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Widerlegte Lügen

Wie die Medien den Sport als Propagandawaffe im Informationskrieg missbrauchen

Von Felix Abt

Passt nicht ins westliche Narrativ: Chinas uigurischer Basketball-Star Dilana Dilixiati  –
nur ein Beispiel von vielen.

Eigentlich müssten sich westliche Journalisten mehr um Nordkorea kümmern als um China; denn dann dürfen sie alles Mögliche berichten – gerne auch zusätzlich Erfundenes -, weil es eh nicht verifiziert werden kann und sie keine Widerlegung erwarten müssen. Ausserdem passen gerade die von der CIA gesponserten Horrorgeschichten über das vom Westen mit einem fast vollständigen Wirtschaftsembargo – dem umfassendsten Sanktionsregime der Welt – isolierte Land am besten zu den Erwartungen der seit Jahrzehnten entsprechend konditionierten Medienkonsumenten.

Viel schwieriger ist es jedoch, Horrorgeschichten über China zu verbreiten. Denn China ist weitaus transparenter, und wenn jemand beispielsweise die von den USA perpetuierte Behauptung überprüfen will, dass Uiguren unter unmenschlichen Bedingungen zur Baumwollernte gezwungen werden (weswegen chinesische Baumwollprodukte verboten werden mussten), kann er selbst nach Xinjiang reisen.

Forsche Behauptungen

Er könnte dort dann beispielsweise herausfinden, dass hochmoderne amerikanische John-Deere-Maschinen auf automatisierten Farmen, die übrigens grösstenteils Uiguren gehören, die angeblich menschenrechtswidrige “Zwangsarbeit” 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche verrichten – und noch dazu unbezahlt.

Amy Hawkins ist die leitende China-Korrespondentin des britischen “Guardian”. Anstatt sich eingehender mit den soeben zu Ende gegangenen Asienspielen in China zu befassen, verbreitete sie forsch die Behauptung, dass das Bild zweier chinesischer Sportlerinnen mit den Nummerschildern 6 und 4, die sich eng umarmen, an das Datum der “Massaker von Tiananmen” erinnere und deshalb sofort vom chinesischen Staat “gesperrt” worden sei.

(Screenshot: Twitter)

Ihr Kollege John Simpson, BBC-Starjournalist mit 226.000 Followern auf Twitter/”X”, verbreitete dieselbe Behauptung in seiner nachstehenden Botschaft:

(Screenshot: Twitter)

Viele andere Medien, darunter auch der “Spiegel”, der eigene Korrespondenten im Land hat, schrieben die Geschichte nach. Bei einer unvoreingenommenen Suche erscheint als erstes Ergebnis ausgerechnet die Meldung von “Xinhua News”, der Nachrichtenagentur der offiziellen chinesischen Staatsmedien. Mir ist auch aufgefallen, dass viele andere chinesische Medien das gleiche Bild veröffentlichten (und zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels immer noch zeigen). Hatte die “Xinhua” vielleicht Spass daran, das Bild zu verbreiten, obwohl es der Eigentümer von “Xinhua”, der chinesische Staat, westlichen Medien zufolge verboten haben soll?

(Screenshot: Xinhua)

Dem Vernehmen nach hat in China niemand mit der Wimper gezuckt, als das Bild mit den vermeintlich berüchtigten Zahlen auftauchte. Die westlichen Medien dachten bereits, sie hätten eine weitere gute Gelegenheit ergriffen, das ach so diktatorische China wieder einmal an den Pranger zu stellen. Der Lügen-“Spiegel“ etwa phantasierte, dass ein “Foto im Netz viel geteilt wurde – bis Chinas Zensoren aus politischen Gründen zugriffen“:

(Screenshot: Spiegel)

Aber was hat es eigentlich mit dem angeblichen Tiananmen-Massaker auf sich, auf das die westlichen Medien anspielen, wenn sie auf die sich umarmenden Sportlerinnen zeigen? Der ehemalige Leiter des Pekinger Büros der Washington Post, Jay Mathews, räumte 1998 ein, dass “alle verifizierten Augenzeugenberichte besagen, dass die Studenten, die auf dem Platz blieben, als die Truppen eintrafen, diesen friedlich verlassen durften“. Mathews bezeichnete das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens als “Mythos” und betonte, es sei “schwer, einen Journalisten zu finden, der nicht zu diesem falschen Eindruck beigetragen hat.” Soweit es sich anhand der vorliegenden Beweise feststellen lässt, kam in jener Nacht auf dem Tiananmen-Platz offenbar niemand ums Leben.

Tiananmen-Proteste – Massaker oder Desinformation?

Diese Ansicht wurde auch von dem “Reuters”-Korrespondenten Graham Earnshaw bestätigt, der die Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989 im Zentrum des Platzes des Himmlischen Friedens verbrachte und viele Studenten interviewte. Er sagte, dass die meisten Studenten den Platz zu diesem Zeitpunkt bereits friedlich verlassen hatten und dass die verbleibenden paar Hundert überredet wurden, es ihnen gleichzutun. “Es gab keine Gewalt, geschweige denn ein Massaker”, so Earnshaw.

Als Leser erwiesener Fake-News fragt man sich, wie sich Journalisten von “Guardian”, BBC, “Spiegel” und vieler anderer westlichen Medien fühlen müssen, wenn ihre Desinformation durch Fakten entlarvt werden, und warum sie ihre Behauptungen aufrechterhalten, anstatt sie zurückzuziehen und mit einer Korrektur oder gar Entschuldigung aufzuwarten.

Nur propagandistisch verwertbare chinesische Sportlerinnen im Westen gefragt

Das letzte Mal, dass sich die Medien auf ein grosses Sportereignis in China einschossen, war im Vorfeld der Olympischen Winterspiele in Peking. Peng Shuai, eine chinesische Tennisspielerin, wurde berühmt, als sie laut westlichen Medien einen pensionierten Spitzenpolitiker der Vergewaltigung beschuldigte (das Wort “Vergewaltigung” verwendete sie in ihrem chinesischen Originaltext allerdings nicht!), nachdem die jahrelange heimliche Liebesbeziehung mit vielen Höhen und Tiefen zwischen den beiden in die Brüche gegangen war. Westliche Politiker – darunter auch die Ampelkoalition in Berlin – und ihre Assistenzmedien riefen daher sofort zum Boykott der Olympischen Winterspiele in Peking auf, denen sie aus Protest fernblieben. Die Neue Zürcher Zeitung zum Beispiel verurteilte das Olympische Komitee scharf für die Unverschämtheit, die Olympischen Spiele trotzdem in China stattfinden zu lassen. Die Sportlerin wurde in der Folge oft in der Öffentlichkeit gesehen, lachend und im Gespräch mit anderen Menschen. Weil sie offenbar nicht in einem Gulag gelandet war, wie die westliche Medien-Soldateska insgeheim gehofft haben muss, verschwand sie bald wieder aus dem westlichen Medienzirkus.

Dilana Dilixiati ist ebenfalls ein chinesischer Sportstar, aber anders als der Tennisstar kennt sie im kollektiven Westen niemand. Ihr Team hatte bei der FIBA-Frauen-Basketball-Weltmeisterschaft einen unerwarteten, sensationellen Sieg im Halbfinale gegen die Basketball-Supermacht Australien errungen. Australische Medien berichteten: “Sie besiegten die Gastgeberinnen am Freitagabend im Sydney Superdome mit 61:59 in einer spannenden Begegnung, die erst in den letzten Sekunden entschieden wurde.” Der “dramatische Thriller” löste Schockwellen aus.

Unerzählte, aber bewegende Geschichten

Wer das Spiel verfolgte, erkannte sofort, dass Dilana Dilixiati anders aussah als ihre Mitspielerinnen: Die Journalisten müssen sie bemerkt haben. Seltsamerweise hat die Uigurin – die ihren Namen auf Uigurisch wie folgt buchstabiert: دىلانا دىلشات, was nicht nach Mandarin aussieht – kein Interesse erregt, obwohl sie sich wie keine andere für eine sensationelle Erfolgsgeschichte, die zu Klicks einlädt, geeignet hätte. Der Fall war klar: Dilana Dilixiati, eine Uigurin, und ihre offensichtliche Erlaubnis und Fähigkeit zu reisen, widersprach dem in westlichen Köpfen verankerten Narrativ, dass Uiguren Gefangene und Opfer eines Völkermords seien und Xinjiang nicht verlassen dürften. Dilixiatis Geschichte musste folglich von den Agendajournalisten verschwiegen werden – denn die Medienkonsumenten hätten natürlich gemerkt, dass mit dem vorherrschenden Narrativ etwas nicht stimmen kann; und niemand lässt sich gerne manipulieren.

Es gibt noch andere Meldungen, die nicht erzählt werden, weil sie nicht ins Bild der antichinesischen Berichterstattung passen wollen und möglicherweise unerwünschte Sympathien mit dem dämonisierten Reich der Mitte wecken könnten: Zum Beispiel ist da die aussergewöhnliche Geschichte der Freude und der Tränen zweier befreundeten chinesischen und japanischen Schwimmerinnen. Obwohl sie äußerst bewegend war, wurde sie von den westlichen Medien nicht aufgegriffen – weil sie das vorherrschende China-Narrativ wahrscheinlich ebenfalls durcheinander gebracht hätte: Chinesische und japanische Schwimmstars standen bei den Asienspielen 2023 nämlich gemeinsam auf dem Medaillenpodest.

Japans Schwimmerin Rikako Ikee (rechts, rotes Trikot) und Chinas Schwimm-Goldmedaillengewinnerin Zhang Yufei (links, weißes Trikot) (Screenshot:Twitter/CGTSportscene)

Die Japanerin Rikako Ikee war seit ihrer Jugend eine Weltklasseschwimmerin gewesen; sie erkrankte aber an Leukämie und lag monatelang im Krankenhaus. Jetzt hat sie ein furioses Comeback geschafft. Das Rennen, an dem sie teilgenommen hatte, das 50-Meter-Schwimmen, war der letzte Schwimmwettkampf der Spiele in Hangzhou und Ikees letzte Chance, eine Einzelmedaille zu gewinnen – was ihr auch gelang. Die Botschaft war klar: Die Leukämie ist Geschichte, und ich bin wieder unter den Medaillengewinnern! Chinas Zhang Yufei kannte die ganze Geschichte.

Obwohl sie sportliche Rivalen waren, waren sie doch auch asiatische Nachbarn und Freunde, die eine gemeinsame Reise unternommen hatten. Es war ein emotionaler Moment. “Ich sagte zu Rikako: Nicht weinen, nicht weinen“, erzählte Yufei, die chinesische Schwimmerin. “Als sie ihren Namen auf dem Podium verkündeten, war mir schon zum Weinen zumute. Aber ich dachte mir: Das ist eine Live-Übertragung, ich kann nicht weinen. Dann sah ich, wie sie weinend ihren Trainer umarmte. Ich konnte meine Tränen nicht mehr zurückhalten.

Tagi sensibel und geschmacklos

Draussen geht’s feinfühlig zu. Im Blatt geschmacklos.

Feinfühlig wird ein Podcast über eine «Diversitäts-Beauftragte» gesendet. Der beschäftigt sich mit einem Interview, das mit Mandy Abou Shoak geführt wurde: «Jedes Theater bräuchte eigentlich eine Diversitätsbeauftragte.» Das Zürcher Theater hat eine, und die weiss:

«Der Titel «Bullestress» spielt auf Racial Profiling an. Also auf die Problematik, dass Schwarze Menschen überdurchschnittlich oft von Polizeikontrollen betroffen sind, weil sie als Gefahr für die öffentliche Sicherheit wahrgenommen werden und das wiederum hat mit Rassismus zu tun.» Nun fand dieses Interview bereits am 18. Januar statt, aber immerhin 2022.

Was «Berner Zeitung/Der Bund» recht ist, soll doch dem Tagi nicht Unrecht sein: rezyklieren ist das neue Zauberwort des Qualitätsjournalismus. Auf überflüssige Berufe kann man nicht häufig genug hinweisen.

Ganz anders geht es zu, wenn im Sport berichtet wird. Wem es bei dieser Titelzusammenstellung nicht übel wird, braucht mehr als eine Diversitätsbeauftragte:

Kind verlieren, Match verlieren, so ist das halt im Sport. Anstand und Geschmack hat man halt – oder nicht.