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World gone wrong

Es ist nicht Dylans beste CD. Aber der Titel sitzt.

Auf dem Video zu «Blood in my Eyes» sieht man einen entrückten Dylan mit Zylinder und schwarzem Gehrock durch die Strassen Londons streifen und huldvoll Autogramme geben. Nach der Devise: es ist alles egal, aber man sollte neugierig und offen bleiben.

Immerhin seit 1988 ist der Barde auf seiner «Never ending Tour» unterwegs. Die ihn dermassen auslastet, dass er keine Zeit fand, den Literaturnobelpreis persönlich in Empfang zu nehmen. Das ist abgeklärte Weltzugewandtheit, die man sich auch für sich wünscht.

Wir aber, nun ja. Vielleicht erhöhen wir unser Schicksal, wenn wir an Hölderlin denken:

Ihr wandelt droben im Licht
Auf weichem Boden, selige Genien!
Glänzende Götterlüfte
Rühren euch leicht,
Wie die Finger der Künstlerin
Heilige Saiten.

Schicksallos, wie der schlafende
Säugling, atmen die Himmlischen;
Keusch bewahrt
In bescheidener Knospe,
Blühet ewig
Ihnen der Geist,
Und die seligen Augen
Blicken in stiller
Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.

Wollten wir nicht auch lieber schicksalslos sein? Allerdings müssen wir zugeben: hier in der Schweiz wandeln wir droben im Licht, verglichen mit ungefähr 99,9 Prozent der übrigen Welt. Wir haben Luxusprobleme, Luxusängste, Luxusbobochen, wir jammern auf hohem Niveau, haben gelernt, wehzuklagen ohne zu leiden.

Wir schauen auf unserem iPhone Szenen an, wie eingepferchte Arbeiter in der chinesischen iPhone-Fabrik von Polizisten zusammengeschlagen werden. Schon wieder die nächste Hungersnot in Ostafrika, wollen wir mal wieder «Live Aid» aufführen und heutzutage statt Feuerzeugen Handys schwenken? Der ukrainische Präsident will den Dritten Weltkrieg herbeilügen, was soll’s. Afrika ist endlich die Mumie Mugabe losgeworden, aber in Äquatorialguinea ist Teodoro Obiang Nguema seit 1979 an der Macht und hat immer noch nicht genug. Nur, wo liegt das schon wieder, irgendwo am Äquator wahrscheinlich, aber wie heisst denn die Hauptstadt?

In Brasilien haben sich die Wähler, sofern sie überhaupt zurechnungsfähig waren und gewählt haben, zwischen Pest und Cholera entscheiden dürfen und die Cholera gewählt. Auf Kuba kann das Regime nicht einmal mehr die primitivsten Grundbedürfnisse – Strom, Wasser, Nahrung – befriedigen, von Ausbildung und medizinischer Versorgung ganz zu schweigen. Aber das ist in Lateinamerika ja fast überall der Fall.

Können wir uns wenigstens damit trösten, dass wir die Weltherrschaft Chinas nicht mehr erleben werden, fortgeschrittenes Alter vorausgesetzt? Ist es ein Anzeichen dafür, dass in zunehmendem Ausmass Printwerke Gähnreflexe auslösen? Nicht nur, weil ihr Inhalt so vorhersehbar ist. Sondern auch, weil sie meist von so erbärmlichem intellektuellen Niveau sind, vor eingebildeter Ungebildetheit strotzen.

Wie muss es um die Kultur eines Landes bestellt sein, wenn ein Lukas Bärfuss ernsthaft als Schriftsteller auftreten darf? Wie muss es um die Politik eines Landes bestellt sein, wenn man der Bevölkerung ernsthaft einreden will, dass Solarstrom aus den Alpen sämtliche Stromlücken schliessen könne? Wie muss es um die öffentliche Debatte zwecks Erkenntnisgewinn bestellt sein, wenn aus Schiessscharten Worte abgefeuert werden, die an der gegenüberliegenden Schiessscharte abprallen?

Bleibt da nur noch der Rückzug ins Private, in Beschaulich-Überschaubare? Wer bewundert noch die Klugschwätzer, die unermüdlich grosse Lösungen für kleine und grosse, für alle Probleme dieser Welt anbieten? Wer verachtet nicht die Dummschwätzer, die meinen, mit faschistischer Sprachreinigung und Sprachvergewaltigung einen Beitrag zu einer gerechteren Welt zu leisten?

Menschen kleben sich an den Boden oder an Kunstwerke, die sie zuvor mit Suppe überschütten. Die SP diskriminiert Männer und ist noch stolz darauf. Die «Republik» geisselt Steuervermeider und vermeidet selbst Steuern. Wären Heuchelei, Sittenzerfall und wie Meereswogen ansteigende Dummheit Anzeichen für ein Ende der Welt, es müsste nahe sein.

Aber so biblisch sind wir nicht gestimmt, es ist wohl einfach nur: world gone wrong. Wobei, falsch und kaputt war sie in vielen Gegenden der Welt eigentlich immer. Nur in Kerneuropa und ausstrahlend auf wenige andere Gegenden der Welt zündete die Aufklärung ein kleines Licht an. Das blendende aber allzu grell.

Wir suhlen uns lieber in der Kuhle wärmender Vorurteile und Gesinnungsblasen, wir mögen es nicht, dem scharfen Wind der intellektuellen Auseinandersetzung ausgesetzt zu sein. Wir mögen es nicht, von besseren Argumenten zu einer Änderung einer Haltung gezwungen zu werden. Unsere Lieblingssätze, nicht nur von Politikern verwendet, lauten: ich habe schon immer gesagt. ich habe noch nie gesagt. Da könnte ja jeder kommen.

Seien wir ehrlich: wir mögen nichts Buntes. Wir wollen Schwarzweiss. Wir brauchen gut/böse. Wir können ohne falsch/richtig nicht leben. Wir brauchen Orientierung, Kartografie, Wegweisung, Einweisung. Wir haben’s gerne kommod und einfach. Wir kriegen bei Widersprüchlichkeiten Pickel. Wir haben die Welt gerne klein und rund. Wir mögen nichts Fremdes und nichts Neues. Wir betrachten am liebsten unseren Bauchnabel und schauen zur Not noch anderen bei deren Bauchnabelschau zu.

Wer versucht, uns aus unserer Komfortzone zu reissen, wird mit Verachtung bestraft, ausgegrenzt, im Zweifelsfall zum Hetzer, Populisten und Unmenschen erklärt.

Mit anderen Worten: wir wollen blöd bleiben. Lasst uns bloss in Ruhe.

Schön, dass ein paar ZACKBUM-Leser die löbliche Ausnahme bilden …