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Rammelstein?

Was wahr ist, klar ist – oder nicht.

Die «Süddeutsche Zeitung» nimmt den inzwischen bekannten Sound auf: «Es geht um die Verführung weiblicher Fans durch die Nähe zu einer sehr prominenten Person, um möglichen Machtmissbrauch und mutmaßliche sexuelle Übergriffe.»

Wie immer ist es eine Gemengelage. Der Herausgeber des Gedichtbands von Till Lindemann, dem Sänger von «Rammstein», ist einer der Feuilletonchefs der SZ. Der herausgebende Verlag hat sich inzwischen mit Abscheu von seinem Autor abgewandt.

Auslöser scheint ein irischer Fan zu sein, der den Verdacht äusserte, bei einer Party vor der Show sei ihr mit einer Droge versetzter Alkohol gegeben worden. Diese Shelby besteht ausdrücklich darauf, dass sie nicht angefasst oder vergewaltigt worden sei. Allerdings habe der Sänger Sex mit ihr gewollt, was sie jedoch abgelehnt habe. Danach Filmriss, sie sei mit blauen Flecken, sonst aber unbeschädigt aufgewacht. Ein Drogentest am nächsten Morgen war negativ.

Die Band dementiert und schweigt ansonsten. Im Anschluss «rollte die Welle schon», wie die SZ schreibt. Sie und der NDR hätten mit «zahlreichen Frauen gesprochen». Und: «Sie erheben teils schwere Vorwürfe gegen Lindemann. Alle Namen sind der Redaktion bekannt, einige der Frauen versichern ihre Angaben an Eides statt. Alle mutmaßlich Betroffenen bleiben in diesem Text zu ihrem Schutz anonym, die verwendeten Namen sind nicht ihre echten.»

Die Erzählungen gehen so, dass es ein eigentliches Casting für die «Row Zero» gebe, den Bereich unmittelbar vor der Bühne, in den man nur per Einladung kommt. Dafür werden Frauen angefragt, denen auch ein anschließender Besuch Backstage zugesichert werde. Dort passiere nur das, was die Groupies auch wollten. Eine erzählt in der SZ:

«Ich will nicht sagen, dass das eine Vergewaltigung war, weil ich ja zugestimmt habe, aber ich war jetzt auch nicht offensichtlich glücklich darüber, was da passiert.»

Nach weiteren solchen Storys wechselt die SZ die Ebene: «Die Frage ist, ob alle Frauen, die bei Lindemann landen, dort noch mit so klarem Bewusstsein ankommen, um jederzeit selbst die Kontrolle zurückgewinnen oder sich später richtig erinnern zu können. Oder ob der ganze Vorgang nicht von vorneherein so asymmetrisch, so manipulativ angelegt ist, dass man von Freiwilligkeit nicht mehr sprechen kann und dass sich im Nachhinein leicht Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Frauen säen lassen

25’000 Anschläge ist die Story lang; es liegen bislang keinerlei Strafanzeigen vor; keine der im Text erscheinenden Frauen hat die Absicht geäussert, gegen Lindemann oder die Band rechtlich vorgehe zu wollen. Diese Spekulation soll nur dazu dienen, die Story zu rechtfertigen, zu mehr taugt sie nicht.

Ganze sechs Autoren hat die SZ für diesen Aufreger abgestellt. Sie ist sozusagen die Antwort aus München auf die Till-Schweiger-Story aus Hamburg.

Rammsteins USP, die Masche, wenn man so will, ist martialisches Pathos, unterlegt mit Provokationen jeder Art, grenzwertigen Texten und Musikvideos. Kann man mögen oder lassen.

Natürlich ist hier alles drin, was eine Story heiss macht. Deutschlands erfolgreichste Band, ihr grenzgängerischer Sänger, Groupies, Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe. Während der «Spiegel» im Fall Roshani zumindest mit Fotos eine Ähnlichkeit der Vorfälle mit dem Verhalten der verurteilten Straftäters Harvey Weinstein in den USA herstellen wollte, beschreibt die SZ die Rolle einer gewissen Alena Makeeva als eine Art Casting-Direktorin, die die Girls vor den Konzerten für die «Row Zero» kontaktiert, auswählt und ihnen Tips gibt, wie sie sich anzuziehen haben und was sie erwarten könnte. Also vielleicht so eine Art Ghislaine Maxwell, die dem Sexualstraftäter Jeffrey Epstein Mädchen zuführte.

Natürlich rauscht diese Story durch die Medien, alle wollen sich ein Scheibchen davon abschneiden, in der Schweiz am lautesten natürlich der «Blick»:

Natürlich wiederkäut auch Tamedia «Die Groupies von «Row Zero», der «Spiegel «Bad Guys und Groupies», nau.ch, usw. Nur: CH Media übt sich (bislang) in Zurückhaltung.

Nun hat auch noch die NZZ eingegriffen, und wenn man den Text der Gesellschaftsredaktorin Esthy Baumann-Rüdiger liest, meint man, die Beschreibung einer anderen Realität zu bekommen. Die Autorin hat «mit mehreren Frauen geredet, die bei Rammstein hinter die Bühne geblickt, mit Rammstein-Sänger Till Lindemann geredet, gefeiert und ihn angeblich geküsst haben».

Nur haben hier die Groupies ganz andere Geschichten zu erzählen: «Lindemann sei ein freundlicher, zurückhaltender Mensch, sagt Mona. Als er sich zum Gespräch auf einen Sessel begeben habe, sei er direkt von zwei Frauen auf den Lehnen umrankt worden. «Er hielt seine Hände auf den Knien, wie ein Schuljunge. Auf mich wirkte es, als sei ihm all die Aufmerksamkeit zu viel», erzählt Mona. Als er dann mit ihr gesprochen habe, sei es ihr vorgekommen, als geniesse er es, mit jemandem zu sprechen, der ihn nicht anhimmelt.»

Oder: «Man führte oberflächliche Gruppen-Gespräche und genoss ein paar Drinks», erzählt Diana. Kurz vor Konzertbeginn sei Alena erneut auf sie zugekommen, erzählt Diana. Till wolle sie alleine treffen, während der Konzertpause. Warum der Sänger sie ausgewählt hat, weiss Diana nicht. … Während des Gesprächs soll es zu einem Kuss gekommen sein. «Dann bin ich für manche nun eben ein Groupie. Das ist mir egal.» Diana betont: «Der Kuss ging klar von mir aus. Till hätte nichts versucht.»

Auch die analytische Metaebene sieht in der NZZ ganz anders als in der SZ aus: «Doch in der «Row Zero» treffen zwei Welten aufeinander. Die alte, sexistisch geprägte Musikindustrie und junge, während #MeToo erwachsen gewordene Frauen. Groupies? Ja. Aber selbstbestimmt. So beschreiben es viele von ihnen zumindest selbst.»

All diese aufgepumpten Storys um Prominente (oder im Fall des Ex-«Magazin»-Chefredaktors weniger Prominente) haben einen ähnlichen Sound. Machtgefälle werden von triebstarken Männern ausgenützt, von ihnen abhängige Frauen können sich nicht wehren, gehen oft erst viele Jahre nach solchen Vorfällen an die Öffentlichkeit. Oder haben das Problem, dass Vorgänge unter vier Augen schwer objektivierter sind.

Aber durch die Darstellung – wie mehrfach im «Spiegel», wie nun auch in der «Süddeutschen» – wird der Eindruck insinuiert, dass hier die Männer die Täter, die Frauen die Opfer sind. Auch wenn die SZ für diese These tief lufthohen muss, weil sie nicht einmal Aussagen von strafrechtlich relevanten sexuellen Belästigungen oder gar Vergewaltigungen anführen kann.

Gerade bei Groupies ist es tatsächlich so, dass junge Mädchen, die auf das Angebot eingehen, ihre Idole Backstage bei einer Party erleben zu dürfen, nur schwerlich behaupten können, dass es sie völlig überrascht hätte, dort angemacht oder gar angefasst zu werden. Natürlich wird ein solcher Satz von Kampffeministinnen in der Luft zerrissen, das sei so, wie wenn man unterstelle, durch das Tragen eines kurzen Rocks habe eine Frau ihre Vergewaltigung provoziert. Ist es aber nicht.

Till Schweiger und der zwischenzeitlich vom «Spiegel» unter Feuer genommene Drei-Sterne-Koch können aufatmen. Sie haben Pause. Im Feuer steht zurzeit Rammstein. Aber die spielen selbst oft genug mit dem Feuer und sollten das aushalten.

 

 

 

 

Kennen Sie Jule?

Jule Stinkesocke? Nein? Müssten Sie auch nicht.

«Alles nur geklaut?» So titelt die «Süddeutsche Zeitung» einen Bericht über eine Bloggerin, die über ihr Leben als querschnittsgelähmte Ärztin in Hamburg berichtet. Oder auch nicht, denn es gibt viele Indizien, dass das ein Fake ist:

Gleich zwei Autorinnen der SZ mäandern sich durch diese sehr deutsche Geschichte. Denn der Blog erregte im Norden Aufmerksamkeit, wurde schon 2012 zum «besten deutschsprachigen Blog» gewählt, in einer Abstimmung der «Deutschen Welle».

Nun scheint aber das Profilbild von einer australischen Pornodarstellerin zu stammen und die querschnittsgelähmte Ärztin gar nicht zu existieren. Auf jeden Fall sind Blog und Twitter-Account offline. Das ist natürlich für Deutsche in Deutschland, vor allem für Hamburger in Hamburg, eine Story. Falls die Leser nicht wegschnarchen bei der «Republik»-Länge des Artikels von über 11’000 Anschlägen.

Nun ist diese Story schon für München etwas sehr weit im Norden angesiedelt. Na und, sagt sich da der Qualitätskonzern Tamedia mit seinen Qualitätstiteln:

Anderer, schlechterer Titel, anderer, schlechterer Lead, der Rest ist nur geklaut. Also übernommen, wie man das vornehmer ausdrückt, wenn man dafür bezahlt, Artikel von der SZ zu übernehmen, die nicht das Geringste mit der Schweiz oder Schweizer Lesern zu tun haben. Sei das ein ehemaliger Münchner Oberbürgermeister, der über sein Verhältnis zu Katzen schreibt, sei das eine Unternehmerwitwe aus Nördlingen – oder sei das ein Fake-Profil einer norddeutschen Bloggerin.

Der Gipfel ist aber, dass Tamedia die Geschichte seinen Lesern nur hinter der Bezahlschranke serviert. Auch bei der SZ kommt man nicht gratis an ihn ran, aber mit einem «Probeabo Basis» für schlappe € 1.99 kann man ihn und alle weiteren Artikel der SZ vier Wochen lang lesen.

Bei Tamedia, also bei «Tages-Anzeiger», also für den «Tages-Anzeiger» kostet das «Basic Monatsabo» stolze 15 Franken. Allerdings ist bei Neuabschluss der erste Monat gratis. Eine weise Entscheidung, denn wer will ernsthaft für solchen Schrott etwas bezahlen? Für einen Stinkesockenartikel?

Apropos, eine Momentaufnahme der Homepage vom Tagi am 12. April 2023, nachmittags. Aufmacher oben links: «Wie Panzer an die Front kommen», hinter Aboschranke. Übernommen von der SZ. Daneben «Kommentar zu US-Geheimdienst-Leak», übernommen von der SZ. «Italien verschwindet», übernommen von der SZ. «Promo für neuen Roman», NICHT von der SZ übernommen. Aber von Nora Zukker.

«Deutschland will Besitz und Anbau von Cannabis erlauben», NICHT von der SZ übernommen. Dafür von der SDA. «Myanmars Militär mit tödlicher Attacke», SDA. «Nach Trump-Anklage», NEIN, nicht SZ, auch nicht SDA. Sondern AFP.

«Wo sind die Milliarden der russischen Zentralbank?», wieder SZ. «Peking fürchtet sich vor künstlicher Intelligenz», AFP.  Und so weiter, und so fort.

Preisfrage: Will die Tx Group, Pardon, Tamedia, Pardon, «Tages-Anzeiger» mit angeflanschten Kopfblättern, will der Konzern mit diesem Angebot Leser gewinnen oder verjagen? Leser dazu animieren, Geld in die Hand zu nehmen oder Leser dazu motivieren, das Abo zu kündigen? Nur so als Hinweis zuhanden von Pietro Supino. Oder vielleicht möchte Raphaela Birrer darüber nachdenken. Das wäre aber sinnlos.

«Magazin»: billiger Jakob

Damit schliessen wir unsere Berichterstattung über diesen lebenden Untoten ab.

Das «Magazin» war einmal eine Benchmark für anspruchsvollen Journalismus. Als Beilage des «Tages-Anzeigers» war es nicht auf Verkäufe angewiesen. Als Hochglanzblatt war es Anlaufstelle für Hochglanzinserate. Eine ideale Mischung, damit sich begabte Redakteure austoben konnten. Ende Nostalgie.

Auch das «Magazin» wurde Opfer des Sparwahns bei Tamedia, wo ohne Rücksicht auf Verluste von jedem Profit Center der gleiche Return on Investment verlangt wird.

Schon Finn Canonica musste seine Feuerprobe bestehen, als er Inhalt und Redaktion aus Spargründen völlig umzukrempeln hatte. Dass es noch schlechter geht, beweist wöchentlich sein Nachfolger, die Wetterfahne Bruno Ziauddin. Getreuer Stellvertreter, der solo einen Jubelchor auf den abgehenden Canonica sang. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass sein Chef gefeuert worden war.

Seither hat auch er sich zum Roshani-Skandal ein Schweigegelöbnis auferlegt. Was ihn – und nicht nur ihn – moralisch völlig diskreditiert. Im Winzig-Editorial der letzten Ausgabe labert er über das «halbjährlich wiederkehrende Ereignis der Zeitumstellung». Wir warten auf sein Edito, das sich mit dem jährlich wiederehrenden Ereignis des Frühlings befasst.

Diesem brüllend spannenden Thema ist auch die Cover-Karikatur (siehe oben) gewidmet. Wer darüber lacht, muss extrem kitzlig sein und kräftig gekitzelt werden.

Eine Würdigung der Kolumnisten ersparen wir dem Leser. Dann folgen 10 Seiten über die Klage eines peruanischen Bauern gegen einen deutschen Grosskonzern. «Es ist der wohl folgenreichste Gerichtsprozess des 21. Jahrhunderts». Realistisch betrachtet: niemand nimmt das ernst, und auch die «Magazin»-Leser können sich schon beim Ostereiersuchen nicht mehr daran erinnern.

Dann hat die «Künstlerin» Jenny Rova ein Kunststück auf ihrem Blog veröffentlicht. «Neun Männer, die sie liebten, neun Männer, die sie fotografierten». Häufig leichtbekleidet, nicht selten im Bett, immer peinlich. Plus eine echte Drohung: «Im Alter will sie dann all die Männer anschreiben, die sie zwischen fünfzig und achtzig geliebt und fotografiert haben.» Begleitet wird dieser Unsinn von einem Text der stellvertretenden Chefredaktorin des Magazins der «Süddeutschen Zeitung». Das hat einen Vorteil: es ist billig.

Dann schafft es Ulf Lippitz, sein misslungenes Interview mit John Malkovich aus der SZ im «Magazin» zu rezyklieren. Der Hollywoodstar muss seine gnädigen fünf Minuten gehabt haben, dass er ernsthaft auf solche Schwachsinnsfragen antwortete:

«Darf man davon ausgehen, dass Sie nicht geimpft sind?
Doch, ich musste es ja tun. Das wurde von der Schauspielergewerkschaft vorgeschrieben, sonst hätte ich nicht arbeiten dürfen.
Und hurra, Sie leben noch!
Trotzdem wird sich erst in der Zukunft zeigen, ob die Impfung eine gute Idee war.»

Malkovich musste da durch, weil er einen neuen Film zu promoten hat. Aber ZACKBUM muss sich das nicht mehr antun.

 

Der Ausnahme-Journalist des Jahres: Wolfgang Koydl

Spricht schonungslos Klartext …

Von Felix Abt

Erfreuliche Ausnahmeerscheinung unter den deutschsprachigen Journalisten der Gegenwart:
Wolfgang Koydl (Foto:Imago).

Wenn es den Titel des Ausnahme-Journalisten des Jahres gäbe, dann hätte ihn für mich der 1952 in Tübingen geborene Journalist und Bestsellerautor Wolfgang Koydl verdient. Nach dem Studium an der Deutschen Journalistenschule arbeitete er zunächst für den «Münchner Merkur», dann für die britische BBC. Seither war er für die «Washington Post», «Die Presse», die Deutsche Presseagentur und von 1996 bis 2005 für die «Süddeutsche Zeitung» als Redakteur und Autor tätig – eine beeindruckende Reihe journalistischer Stationen. Seitdem schreibt er für Roger Köppels «Weltwoche» in der Schweiz, wo er auch lebt.

Viele Jahre lang war Wolfgang Koydl Auslandskorrespondent, vor allem für die «Süddeutsche». Zu seinen Stationen gehörten Kairo, Istanbul, Washington, Moskau, London und Stäfa (Schweiz). Das mag ihm geholfen haben, ein großes Einfühlungsvermögen für andere Kulturen und Lebensweisen zu entwickeln, ein «Versteher» zu werden (was in den heutigen ideologiebesoffenen Woke-Zeiten verpönt ist) und nicht mit dem moralisierenden Zeigefinger durch die politischen und kulturellen Landschaften zu wandern. In einem Interview wurde er einst gefragt, was er aufgrund seiner langen und vielfältigen Auslandserfahrung Expats, also Auswanderern, empfehlen würde, wenn sie sich in einem fremden Land niederlassen. Seine Antwort: „Offene Augen, offene Ohren, offener Geist und offenes Herz.

Feine Ironie

Als Schweizer und Liebhaber von französischem Käse konnte ich von ihm Dinge über die Schweiz erfahren, die mir völlig unbekannt waren und die mich wirklich überrascht haben. Zum Beispiel zitierte er den französischen Präsidenten de Gaulle, der seinem Frust freien Lauf liess: «Wie kann man denn ein Land regieren mit 300 Käsesorten, die Schweiz hat zehnmal soviel Käsesorten und schafft es, sich besser zu regieren.» Mit seiner feinen Ironie kann Koydl bis heute selbst komplexe Sachverhalte auf unvergleichliche und sympathische Weise vermitteln. So sagte der mit einer Russin verheiratete Journalist einmal, in Russland gebe es viele engstirnige Regeln, an die sich aber niemand halte, während man sich in der Schweiz als einem Land mit ähnlich vielen und nicht minder engstirnigen Regeln die Regeln selbst mache. Noch eine Besonderheit der Schweizer: «Sie sind auch verantwortlich für die Entscheidungen, die sie treffen. Wenn etwas in einem Referendum, in einer Initiative beschlossen wird, dann waren es die Stimmbürger. Die anderen Europäer können sagen: Das war nicht ich, das waren die da oben

Als die Schweizer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger im Februar 2014 die Masseneinwanderungsinitiative zur Begrenzung der bis dahin zügellosen Zuwanderung annahmen, war Koydl, der damals noch für die «Süddeutsche» berichtete, so ziemlich der einzige deutsche Journalist, der Verständnis für den Volksentscheid zeigte. “Wer in den Schweizern schon immer abgefeimte Hinterwäldler mit tiefsitzenden Ressentiments gegen alles Fremde sah, der fühlte sich von dem Votum bestätigt. Wer sich einen offenen Blick – und ein aufgeschlossenes Hirn – bewahrt hat, der sieht das Land plötzlich in einem neuen Licht: Hoppla, die können und machen ja was, was wir auch gerne täten», erklärte er damals.

Abschied bei «Süddeutsche» war absehbar

Allerdings muss ich an dieser Stelle kritisch anmerken, dass die Schweizer Karrierepolitiker und EU-Turbos das neue Einwanderungsgesetz wohl deshalb nie richtig umgesetzt haben, weil sie sich lieber im medialen Rampenlicht auf der internationalen Bühne mit den Grossen der Welt sonnen würden und zudem, als künftige Eurokraten in Brüssel, mit besseren Karrierechancen und höheren Einkünften rechnen können. Dort müssen sie sich dann auch nicht um den lästigen Willen des Volkes kümmern, wie daheim in der Schweiz. Aber das ist ein anderes Thema …

Auf die Frage, ob er für seine Haltung zu dieser Abstimmung Prügel beziehe, antwortete Koydl diplomatisch: «Ich bin sicher, dass sich einige Kollegen bei der Lektüre meiner Stücke an den Kopf getippt und gesagt haben, jetzt spinnt der Koydl wieder. Von Leserinnen und Lesern hingegen habe ich nur Zuspruch erfahren.»

Dass sein Abschied von der «Süddeutschen» anschließend nicht lange auf sich warten liess, hat wohl niemanden überrascht. Denn irgendwie passte Koydl nicht mehr in diesen zunehmend «woken» Gesinnungsjournalismusbetrieb. Er hat seine alten, moralinsauren Besserwisser-Kollegen enttäuscht – denn er schreibt genau, kurz und bündig, was ist und wer dahintersteckt, auch wenn das manchen aus ideologischen Gründen nicht gefällt und sie deshalb die Zusammenhänge lieber verschweigen oder zurechtbiegen wollen.

Schonungslos Klartext geschrieben

So redete und schrieb Kodyl auch schonungslos Klartext über die Korruption in der EU; über die nicht vom Volk gewählte «Sonnenkönigin von und zu Brüssel», Ursula von der Leyen; über die selbstzerstörerische Politik der deutschen Regierung; über die Vorgeschichte des Ukraine-Krieges, von der die russische Invasion am 24. Februar 2022 gar nicht zu trennen ist, die aber in den deutschsprachigen «Systemmedien» beharrlich zensiert wird. Und noch über vieles mehr, was parteiischen wie moralisierenden Mainstream-Journalisten keiner Erwähnung würdig erscheint.

Gerade kürzlich, vor Weihnachten, schrieb er darüber, wer 2022 das wohl mit Abstand grösste Weihnachtsgeschenk bekommt:

«Amerikas Parlamentarier haben ein Teil-Budget verabschiedet, das Rekorde bricht: 1,6 Billionen Dollar ist es schwer.
Viel Geld. Etwa für Soziales, für die Infrastruktur, für Gehälter schlecht bezahlter Beamter.
Leider nein. Der grösste Batzen dieses Etats – mit 858 Milliarden Dollar mehr als die Hälfte – geht in die Rüstung. Pardon, in die Verteidigung der offensichtlich von allen Seiten bedrohten Supermacht.
Das ist übrigens so viel, wie die nächsten elf Länder gemeinsam für Verteidigung ausgeben.
Das mit dem Wohlgefallen stimmt auch. Also, teilweise. Freuen können sich die Aktionäre von Lockheed, General Dynamics, Raytheon und Northrop. Amerikas grösste Rüstungskonzerne verdienen am Ukraine-Krieg so gut wie seit Jahren nicht.
Halleluja.»

Wolfgang Koydl schreibt ganz offen auch von diesen unbequemen Hintergründen, die durchaus geeignet sind, die Ereignisse in der Ukraine und die Rolle der USA dabei in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. In Ermangelung von Kandidaten aus dem Elendsjournalismus der Mainstream-Medien ist der Ausnahmeautor Koydl daher für mich unangefochten der Journalist des Jahres.

Neues von der Abraumhalde

Tamedia als Werkhof für Rezykliertes.

Dieser Artikel warf keinerlei Wellen in der «Süddeutschen Zeitung»:

Die «begeisterte Tennisspielerin, Langstreckenläuferin und Snowboarderin» Anna Dreher interviewte in der «Süddeutschen Zeitung» diese Grinsbacke. Seine Qualifikation dafür: «Big-Wave-Surfer Sebastian Steudtner raste eine mehr als 26 Meter hohe Welle hinunter: Weltrekord

Wer das tut, weiss natürlich auch genügend Lebensweisheiten, die eng mit seiner Tätigkeit zu tun haben «es gibt noch viel größere Wellen» und sich problemlos auf alle wichtigen Themen des Lebens («Geld») anwenden lassen.

Am 13. Oktober 2022 durften sich die Leser der SZ gemessene 9 Minuten lang langweilen und sich fragen, womit sie das verdient hatten. Aber immerhin, Steudtner ist Deutscher (und Österreicher), wuchs in Nürnberg auf und kann somit zu dem weiteren Einzugsbereich Bayerns gezählt werden.

Lässt sich mit dieser längst vergangenen Welle noch etwas anstellen? Aber sicher, sagt sich Tamedia, hier können wir den guten Satz, dass man niemals in die gleiche Welle nochmals steigen kann, Lügen strafen.

Denn feinsäuberlich hinter der Bezahlschranke verborgen, lässt es Tamedia am 5. November 2022, immerhin diesmal mehr als drei Wochen nach der Erstveröffentlichung, nochmals plätschern:

Was ist in all den Tagen geschehen? Nun, es wurden brecherhohe Veränderungen am Inhalt durchgeführt. Was sofort auffällt: aus «größere Wellen» wurden «hohe Wellen». Womit elegant das Problem des ß umsurft wurde.

Dann heisst es statt «Reden wir über Geld» als Spitzmarke «Interview mit Extremsportler». Damit war aber die Sport-Redaktion von Tamedia, offenbar alle ungedopt, erschöpft; der Lead wurde eins zu eins übernommen, nach der Einleitung folgt auch bei Tamedia: «Ein Gespräch über zähe Jahre ohne Sponsoren, Entwicklungsarbeit im Windkanal und seine Suche nach noch gewaltigeren Brechern.»

Tamedia wiederholt sich, jedes Mal schlimmer. ZACKBUM wiederholt sich: Dafür Geld zu verlangen, ist eine Frechheit. Ein Trauerspiel des Journalismus. Eine Leserverarschung. Eine Aufforderung an die wenigen verbliebenen Abonnenten: verpisst euch – oder lest doch einfach die Süddeutsche, dann wisst ihr schon vorher, was bei Tamedia erscheinen wird.

Hilfe, mein Papagei onaniert: die SoZ

Wir nehmen uns eine einzige Sonntagszeitung vor. ZACKBUM ist auch nur ein Mensch.

Das gibt’s für Fr. 6.40:

Die grosse Aufmacherstory, wie zu erwarten:

Vielleicht hätte man eher so titeln sollen: Jetzt verkleben sie sich schon den Kopf. Aber natürlich ist auch die SoZ hin und hergerissen, ob sie die Klebe-Aktionen toll, fragwürdig oder bescheuert finden soll.

Gleich zwei Redaktoren braucht die Abfassung einer Nonsens-Meldung:

Die Dame hat inzwischen gleichviel Chancen wie Christoph Blocher, die Nachfolge Maurers anzutreten …

Aber nun die positive Meldung der Woche, ein Lösungsansatz für die Energiekrise:

Mehr solche Gesetzesbrecher, mehr Windräder, und wir können dann doch die AKW stilllegen.

Was soll man über den neuen britischen Premier schreiben, wenn man nichts über ihn zu schreiben weiss? Einfache Sache, meint die SoZ.

Da machen wir doch copy/paste eines Artikels des Korrespondenten der «Süddeutschen Zeitung» Arne Perras. Der von Singapur aus einen tiefen Einblick in indische Angelegenheiten hat. Er ist immerhin näher dran als Christof Münger, der Auslandchef ohne Ausland von Tamedia.

Weiter unaufhaltsam auf dem Weg nach unten ist das Gefäss «Fokus». Diesmal nicht nur ein Interview als Aufmacher, sondern auch ein Beitrag zur Rubrik «was macht eigentlich ...»:

In ihrer Schludrigkeit ist die SoZ nicht einmal in der Lage, dem Leser im Lead die Information zu gönnen, von wem denn eigentlich das Zitat ist. Rudolf Strahm heisst der Politik-Rentner.

So lobt man sich den «Wissenschaftsjournalisten»:

Felix Straumanns launiger Beitrag ist mindestens so sachlich, faktenorientiert und wissenschaftlich wie diese Karikatur.

Nun kommen wir zum nächsten Beitrag zum Thema «Leser dürfen zuschauen, wie Journis ihren Bauchnabel betrachten».

Ein halbseitiges Symbobild, ein schnarchlangweiliger «Erfahrungsbericht», fertig ist eine weitere Seite Leserverarschung.

Nun aber der IQ-Test für ZACKBUM-Leser. Worüber schreibt man, wenn die Skisaison näherrückt, aber noch nicht wirklich da ist? Na? Richtig, Gratulation, natürlich über das Thema Kunstschnee.

Und was bietet die «Wirtschaft»? Einen Knaller, der Nik Walter sicherlich gefällt:

Denn bleibt dort die Küche kalt, wird weniger geschmatzt, geschlürft und gekaut.

Nein, lieber Leser, das ist kein bezahltes Inserat. Es ist schlimmer, es ist ein unbezahltes Inserat. Ausser, ein solches Gerät steht nun beim zuständigen Journi rum:

Ist das hier ein bezahltes Inserat?

Aber nein. «Der 340 PS leistende Handschalter» mit «Fahrspasssituationen», der als «3,0-Liter-Modell ab 64’900 Franken startet», wurde von der Redaktion nach ökologischen, energiesparenden und Nachhaltigkeitskriterien ausgewählt.

Was bekommt man für Fr. 6.40? Kleingeld, Trinkgeld, schmales Münz. Rezykliertes, Langweiliges und Rechthaberisches. Nabelschau, absurde Reise- und Autotipps. Schnarchinterviews, während Recherche, elegante Schreibe, geistige Anregung Pause macht.

Pause? Oder endgültig eingespart.

Wumms: Lisa Nienhaus

Die «Süddeutsche» hat eine neue Wirtschafts-Chefin.

Da mag der Schweizer Leser noch «na und?» sagen. Also stellen wir einen Schweizer Bezug her. Die Chefredaktorin der «Süddeutschen Zeitung» Judith Wittwer freue sich auf eine «ausgezeichnete Wirtschaftsjournalistin». Wittwer? War die nicht mal was beim «Tages-Anzeiger»? Na, egal.

Seit 1. Oktober amtiert Nienhaus, und schon liefert sie ein erstes Müsterchen ihrer überragenden Kompetenz. «Mann des billigen Geldes», titelt die SZ ihren Kommentar über den frischgebackenen Wirtschaftsnobelpreisträger Ben Bernanke. Der war während der Finanzkrise eins Chef der mächtigsten Notenbank der Welt, des FED.

Wer immer noch «na und?» sagt:

Der Qualitätskonzern Tamedia übernimmt einfach diesen Kommentar und nennt ihn grossspurig in «Analyse» um. Ausserdem spitzt man den Titel noch etwas an. Damit ist allerdings die Energie der Wirtschaftsredaktion bereits erschöpft, denn sie lässt solche Sätze im Text (es gab auch Kritik an Bernankes Notenbankpolitik): «Ganz besonders in Deutschland. Hierzulande werden Staatsanleihekäufe durch die Notenbank traditionell besonders kritisch gesehen …»

Hierzulande? Hilfe, ist für Nienhaus die Schweiz bereits Bestandteil Deutschlands? Oder für die Tagi-Redaktion? Oder ist es einfach Unvermögen? Wer den heutigen Journalismus kennt, setzt auf Inkompetenz.

Auf Inkompetenz der Tagi-Wirtschaftsredaktion. Allerdings bekleckert sich Nienhaus auch nicht gerade mit Ruhm und Ehre mit ihrem ersten grossen Kommentar im neuen Amt. So behauptet sie, Bernanke «prägte die sogenannte unkonventionelle Geldpolitik mit massenhaften Ankäufen von Anleihen durch die Notenbanken und unbegrenztem Geld für die Banken … Es war eine regelrechte Geldschwemme, die die Notenbanker nach 2008 gezielt verursachten. Sie war ein Novum – und Ziel von herber Kritik».

Ein Novum? Der Mann habe das billige Geld erfunden? Ohne Nienhaus zu nahe treten zu wollen, so jung ist sie nun auch nicht, dass sie sich nicht an Alan Greenspan erinnern könnte. Den Erfinder des billigen Geldes, der Geldschwemme, der unmässigen Aufblähung der Geldmenge, der Erfinder des Gratis-Gelds. In seiner Amtszeit schwoll die Geldmenge M3 von 3,6 Billionen US-Dollar auf 10.3 Billionen an, um 284 Prozent. Immerhin räumte er, im Gegensatz zu Bernanke, nach Ende seiner Tätigkeit ein, schwere Fehler begangen zu haben.

Also, Greenspan, nicht Bernanke. Der im Übrigen auch nicht sofort der Finanzkrise mit einer Geldschwemme begegnete, sondern ziemlich herumeierte, Banken rettete (Bear Sterns) oder hopsgehen liess (Lehman).

Mit einem solchen Kommentar wäre Nienhaus selbst an der HSG nicht ungerupft davongekommen, so viele Fehler enthält der. Aber für Tamedia ist das alles kein Grund, ihn nicht eins zu eins zu übernehmen.  Unfähigkeit paart sich eben gerne mit Inkompetenz.

Kuba ist weit weg

Erschütterndes Niveau der Auslandberichterstattung bei Tamedia.

Am 5. August veröffentlichte der Redaktor der «Süddeutschen Zeitung» Benedikt Peters den Artikel «Ans Eingemachte. Auf der sozialistischen Karibikinsel öffnet nach vielen Jahren wieder eine Marmeladenfabrik. Doch den eklatanten Mangel kann das nicht überdecken», vermeldete der Recherchierjournalist, der für solche Analysen überqualifiziert erscheint: «Stammt aus Mönchengladbach und ist immer wieder gern im Rheinland, wo er inzwischen eine zauberhafte Nichte hat», vermeldet seine Autorenseite.

Diese News hat Peters natürlich nicht etwa vor Ort recherchiert, sondern im Internet. Denn schon vor einigen Wochen berichteten diverse spanischsprachige Medien innerhalb und ausserhalb der Insel darüber. Also kalter Kaffee aufs Brötchen, sozusagen. Aber nicht so alt, dass ihn Tamedia nicht nochmal aufwärmen würde.

Nach zehntätiger Bedenkzeit überrascht das Haus des Qualitätsjournalismus am 15. August mit diesem Artikel:

Einfach einen schlechteren Titel drüberkleben, den Lead etwas einschweizern, schon hat die Auslandredaktion ihres Amtes gewaltet. Wir vermissen nur einen fäustelnden Kommentar des Auslandchefs Christof Münger. Aber vielleicht kommt der noch.

Nun ist das Abschreiben spanischer Quellen die eine Sache. Das Recherchieren von zusätzlichen Fakten eine andere. Peters will einen Einblick in die Lebensmittelkosten geben. Ein Karton Eier koste inzwischen 1200 Pesos. Auf dem Schwarzmarkt. Das ist noch einigermassen realistisch, der Durchschnittspreis liegt bei 1000 Pesos für 30 Eier. Auch den Preis für einen Liter Speiseöl hat Peters korrekt gegoogelt: 700 Pesos.

Was dem fernen Kuba-Kenner allerdings entgangen ist: bis heute existiert noch die sogenannte «Libreta», eine Rationierungskarte, auf der Grundnahrungsmittel wie Reis, Bohnen, Zucker, Salz, Speiseöl oder Milchpulver für Kinder sowie spezielle Diätnahrung für Schwangere oder Chronischkranke zu staatlich subventionierten Preisen abgegeben werden. Zwar in bescheidenen Quantitäten, aber dafür kostet das alles den Kubaner kaum mehr als 50 Pesos.

Natürlich machen solche Zahlen nur Sinn, wenn man sie mit den Einkommen vergleicht. Und da hat Peters schwer danebengehauen beim Googeln. «Eine Ärztin», also wohl auch ein Arzt, verdiene «5000 Pesos im Monat». Da würden Ärztinnen und Ärzte aber eine Flasche Rum aufmachen, wäre das so. In Wirklichkeit oszilliert das Jahresgehalt zwischen 13’000 bis maximal 40’000 Pesos.

Wir betreten ganz dünnes Eis mit einer Angabe zum Durchschnittseinkommen in Kuba. Denn statistische Angaben sind auf der letzten Insel des Sozialismus eine ziemlich schmutzige kapitalistische Erfindung. So etwas wie ein statistisches Jahrbuch gibt es nicht, den Zahlen, die gelegentlich aus der Staatsbürokratie heraustropfen, kann man glauben – oder auch nicht. Aber sagen wir mal rund 1000 Pesos im Monat. Welche Kaufkraft haben die nun? Wenn wir den Wechselkurs zur weiterhin inoffiziellen Zweitwährung US-Dollar nehmen, entspricht das etwas mehr als 8 Dollar.

Nun weiss Peters noch, dass «seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion Anfang der 1990er-Jahre und dem damit einhergehenden Wegfall der sozialistischen Wirtschaftshilfe Kuba in einer Art Dauerkrise» stecke. Auch das ist Unsinn; es gab die «spezielle Periode in Friedenszeiten» bis zur Jahrtausendwende, als in Venezuela eine linke Regierung an die Macht kam und die Rolle der Sowjetunion übernahm. Bis sie selbst vor ein paar Jahren in existenzielle Probleme geriet und die brüderliche Unterstützung zurückfahren musste.

Das und der Zusammenbruch der zweitwichtigste Deviseneinnahmequelle Tourismus durch die Pandemie treiben inzwischen Kuba an den Rand. Bis zu 18-stündige Stromausfälle im brütend heissen Sommer, mitverursacht durch ständige Ausfälle der angejahrten Ölkraftwerke. Versorgungsprobleme aller Art, Kleptokratie, Schlamperei, Korruption, Behördenversagen wie im Fall des Grossbrands eines Tanklagers in Matanzas, bei dessen Bekämpfung 17 Feuerwehrleute starben, das sind die wahren Probleme Kubas heute.

Peters sieht da ganz andere Ursachen: «Schuld an der Misere sind verunglückte Wirtschaftsreformen der Regierung ebenso wie US-Sanktionen, die zum grossen Teil noch unter Ex-Präsident Donald Trump beschlossen wurden.» Der zweite Grund ist die ewige Entschuldigung des Regimes für hausgemachtes Versagen. Abgesehen davon, dass die US-Sanktionen seit Jahrzehnten in Kraft sind. Eine fruchtbare subtropische Insel, die über 80 Prozent ihrer Nahrungsmittel importieren muss, darunter auch Zucker (und bis vor der Revolution Nettoexporteur von fast allem war), es braucht keine weiteren Zahlen, um das krachende Versagen der Revolution in der Landwirtschaft und in der Wirtschaft zu belegen.

Seit dem Tod des charismatischen Fidel und dem Rückzug seines Bruders Raúl Castro von öffentlichen Ämtern sieht man zum ersten Mal immer wieder Protestaktionen der Bevölkerung. Trotz drakonischen Strafen von bis zu 12 Jahren für die blosse Teilnahme an einer Manifestation gelingt es dem Regime nicht, solche Zeichen des zunehmenden Unbehagens zu unterdrücken.

Mit einem hat Peters dann allerdings wieder recht: alleine in den letzten Monaten haben über 140’000 Kubaner ihre Insel fluchtartig verlassen. Vor allem Jugendliche sehen keinerlei Zukunftsperspektive mehr und haben eigentlich nur einen Wunsch: nix wie weg.

DAS ist offenbar auch der unermüdlich arbeitenden Auslandredaktion von Tamedia aufgefallen. Denn, wozu gibt’s das Digitale, wieso nicht einen schlechten Titel durch einen anderen ersetzen und den Lead noch etwas umformulieren? Merkt doch keiner (leider doch). Also sah die Einschenke nach wenigen Stunden dann so aus:

Weg mit der Konfi im Titel, aber der Inhalt bleibt gleich …

Kuba ist kompliziert – und faszinierend. Oberflächliche und uninformierte Ferndiagnosen, aufgezäumt an einer völlig unwichtigen Ankündigung der möglichen Wiedereröffnung einer Marmeladenfabrik, sind eine Schande für ein Qualitätsorgan, das für solche Leistungen aus dritter Hand auch noch Geld verlangen will. Ein solcher Bericht ist keinen Peso wert.

Der Blöd-«Blick» verstolpert sich allerdings schon beim Setzen eines korrekten Titels, Luft nach unten ist immer:

Vielleicht hätte Erklärungsnot nicht mehr auf die Zeile gepasst, also wurde das Wort passend gemacht …

Shit Parade

Was wummernde Bässe und nz, nz, nz bei der Sonntagspresse auslösen.

Es ist natürlich blöd, wenn man ein Sonntagsblatt zusammennageln muss, während vor dem Glasholzhaus an der Werdstrasse Bässe wummern, die Wiederholung des Ewiggleichen gute Laune macht und mehr oder minder rhythmische Zuckungen auslöst. Draussen auf der Strasse, wo das Leben lebt und feste gefeiert wird. Da kann man sich schon mal vergreifen:

Wir wollen keinem und keiner der hier Aufgeführten zu nahe treten. Aber das sollen alles kluge Köpfe sein? Abgesehen davon, der Blattmacher rief mal wieder in die Runde: Ukraine? Wir brauchen was zur Ukraine. Unbedingt! Und das bekam er dann:

Da soll noch einer sagen, dass der Krieg nicht auch seine guten Seiten habe. Die Bewährungsprobe für alle Diversen und Non-Binären.

Sparmassnahmen und die Übernahme von immer mehr Inhalten aus München hat allerdings eigentlich nur schlechte Seiten; zum Beispiel diese hier:

Denn was interessiert den Schweizer Leser ein Interview mit dem deutschen Wendehals-Wirtschaftsminister Habeck, der von Wirtschaft ungefähr so viel versteht wie eine Kuh von Foxtrott? Die beiden Interviewer von der «Süddeutschen Zeitung» gehen mit ihm deutsche Themen durch, die für deutsche Leser der SZ sicherlich interessant sein mögen.

Auf Seite 9 wird’s dann einen Moment lang schwierig-schmierig:

Völlig zu Recht erregen sich hier zwei Autoren der SZ darüber, dass der feige Mordanschlag auf den Schriftsteller von iranischen Medien bejubelt wird. Sie können ja nicht wissen, dass der Schmierenjournalist Andreas Tobler im «Tages-Anzeiger» den Mordaufruf «Tötet Roger Köppel!» als «Theatermord» verharmloste und ihn als «Reaktion» auf Auftritte von Köppel im deutschen Fernsehen «verstanden werden» wollte, es sei halt «eine Künstleraktion» im Sinne von Schlingensief, meinte der Kunstkenner feinsinnig. Blöd halt, wenn man auch solche Inhalte aus dem Ausland kopiert, wo man diese abscheuliche Unterscheidung zwischen fundamentalistischen und künstlerischen Mordaufrufen nicht kennt.

Zu den wenigen sicheren Werten der SoZ gehört allerdings Peter Schneider, das muss man immer wieder sagen:

Bislang fehlt aber ein Standard in der SoZ. Welcher? Ah ja, Prügel für die SVP. Et voilà:

So wummert es dumpf dahin in der SoZ, und ZACKBUM wollte bereits gähnend aufgeben, als wir plötzlich hellwach, erregt und feministisch entrüstet diese Schlagzeile lesen mussten:

Ein Loblied auf den Tanga? Die Fortsetzung des Arschgeweihs mit wenig Stoff? Die Reduzierung der Frau auf die lüsterne männliche Sicht, Sexobjekt, Diskriminierung, wir fassen es nicht. Das wäre bei Salomé Müller nicht passiert. Wo bleibt Aleksandra Hiltmann? Wo bleiben Andreas Tobler und Philipp Loser und all die anderen Genderpäpste? Das muss Folgen haben.

Solche Bilder wollen wir nie mehr in der SoZ sehen:

Erschwerend kommt noch hinzu, dass das Foto von Christina Aguliera aus dem Jahr 2000 stammen soll …

Wir mussten hier die Lektüre entrüstet abbrechen, weil wir uns unwohl in dieser frauenfeindlichen Umgebung fühlten. Zum Ausgleich lasen wir wieder mal «Angst vorm Fliegen» von Erica Jong.

Und sagen pfui, pfui, pfui zu solchen Fotos, die wir wohl demnächst auch in der SoZ abdecken müssen:

Wir wollten uns auf diesen Schock in der Gazette für die gehobenen Stände, im Zentralorgan der intellektuellen Überlegenheit, im Blatt für Brainfood erholen.

Hurra, die ganze Frontseite ist ukrainefrei! Da nehmen wir sogar – echt jetzt? – eine Aufmacherstory über vegetarische Hunde in Kauf, obwohl das für uns an Tierquälerei grenzt. Verschlimmert wird es dadurch, dass dieser vierbeinige Freund offenbar auch noch zum Barbesuch animiert wurde.

Einen wummernden Tiefpunkt erreicht die NZZaS bereits auf Seite 3. Da lässt sich Peer Teuwsen über den Mordanschlag auf Salman Rushdie aus. Es gelingt ihm dabei, den Leser gleich mit den ersten Sätzen zu vergrätzen, zu verstimmen, ihn sich angewidert abwenden zu lassen. Denn wie peinlich ist es, wenn ein Autor den Überlebenskampf des Schriftstellers als Einleitung zu dieser eitlen Selbstbespiegelung nimmt:

«In diesen Stunden, in denen Salman Rushdie in einem Krankenhaus in Erie, Pennsylvania, liegt, künstlich beatmet, unfähig zu sprechen, erinnert man sich gerne an ein Abendessen mit dem Schriftsteller zu Beginn der 2000er Jahre in der Zürcher «Kronenhalle».»

Erinnert man sich gerne? Da kommt einem ja das Frühstück, das Mittag- und das Abendessen hoch, ob dieser bodenlosen Geschmacklosigkeit. Aber der Adabei ist noch nicht fertig mit seiner Erinnerung:

«Er war auf Lesereise in Europa, in Begleitung seiner vierten Frau, der Amerikanerin Padma Lakshmi, die als Schauspielerin, Model und Fernsehmoderatorin tätig ist. Der Auftritt des Ehepaares versetzte das Publikum im edlen Zürcher Traditionsrestaurant in hörbare Aufregung, was an diesem Ort, wo sich die Prominenz die Klinke in die Hand gibt, eine Seltenheit darstellt.»

Die Aufregung, in die diese Zeilen den Leser versetzen, wollen wir aus juristischen Gründen nicht hörbar machen. Ein Pfuiteufel soll genügen.

Anschliessend wird’s auch nicht viel besser:

Denn was macht der vorsichtige Journalist, wenn er nichts Neues zu berichten hat und deshalb einen Blick in die Glaskugel wagt? Genau, er entwickelt «vier Szenarien», wie’s weitergehen könnte. Hat er Schwein, trifft eines davon ein, hat er Pech, vertraut er aufs Vergessen des Lesers.

Ständiger Grund zur Aufregung ist die Medienspalte, also das, was von der einstmals kompetenten Medienbeobachtung auf einer eigenen Medienseite übrig geblieben ist. Neben einem schreibenden Rentner meldet sich hier die «Redaktionsleiterin Folio» regelmässig zu Wort. Diesmal hat Aline Wanner einen bunten Strauss von Tipps für «Arbeitgeber, die konkurrenzfähig bleiben möchten». Da gibt es zwei Möglichkeiten. Sie zielt damit subversiv auf das eigene Haus, insbesondere auf die NZZaS, die doch eine gewisse Fluktuation zu verzeichnen hatte. Oder aber, sie will der Konkurrenz unter die Arme greifen. In beiden Fällen sind ihre Tipps aber nz, nz, nz. Eine lachhaft-gähnlangweilige Wiederholung von Gemeinplätzen, wie sie jeder Unternehmensberater aus dem Stehsatz holt. Bevor ihm die Tür gewiesen wird:

«Wer gute Leute will, muss eine Idee haben und aktiv auf sie zugehen. Eine Marke zu sein, reicht nicht, marktkonforme Löhne hingegen helfen. Machtmissbrauch, Mikromanagement und Mobbing kommen nicht gut an, besser ist es, grosszügig und transparent zu sein, Freiheiten zu bieten, in eine moderne Führung zu investieren. Viel Erfolg!»

Wann bekommen wir eine Beschreibung der Umsetzung im «Folio»?

Uns sonst? Weitere Synkopen, Musikfetzen, Loops, Schleifen, welche Sprach-DJs bespassen den Leser weiter? Da kann man leider nur Shakespeare zitieren. Mit der Ausnahme eines interessanten Artikels über eine merkwürdige Sprache: the rest is silence

Das gilt übrigens auch für den «SonntagsBlick». Nz, nz, nz, nz. Nz, nz, nz, nz. Nz, nz, nz, nz. Nz, nz, nz, nz. Nz, nz, nz, nz. Nz, nz, nz, nz. Nz, nz, nz, nz.

Logik kaputt

Der SZ-Redaktor Joachim Käppner vergewaltigt öffentlich die Logik und missbraucht Stalingrad.

Man übernimmt nicht ungestraft jeden Unsinn aus München – und quält erst noch den zahlenden Leser des Qualitätskonzerns Tamedia. Denn dort zieht einer vom Leder:

Bestürzend ist vielmehr die Ignoranz des Autors gegen Grundregeln der Logik.

Das ist allerdings kein Unfall, sondern ein bewusst herbeigeführter journalistischer Schadensfall. Der Autor behauptet: «Amnesty hat nämlich der russischen Kriegspropaganda ein unverhofftes Geschenk gemacht.» Damit zeige die NGO eine «atemberaubende Ignoranz gegenüber den Opfern eines Zerstörungskrieges». Früher nannte man das bei ihm zu Hause Defätismus und Übernahme von Feindpropaganda.

Dann wird Käppner noch teutonisch-geschmacklos: «In der seltsamen Logik des Ukraine-Berichts müsste man auch der Roten Armee, als sie 1942 Stalingrad gegen die Wehrmacht verteidigte, völkerrechtswidriges Verhalten vorwerfen. Obwohl noch Zivilisten in der Trümmerstadt waren, kämpften die sowjetischen Soldaten um jedes Haus. Was hätten sie sonst tun sollen

Worin besteht seine verkehrte Logik? Amnesty International hat einen Bericht über ukrainische Kriegsverbrechen veröffentlicht. Jeder, der ihn liest, hat keinen Zweifel daran, dass die aufgeführten Beispiele sorgfältig untersucht und belegt sind. Seine Zusammenfassung:

  • Wohngebiete, Schulen und Krankenhäuser dienen als Militärstützpunkte

  • Angriffe aus dicht besiedelten zivilen Gegenden provozieren Vergeltungsschläge

  • Diese Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht rechtfertigen allerdings nicht die wahllosen Angriffe Russlands mit zahllosen zivilen Opfern

AI untermauert diese Vorwürfe, was ausführlich zitiert werden muss:

«Zwischen April und Juli verbrachten Expert*innen von Amnesty International einige Wochen damit, russische Angriffe in den Regionen Charkiw und Mykolajiw und im Donbass zu untersuchen. Sie untersuchten Orte, an denen Angriffe stattgefunden hatten, sprachen mit Überlebenden, Zeug*innen und Angehörigen der Opfer, und führten Fernerkundungen und Waffenanalysen durch.

Bei diesen Untersuchungen fanden die Amnesty-Mitarbeiter*innen in 19 Städten und Dörfern dieser Regionen Belege dafür, dass ukrainische Truppen aus dicht besiedelten Wohngebieten heraus Angriffe durchführten und Stützpunkte in zivilen Gebäuden einrichteten. Das «Crisis Evidence Lab» von Amnesty International hat einige dieser Geschehnisse zusätzlich durch die Auswertung von Satellitenaufnahmen bestätigt.

Die meisten der als Stützpunkte genutzten Wohngebiete befanden sich mehrere Kilometer hinter der Front. Es wären tragfähige Alternativen verfügbar gewesen, die keine Gefahr für die Zivilbevölkerung bedeutet hätten – wie zum Beispiel nahegelegene Militärstützpunkte oder Waldstücke oder andere weiter entfernte Gebäude. In den von Amnesty International dokumentierten Fällen liegen keine Hinweise darauf vor, dass das ukrainische Militär die Zivilpersonen in den Wohngegenden aufgefordert oder dabei unterstützt hätte, Gebäude in der Nähe der Stützpunkte zu räumen. Dies bedeutet, dass nicht alle möglichen Vorkehrungen zum Schutz der Zivilbevölkerung getroffen wurden.»

Gleichzeitig stellt AI klar, wer der Aggressor und Verursacher des Krieges ist: «Bei der Abwehr des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs hat das ukrainische Militär wiederholt aus Wohngebieten heraus operiert und damit Zivilpersonen in Gefahr gebracht. … Gleichzeitig rechtfertigen die ukrainischen Verstöße in keiner Weise die vielen wahllosen Schläge des russischen Militärs mit zivilen Opfern, die wir in den vergangenen Monaten dokumentiert haben. Wahllose Angriffe, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet werden, sind Kriegsverbrechen.»

Selbstverständlich hatte AI zuvor auch russische Kriegsverbrechen dokumentiert und kritisiert. Im Gegensatz zur Absurd-Logik des deutschen Demagogen Käppner gibt es keine guten oder schlechten, keine gerechtfertigten oder ungerechtfertigten Kriegsverbrechen. Es gibt keine für die gute Sache, über die man daher schweigen muss, während man Kriegsverbrechen für die schlechte Sache anzuprangern hat.

Um in seiner Unsinns-Logik zu bleiben: die Massenvergewaltigungen durch Soldaten der Roten Armee während des Einmarschs ins Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg waren Kriegsverbrechen. Sie sind nicht entschuldbar, aber zumindest verständlich, wenn man bedenkt, welche unsäglichen Nazi-Verbrechen diese Soldaten sehen mussten, als sie von den Faschisten okkupierte Teile der Sowjetunion befreiten.

In Stalingrad verteidigte die Rote Armee tatsächlich Haus um Haus, sie wählte aber nicht absichtlich Schulen oder Krankenhäuser als Militärstützpunkte. Wer dieses Beispiel anführt, müsste zwangsweise von Wassili Grossmann «Leben und Schicksal» sowie «Stalingrad» lesen müssen. Denn der war da und hat’s aufgeschrieben. In einer Weise, die dem Leser das Herz beklemmt. Auf dass Käppner niemals mehr so geschmacklos über diese unsägliche Tragödie schreibe und überhaupt die Schnauze halte.