinrich Pestalozzi soll gesagt haben: «Wohltätigkeit ist das Ersaufen der Gerechtigkeit im Güllenloch der Gnade.» Dazu passt:

Anteilnahme ist das Ersaufen der Abhilfe im Güllenloch der Gefühlsduselei.

Hat sie alles erfunden?

Die NZZ versucht, nicht nur den biographischen Geschichten auf den Grund zu gehen.

Und scheitert, wie Autor Lucien Scherrer unumwunden zugibt. Er hat umfangreich versucht, all die vielen romanhaft wirkenden Anekdoten aus dem Leben der Schriftstellerin Sibylle Berg zu verifizieren – oder zu falsifizieren.

Herausgekommen ist ein interessantes Feuilletonstück über die neue Fluidität, nicht nur, was die sexuelle Ausrichtung betrifft, sondern auch die eigene Biographie.

Einleitend beschreibt Scherrer die wichtigsten Eckpunkte dieser Biographie. Der schwere Autounfall: «Das Scharnier des Cabriodachs bohrt sich in ihren Kopf, bleibt kurz vor der Hirnhaut stecken. Klinisch tot wird Berg geborgen. Ihre Stirnhöhle ist seither weg, ihr Gleichgewichtssinn ebenfalls. Sie muss 19-mal, 20-mal oder auch 22-mal operiert werden, man muss ihr Plastikteile unter das Gesicht ziehen.»

Der Selbstmord der Mutter, Bergs Ausreiseantrag, direkt an den damaligen Staatschef Erich Honecker. Ihr Geburtsdatum im Jahr 1952, 1962, 1966 oder 1968. Zu all dem finden sich Angaben, oftmals von Berg selbst. Die handkehrum zugibt, dass sie das mit dem Brief an Honecker erfunden habe.

Weder für den Autounfall, noch für den Selbstmord der Mutter, noch für viele weitere biographische Anekdoten lassen sich Belege finden. Was nicht beweise, dass es nicht so gewesen sei, relativiert Scherrer vorsichtig.

Allerdings: «Belege für ihre Selbstdarstellung als DDR-Dissidentin gibt es bis jetzt keine.» Da fängt dann das Schräge an. Scherrer fährt fort: «Wer einen schweren Unfall erlebt hat, weiss in der Regel das Datum und die Uhrzeit, weil es ein Leben davor und eines danach gibt. Es gäbe Untersuchungsakten der Justiz, Polizeiberichte, Fotos, in spektakulären Fällen auch Medienberichte. Im Fall von Sibylle Berg gibt es bis dato: nichts, nicht einmal eine eindeutige Jahresangabe.»

Nun darf eine Schriftstellerin auch ihr Leben zur fiktionalen Erzählung machen, warum nicht. Als Scherrer aber Nachfragen stellt, hat Berg zunächst keine Zeit für Antworten. Als er insistiert, meldet sich ein Anwalt:

«Dieser wertet die Fragen der NZZ – gibt es Dokumente zu ihrem Unfall?, hat sie ihre Kindheit nun in Rangsdorf oder Constanta verbracht?, kann jemand ihre DDR-Biografie bestätigen? – als «verstörenden Vorstoss in die intimsten Bereiche eines Menschen» und droht mit juristischen Schritten.»

Sehr schräg wird es, wenn es um den Inhalt von Reportagen geht, die Berg geschrieben hat. 1996 ein Bericht für das damalige Magazin «Facts» über einen polnischen Massenmörder. «Der Text, den Berg schreibt, nennt alle Details aus Pekalskis Leben. Sie weiss, wie es in seinem Haus gerochen hat, was seine Opfer gedacht haben und was er beim Morden gefühlt hat und dass er sich einst eine Gummipuppe gewünscht hat. … Ein Jahr später ist Sibylle Berg für das «Zeit»-Magazin in Kambodscha, dem «Land der frohen Mörder». Zufällig sitzt sie im Strandrestaurant neben einem Anführer der Roten Khmer, der drei Touristen aus einem Zug kidnappen und hinrichten liess. Der Mörder sieht nett aus und hübsch, während des Gesprächs zermalmt er mit einer Hand ganz langsam ein grosses Insekt. … 2016 ist Sibylle Berg zufällig vor Ort, als ein islamistischer Attentäter in Tel Aviv zwei Menschen erschiesst und zehn verletzt. Sie sitzt, so schreibt sie in einem Augenzeugenbericht in der «Welt» und im «Bund», in ihrer Wohnung an der Diezengoffstrasse, rennt auf den Balkon und sieht schreiende Menschen.»

Schliesslich kam sie neulich in die Schlagzeilen, als sie sich beklagte, dass sie vergeblich 62 Wohnungsbewerbungen geschrieben habe, ein Opfer der Zürcher Wohnungsnot. «Ob es die 62 Bewerbungen wirklich gibt? Und wie gross ist die Not einer Schriftstellerin, die bestens im Zürcher Bürgertum vernetzt ist, nach eigenen Aussagen eine Wohnung im Tessin hat und von einer weiteren Wohnung in Tel Aviv schreibt?», merkt Scherrer spitz an.

Allerdings gerät Berg zumindest unter Relotius-Verdacht, was den Wahrheitsgehalt ihrer Reportagen betrifft. Sind es literarische Fiktionen, handelt es sich um Etikettenschwindel.

Aber auch dieses Thema steht natürlich unter Sexismusverdacht. Also eilt Alexandra Kedves von Tamedia der Autorin zu Hilfe:

Bei Tamedia ist man für kleine Werke niemals um grosse Begriffe verlegen. Das sei eine «Analyse», sei der NZZ-Bericht «ein Aufreger? Wir ordnen ein». Kedves, also «wir», ist ansonsten nicht so für Einordnung, eher für backfischartiges Schwärmen. So sülzte sie über die Amtseinführung von Joe Biden: «Zum Heulen schön: Was für eine Biden-Show!» – «Kehle-Zuschnür-Momente, die hier für diese so gespaltene, so wunde Nation geschaffen wurden.» – «Das rote Haarband der schwarzen Poetin und Aktivistin Amanda Gorman – der jüngsten Dichterin, die je zur Vereidigung eines US-Präsidenten auftrat

Also hat auch Kedves etwas Mühe, zwischen Realität und Schwärmerei zu unterscheiden. In ihrem grossen Berg-Verteidigungsartikel zählt sie zuerst die literarischen Meriten auf, die von niemandem bestritten werden. Dann repetiert sie auszugsweise die Ergebnisse der Recherche der NZZ. Dann geht Kedves zur freihändigen Verteidigung des nächsten Idols über: «Bezüglich ihres Privatlebens darf sie sich bedeckt halten, so wie das eine Menge Autorinnen und Autoren vor ihr taten.» Das wäre richtig, wenn nicht fast alle dieser widersprüchlichen Erzählungen über das Privatleben der Schriftstellerin – von Berg selbst stammen würden.

Dann lässt Kedves ein wenig Bildung aufblitzen. Allerdings mit ausnahmslos falschen Vergleichen. Der Verleger von «Gullivers Reisen» habe die Identität des Autors nicht gekannt. Dass es 1726 nicht sehr ratsam war, selbst romanhaft verkleidet scharfe satirische Spitzen gegen die herrschende englische Klasse zu schreiben, mag wohl auch Kedves einsichtig erscheinen. Wenn sie es denn wüsste. Dann führt sie noch die Brontë-Schwestern an, die unter Pseudonym geschrieben haben. Das hat aber nichts damit zu tun, dass sie sich bezüglich ihres Privatlebens «bedeckt halten wollten». Und schliesslich noch «der amerikanische literarische Superstar Thomas Pynchon», der sich den Medien «fast komplett» verweigere. Das ist richtig, damit steht er aber in scharfem Gegensatz zu Berg, die sich niemals den Medien verweigert.

Ausser, wenn sie mit kritischen Fragen konfrontiert wird. Dagegen urteilt Kedves nassforsch: «Die Lesenden haben kein Anrecht auf ihre private Geschichte.» Das mag stimmen, beantwortet aber nicht die Frage, ob und warum Berg bei den vielen Erzählungen über ihre Biographie geflunkert, erfunden, dazugedichtet, umgedichtet hat.

Das mag noch angehen. Sollte das auch bei ihren non-fiktionalen Reportagen der Fall gewesen sein – hier trippelt dann Kedves auf den Zehenspitzen: «Dass da eine Claas-Relotius-hafte Imaginationskraft mitgeschrieben hat, will der NZZ-Journalist nicht ausschliessen» –, gibt es ein gröberes Problem mit Sibylle Berg. Ein Problem der Glaubwürdigkeit.

Denn bei aller Liebe zum Fluiden: Claas Relotius und Tom Kummer sind eine Schande ihres Berufs, da nützt auch keine noch so verschwurbelte Erklärung oder gar Rechtfertigung etwas. Denn was sie betrieben (oder noch betreiben), ist Leserverarschung. Ein Anschlag auf die sowieso schon erschütterte Glaubwürdigkeit der Medien. Mit einem Wort: eine Schweinerei.

 

Die Leihmeinung

Tamedia meint immer seltener selbst.

Aber immerhin, Ronen Steinke von der «Süddeutschen Zeitung» hat doch die Lösung aller Probleme gefunden: «machen wir Schluss mit Sexismus». Und wenn wir schon dabei sind, Kriege sind auch ganz schlecht, Hunger gehört abgeschafft, und machen wir endlich Schluss mit der Klitorisbeschneidung.

Da nun bereits so ziemlich alle so ziemlich alles repetitiv zum Rammelstein-Vorfall gesagt haben, muss Steinke tief Luft holen, um nicht nur Wiederholungen beizutragen: «Eine Debatte um frauenfeindliche Rollenbilder ist notwendig

Hoppla, diese Forderung wurde nun allerdings schon bis zum Gehtnichtmehr erhoben.

Auch anschliessend bewegt sich Steinken auf ausgetretenen Pfaden:

««Ich schlafe gerne mit dir, wenn du schläfst», hat der Sänger 2020 in einem Gedicht geschrieben. «Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas). Kannst dich gar nicht mehr bewegen. Und du schläfst, es ist ein Segen», so liest man da, heute noch angewiderter als damals.»

Wieso «noch angewiderter»? Na, «der Vorwurf, den Frauen gegen Lindemann erhoben haben – und den er bestreitet –, ist die Überwältigung mit K.-o.-Tropfen».

Okay, ganz langsam. So wie kein Krimiautor Mordgelüste hat, so wie Edgar Allen Poe zwar ausgeklügelte Mordmaschinen erfand und sogar einen sonderlichen Mörder, so wie Stevenson weder Jekyll noch Hyde war, so wenig haben literarische Fantasien normalerweise mit den Autoren zu tun. Diese Liedzeilen angewidert oder nicht so zu zitieren, zeugt von Flachdenken.

Nun geht Steinke detektivisch dem Verdacht nach, dass hier K.o.-Tropfen zum Einsatz kamen. Aber leider: «K.-o.-Tropfen sind nur für wenige Stunden im Blut nachweisbar.» Dann geht er ins Detail: «da helfen auch die klarsten Paragrafen traurigerweise nichts, wenn die Betroffenen nicht rasch zur Polizei gelangen und dort – wichtig – ebenso rasch von der Polizei ernst genommen werden. Eine gynäkologische Spurensicherung funktioniert unter Umständen zwar noch etwas länger. Aber das hilft in einer Rockstar-Fan-Konstellation auch nicht, wenn nicht gleichzeitig die K.-o.-Tropfen nachgewiesen werden können. Weil sonst der Beschuldigte sagen kann: Das war einvernehmlich.»

Am Schluss stehe Aussage gegen Aussage. Zudem gebe es Zweifel: «Den Frauen drohen dann oft Unterstellungen, die von Beratungsstellen als «Vergewaltigungsmythen» bezeichnet werden. Wie etwa: Frauen würden sich Vorteile davon versprechen, sich als Opfer zu inszenieren. Oft ist das sexistisch und abstrus. Wer in der notwendigen, durch den Fall Rammstein angestossenen gesellschaftlichen Debatte erst auf das Strafrecht wartet, wartet am Ende vielleicht vergeblich.»

Damit unterstellt Steinke etwas gewundener, was schon andere Denunzianten getan haben: Till Lindemann ist doch wohl schuldig, nur kann man es ihm halt leider nicht beweisen. Während Frauen per Definition Opfer sind, wird Lindemann als Täter inszeniert.

Das ist nun noch knapp einen halben Schritt vor der Selbstjustiz. Denn wenn das Recht nicht greift, obwohl für Steinke die Sache eigentlich klar ist, dann muss man doch das Recht in die eigenen Hände nehmen. So wie das auch anderweitig im Tagi gefordert wird; es könne doch nicht sein, dass die beiden Konzerte in Bern einfach stattfänden. Zunächst müssten doch die «schwersten Vorwürfe» untersucht werden, aber selbstverständlich gälte die Unschuldsvermutung.

Aber eben, wer auf da Strafrecht warte, «wartet am Ende vergeblich», behauptet Steinke. Nun sind zwar die ersten Strafuntersuchungen angestossen worden. Aber Steinke weiss schon jetzt, wie sie ausgehen werden. Also was tun? Den Abbruch der Konzerttournee fordern ist das eine. Aber wie machen wir denn nun «Schluss mit Sexismus»? Wohl am besten, indem wir ein Exempel statuieren. Den Sänger unermüdlich ans mediale Kreuz nageln. Mit Andeutungen, Unterstellungen, Behauptungen, anonymen Aussagen.

Ist doch immer noch besser, als ihn gleich zu lynchen, was dieser Triebtäter doch eigentlich verdient hätte.

Wumms: Nicola Forster

Tagi-Interview, realoaded.

Offenbar kann  jeder, der unbelästigt von wirklich kritischen Fragen etwas loswerden will, auf  Tamedia zählen. Das betrifft auch Nicola Forster. Das ist der Marko Kovic der politischen Bewegungen.

Er hat die «Operation Libero» ins Leben gerufen, die gerade von Sanija Ameti beerdigt wird. Und die «Denkfabrik» Foraus, die gerade in der Bedeutungslosigkeit versinkt. Schön, dass er als Präsident der altehrwürdigen «Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft» wieder ein Zubrot gefunden hat.

Dort schmiss er mal kurz den langjährigen Geschäftsleiter Lukas Niederberger raus, verkrachte sich heillos mit Teilen des Vorstands und hob «Pro Futuris» aus der Taufe. Immerhin hat Forster hier Zugang zu einer Kriegskasse von  rund 100 Millionen Franken.

Nun merkt der abgesägte Co-Chefredaktor von Tamedia kritisch an: «Der Netzwerker ist unter Druck geraten.» Aber gemach, wer Mario Stäuble ein Interview gibt, bzw. «Jetzt redet zum ersten Mal der Präsident, der scharf attackiert worden ist», weiss, dass er hier mit Samthandschuhen angefasst wird.

Daher darf er gleich am Anfang kompetent und inhaltlich überzeugend zu einer kritischen Frage Stellung  nehmen:

«Herr Forster, sind Sie ein Vereinsdiktator? – So ein Hafechääs
So geht’s dann weiter; pseudo-kritsche Frage, nicht hinterfragte Nonsens-Antwort. «Sie wollen Herrn Kallay nun aus dem Vorstand werfen. Nicht gerade demokratisch. – Es ist mir ein grosses Anliegen, alle Kräfte einzubinden. Aber dafür muss man sich in die Augen schauen können. Und in diesem Fall wurde unser Vertrauen Mal für Mal verspielt, wobei es nie um politische Fragen ging. Deswegen ist dieser Schritt unumgänglich. – Moment, Sie können Ihrem Widersacher nicht mehr in die Augen schauen? – Ich kann ihm sehr gut in die Augen schauen, aber… (bricht ab) Es ist eine schwierige Situation. Wir haben immer wieder versucht, ihn einzubinden, aber das hat nicht funktioniert.»

Hä?

Forster sistiert Neueintritte von Vereinsmitgliedern, kassiert immerhin 48’000 Franken für seine Tätigkeit (sein Vorgänger 12’000, die er gleich wieder spendete), die Organisation ist seit Amtsantritt Forster in hellem Aufruhr – alles gut, alles kein Problem, alles unter Kontrolle.

Es ist offensichtlich so: wer ins ideologische Raster von Tamedia passt, bekommt ein Gefälligkeitsinterview serviert, in dem er auf vermeintlich kritische Fragen ungehindert seine Propaganda-Show abziehen darf.

Das hat mit Journalismus ungefähr so viel zu tun wie eine Kuh mit Foxtrott. Nur verlangt die keinen Eintritt für ihre blamable Leistung.

 

Tut nichts, der Sänger wird verbrannt

Bislang hat Till Lindemann den Shitstorm überlebt …

Früher war es eine Methode der englischen Boulevardmedien, zwecks Auflagen-Steigerung schlichtweg alles zu unternehmen. Paparazzi lauerten Prominenten mit den leistungsstärksten Teleobjektiven auf. Hörten deren Gespräche ab. Bestachen das Personal für Insider-Informationen. Machten aus einer vagen Vermutung einen konkreten Verdacht, juristisch abgedämpft durch ein Fragezeichen.

Ähnlich Sitten haben inzwischen im deutschen Journalismus Einzug gehalten. Nicht etwa bei «Bild» und «Bunte», sondern bei «Spiegel» und «Süddeutsche Zeitung». Durch die unselige Kooperation aus Spargründen mit Tamedia schwappt diese Jauche aus beiden Organen auch in die Schweiz.

Immerhin hat sich Tamedia aufgerafft, gegen seinen Kooperationspartner «Spiegel» Klage einzureichen. Allerdings nur deswegen, weil sich Big Boss Pietro Supino in die Nähe des verurteilten Straftäters Harvey Weinstein gerückt fühlt. Dass der «Spiegel» einer frustrierten Ex-Mitarbeiterin, deren Mobbing nicht den gewünschten Erfolg hatte, seine Spalten öffnete, um Unschlitt über ihren ehemaligen Chef zu giessen, das kratzte Tamedia weniger.

Nachdem der «Spiegel» sich seit seiner Hetze gegen Luke Mockridge sozusagen eine Pole Position erobert hatte, die er mit Schmierereien gegen einen erfolgreichen Schauspieler und einen Drei-Sterne-Koch ausbaute, wollte nun auch die «SZ» nachziehen. Als sei’s ein Stück von Tom Kummer feuerte das Blatt aus München eine Breitseite gegen den Sänger der Band Rammstein ab.

Das Gebräu besteht immer aus den gleichen Zutaten. Anonyme Anschuldigungen, Behauptungen, aufgejazzt und verbal aufgepumpt zu Ungeheuerlichkeiten. Sogar die NZZ verstieg sich – unglaublich – zum Titel «Aus dem Künstler ist ein Täter geworden». Erst, als der Verstand wieder einsetzte, wurde er korrigiert, ohne das transparent zu machen. Das entspräche den «üblichen redaktionellen Prozessen», machte sich das Weltblatt gegenüber ZACKBUM lächerlich.

Dabei bestehen die Anschuldigungen gegen den exzentrischen Sänger bislang aus vagen Behauptungen der Ausübung von Dominanz zur Erlangung von sexuellen Handlungen. Wohlgemerkt von Groupies. Nicht einmal eine Klage wurde eingereicht, nicht einmal eine Vergewaltigung wurde bislang behauptet.

Aber wenn die Meute losgaloppiert, ist kein Halten mehr. Dass die Band sich von den Anschuldigungen betroffen zeigte, wurde als halbes Schuldeingeständnis missinterpretiert. Dass sie darauf besteht, dass die Unschuldsvermutung gelte, wurde hohnlächelnd rapportiert.

Nun hat Till Lindemann durch seine Anwälte verlauten lassen, dass diese Vorwürfe «ausnahmslos unwahr» seien – und juristische Konsequenzen hätten. Die Anwälte sagen:

«Wir werden wegen sämtlichen Anschuldigungen dieser Art umgehend rechtliche Schritte gegen die einzelnen Personen einleiten.»

Hoffentlich umfasst das auch alle Medien, die diese Anschuldigungen kolportierten.

Die abgesehen davon diese juristische Offensive bislang mit Schweigen quittierten. Und sich für unangreifbar halten. Denn man hat ja nur, von den Verlagsjuristen abgeschmeckt, im Konjunktiv Behauptungen aufgestellt, sich dabei auf angeblich vorhandene Zeugenaussagen abgestützt, nur seiner Berichterstatterpflicht nachgelebt.

Ist es eigentlich irgend einem Mitglied der Journaille bewusst, welch unglaubliche Lächerlichkeit in dieser Meldung steckt? «Auf dem Konzertgelände gibt es «Awareness-Bereiche» und «Safe Spaces» für Besucherinnen und Besucher, die sich möglicherweise unwohl fühlen.» Da fehlen die Worte …

Aber keinesfalls könne man etwa dafür, wenn der Ruf Lindemanns, so wie der von Luckridge, Canonica, Schweiger und anderen, rettungslos ruiniert ist. Für immer wird an ihm kleben: ist das nicht der, der Groupies mit Drogen oder Alkohol willfährig gemacht hat?

Wenn sich herausstellen sollte: nein, das ist der nicht, das hat er nicht gemacht, das waren unbelegte Anschuldigungen von willigen Groupies, die sich auf seine Kosten ihre 15 Minuten Ruhm verschaffen wollten, dann wird das nicht mal erinnert werden.

«Tut nichts, der Jude wird verbrannt», heisst es in «Nathan der Weise» von Lessing. Aber wer kennt schon noch Lessing, wer kennt noch Nathan der Weise. Keiner dieser journalistischen Frettchen.

Die Abschreiber Reloaded

Tamedia im ungebremsten Sturzflug.

Twint
Mastercard
Visa
Amex
PayPal


Langsam gehen die Metaphern aus. Das hier ist das Original:

Und das hier die Kopie, die Tamedia zahlenden Lesern serviert:

Man beachte zunächst die feinen Unterschiede. Während in der «Süddeutschen Zeitung» der Titel eine allgemeine Abhandlung einleiten will, arbeitet Tamedia mit einem vermeintlichen Zitat und stellt im Lead eine steile Behauptung auf, es gebe die «vorherrschende Haltung: Die Frauen tragen selber Verantwortung dafür, was sie tun».

Das ist wieder saukomisch. Denn: tragen sie die nicht? Wenn nein, wer dann? Sind Frauen also doch männlich dominiert, bestimmt, willenlos? Das will wohl nicht einmal Tamedia, unter weiblicher Leitung, seinen Lesern sagen.

Worum geht es hier eigentlich? «Um den Verdacht auf mutmasslichen sexuellen Machtmissbrauch gegenüber Fans der Band Rammstein und deren Sänger Till Lindemann». Das schmecke man ab: «Verdacht auf mutmasslichen sexuellen Missbrauch». Also um luftige Verdachts- und Vermutungsberichtertstattung, die lediglich mit anonymen Aussagen unterfüttert ist. Eigentlich eine Schande für seriösen Journalismus.

Was macht nun der SZ-Autor Joachim Hentschel? Er erzählt eine «Geschichte zum Beispiel, die im Dezember 1970 in München spielt». Dann erzählt er eine Geschichte «um 1995, privater Rahmen, eine Mitbewohnerin erzählt». Dann faselt er von «Row One», der Fachmann für Groupie-Fragen weiss nicht mal, dass das «Row Zero» heisst …

Dann nudelt er Uschi Obermaier und andere berühmte Groupies aus der Geschichte durch. Um zur merkwürdigen Zwischenbilanz zu kommen: «Niemand würde diesen Frauen absprechen wollen, ihre Situationen weitgehend unter Kontrolle gehabt zu haben.» Ja was denn nun? Logik ist seine Sache nicht wirklich, denn nach all diesem Vergangenheitsschrott versteigt sich Hentschel zum Diktum: «Das grösste Problem, und hier liegt am Ende der toxische Kern der Sache: Auch viele Musiker scheinen 2023 noch in dieser rückschrittlichen, aus der Muffkiste des Rock’n’Roll gekrochenen Illusion zu leben.»

Dass die Gedankengänge etwas abgehackt bei Tamedia wirken, liegt wohl auch daran, dass der Originaltext von 10’679 A in der SZ auf 6075 A in der Printversion des Tagi zusammengehackt wurde. Damit die Seite dennoch voll ist, hat Tamedia noch ein zweites Stück drangeklebt: «Rammstein in der Schweiz: Der Veranstalter schweigt noch immer». Auch das liegt höchstens im Streubereich der Wahrheit, um es höflich zu formulieren.

Oder wie Martin Burkhalter und Ane Hebeisen schreiben, denn auch für diesen Pipifax müssen zwei Fachkräfte ran: «Die kruden Fakten zuerst: Die beiden Rammstein-Konzerte in Bern am Samstag, 17., und Sonntag, 18. Juni, werden – Stand heute – stattfinden.»  Was soll an zwei Konzertterminen roh, grob oder unverdaulich sein? Aber Sprachbeherrschung war früher mal.

Stimmt wenigstens die Aussage, dass der Veranstalter schweige? «Die Gadget abc Entertainment Group AG hat gegenüber dieser Redaktion auf eine erneute Anfrage wiederum damit geantwortet, dass man die Geschehnisse verfolge und zu den erhobenen Anschuldigungen keine Stellung beziehe.»

Wie geht das? «noch immer schweigen», aber «wiederum antworten»? Logik war gestern, mit dem Titel dem Lauftext eins in die Fresse hauen, das ist heute. Aber der Platz ist noch nicht voll auf der Seite, also muss weitergelabert werden. Es gäbe noch «vieles zu klären». Zum Beispiel? «Die Frage, ob es üblich ist, dass aus den Fanreihen Frauen für Backstage-Partys quasi ausgewählt werden

Nein, üblich ist, dass Lose an alle Konzertbesucher verteilt und die Gewinner jeweils vor der letzten Zugabe ausgerufen werden. Üblich ist, dass die «Row One» wie das Musikexperte Hentschel formulieren würde, mit kleinwüchsigen Menschen gefüllt wird, damit auch die ungehinderten Blick auf die Bühne haben.

Es ist auch verflixt, die beiden Autoren müssen noch mehr Zeilen schinden: «Aber auch auf ganz praktische Fragen gibt es bislang keine Antwort. Etwa auf jene, ob man sich sein Ticket zurückerstatten lassen kann, wenn man jetzt keine Lust mehr auf ein solches Konzert hat

ZACKBUM hätte die praktische Frage, ob man sein Geld zurückerstatten lassen kann, wenn man keine Lust mehr auf solche Texte hat. Allerdings ist die «ganz praktische Frage» ganz gaga. Seit wann soll «kä Luscht» ein ausreichender Grund sein, ein Ticket zurückgeben zu dürfen? Oder halt, es wurden ja schon Konzerte abgebrochen, weil sich Zuhörer plötzlich «unwohl» fühlten. Gab aber kein Geld zurück  …

Nun kommt auch hier die Climax, der Höhepunkt: «Es herrschen patriarchale, oft toxische Strukturen. Der Unterschied ist, dass im Musikbusiness immer noch weitgehend darüber geschwiegen wird, was alles hinter verschlossenen Türen passiert

Was die beiden Fachleute nicht alles wissen. Martin Burkhalter ist Redaktor bei der «Berner Zeitung», Co-Leiter Berner Literaturfest und Mitarbeiter Internationales Literaturfestival Leukerbad. Wenn die Angaben auf seiner lange nicht aktualisierten Webseite noch stimmen. Ane Hebeisen ist Musikredaktor beim «Bund» (gibt’s den eigentlich noch?). Zwei ausgewiesene Kenner des internationalen, toxischen Musikbusiness.

In heller Verzweiflung hangeln sich die beiden dann zum Schluss; bei den Münchner Konzerten seien «Row Zero» und After-Show-Party gestrichen. Aber: «In der hiesigen Politik gibt es noch keine dahingehenden Überlegungen. Hier ist also – zwei Wochen vor den Konzerten – noch alles beim Alten

Himmels willen, muss also befürchtet werden, dass – nur krude Fakten, bitte – in Bern Groupies vorne vor der Bühne kreischen dürfen und anschliessend an After-Partys, nein, wir wollen uns das gar nicht vorstellen.

Allerdings: obwohl ZACKBUM kein Fan der Bühnenkunst und des pathetisch-provokativen Gehabes der Band ist: lieber sich so ein Konzert anhören, als den Tagi lesen müssen.