Die Mär vom linken Tagi
Die politischen Ausrichtungen der Zürcher Platzhirsche «Tages-Anzeiger» und «NZZ» gleichen sich immer mehr an. Der Streit ums neue Hardturmstadion zeigt dies exemplarisch.
Die Fronten in der öffentlichen Wahrnehmung sind seit Jahrzenten klar. NZZ rechts, Tagi links. Dabei sind es oft Schlüsselerlebnisse, die zur persönlichen Meinungsbildung beitragen. Ältere Semester erinnern sich wohl an den Inserateboykott der Autoimporteure gegen den Tages-Anzeiger. Grund des Boykotts: Damals, Ende 1979, zeigte der Tages-Anzeiger recht unaufgeregt auf, welcher National- und Ständerat mit welchem Verband verbandelt ist. Seither ist der Tagi für viele Leser, oder besser gesagt, Nicht-Leser, links. Dem gegenüber ist die NZZ seit ewig für die Armee, wirtschaftsfreundlich und für die freie Fahrt. Während die Stossrichtung der NZZ in den letzten Jahren und unter Eric Guyer («Nach der Coronakrise braucht es weniger Staat», 17.4.2020) eher noch libertärer geworden ist, ist die Lage beim Tagi vordergründig undurchsichtig. Wobei: Ausnahmen bestätigen die Regel. Nimmt man Komiker Marco Rima als Massstab, ist der Tagi so unglaubwürdig – sprich links – geworden, dass er ihn abbestellt hat, im Gegensatz zur NZZ. So jedenfalls moserte Rima unwidersprochen bei Roger Schawinski im Doppelpunkt auf Radio 1.
Bedienung des bisher eher bürgerlichen Klientels
Spass beiseite: Wenn es nicht gerade um das Abschiessen des Geschäftsmanns Jean-Claude Bastos geht, ist der Tages-Anzeiger ganz schön bürgerlich geworden. Einerseits passiert das durch den regen einseitigen Austausch mit der «Süddeutschen», sprich, man übernimmt gerne welterklärende Texte aus München. Andererseits sieht man sich gezwungen, das bisher von eigenen Redaktionen bediente Klientel von Berner Zeitung, Basler Zeitung, Zürichsee Zeitung und Landbote durch politisch gemittete Texte der Zentralredaktion abzuholen. Dafür spricht eine aktuelle Untersuchung des Forschungszentrums fög der Uni Zürich. Diese zeigt, dass sich die Anzahl gleicher Texte in den Verbundzeitungen verdoppelt hat, auf gut 21 Prozent. In der Berichterstattung über die nationale Politik stieg der Wert gar von 21 Prozent (2017) auf 41 Prozent (2019).
Gegen die Abstimmungsempfehlungen von SP, Grüne und AL
Linkstendenzen, Rechtstendenzen? Sind das nicht nur subjektive Einschätzungen? Ein schönes Fallbeispiel ist der Leitartikel «Zürich braucht ein Fussballstadion» im Tagi vom Samstag. Darin lobt Pascal Unternährer das Projekt über den Klee und empfiehlt ein Ja – gegen die Abstimmungsempfehlung von SP, Grüne und AL. AL, das ist eine eher linksaussen operierende Partei in Zürich, die aber mit Richard Wolff einen Vertreter in der Exekutive hat.
Dieser erwähnte unausgewogene Artikel («Es entstehen ein spielfeldgrosser Rasen, begrünte Dächer und weitere Grünräume») ist darum spannend, weil er wie bestellt erscheint. Denn hinter der Pro-Kampagne steht KMES. Die renommierte PR-Agentur mit Sitz beim Paradeplatz orchestriert den Abstimmungskampf. Partner des Büros ist etwa der smarte Hans Klaus (ex-Fifa, ex-Sprecher von Ruth-Metzler Arnold). Mit dabei auch Markus Spillmann. Der ehemalige Chefredaktor der NZZ und heutige Präsident des Stiftungsrates des Schweizerischen Presserates mischt beim umstrittenen Abstimmungskampf ebenfalls mit und scheut sich nicht, kritische Journalisten persönlich zu kontaktieren. Spillmann ist ein Journalist, der die Fronten gewechselt hat und heute im PR-Business seine Brötchen verdient. Dass er im Nebenjob Presseratspräsident ist, ist eine schräge, aber andere Geschichte. Nun geht’s mal darum, ein Ja zum Hardturm-Projekt am 27. September durchzuboxen. Dank positiven Artikeln im «linken» Tages-Anzeiger.