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Logik kaputt

Der SZ-Redaktor Joachim Käppner vergewaltigt öffentlich die Logik und missbraucht Stalingrad.

Man übernimmt nicht ungestraft jeden Unsinn aus München – und quält erst noch den zahlenden Leser des Qualitätskonzerns Tamedia. Denn dort zieht einer vom Leder:

Bestürzend ist vielmehr die Ignoranz des Autors gegen Grundregeln der Logik.

Das ist allerdings kein Unfall, sondern ein bewusst herbeigeführter journalistischer Schadensfall. Der Autor behauptet: «Amnesty hat nämlich der russischen Kriegspropaganda ein unverhofftes Geschenk gemacht.» Damit zeige die NGO eine «atemberaubende Ignoranz gegenüber den Opfern eines Zerstörungskrieges». Früher nannte man das bei ihm zu Hause Defätismus und Übernahme von Feindpropaganda.

Dann wird Käppner noch teutonisch-geschmacklos: «In der seltsamen Logik des Ukraine-Berichts müsste man auch der Roten Armee, als sie 1942 Stalingrad gegen die Wehrmacht verteidigte, völkerrechtswidriges Verhalten vorwerfen. Obwohl noch Zivilisten in der Trümmerstadt waren, kämpften die sowjetischen Soldaten um jedes Haus. Was hätten sie sonst tun sollen

Worin besteht seine verkehrte Logik? Amnesty International hat einen Bericht über ukrainische Kriegsverbrechen veröffentlicht. Jeder, der ihn liest, hat keinen Zweifel daran, dass die aufgeführten Beispiele sorgfältig untersucht und belegt sind. Seine Zusammenfassung:

  • Wohngebiete, Schulen und Krankenhäuser dienen als Militärstützpunkte

  • Angriffe aus dicht besiedelten zivilen Gegenden provozieren Vergeltungsschläge

  • Diese Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht rechtfertigen allerdings nicht die wahllosen Angriffe Russlands mit zahllosen zivilen Opfern

AI untermauert diese Vorwürfe, was ausführlich zitiert werden muss:

«Zwischen April und Juli verbrachten Expert*innen von Amnesty International einige Wochen damit, russische Angriffe in den Regionen Charkiw und Mykolajiw und im Donbass zu untersuchen. Sie untersuchten Orte, an denen Angriffe stattgefunden hatten, sprachen mit Überlebenden, Zeug*innen und Angehörigen der Opfer, und führten Fernerkundungen und Waffenanalysen durch.

Bei diesen Untersuchungen fanden die Amnesty-Mitarbeiter*innen in 19 Städten und Dörfern dieser Regionen Belege dafür, dass ukrainische Truppen aus dicht besiedelten Wohngebieten heraus Angriffe durchführten und Stützpunkte in zivilen Gebäuden einrichteten. Das «Crisis Evidence Lab» von Amnesty International hat einige dieser Geschehnisse zusätzlich durch die Auswertung von Satellitenaufnahmen bestätigt.

Die meisten der als Stützpunkte genutzten Wohngebiete befanden sich mehrere Kilometer hinter der Front. Es wären tragfähige Alternativen verfügbar gewesen, die keine Gefahr für die Zivilbevölkerung bedeutet hätten – wie zum Beispiel nahegelegene Militärstützpunkte oder Waldstücke oder andere weiter entfernte Gebäude. In den von Amnesty International dokumentierten Fällen liegen keine Hinweise darauf vor, dass das ukrainische Militär die Zivilpersonen in den Wohngegenden aufgefordert oder dabei unterstützt hätte, Gebäude in der Nähe der Stützpunkte zu räumen. Dies bedeutet, dass nicht alle möglichen Vorkehrungen zum Schutz der Zivilbevölkerung getroffen wurden.»

Gleichzeitig stellt AI klar, wer der Aggressor und Verursacher des Krieges ist: «Bei der Abwehr des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs hat das ukrainische Militär wiederholt aus Wohngebieten heraus operiert und damit Zivilpersonen in Gefahr gebracht. … Gleichzeitig rechtfertigen die ukrainischen Verstöße in keiner Weise die vielen wahllosen Schläge des russischen Militärs mit zivilen Opfern, die wir in den vergangenen Monaten dokumentiert haben. Wahllose Angriffe, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet werden, sind Kriegsverbrechen.»

Selbstverständlich hatte AI zuvor auch russische Kriegsverbrechen dokumentiert und kritisiert. Im Gegensatz zur Absurd-Logik des deutschen Demagogen Käppner gibt es keine guten oder schlechten, keine gerechtfertigten oder ungerechtfertigten Kriegsverbrechen. Es gibt keine für die gute Sache, über die man daher schweigen muss, während man Kriegsverbrechen für die schlechte Sache anzuprangern hat.

Um in seiner Unsinns-Logik zu bleiben: die Massenvergewaltigungen durch Soldaten der Roten Armee während des Einmarschs ins Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg waren Kriegsverbrechen. Sie sind nicht entschuldbar, aber zumindest verständlich, wenn man bedenkt, welche unsäglichen Nazi-Verbrechen diese Soldaten sehen mussten, als sie von den Faschisten okkupierte Teile der Sowjetunion befreiten.

In Stalingrad verteidigte die Rote Armee tatsächlich Haus um Haus, sie wählte aber nicht absichtlich Schulen oder Krankenhäuser als Militärstützpunkte. Wer dieses Beispiel anführt, müsste zwangsweise von Wassili Grossmann «Leben und Schicksal» sowie «Stalingrad» lesen müssen. Denn der war da und hat’s aufgeschrieben. In einer Weise, die dem Leser das Herz beklemmt. Auf dass Käppner niemals mehr so geschmacklos über diese unsägliche Tragödie schreibe und überhaupt die Schnauze halte.

Deutsche Kriegsberichterstattung

Der schneidig-ironische Ton ist bekannt. Ist er auch bekömmlich?

Dem friedliebenden Tamedia-Leser werden 20’000 Anschläge Kriegskracher serviert. Für den Haupttext sind Silke Bigalke und Florian Hassel verantwortlich: «Der Brandstifter versetzt die Welt in Schockstarre».

Die beiden Journalisten der «Süddeutschen Zeitung» wissen es genau: «Es gibt niemanden, der den russischen Präsidenten Wladimir Putin noch bremsen könnte. Während die Menschen in Moskau von der Propaganda aufgepeitscht werden, schwanken sie in Kiew zwischen Fassungslosigkeit und Fatalismus. Chronik eines angekündigten Krieges.»

So geht’s dann weiter:

«zwei bizarre TV-Auftritte, … Rede wurde praktisch zur Kriegserklärung … geriet regelrecht aus der Puste, so sehr echauffierte er sich über Kiew, über die USA, über die Nato».

Wir fassen zusammen. Ein bizarrer Brandstifter macht vor laufender Kamera eine Kriegserklärung und gerät regelrecht aus der Puste. Derweil ist die Welt in Schockstarre, die Ukraine fassungslos oder fatalistisch.

Es wird die Chronik eines selbst angekündigten Krieges geschrieben

Um dem Tamedia-Leser diese Erkenntnis zu vermitteln, braucht es die gesammelte Kompetenz von zwei SZ-Korrespondenten. Vincenzo Capodici von Tamedia, sonst nicht wirklich durch vertiefte Osteuropa-Kenntnisse aufgefallen, darf in einem Kasten die jüngere Geschichte der Ukraine nacherzählen.

Aber es geht ja schon längst um die «Chronik eines angekündigten Krieges». Nobelpreisträger Gabriel García Márquez würde auch zur Machete greifen, müsste er diese Verballhornung des Titels einer seiner Werke noch erleben.

Bruchstückhaft wird der Inhalt von Putins Rede wiedergegeben, der offenbar einen Ausflug in die Geschichte unternahm und erzählte, wie die Ukraine nach der Oktoberrevolution von 1917 zur Union der sozialistischen Sowjetrepubliken stiess. Bis sie 1991 unabhängig wurde.

Ein Wort der beiden Fachkräfte zur historischen Spaltung zwischen Ost- und Westukraine? Zum Verhalten vieler Ukrainer während der faschistischen Besetzung im Zweiten Weltkrieg? Personifiziert in Stepan Bandera, im Westen des Landes mit Denkmälern als Nationalheld verehrt, für den Osten (und Russland) ein Kollaborateur, Kriegsverbrecher und Antisemit, der in Abwesenheit zum Tode verurteilt wurde.

Macht das die aggressive Politik Putins besser? Nein, aber vielleicht würden historische Erklärungen sie besser verständlich machen. Wobei verstehen ja nicht mit billigen verwechselt werden sollte.

Dröhnende Kriegsrhetorik zweier Deutscher

Aber wenn man schon mal 20’000 Buchstaben, eine ganze Doppelseite in Tamedia, Platz hat, muss der dann wirklich auf dröhnende Kriegsrhetorik verschwendet werden? Ergänzt um das übliche riesige Panzerbild und zwei Briefmarkenfotos, deren Legenden nochmal alles klar machen:

Zwei Präsidenten, zwei Bildlegenden.

Wie das deutsche Publikum auf solches Kriegsgeschrei reagiert, ist aus Schweizer Perspektive schwer zu beurteilen. Hierzulande befremdet es allerdings deutlich, dass ausgerechnet Deutsche so schneidig über den russischen Präsidenten herfallen.

Die Gnade der späten Geburt kann sie nicht ganz davor schützen, dass gerade für Deutsche etwas Taktgefühl oder Zurückhaltung angebracht wäre. Sicher zwei Eigenschaften, die dem deutschen Heeresjournalisten nicht gerade ans Herz gewachsen sind.

Deutsche Landser in Stalingrad.

Aber so lange ist es noch nicht her, dass das Volk der Dichter und Denker mit unvorstellbarer Brutalität über die Sowjetunion herfiel. Mit der festen Absicht, die Bevölkerung in den eroberten Gebieten schlichtweg auszurotten, bzw. als Arbeitssklaven sich zu Tode schuften zu lassen. Und als sich bei Stalingrad das Kriegsglück wendete, hinterliessen die deutschen Barbaren beim Rückzug dermassen verbrannte Erde und verübten so viele Greueltaten, dass die Wut der Rotarmisten, als sie deutschen Boden erreichten, zumindest verständlich erscheint.

Nachhilfe bei Gedächtnisverlust.

24 Millionen Tote kostete der Hitler-Wahn die UdSSR; zwei Generationen sind längst nicht genug, um die Erinnerung daran vollständig in den Hintergrund treten zu lassen. Aber es ist dem deutschen Kriegsberichterstatter nicht gegeben, das wenigstens im Hinterkopf zu behalten, während er über den «Brandstifter Putin» herfällt.

Ganz elend wird es, wenn solche Texte in der damals wie heute neutralen Eidgenossenschaft erscheinen. Nur weil sich, was den Medienclan Coninx-Supino betrifft, Schweiz auf Geiz reimt.