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Die Sache mit den Sperrfristen

Prozesse sollten klaren Regeln folgen. Theoretisch.

Vorbei die Zeiten, als staatliche Untersuchungsorgane still und leise ihrer Arbeit nachgingen. Als Staatsanwälte ihre Anklageschriften nur bei nachweislich grossem öffentlichen Interesse mit einer Pressemitteilung ergänzten.

Oder Verfahrensparteien sich an gerichtlich festgelegte Sperrfristen für die Bekanntgabe eines Urteils hielten. Inzwischen haben alle Beteiligten an rechtlichen Auseinandersetzungen gelernt, dass Recht und Gericht eine Sache sind, der öffentliche Teil eines Prozesses die andere, nicht unwichtige.

Niemand will einem Richter unterstellen, dass er sich von der öffentlichen Meinung, von einer medialen Vorverurteilung beeinflussen liesse. Niemand kann ausschliessen, dass das nicht doch ab und an eine Rolle spielt.

Angefütterte Journalisten

Damit die Öffentlichkeit etwas erfährt, braucht es einen Multiplikator, normalerweise ein Journalist. Der lässt sich von einer Partei anfüttern und schluckt willig, weil er das als Ergebnis seiner überlegenen Recherchierkünste und als Primeur verkaufen kann.

Der redaktionelle Leiter von CH Media ist so ein Fall. Eigentlich hat Pascal Hollenstein einen Zweitjob als Sprachrohr für Jolanda Spiess-Hegglin gefunden. Er bekommt Vorabinformationen zugesteckt, weil er dann in ihrem Sinn versucht, die Meinung der Öffentlichkeit zu steuern.

Um genau das zu vermeiden, setzen Justizorgane Sperrfristen bei ihren Verlautbarungen. Damit alle Medien sozusagen gleichlange Spiesse haben in ihrer Berichterstattung. Aber leider sind solche Sperrfristen nicht mit Sanktionen bewehrt. Es ist zwar unanständig, unfein und unprofessionell, sie zu brechen, aber: so what?

So gelang es, die krachende und völlige Niederlage von Spiess-Hegglin vor dem Obergericht Zug in einen Sieg umzulügen, ein Meisterstück von Fake News.

Neuer Tiefpunkt der Unkultur

Noch verwerflicher ist es, wenn Untersuchungsbehörden immer wieder häppchenweise die Medien mit strikt vertraulichen internen Unterlagen und Dokumenten versorgen. Auch das greift leider immer mehr um sich.

Einen Tiefpunkt hat diese Unkultur im Fall Vincenz erreicht. Nachdem sich hier der ermittelnde Staatsanwalt mit Getöse, drakonischer U-Haft und grossmäuligen Ankündigungen selber unter Zugszwang gesetzt hatte, musste er nach der endlich erfolgten Haftentlassung der beiden Hauptbeschuldigten Gründe finden, wieso seine eigentlich schon als fast abgeschlossen bezeichnete Untersuchung sich in die Länge zog und zog und zog.

Zum einen wurden die Medien, in erster Linie Arthur Rutishauser von Tamedia, immer wieder mit Informationen aus «mit dem Fall befassten Quellen» angefüttert, dass die Anklageerhebung nun wirklich demnächst bevorstünde. Noch diesen Herbst, spätestens nächsten Frühling. Oder doch im kommenden Herbst.

Sperrfrist, na und?

Nach Wiederholungen bis zur Lächerlichkeit wurden zum anderen neue Begründungen gestreut. Es seien neue Straftatbestände aufgetaucht. Die Angeschuldigten verzögerten mit unstatthaften Anträgen die Untersuchung. Und immer wieder durfte ein «Recherchierjournalist» ein besonders abstossendes Dokument «finden». Eine Spesenabrechnung, nur mit einem Betrag und einer Unterschrift. Informationen über strikt vertrauliche Geschäftsbeziehungen, sogar über Kontobewegungen.

All das muss aus dem Kochtopf der Untersuchungsbehörde stammen, denn die Angeschuldigten haben sicherlich kein Interesse, das an die Medien durchzustechen. In letzter Not wurde dann noch erfunden, dass nun Verhandlungen über ein abgekürztes Verfahren mit Schuldeingeständnis und niedrigerer Strafe stattfänden.

Und als dann nach jahrelangem Bebrüten und Gegacker die Staatsanwaltschaft endlich zu Potte kam und die Anklageschrift einreichte, setzte sie natürlich genügend öffentliches Interesse voraus, um diese Tat mit einer Pressemitteilung zu veredeln. Selbstverständlich mit Sperrfrist.

Die Medien schlagen zu, bevor die Betroffenen informiert sind

Denn die Idee ist hier, dass es vielleicht nicht so toll wäre, wenn die Beschuldigten davon zuerst aus den Medien erfahren, bevor sie selbst die Anklage in den Händen halten. Diese Sperrfrist war auf vergangenen Dienstag, 11.30 Uhr, festgelegt. In roten Buchstaben, gelb unterlegt.

Am Montagnachmittag veröffentlichte der Finanzblog «Inside Paradeplatz» als Erster die Meldung über die Einreichung und über die neu aufgetauchten Straftatbestände, die angeklagt würden. Kurze Zeit später zog Arthur Rutishauser nach, er wollte wenigstens als Zweiter ins Ziel einlaufen, natürlich weit vor der Sperrfrist.

Danach war dann kein Halten mehr; es dürfte kein einziges Medium geben, dass wirklich bis 11.30 Uhr am Dienstag gewartet hat. Aber das war noch nicht alles. Nachdem die News der Anklageerhebung und der neuen Anschuldigungen verraucht war, musste nachgeladen werden.

Natürlich gilt immer die Unschuldsvermutung

Natürlich mit etwas, das nicht in der Pressemitteilung stand. Sonst wäre es ja kein Primeur. Den angelte sich dann der «Blick» und veröffentlichte als Erster das geforderte Strafmass von drakonischen sechs Jahren. Wobei natürlich alle sich seriös gebenden Medien nie vergessen, auf ein wichtiges Prinzip der Strafgerichtsbarkeit hinzuweisen: es gilt die Unschuldsvermutung.

Nach der Devise: Du bist ein ganz schlimmer Finger, aber die Staatsanwaltschaft ist Dir auf die Schliche gekommen. Für Deine Untaten wirst Du im Gefängnis schmoren, so schrecklich sind die. Aber es gilt die Unschuldsvermutung.

Mit dieser Verluderung der journalistischen Sitten zeigen die Medien einmal mehr, dass ihre gravierenden Probleme nicht nur auf äussere Faktoren zurückzuführen sind. Sondern auch auf einen rasanten und selbstverschuldeten Vertrauensverlust. Das ist im Journalismus ein wirklich tödliches Virus, das kein Organ lange überlebt.

Büttel Hollenstein bricht Sperrfrist

Ein «Leiter Publizistik» als Sprachrohr für eine verfolgende Unschuld.

Der Fall Jolanda Spiess-Hegglin ist im wahrsten Sinne des Wortes altbekannt. Aus einem Techtelmechtel in Zug entwickelte sich eine Story ohne Ende.

Immer wieder nahm der «Leiter Publizistik» von CH Media in Kommentaren Partei für Spiess-Hegglin, die sich vor allem durch die Ringier-Medien und durch die «Weltwoche» in ihrer Privatsphäre verletzt sieht.

Neben anderen Folgewirkungen führte das zu gerichtlichen Auseinandersetzungen mit verschiedenen Medienorganen, unter anderem der «Blick». In erster Instanz wurde in Zug festgehalten, dass die Boulevardzeitung mit der Frage, ob Spiess-Hegglin während einer feuchtfröhlichen Feier geschändet worden sei, in schwerwiegender Weise in deren Intimsphäre eingegriffen habe.

Urteil mit Sperrfrist

Beide Seiten zogen das Urteil ans Obergericht weiter. Das fällte letzte Woche sein Urteil. Die Urteilsverkündung wurde den Parteien mitgeteilt, aber mit einer Sperrfrist bis Montagmorgen, 9.00 Uhr belegt.

Das sollte dazu dienen, dass beide Beteiligten und natürlich auch die Medien sozusagen gleichlange Spiesse bei der Berichterstattung und Interpretation des Urteils haben, das ab diesem Zeitpunkt öffentlich vorliegt.

Aber wenn man schon Büttel in Sachen Spiess-Hegglin ist, und als «publizistischer Leiter» auch keine Reputation mehr zu verlieren hat, kümmert man sich um solche Anordnungen natürlich einen feuchten Kehricht.

Denn nur so konnte Pascal Hollenstein bereits am Sonntag trompeten: «Jolanda Spiess-Hegglin gewinnt gegen den «Blick»».

Wie tief kann man als publizistisches Vorbild sinken?

Abgesehen davon, dass das so nicht stimmt: Wie tief kann ein angebliches publizistisches Aushängeschild eines grossen Schweizer Medienkonzerns eigentlich sinken? Solche Sperrfristen, das weiss im anständigen Journalismus jeder, sind zu respektieren. Natürlich fände es jeder toll, wenn er sie bricht und daher eine News als Erster hätte. Aber das tut man nicht.

Ausser, man heisst Pascal Hollenstein. Dann stellt man einen Jubelartikel zuerst ins Netz, zitiert auch bereits Spiess-Hegglin, die natürlich ihrem Pressesprecher gegenüber sofort ein Statement abgibt, und dann zerrt man den Artikel wieder aus dem Netz heraus. Offenbar gibt es bei CH Media doch noch Instanzen, die wissen, was journalistische Benimmregeln sind.

Angekündigt, dann gelöscht – aber nicht überall

Allerdings: Wenn man so ungeschickt-triumphal wie Hollenstein ist, dann vergisst man natürlich, den Artikel auch aus der Mediendatenbank SMD zu löschen.

Man fragt sich schon, wie lange dieser Herr in dieser Funktion noch tragbar ist. Sein Verleger Peter Wanner füllte gerade am Samstag eine ganze Seite mit einem Kommentar, in dem er die wichtige Funktion seiner Qualitätsmedien als Service public betonte.

Was dieses Verhalten seines publizistischen Leiters mit Qualität oder Service public zu tun hat, ist schleierhaft. Wir werden hier selbstverständlich auf das Urteil des Zuger Obergerichts und die Hintergründe dazu eingehen. Morgen ab 9 Uhr, wie das der Anstand gebietet.