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Zahlen für Schrott

Auch bei CH Media gibt es eine Bezahlschranke. Leistung, Qualität. Ätsch, reingefallen.

Der Autor Stefan Ehrbar hat sich vom Sachbearbeiter Zahlungsverkehr zum freien Journalisten und schliesslich zum Journalist «Vollzeit» bei CH Media hochgearbeitet. Das ist eine Karriere. Bei CH Media wird alles – ausser dem Lokalen – von einer Zentralredaktion in Aarau abgefüllt. Daher prangte bei sämtlichen Kopfblättern online zuoberst ein Werk des Vollzeitjournalisten: «Sexismus? Postfinance sucht Leute, die Arbeitszeit «nicht dem Kampf für Gleichberechtigung» widmen – und will es gut gemeint haben.»

Diesen Titelbandwurm versteht nun nicht jeder Leser. Aber der zahlende kann hinter der Aboschranke auf Aufklärung hoffen. Ist Ehrbar hier einem Skandal auf der Spur? Werden ausgerechnet bei der Postfinance Frauen gemobbt, sexuell belästigt, marginalisiert, abgewertet, ignoriert?

Zunächst hat Ehrbar nix zu meckern: «Die Post-Finanztochter Postfinance hat theoretisch alles richtig gemacht für ein gendergerechtes Stelleninserat: Sie sucht nach «Softwareentwickler:innen».» Das mag zwar gendergerecht erscheinen, ist aber schlichtweg eine Vergewaltigung der deutschen Sprache. Das lobt Ehrbar, tadeln muss er hingegen den Inseratetext auf Linkedin. Er beginnt launig damit, dass die gesuchte Person (darf auch männlich sein) sich mehr für den binären Unterschied zwischen 0 und 1 als für den genetischen zwischen XX und XY interessieren sollte.

Sollten lesende Blondinen (Achtung, Sexismus) das nicht kapieren, wird es noch ausgedeutscht: «Wir suchen Softwareentwickler:innen, die Ihre Arbeitszeit dem Banking der Zukunft und nicht dem Kampf für Gleichberechtigung widmen wollen.»

Das ist nun eigentlich ein verständlicher Wunsch eines Arbeitgebers, dass der nicht für Genderdebatten, sondern für die Herstellung von Software bezahlen will. Aber in den heutigen Zeiten sind für einige Marktteilnehmer Genderdebatten entschieden wichtiger: «Ihr solltet den Unterschied zwischen misogynem Mist und unbedarftem LinkedIn-Post herausarbeiten.» Leider verzichtet der Nutzer auf eine Erklärung, wie das die Postfinance anstellen sollte. Mit dem Fremdwort misogyn (für frauenfeindlich) ist er wohl an seine Grenzen gestossen.

Die überschreitet dann aber Agota Lavoyer, «Expertin für sexualisierte Gewalt», problemlos. Damit werte die Postfinance den Kampf um Gleichberechtigung massiv ab, will sie wissen. Aber es wird noch viel schlimmer: «Es sei nicht zuletzt der fehlenden Gleichberechtigung geschuldet, dass sexualisierte und häusliche Gewalt an Frauen in der Schweiz noch immer so verbreitet seien», zitiert Ehrbar die Expertin. Und versetzt Postfinance sozusagen noch den Todesstoss:

«Frauen würden auch alleine deswegen getötet, weil sie Frauen sind.»

Angesichts all dieser Weiterungen muss man geradezu von Milde sprechen, dass Lavoyer nur eine «unsäglich miserable Leistung» von Postfinance kritisiert. Die wehrt sich – natürlich mit untauglichen Argumenten: «Die Botschaft dieses Werbemittels ist, dass Gleichberechtigung bei Postfinance in der Kultur fest verankert und so normal ist, dass die Mitarbeiter:innen keine Zeit im Job dafür aufwenden müssen.»

Aber das Finanzhaus gelobt Besserung; es weiss, wie schnell es in einen Shitstorm geraten kann, auch ohne den geringsten nachvollziehbaren Anlass. Bleibt vielleicht noch die Frage, welche Qualifikationen eigentlich diese «Expertin für sexualisierte Gewalt» mitbringt. Auf ihrer Webseite, jetzt wird’s natürlich ganz heikel für einen männlichen Autor, verzichtet sie auf jede Angabe zu Aus- oder Weiterbildung. Ausser: «Als Opferhilfeberaterin habe ich in den letzten Jahren hunderte Opfer sexualisierter Gewalt begleitet.»

Damit hat sie sich dann offenbar einen festen Platz im Adressverzeichnis von Journalisten erobert: «Ich berate, rede, schreibe über gesellschaftspolitische Aspekte sexualisierter Gewalt, Opferberatung und Opferhilfe.» Damit hat sie es schon als «Studiogast» in den «Kassensturz» geschafft oder in die Spalten des Weltblatts «Hauptstadt». Ausserdem erscheine im Juni ihr «erstes Buch». Das sei ein «Kinderfachbuch zur Prävention sexualisierter Gewalt.» Das Wort «Buch» ist dehnbar; das Bändchen umfasst ganze 73 Seiten, für die stolze 23 € fällig sind.

Nun kann sich jeder (und jede) zum «Experten» für irgendwas ernennen, sei es auch nur durch Praxiserfahrung. Also eine Hausfrau ist sicherlich Expertin für den Haushalt. Ein Müllmann Experte für Müll.

Wieso aber ein Journalist eines angeblichen Qualitätsmediums hinter der Bezahlschranke einer solchen «Expertin» unwidersprochen das Wort erteilt und nicht merkt, dass sie ein launiges, aber sicher nicht sexistisches Inserat zu einem Skandal aufblasen will, der in letzter Konsequenz zur Ermordung von Frauen führe, das ist ziemlich niveaulos.

Genau wie sein eigener besserwisserischer Hinweis am Schluss des Artikels: «Möglicherweise kann die Post-Tochter aus der Episode etwas lernen: A/B-Testing, also das Ausprobieren zweier Versionen, ist nicht nur in der Softwareentwicklung nützlich – auch die Marketingverantwortlichen könnten sich damit künftig einigen Ärger ersparen.»

Allerdings ist er offensichtlich kein Experte für Software. Dort gibt es nämlich A/B-Testing nicht. Und wie soll das bei einem Stelleninserat gehen? Sexistische Variante A, politisch und gendermässig völlig korrekte Version B? Also ev. mit Ansprache der rund 164 verschiedenen sexuellen Orientierungen und dem Hinweis, dass Postfinance als Arbeitgeberin besonderen Wert auf Engagement im Kampf für Gleichberechtigung legt und kein Problem damit hat, wenn darunter die Softwareentwicklung leidet?

Oder einfach gefragt: wie frech muss man sein, um für so etwas auch noch Geld zu verlangen? Wie vernagelt muss man sein, wenn man sich wundert, wieso immer weniger Leser bereit sind, für einen solchen Schrott etwas zu bezahlen? Zugegeben, das sind sicherlich schrecklich sexistische Fragen eines Mannes, der eine oder einen Softwareentwickler garantiert nur nach seinen Kompetenzen einstellen würde, während ihm seine Einstellung zum Kampf um Gleichberechtigung eher egal wäre. Dem er/sie sich mit voller Energie widmen dürfte – nach Ablieferung einer dem Gehalt entsprechenden Leistung.