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Besserwisserin

Heute feststellen, dass gestern heute morgen war. Grossartig.

Sonja Zekri ist die grosse Nahost-Spezialistin. Deswegen sitzt sie auch in (fast) jeder Talkshow. Und füllt die «Süddeutsche Zeitung» mit ihren Meinungsartikeln. Dabei hält sie sich an ein beeindruckendes intellektuelles Niveau. So weiss sie zum Beispiel:

«Der Sturz von Baschar al-Assad hat selbst US-Geheimdienste überrumpelt. Dabei war der Untergang des Regimes absehbar – wenn man die Zeichen beachtet hat.» Das kann Zeichendeuterin Zekri. Allerdings: Im Nachhinein Zukunftsprognosen abzugeben, das ist keine grosse Kunst.

Das ist so wie: Dass es gestern regnete, hat alle überrumpelt. Dabei war das absehbar, wenn man die Zeichen beachtet hat. Was allerdings die grosse Zeichendeuterin auch nicht vorher der Welt mitteilte, erst nachher.

Ein Blick ins Archiv zeigt allerdings, dass Zekri selbst in den vergangenen Jahren niemals Zeichen gegeben oder beachtet oder beschrieben hat, dass der Untergang Assads absehbar gewesen sei. Dieses Wissen hat sie offensichtlich für sich behalten.

Sie ist überhaupt Spezialistin für fast alles, was schon viel ist. Sie studierte Slawistik und war im Feuilleton der SZ. Dann war sie Korrespondentin in Moskau. Was das alles mit dem Nahen Osten zu tun hat? Nichts, wenn man diese Zeichen richtig deutet. Bis 2020 leitete sie dann das Feuilleton der SZ. Und berichtet aus Kairo «über den arabischen Raum». Wow.

Das befähigt sie nicht nur dazu, aus der Vergangenheit in die Zukunft zu schauen. Nein, sie kann das auch aus der Gegenwart heraus, was der Tagi als kleiner Bruder (oder kleine Schwester, oder hybrid oder nonbinär (notbinär will das Korrekturprogramm daraus machen, der fiese Schlingel)) von der SZ übernimmt:

Wobei sie doch zuerst in die Vergangenheit schweifen muss und über das Öffnen eines Foltergefängnisses schreibt. Allerdings handelt es sich um Abu Ghraib im Irak, das kurz vor seinem Sturz von Saddam Hussein aufgesperrt wurde – und dann als Foltergefängnis der USA zu unrühmlicher Bekanntheit kam.

Auch hier weiss die Seherin inzwischen mehr: «Heute weiss man: Der Irak wurde tatsächlich zum Modellfall, allerdings für das Risiko, das die kenntnisfreie Einmischung einer Supermacht in eine komplizierte Gesellschaft bedeutet.»

Was soll nun dieser Vergleich bedeuten? Eigentlich nichts: «Syrien und Irak könnten freilich unterschiedlicher nicht sein. Im Irak erzwangen äussere Kräfte den Umsturz, in Syrien aber stützten fremde Mächte das Regime. Den Umsturz schafften die Syrer allein.»

Also vergleicht sie Nicht-Vergleichbares und reiht in diese Nicht-Vergleiche auch noch Ägypten, Libyen, Jemen und Tunesien ein. Schlussfolgerung: «Was heisst das für Syrien? Dass es ein vernünftiges Erwartungsmanagement braucht.»

Ohä, Erwartungsmanagement, und erst noch ein vernünftiges, hätte ZACKBUM nie gedacht, dass Syrien so etwas dringend braucht. Aber immerhin, Zekri erteilt dem neuen Machthaber ihren Segen: «Syriens neuer starker Mann Ahmed al-Sharaa, der sich in seiner Al-Qaida-Zeit Abu Mohammed al-Jolani nannte, macht vieles richtig.» Das Lob aus dem Mund einer unverschleierten Frau wird ihn sicherlich von Herzen freuen. Aber natürlich muss Zekri auch warnend die Stimme erheben:

«Umso riskanter wäre es, jetzt schon auf freie Wahlen zu drängen. Ohne freie Medien, ohne vertrauenswürdige Institutionen, ohne ein Minimum an Loyalität gegenüber dem Staat und eben nicht nur gegenüber der eigenen Religion, der ethnischen Gruppe oder dem Stamm, so hat der britische Wirtschaftswissenschaftler Paul Collier herausgefunden, werden Wahlen zur Schaufensterveranstaltung.»

ZACKBUM gratuliert nebenbei auch dem Wissenschaftler Collier, der diese Banalität herausgefunden hat und dafür eigentlich den Nobelpreis verdient hätte. Aber Zekri auch, denn sie spart wirklich nicht mit guten Ratschlägen für ein Gedeihen Syriens. Allerdings ist auch hier die bange Frage: hört man auf sie?

«Dringend müssten die westlichen Länder nun Kontakt zu Syriens neuer Führung aufnehmen. Denn wenn sie sich nicht engagieren, auch dafür ist Syrien ein Beispiel, werden andere es tun.»

Die Türkei, Israel, Europa, die USA, keiner wird von ihren Ratschlägen verschont. Vielleicht muss sie schon bald wieder darauf hinweisen, dass es halt schlecht herausgekommen ist, wie sie schon richtig damals schrieb, weil niemand auf sie gehört hat und niemand ihre Zeichen zu deuten wusste. Das ist halt das schreckliche Schicksal aller Kassandras. Sie sagen das Unvermeidliche voraus, aber niemand hört auf sie, deshalb trifft es dann ein. Aber die Welt wäre eine viel bessere, würde sie auf Zekri hören. Davon ist zumindest ein Mensch felsenfest überzeugt.

 

Die Wiederholung der Wiederholung

Anmerkungen zum israelischen Überfall auf den Libanon.

Man kann es wie Alex Baur sehen: «Der Iran und seine Vasallen hätten es in der Hand, das Blutvergiessen sofort zu beenden. Sie allein tragen die Verantwortung für das Elend.» (Siehe auch seine Replik in der heutigen Ausgabe von ZACKBUM)

Da aber der Libanon (genauso wenig wie Gaza) nicht zum Iran gehört, sondern eigentlich ein souveräner Staat ist, dürfte dieser fromme Wunsch wohl unerfüllt bleiben.

Auch an der Bezeichnung Überfall wird es Kritik geben. Wenn Russland behauptet, zwecks Selbstschutz müsse es eine militärische Spezialoperation zum Ausmerzen von Nazismus in der Ukraine ausführen, dann ist das selbstverständlich ein Überfall, eine Invasion. Wenn Israel behauptet, es müsse zwecks Selbstverteidigung militärische Schläge gegen den Libanon ausführen, zum Ausmerzen der Hisbollah, dann ist das was?

Die jüngere Geschichte zwischen Israel und dem Libanon wird in kaum einem der Kommentare, Analysen und Berichten über die jüngsten Kampfhandlungen erwähnt. Entweder aus der üblichen historischen Unkenntnis der Journalisten – oder ganz bewusst, weil das kein Ruhmesblatt für Israel ist.

Aus dem Kurzzeitgedächtnis der meisten scheint herausgefallen zu sein, dass es 1982 die Operation «Frieden für Galiläa» gab. Das war ein israelischer Angriffskrieg gegen den Libanon, eine militärische Offensive, die zur Besetzung grösserer Teile des Libanons inklusive der Hauptstadt Beirut durch israelische Truppen führte.

Schon damals war einer der Auslöser der Beschuss des Nordens Israels mit mehr als 100 Raketen, die vom Süden des Libanon abgefeuert wurden. Als israelische Truppen am 6. Juni 1982 die entmilitarisierte Zone durchquerten, verabschiedete damals der UNO-Sicherheitsrat (ohne dass die USA ihr Veto eingelegt hätten) die Resolution 509, die den sofortigen Rückzug der Truppen forderte – sie wurde von Israel ignoriert.

Diese Invasion führte zum Exodus der PLO aus dem Libanon, die in Tunis ihr neues Hauptquartier einrichtete. Am 16. September kam es zu einem zweitätigen Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila. Begangen von der maronitischen Phalange-Miliz, toleriert von den israelischen Truppen, die bei der Besetzung Beiruts diese Flüchtlingslager eingeschlossen hatten. Die Schätzungen über die Zahl der Toten gehen weit auseinander, von mindestens 300 bis über 3000.

Massaker in Schatila, 1982. 

Massaker beim Supernova Festival, 2023.

Angesichts solcher Gräueltaten mussten der damalige Verteidigungsminister Ariel Scharon, der Stabschef Rafael Elian und später auch der Premierminister Begin zurücktreten. Erst 2000 zogen sich die israelischen Truppen aus dem Libanon zurück. Durch den erzwungenen Abzug der PLO erstarkte die Hisbollah.

Im Jahr 2006 begann das, was Israel als zweiten Libanonkrieg bezeichnet. Auch hier waren der Invasion gegenseitige Provokationen der Hezbollah und Israels vorangegangen. Israelische Attentate, Raketenangriffe auf israelische Militärbasen, israelische Luftangriffe auf ein palästinensisches Flüchtlingslager im Libanon.

Nachdem Hamas-Terroristen auf israelischem Gebiet einen Soldaten gefangen genommen und dabei zwei weitere getötet hatten, begann einerseits die «Operation Sommerregen»; israelische Bodentruppen drangen in den Gazastreifen ein und besetzten ihn teilweise. Die Hamas reagierte mit Raketenangriffen auf Israel.

Als auch die Hetzbollah zwei israelische Soldaten auf israelischen Gebiet gefangennahm, begann die Operation «Gerechter Lohn». Am 12. Juli 2006 startete Israel eine grossangelegte Offensive gegen die Hisbollah im Libanon. Die israelische Luftwaffe bombardierte Strassen, Brücken und den Beiruter Flughafen und erzwang dessen Schliessung.

Am 23. Juli überquerten wieder israelische Truppen die Grenze zum Libanon. Die israelische Luftwaffe flog dabei über 15’000 Einsätze und die israelische Marine nahm rund 2500 Ziele entlang der Küste unter Feuer.

Die Hisbollah reagierte mit Raketenbeschuss gegen israelische Ziele, darunter Haifa, Nazaret und Tiberias.

Wikipedia schreibt: «Die zunehmende Zahl an Opfern unter den Zivilisten führte zu einer wachsenden Kritik an der israelischen Kriegsführung und einer Erhöhung des diplomatischen Druck auf Israel, insbesondere nach dem Tod der UNO-Beobachter in Chiyam. Hierzu trug auch das große Medienecho bei, das insbesondere der Luftangriff auf Kana, der Beschuss eines Flüchtlingskonvois bei Mardsch Uyun und der Angriff auf eine Gruppe syrischer Landarbeiter bei al-Qaa mit 23 Opfern hervorgerufen hatte

Im Oktober 2006 hatten sich die israelischen Truppen weitgehend aus dem Libanon zurückgezogen. Alleine dieser Krieg kostet Israel schätzungsweise 4 Milliarden Dollar, diesmal trat nur der Generalstabschef der israelischen Streitkräfte zurück.

Bis heute ist die libanesische Regierung nicht Herr über das ganze Land; im Süden herrscht unangefochten die Hisbollah, Syrien und der Iran mischten und mischen sich ein, die 15’000 UNIFIL-Soldaten, die die entmilitarisierte Zone im Süden Libanons überwachen sollen, tun das nur unvollständig; aktuell werden sie von Israel zum Abzug aufgefordert.

Vor diesem Hintergrund ist – wie immer im Nahen Osten – die Forderung nach sogenannten einfachen Lösungen völlig unsinnig. Die Invasion Israels im Jahr 1982 wirkt bis heute nach, auch der zweite Überfall im Jahr 2006. Wie im Gazastreifen die Hamas stärkte Israel damit im Libanon die Hisbollah, die nun bekämpft wird – mit den üblichen Kollateralschäden bei der Zivilbevölkerung. Auch diesmal bombardiert Israel auch Wohnviertel in Beirut und anderswo.

Huhn oder Ei, wer hat angefangen, wer ist schuld? Im Nahen Osten eine Frage ohne Antwort. Nur ideologische Brillenträger haben eine einfache Antwort. Es ist eine atavistische Wiederholung der Wiederholung.

Als gesichert kann höchstens gelten, dass bislang keine der militärischen Interventionen Israels im Libanon das gewünschte Ziel erreicht hat – die Vernichtung der Hisbollah und die Befriedung der Nordgrenze. Woher da jemand die Hoffnung nimmt, dass es diesmal gelingen könnte?

Die ökonomischen Folgen dieser Kriege für Israel (von den desaströsen Zerstörungen im Gazastreifen und im Libanon ganz zu schweigen) sind katastrophal, es handelt sich um Multimilliarden. Wie lange der Staat noch in der Lage ist, diese Kosten zu stemmen, steht in den Sternen. Zu den horrenden Kosten dieser militärischen Interventionen kommen noch die Basiskosten der Aufrechterhaltung einer militärischen Abschreckung.

Wer das für eine nachhaltige, lösungsorientierte Politik hält, sollte sich untersuchen lassen.