Meinungs-Anzeiger
Charlotte Walser rechnet mit dem Parlament ab.
Zusammen mit Sascha Britsko ist Charlotte Walser das Schicksal der ukrainischen Flüchtlinge in der Schweiz ein Herzensanliegen. Gibt es zunehmend Beschwerden, dass die Arbeitsfähigen nicht arbeitswillig sind, dann steuern die beiden mit ein paar unrepräsentativen Erfolgsstorys in der pluralistischen Forumspublizistik von Tamedia dagegen.
Dass geflüchtete Ukrainer mit dem Spezial-Schutzstatus S zunehmend für Unmut sorgen, weil es Schweizer gibt, die ein Leben lang arbeiteten und nicht dermassen viele Sozialleistungen beziehen können, na und. Das kratzt Walser doch nicht. Sie trauert wohl immer noch ihrer Tätigkeit für InfoSüd und die UNHCR, die UNO-Flüchtlingsorganisation, nach.
Also erhebt sie larmoyant Klage. Mit einem schön demagogischen Einstieg, der zwei Ereignisse zusammenstöpselt: «Die Ukraine war in den vergangenen Tagen wieder von schweren Angriffen betroffen – den schwersten seit Kriegsbeginn. Der heftige Raketenbeschuss hielt das Schweizer Parlament aber nicht davon ab, den Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge infrage zu stellen.»
Dass die parlamentarischen Mühlen langsam mahlen und der Zeitpunkt der Debatte überhaupt nichts mit schweren Angriffen zu tun hat – was soll’s, macht sich doch gut. Ausserdem stellte das Parlament den Schutzstatus S überhaupt nicht infrage. Was soll’s.
Aber, da muss Walser ganz streng werden, was erlauben sich die Parlamentarier? «Denn noch ist es – glücklicherweise – nicht das Parlament, das in der Schweiz entscheidet, welche Regionen auf der Welt sicher sind oder wem Verfolgung droht. Auch wenn es sich anmasst, diese Frage vom Ratssaal aus beurteilen zu können.»
Unglaublich, was sich Walser da anmasst, aus dem Glashaus an der Werdstrasse oder aus ihrer Verrichtungsbox massregeln zu können. Vielleicht ist es ihr nicht bekannt, dass nicht allzu wenige Ukraineflüchtlinge gerne Ferien machen – in der Ukraine. Denn weite Teile des Landes sind nach wie vor vom Krieg verschont. Aus diesem Grund, und das verschweigt Walser wohlweislich, will das Parlament den Schutzstatus S aberkennen, wenn sich der Flüchtling länger als 14 Tage nicht in der Schweiz aufhält. Schmerzlich, dass so die Ferien dramatisch verkürzt werden.
Zum Schluss ihrer kurzen Philippika geht Walser richtig in die Vollen:
«Welchen Schaden es mit dem Entscheid verursacht, scheint dem Parlament egal zu sein. Für ein bisschen symbolische Härte nimmt es in Kauf, mit dem Schweizer Alleingang die EU zu verärgern, die auf ein koordiniertes Vorgehen setzt. Es nimmt in Kauf, Russland als Aggressor zu erfreuen. Und es stösst die ukrainischen Flüchtlinge vor den Kopf. Die implizite Botschaft an sie lautet: Ihr seid hier nicht mehr erwünscht. Offenbar war es das mit Solidarität, zumindest im Bundeshaus. Ein trauriges Zeichen.»
Bevor wir die Taschentücher zücken oder uns gegenseitig ins Hemd heulen, schauen wir uns die Behauptungen genauer an. Die Schweiz könnte die EU verärgern? Die EU, die inzwischen selbst einräumt, dass sie die Flüchtlingsproblematik nicht im Griff hat, deren «koordiniertes Vorgehen» so aussieht, dass Mitgliedstaaten den Flüchtlingswahnsinn nicht mehr mitmachen und ihre Grenzen schliessen – oder Flüchtlinge einfach durchwinken, sich keiner an die Quotenregelungen halten will? Absurd.
«Russland als Aggressor erfreuen»? Was soll Russland denn freuen, wenn die Schweiz keine nicht asylwürdigen Flüchtlinge mehr aufnimmt? Absurd.
«Stösst Flüchtlinge vor den Kopf»? Wohl nur solche, die meinen, Asyl sei ein garantiertes Recht, das man nur einzufordern hat, und schon kann man seinen SUV auf Kosten des Schweizer Steuerzahlers auftanken und sich endlich mal das Gebiss regeln lassen. Absurd.
«War es das mit der Solidarität»? Die Schweiz zahlt 1,7 Milliarden Franken für Ukraine-Flüchtlinge im Jahr. Plus Hunderte Millionen «Wiederaufbauhilfe», bis 2036 soll sich das auf 5 Milliarden Franken summieren. Das soll in den Augen von Walser keine Solidarität sein? Absurd.
«Ein trauriges Zeichen»? Allerdings. Für verpeilte Weltfremdheit, Realitätsferne, präpotente Rechthaberei. Natürlich soll man seinen Lesern nicht unbedingt nach dem Mund schreiben. Aber der Mehrheit dermassen frech eins über die Rübe zu geben, dazu noch den Schweizer National- und Ständerat abkanzeln, das braucht schon eine ungesunde Menge an oberlehrerhafter Verbohrtheit.