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Moderne lettres de cachet

Absolutismus. Verhaftungen und Verbote als reine Willkür. Heute heisst das Superprovisorische.

Die französischen Könige pflegten die Tradition der «lettres royales», der königlichen Briefe. Die waren entweder halbwegs offen und öffentlich, oder aber eben versiegelt und geheim. Mit ihnen konnten missliebige Personen verhaftet, ins Exil getrieben oder zumindest mundtot gemacht werden.

Eine Verhaftungs-Lettre von Ludwig XV aus dem Jahre 1759.

Diese Willkür endete mit der Französischen Revolution 1789 und wurde von Napoleon 1811 wiederbelebt. Die Besonderheit bestand darin, dass es dem Belieben des Herrschers überlassen war, welche Entscheidung er hier treffen wollte. Dagegen gab es keine Möglichkeit eines Rechtswegs, die blosse Existenz eines solchen Briefes durfte nicht erwähnt werden, wenn sich beispielsweise ein Kritiker des Systems «freiwillig» entschloss, ins Exil zu gehen und zu verstummen.

Alte Willkür und moderne Willkür

Längst vergangene, dunkle Zeiten der Despotie und Willkür. Könnte man meinen. Im modernen Rechtssystem der Schweiz gilt der eiserne Grundsatz, dass gegen jede Anordnung und Verfügung der Betroffene das Recht zur Anhörung hat, das Recht, mit allen legalen Mitteln dagegen vorzugehen. Das Recht, ein öffentliches Geschrei darüber anzustimmen.

Zudem gilt das Recht der freien Meinungsäusserung möglichst unbegrenzt, wenn auch nicht schrankenlos. Dazu heisst es in der Bundesverfassung lakonisch:

«Zensur ist verboten.»

Aber keine Freiheit kann unbeschränkt sein, dann schlägt auch sie wieder in Willkür um. Also gibt es eine einzige Ausnahme zu diesem Rechtsgrundsatz des Rechts auf Anhörung und des Verbots, präventiv etwas zu verbieten, was Zensur schlichtweg bedeutet.

In den letzten Jahren häufen sich die Beispiele, wie in den Medien ein eigentlicher Fertigmacher-Journalismus betrieben wird, das beispielsweise gestohlene Daten, veredelt zu Leaks oder Papers, dazu benützt werden, Personen namentlich an den Pranger der öffentlichen Vorverurteilung zu stellen. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass die Vorwürfe haltlos, falsch, unbelegt waren – wie bspw. im Fall des verstorbenen deutschen Multimillionärs Gunter Sachs – dann wird halt ein kleines «Korrigendum» eingerückt. Der Ruf hingegen, auch postum, ist natürlich beschädigt bis ruiniert.

Vor- und Nachteile einer Begrenzung durch den Rechtsstaat

Um das möglichst zu verhindern, gibt es auch den Artikel 266 der Zivilprozessordnung (ZPO). Er regelt zusammen mit Art. 265 die Anwendung einer superprovisorischen Massnahme. Superprovisorisch heisst, dass zur Abwendung eines Schadens gerichtlich etwas verfügt wird, ohne dass die betroffene Partei vorab Gelegenheit hätte, sich dagegen zu wehren. Ein rechtlicher Spezialfall.

  • Art. 266 lautet: Gegen periodisch erscheinende Medien darf das Gericht eine vorsorgliche Massnahme nur anordnen, wenn:
  • die drohende Rechtsverletzung der gesuchstellenden Partei einen besonders schweren Nachteil verursachen kann;
  • offensichtlich kein Rechtfertigungsgrund vorliegt;
  • und die Massnahme nicht unverhältnismässig erscheint.

Das heisst, dass es möglich ist, einen geplanten Bericht, von dem ein Betroffener Kenntnis erhalten hat, verbieten zu lassen. Da es sich um einen gravierenden und präventiven Eingriff in die Presse- und Meinungsfreiheit handelt, sind die Hürden recht hoch gelegt. Natürlich unterliegt auch die Anwendung dieses Artikels der gerichtlichen Auslegung im Einzelfall.

Jolanda Spiess-Hegglin operierte damit, um superprovisorisch die geplante Publikation eines Buchs über sie zu verhindern. Vor allem reiche und einflussreiche Personen, Firmen, Unternehmen benützen diese Superprovisorische, um potenziell unangenehme Berichterstattung zu verhindern.

Im Gegensatz zu den lettres de cachet gibt es natürlich nach dieser Superprovisorischen ein ordentliches Verfahren, in dem der Betroffene alle rechtlichen Möglichkeiten hat, sich dagegen zu wehren. Nur: das dauert und kostet. Wenn dann frühestens nach einem Jahr, durch alle Instanzen prozessiert nach drei Jahren, ein rechtsgültiges Urteil gefällt, die Superprovisorische aufgehoben wird, ist der umstrittene Bericht längst vergilbt, veraltet, uninteressant geworden.

Gerade hat der Ständerat beschlossen, das Wörtchen «besonders» aus dem Artikel zu streichen, womit die Hürde niedriger gelegt wird, es noch einfacher wird, eine Superprovisorische zu erlangen.

Keinesfalls darf es noch einfacher werden mit der Superprovisorischen

ZACKBUM hat als eines der ersten Medienorgane auf diese gefährliche Entwicklung hingewiesen und davor gewarnt.

Nun sind wir selbst Opfer einer solchen modernen lettre de cachet. Uns ist es damit untersagt, uns zu einem bestimmten Thema zu äussern. Weder zukünftig, noch in der Vergangenheit. Uns ist es sogar untersagt, zu erklären, wieso wir das nicht tun. Unterschied zu den Zeiten des Absolutismus, der Willkür und der Despotie: wir müssen nicht ins Exil und auch nicht um Leib und Leben fürchten.

Aber um unsere irdischen Güter schon. Denn es gehört auch zu den Besonderheiten des modernen lettre de cachet, dass die Begründung, mit der er von einem Gericht erlangt wurde, nicht enthüllt wird. Erst bei einem ordentlichen Prozess weiss der mit einem Maulkorb Ausgestattete, welche Gründe angeführt wurden, um ihm den zu verpassen.

Im Gegensatz zu königlichen Erlassen kann man sich gegen eine Superprovisorische zur Wehr setzen. So wie das auch im Fall Spiess-Hegglin getan wird. Aber diesen finanziellen Atem haben nur noch ganz wenige Medienkonzerne in der Schweiz, und auch sie versuchen das – aus Kostengründen – so weit wie möglich zu vermeiden.

ZACKBUM kann in einem solchen Fall nichts anderes tun, als die weisse Flagge zu hissen. Und mit Nachdruck zu fordern, dass der Nationalrat dem falschen Weg des Ständerats nicht folgt – und die Hürde zur Erlangung einer Superprovisorischen nicht noch weiter absenkt.

Ein Medienanwalt in eigener Sache

Das mit der Pressefreiheit ist für Daniel Glasl nicht so sehr in Stein gemeisselt.

Rechtsanwalt Glasl hat sich einen Ruf als energischer Verteidiger von Medienopfern erarbeitet. Wie den meisten Anwälte ist ihm dabei die wahre Reputation des Klienten ziemlich egal.

Die «Weltwoche» unterstellte zwei Uni-Historikern eine Liaison und deshalb eine Art von Beziehungskorruption. Daniel Glasl als Vertreter der beiden jedenfalls nachmaligen Turteltauben sieht darin eine Persönlichkeitsverletzung. Auch Carl Hirschmann, der verzogene Millionärserbe, von Beruf vor allem Sohn, gehörte zu Glasls Mandanten. Was den armen Tamedia-Konzern teuer zu stehen kam.

Schon anlässlich jenes Falles giftete Glasl gegen den Bannerträger des Boulevard, Matthias Schwaibold, der ein Urteil zugunsten von Hirschmann kritisiert hatte. Der Disput verblieb im exklusiven Leserkreis der einzigen medienrechtlichen Fachzeitschrift.

Nun geht’s um die Pressefreiheit

Kein Wunder, dass er sich nun auf einer grösseren Plattform aus anderem Anlass, aber in gleicher Rollenverteilung abspielt. Schwaibold hatte als einer der Ersten darauf hingewiesen, dass die geplante Streichung des Wortes «besonders» in Artikel 266 der Zivilprozessordnung einen weiteren Schlag gegen die Pressefreiheit darstellt. Denn damit werden Massnahmen gegen Medien noch einfacher, auch und gerade die superprovisorischen Massnahmen. Was Schwaibold als Zensurgefahr kritisierte.

Wogegen Glasl aktuell in der NZZ als die obere Instanz für Medien- und Rechtsfragen auftritt. Sich als Leiter der Fachgruppe Medienrecht des Anwaltsverbands präsentierend und damit quasi höhere Legitimation erheischend. Der zuvor in der NZZ publizierte Gastbeitrag Schwaibolds rufe «nach einer korrigierenden Einordnung». Diesen Ruf hat zwar ausser Glasl niemand gehört, aber kein Grund zu schade, mit einer Replik auch etwas mediales Licht auf sich zu lenken.

Die Streichung des Wörtchens «besonders» sei völlig richtig, meint Glasl. Und glasklar daher das Ergebnis seiner korrigierenden Einordnung: «Die geplante Gesetzesänderung ist geboten und angemessen. Die Zensur bleibt verboten, und nichts wird zu Makulatur.» Auch dann, wenn ein geplanter Beitrag schon superprovisorisch vor Erscheinen (und ohne Anhörung des Medienunternehmens!) verboten werden könne, wofür schon ein schwerer und nicht erst ein «besonders schwerer» Schaden ausreichen soll.

Bevor wir aufatmen, welcher Einordnungsprozess geht denn dem voraus? «Wer behauptet, eine «superprovisorische Massnahme gegen periodisch erscheinende Medien» sei ein Akt der Zensur, vergisst, «dass die Medien eine Verantwortung für die Einhaltung des Rechts haben». Was nirgendwo steht und ausser Glasl vermutlich auch nur andere Medienopferanwälte behaupten.

Drohende weitere Rechtsverletzungen werden erwähnt

Mehr noch: Die Medien seien durch die nur auf sie gemünzte Verwendung des Wortes «besonders schwer» privilegiert – in anderen Zusammenhängen genügen für vorsorgliche Massnahmen «bereits die Annahme eines schweren Nachteils». Bloss geht es in «anderen Zusammenhängen» nicht um Grundrechte wie Meinungs- und Medienfreiheit, und zu deren Schutz war das «besonders» denn auch mit Bedacht 1985 zum Gesetz gemacht.

Dass ausserdem die «drohende Rechtsverletzung» auch noch zu «bestehender oder drohender Rechtsverletzung» erweitert werden soll, erwähnt Glasl zwar. Welche Auswirkungen diese doppelte Änderung aber haben würde, lässt er lieber unter den Tisch fallen. Wie viel einfacher wird doch die Abwägung von Persönlichkeitsrechten und des Informationsauftrags der Medien sein, wenn sie kein Sonderfall mehr sind, weil das «besonders» nicht mehr stört. Was sehr wohl auch eine Bremse gegen die Superprovisiorien ist: Denn wer am Artikel 266 etwas ändert, erweitert damit auch den Anwendungsbereich des Artikels 265, was Glasl zu verschleiern sucht.

Weshalb wir den Positionsbezug von Glasl etwas einordnen wollen. Als Vertreter von «Medienopfern» zieht er für vorzugsweise gut betuchte Mandanten in die Schlacht. Und was vereinfacht seine entsagungsvolle Schwerstarbeit mehr als die völlig neutral und objektiv von ihm befürwortete Streichung eines hinderlichen Wortes?