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Ein (vorläufig) letztes Mal Auschwitz

Wenn man ernsthaft über die Frage nachdenkt, ob und wie man das Wort verwenden darf.

Was immer mehr um sich greift: das geliehene Leiden, die geklaute Empörung. Die Stellvertretergefühle, weil innen drin alles aus Plastik ist und stumpf. Es gibt Menschen, die ritzen sich. Um sich zu spüren, um sich wenigstens durch Schmerz zu spüren.

Das ist bedauerlich und man wünscht Heilung. Aber es gibt immer mehr Rumkrakeeler, deren Geist, deren Wissen, deren Fähigkeit zur erkenntnisfördernden Debatte voller Löcher ist. Zerfranst, in Fetzen von ihren unschönen Leibern hängt.

Die sich nur über erfundene, nicht empfundene Leiden mitteilen können. Sich nur als Opfer sehen möchten. Sehr selten von Leiden, das ihnen tatsächlich zugefügt wird. Meistens von Leiden, das sie behändigt haben. Gestohlen. So wie es immer wieder traurige Gestalten gibt, die sich eine jüdische Familiengeschichte mit der Holocaust-Tragödie erfinden.

Das ist auch krank. Schwer heilbar, löst keinerlei Mitgefühl aus. Womit wir mitten im Thema wären. «Tanz den Adolf Hitler», titelte Jahre zurück mal einer in der deutschen taz, der täglichen Ausgabe der WoZ. Provokation, Aufschrei, Ziel erreicht. «Ich liebe den Geruch von frischem Napalm am Morgen», das zweitbeste Zitat aus «Apocalypse now». «Der Führer war ein armes Schwein, er hatte keinen Führerschein.» Darf man das witzig finden?

Wer darf was, und wer entscheidet das?

Durfte Charlie Chaplin «The great Dictator» machen? Er selbst sagte doch, dass er den Film vielleicht nicht gedreht hätte, hätte er um alle Greuel und Verbrechen der Nazis gewusst. Hätte dann auch Lubitsch «To be or not to be» nicht machen dürfen? Gibt es eine Banalität des Bösen, gibt es Worte, die in so dunkle Zonen führen, dass sie gemieden werden sollten? Hat Claude Lanzmann seine gewaltige Dokumentation «Shoa» umsonst gefilmt? Raul Hilberg sein Lebenswerk über die Vernichtung der europäischen Juden vergebens geschrieben? Kogon seinen SS-Staat, wurden alle Braunbücher umsonst verfasst? Das Tagebuch der Anne Frank? «Erfolg» von Feuchtwanger, die wohl präziseste Darstellung der Gesellschaft, aus der die braune Pest entsprang?

Haben sich alle vergeblich geopfert (oder sind geopfert worden), weht nur der Wind über die Gräber der 98-Prozent-Generation? Das ist der Jahrgang sowjetischer Soldaten und Helden, von dem nur zwei Prozent überlebten? Darf eine dumme Kuh wie Simone Meier schreiben, dass die Juden unter Hitler «gecancelt» wurden?

Ja, das darf sie. Unbedingt. Das verstösst gegen kein Gesetz, und das muss der einzige Massstab sein, um Worte zu verbieten. Sie darf sich unsterblich blamieren, lächerlich machen, Abscheu erregen mit ihrer Indolenz und Unfähigkeit zur Selbstreflexion. Sie darf auch entsprechend niedergemacht werden. Das gehört alles zur Debatte in einer freien Gesellschaft.

Wer gefährdet das freie Wort, die Debatte?

Davon gibt es nur kleine Inseln auf der Welt. Einige in Europa. Die USA. Englische Ex-Kolonien, denn dort überlebte Demokratie. In spanischen, portugiesischen oder holländischen wurde sie nicht einmal versucht. Auf diesen Inseln gilt das freie Wort. Noch. Das macht sie so erfolgreich. Deswegen werden sie von finsteren Gottesstaaten so beneidet. Die ihr mittelalterliches Dunkel wieder über Europa bringen wollen.

Mit Terror, Zerstörung und dem Appell an unsere Toleranz. Dass wir ihnen erlauben, ihr Werk zu verrichten und den Tschador des Grauens auch über die Schweiz zu legen. Dabei haben sie dumme Helfershelfer, die Religionsfreiheit krähen, die Toleranz fordern, Respekt auch, keine postkoloniale Arroganz. Das Annehmen, Tolerieren fremder Sitten und Gebräuche. Gut, Klitorisbeschneidung vielleicht nicht, auf jeden Fall nicht in der Schweiz. Aber sonst? Seid umarmt, finstere Gestalten des Mittelalters.

Wer solchen Brei im Hirn hat, spielt sich auch gerne als Grossinquisitor in vermeintlich eigener Sache auf. Gibt es etwas Lächerlicheres als weisse, verwöhnte Kids, deren grösste Erfahrung von Diskriminierung darin bestand, dass sie einmal nicht sofort das neue iPhone kaufen konnten? Gibt es etwas Lachhafteres, als wenn die niederknien, schuldbeladen das Haupt beugen und «Black Lives matter» grölen? Gestohlenes Leiden, unterfüttert mit einer erfundenen Geschichte der Beteiligung am Sklavenhandel der Schweiz.

Das ist ekelerregend. Die Gleichen, Arm in Arm mit vielen anderen, hören das Wort Auschwitz. Wie pavlovsche Hunde fangen sie an zu sabbern, zu winseln, zu bellen. Anlass, Umfeld, Zusammenhang, Absicht? Völlig egal, viel zu kompliziert. Der Autor des Wortes ist weder als rechtsradikaler Flachdenker, noch als skrupelloser Haudrauf bekannt? Na und? Der Autor hat mehr Kultur und Kenntnisse unter seinem linken Fingernagel als die meisten dieser Schreihälse im Kopf? Na und?

Glocke, Fresschen, sabber. So einfach muss das sein. Adolf Muschg, Vergleich mit Auschwitz, laber. Dem aufdringlichen Hund wird mit einem «pfui» begegnet. Ebenso dem Verwender des Wortes Auschwitz.

Die Kritik an der Ausgrenzung ist berechtigt

Wobei sich seine Kritiker nicht mal einig sind, ob man dieses Wort überhaupt nicht verwenden sollte, immer als Symbol für eine unvorstellbare Steigerung des Grauens, oder nur nicht als Vergleich zu irgendwas. Die Killing Fields der Roten Khmer in Kambodscha? Kein Auschwitz. Stalins Gulags? Kein Auschwitz. Die Massaker in Afrika der Kolonialherren? Kein Auschwitz. Die weitgehende Ausrottung der Urbevölkerung in Nord- und Südamerika? Kein Auschwitz.

Die völlig berechtigte, analytisch hergeleitete Kritik an der Abstemplung, Ausgrenzung durch diese fanatischen Rechthaber, im Besitz der Wahrheit und der Entscheidungskompetenz? Verbunden mit dem Wort Auschwitz? Niemals. Da sind diese Schreihälse sogar zu blöd, um zu merken, dass sie sich genauso verhalten, wie Muschg zu Recht kritisiert. Selten ist eine philosophische Betrachtung so direkt und brutal in der Realität bestätigt worden.