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Ach, Entschuldigung oder so

Wenn wirre Lesben irren.

Manchmal verplaudert man sich halt. SP-Nationalrätin Anna Rosenwasser fantasierte, dass sie sich zwar nicht für Fussball interessiere, aber «für Lesben, die Sport treiben». Und SP-Nationalrätin Tamara Funiciello, auch schon einschlägig mit Geplapper aufgefallen, ergänzte: auch sie werde bei der Fussball-EM «Lesben beim Fussball zuschauen».

Das ist so in der Liga der feministischen Forderung, die Zürcher Langstrasse mit amtlichem Siegel zur legalen Prostitutionszone zu erklären.

Die pseudolustig-polterigen Aussagen der beiden Damen fanden im Oktober letzten Jahres statt. Es gab etwas Gemurmel, aber sie wiegten sich in der Hoffnung, dass sich das versendet – wie schon so viel Unsinn, den sie verzapft haben.

Schlamm drüber, war doch lustig. Aber dann legte ausgerechnet der Tagi mit einem Interview mit der Nationalspielerin Meriame Terchoun nach, die mit deutlichen und scharfen Worten die beiden Kampflesben eintopfte. Was die wohl geschäumt hätten, hätte ein Mann (oder eine Frau) gesagt, sie schaue im Nationalrat gerne deren Voten als Lesben an.

Aber nun ist die Kacke am Dampfen, und Funiciello legt den Rückwärtsgang ein. Sie bittet den folgsamen Tagi, ihr die richtige Frage zu stellen, damit sie versuchen kann, ihren Blödsinn wegzulabern:

«Tamara Funiciello, Sie möchten sich für Ihre Aussagen entschuldigen.
Ja. Meine Worte haben Leute verletzt, und das tut mir leid. Ich war zu wenig darauf sensibilisiert, wie diese Aussage aufgenommen werden kann, selbst wenn ich sie nicht so gemeint habe. Meriame Terchoun sagte, sie erwarte, dass Politikerinnen Verantwortung übernähmen. Damit hat sie absolut recht.»

Das ist der übliche Politikerslalom. «Tut mir Leid» heucheln, zu wenig sensibel, war nicht so gemeint, aber ich übernehme tapfer Verantwortung. Ja wie denn? Wie hat sie denn die Aussage sonst gemeint? Ausser, dass sie ein übles Stereotyp bediente?

Dann noch etwas Vernebelung:

«Können Sie die Kritik von Meriame Terchoun nachvollziehen?
Ja. Ich habe es aus einem anderen Blickwinkel angeschaut. … Was mir Sorgen macht, ist eine andere Aussage in ihrem Interview: Sie sagte, dass sie Kolleginnen habe, die Morddrohungen erhalten hätten, weil sie lesbisch seien.»

Und mehr Nebel:

«Meriame Terchoun sagte auch: Wenn ein Mann Ihre Aussagen gemacht hätte, gäbe es einen Skandal.
Wichtig ist, dass man Verantwortung übernimmt, lernt und danach handelt, unabhängig vom Geschlecht. Das tue ich.»

Tut immer weh, wenn der Autor, hier mal wieder Marcel Rohner, seine journalistischen Pflichten verletzt und nicht sagt: Das war nicht die Frage.

Schliesslich darf Funiciello noch etwas über ihr Coming-Out labern, wie das denn war, anno 2019 und so.

Dann ist da noch Anna Rosenwasser, rhetorisch ihrer Kollegin haushoch überlegen. Ihren Slalom in der «Republik» muss man vollständig auskosten:

«Seit der ersten riesigen Schlagzeile liegt mir das Ganze quer im Magen. Nicht nur, weil sie erniedrigend ist – das kann eine legitime Konsequenz sein, wenn eine öffentliche Person einen Fehler macht. Sondern, weil ich mir jeden Tag die Frage stelle, ob der Vorwurf stimmt. Es ist meine Aufgabe, mir diese Frage zu stellen, statt ausschliesslich in die Defensive zu gehen: Habe ich Menschen mit meiner Aussage verletzt?
Nein, sage ich am ersten Tag. Die Aussage war unproblematisch, beharre ich drei Wochen lang. Es gibt kein «Hätte ein Mann das gesagt …»; Männer, die tatsächlich diskriminierende Witze machen, kriegen ganze Podcasts.
Dann erinnere ich mich an die Frage, die eigentlich im Zentrum stehen muss: Haben meine Handlungen Menschen verletzt?
Ja, merke ich.
Fuck.
Meine Aussage, die liebevoll gemeint war, hat Menschen verletzt. Absicht und Folgen einer Aussage sind nicht dasselbe; fahre ich aus Versehen einem Mitmenschen über den Fuss, macht der Umstand, dass ich das nicht wollte, ja auch seinen Schmerz nicht wett.»

Grossartig. Da ringt ein Mensch öffentlich mit sich, lässt alle (wenigen) Leser daran teilhaben, dass er  (Pardon, die Menschin) sich jeden Tag selbstkritische Fragen stelle, auf der falschen Antwort beharre, dann aber zur besseren Einsicht komme. Dann noch das Sahnehäubchen, statt einer Entschuldigung: «Ich glaube gleichzeitig, dass einiges, was diese Verletzungen verstärkt hat, ausserhalb meiner Verantwortung liegt.»

Tja, wenn man verantwortungslos plappert und sich nicht mal dafür entschuldigt, dann liegt natürlich vieles ausserhalb der eigenen Verantwortung. Auch man (Pardon, frau) selbst. Beste Voraussetzungen, um Volksvertreterinnen*** zu sein. Aber die woke Wolke wird beide Lesben, Pardon, das ist eine unziemliche Reduzierung, weiter umhüllen. Aber geht bloss nicht an die Langstrasse, Mädels, dort müsstet ihr dank Euren Gesinnungsgenossen:Innen* in Zürich auch öfter mal «fuck» sagen. Oder hören.

Geeiertes aus der NZZ

Ein Kommentar als Slalom mit Beinbruch und Eiertütschen.

Der grosse Samstagskommentar war mal ein Ding bei der NZZ. Heutzutage nimmt sich meistens God Almighty Eric Gujer dieser edlen Aufgabe an. Leider nicht immer.

Diesmal ist Gerald Hosp am Gerät. Eigentlich ein alter Hase im Wirtschaftsressort der alten Tante, aber vielleicht doch etwas sprunghaft, so als Österreicher (hops, schon sitzen wir in der Diskriminierungsfalle).

Der nimmt sich diesmal des leidigen Themas Wirtschaftssanktionen gegen Russland an.

Schon im Lead beginnt er allerdings mit einem Slalom: «Gemessen an ihren ursprünglichen Zielen sind die westlichen Einschränkungen gescheitert. Trotz allem braucht es Sanktionen als langfristige Strategie, um den Kreml einzudämmen.» Aha, weil sie gescheitert sind, braucht es sie weiterhin. Superlogik, wäre Orwells Wahrheitsministerium nicht eingefallen.

Bitteres Fazit von Hosp: «Die russische Wirtschaft fiel aber nicht in sich zusammen, vielmehr wächst sie seit dem Jahr 2022 stärker als diejenigen Deutschlands, Frankreichs oder Grossbritanniens – laut den russischen Daten.»

Hm, also vielleicht aufhören? Hosp stapelt nun unverdrossen ein Argument nach dem anderen aufeinander, dass die Sanktionen sinnlos seien. Dann aber der grosse Umschwung, mitten im Geeier:

«Keine Wirtschaftssanktionen sind aber auch keine Lösung, vor allem wenn es um die Eindämmung eines Aggressors wie Moskau geht.»

Gewalt ist auch keine Lösung, aber wieso nicht mal draufhauen, so etwa die Logik. Wenn die Sanktionen nicht wirken, dann müssen sie halt «verbessert werden». Nur wie?

Tja, schwierig, könnte Hosp nun schreiben, aber stattdessen eiert er: «Die Erdöl- und Erdgaseinnahmen sind weiterhin die Hauptarterie Russlands zur Finanzierung des Krieges. Diese sollte dauerhaft abgeklemmt werden. Gleichzeitig sollte man darauf achten, dass die Energiepreise nicht in die Höhe getrieben werden.»

Hat ja bisher toll geklappt, die Energiepreise sind in die Höhe geschnellt, Russland verkauft seine Rohstoffe einfach woanders. Aber Hosp hat noch mehr grossartige Ideen:

«Überspitzt gesagt, ist jede nach Russland verkaufte Louis-Vuitton-Tasche, jeder exportierte Loro-Piana-Wintermantel oder jedes teure Novartis-Medikament ein kleiner Beitrag zur Entmilitarisierung der Wirtschaft

Russen, kauft LV-Taschen, dann ist Putin bald mal pleite. Wir wischen uns die Lachtränen ab und sind bereit für den letzten Brüller, der aber ganz schön das Zwerchfell strapaziert:

«Kapitalflucht sollte bestärkt werden, statt diese zu erschweren. Das kann so weit gehen, dass man Personen oder Unternehmen aus Russland einen «sicheren Hafen» im Westen anbietet

Aha. Also einerseits werden reiche Russen im Westen sanktioniert, ihre Vermögenswerte arretiert oder gleich weggenommen, ohne Rücksicht auf Unschuldsvermutung, Eigentumsgarantie oder Rechtsstaat. Das gilt auch für Gelder der russischen Zentralbank.

Und mit diesen Beispielen vor Augen soll reichen Russen in Russland der Westen als «sicherer Hafen» schmackhaft gemacht werden.

Also entweder glaubt Hosp, der Iwan sei halt vollbescheuert – oder das ist ein vollbescheuerter Vorschlag.

Darauf wird man im Kreml einen Wodka oder zwei heben, und selbst der weitgehend humorlose Putin wird schallend lachen, wenn man ihm das vorliest. Bravo, NZZ.

Slalom auf engstem Raum

Der Tagi verschlankt. Da muss man engere Kurven fahren.

Dabei quietscht es dann gehörig, und den einen oder anderen trägt es aus der Kurve. Medial eher einmalig ist das Abarbeiten mit Kommentaren an der 13. Rente.

Das ist ein Trauerspiel in bislang vier Akten. Eine klassische griechische Tragödie hat aber fünf, auf die Katharsis warten wir also noch.

Aber Vorhang auf.

Erster Akt: Am 20. Februar griff Oberchefredaktorin Raphaela Birrer in die Tasten und haute einen Leitartikel ihren Lesern in die Fresse: «Nein zu diesem kurzsichtigen Populismus». Das war so massiv gegen das eigene Publikum getextet, dass es weit über 1000 Kommentare absetzte; wie viele weitere nicht publiziert wurden, kann man sich vorstellen.

Also kroch Birrer gegen Ende des ersten Akts halbwegs zu Kreuze, indem sie der verblüfften Leserschaft erklärte, wie denn so ein Leitartikel vor einer Abstimmung zustande komme. Das sei häufig nachgefragt worden. Nein, am häufigsten hatte sich der Leser über den forschen Ton von Birrer erregt, aber eben, Slalomfahren ist auch eine Kunst. Der erste Vorhang fällt, während das Publikum amüsiert gluckst.

Zweiter Akt: Wie der Deus ex machina tritt Arthur Rutishauser auf und schleudert in der «SonntagsZeitung» Blitze: «Wir sind auf dem Weg zur Gerontokratie, also jener Herrschaftsform, in der hauptsächlich Menschen hohen Alters das politische Handeln bestimmen.» Wie ein zürnender Zeus weist er die Erdenmenschen zurecht: «Alle sehen den Staat als Milchkuh, die endlich auch für sie etwas abwerfen soll.» Obwohl beim Schreiben seines Editorials das Ergebnis noch gar nicht feststand. Aber Rutishauser hat halt mit Zeus gemeinsam, dass er in die Zukunft sehen kann. Und was er da sah, erfüllte ihn überhaupt nicht mit Freude.

Der zweite Vorhang fällt, das Publikum schweigt betroffen und harrt gespannt der Fortsetzung.

Neuerlicher Auftritt Birrer, diesmal bereits halbwegs geläutert, obwohl es noch gar nicht Zeit dafür ist. «Dieses Ja ist eine Sensation», begeistert sie sich plötzlich, als hätte sie nicht kurz zuvor vor solch kurzsichtigem Populismus streng gewarnt. Aber was geht Birrer im dritten Akt die Birrer im ersten an? Eben. Diesmal gewinnt sie das Publikum mit grosser Empathie, geradezu mit einer Arie in Anteilnahme: «Ausbau des Sozialstaats … und noch nie haben die Medien so intensiv berichtet … Viele Seniorinnen und Senioren plagen Existenzängste … Die Bedeutung dieses historischen Abstimmungssonntags kann gar nicht überschätzt werden …»

Offener Szenenapplaus, das Publikum zückt die Taschentücher und schnieft hörbar. Schon fällt wieder der Vorhang, lautstark werden Nasen geputzt, Brillengläser auch, und die eine oder andere Träne wird abgewischt. Man schaut sich im Publikum an und nickt sich anerkennend zu. Grosses Kino, das hier geboten wird.

Vierter Akt: Schon wieder wird neues Personal in die Schlacht geworfen, als retardierendes Element tritt Fabian Renz auf, Leiter «Ressort Analyse und Meinungen» und schon mehrfach verhaltensauffällig geworden. Der barmt nun auf offener Bühne: «Bitte das Rentenproblem jetzt ernst nehmen.» Leichte Unruhe im Publikum, denn wer hätte das bislang denn nicht ernst genommen?

Doch, so ernst wie Renz tut das niemand, er deklamiert: «Vielleicht spüren einfach immer mehr Rentnerinnen und Rentner, wie ihnen Inflation und Prämienschock das Geld wegfressen. Vielleicht packt immer mehr Erwerbstätige der Schrecken, wenn sie von ihrer Pensionskasse eine Rentenprognose erhalten.» Da nickt das Publikum bedächtig, schaut sich ins Gesicht und wiederholt: «Vielleicht, vielleicht, vielleicht».

Renz liest nun die Leviten, ruft zur Ordnung, klärt auf: «FDP, Mitte und SVP müssen den Missstand endlich anerkennen und anpacken. Alle Ideen sind ergebnisoffen zu prüfen – auch eine Gewichtsverschiebung von der zweiten zur ersten Säule darf nicht mit einem Denkverbot belegt sein.»

Ergebnisoffen, jubiliert das Publikum, Misstand anerkennen, murmelt es anerkennend, keine Denkverbote, das geht von Mund zu Mund.

Renz verbeugt sich erschöpft, in den fallenden Vorhang hinein brandet Applaus auf.

Fünfter Akt: Das wäre Sophocles nie passiert, aber während das Stück schon aufgeführt wird, ist der noch nicht geschrieben. Peinlich, aber wahr. Dabei werden die Slalomstangen nun ganz eng gesteckt, denn während noch bis vor Kurzem drei Bünde zur Abhandlung zur Verfügung standen, sind es nurmehr zwei.

Wie ein Menetekel an der Wand hängt ein letzter Satz von Renz in der Luft: «Beschränkt sich Tamedia hingegen auf missmutige Sparübungen, auf Predigten über Demografie und einbrechende Werbeeinnahmen …»

Hoppla, da scheint ein Übersetzungsfehler aus dem Altgriechischen vorzuliegen. Renz sagte natürlich: «Beschränken sich die Parteien hingegen auf missmutige Sparübungen, auf Predigten über Demografie und Eigenverantwortung ..

 

Slalomkünstler Büttner

Wie hört sich eine mediale Entschuldigung an? Verlogen.

Tamedia hat – nicht nur bezüglich des Rammstein-Sängers Till Lindemann – ein Problem. Das Problem besteht darin, dass zu viele unqualifizierte Gesinnungsjournalisten losplappern, bevor sie auch nur eine Sekunde nachgedacht haben. Sobald das Wort «sexueller Übergriff» im Raum steht, fangen sie wie die Pavlowschen Hunde an zu sabbern, zu geifern und zu bellen.

Die Liste der Fälle ist lang. Aufgrund niemals belegter angeblicher Übergriffe hat sich sogar die damalige Führungsetage von Tamedia präventiv entschuldigt und betroffen gezeigt. Ein Verlust jeglicher journalistischer Ethik, Amnesie, dass Verdachtsberichterstattung etwas vom Übelsten ist. Dazu ein Machtmissbrauch.

Nun muss auch Tamedia damit umgehen, dass Lindemann – nach der Einstellung der Staatsanwaltschaft Berlin – das ist und bleibt, was er vor der wilden Hetzjagd auf ihn war: unschuldig. Unschuldig wie Andreas Tobler. Unschuldig wie Philipp Lo…, ups, diesen Namen wollten wir hier niemals mehr nennen. Unschuldig wie all die kleinen und grossen Japser, die sich tiefschürfende Gedanken über Machotum, das männerdominierte Rockbusiness und die Rolle der Frau darin machten.

Nun muss natürlich auch Tamedia seinen Lesern erklären, wieso man bei der Hetze mitmachte. Tobler hat sich dafür etwas disqualifiziert, also muss Jean-Martin Büttner in den saueren Apfel beissen. und zuschleimen, was sein eigenes Blatt verbrochen hat. Die Leserkommentare sind dementsprechend kritisch bis hämisch.

Büttner kann schreiben, aber hier ist er auf einer Mission impossible. Jeder Baustein seiner Argumentation zerbröselt bei genauerer Betrachtung. Ein Trauerspiel eines begabten Opportunisten. ZACKBUM seziert kurz:

  1. «Ihre Vorwürfe klangen aber so detailliert und fielen zugleich dermassen massiv aus, dass die Öffentlichkeit davon ausgehen musste, es müsse an ihnen etwas dran sein.» Musste «die Öffentlichkeit» das? Es ist wohl ein Unterschied, ob an den Klowänden des Internets, bei Facebook, Twitter & Co., anonyme Kreischen loskeiften – oder ob sich sogenannte Qualitätsmedien wie Tamedia daran beteiligen.
  2. «Ob das stimmt oder nicht, wissen wir auch jetzt nicht.» Büttner erfindet hier – analog zur Vorverurteilung – noch die Nachverurteilung. Nach der Devise: okay, es gibt nicht einmal eine Strafuntersuchung, weil an den Vorwürfen nichts dran ist. Aber wissen wir deswegen, ob wirklich nichts dran ist? Das ist schon sehr übelriechend.
  3. «Auch wenn sich die Vorwürfe gegen den Musiker nicht zu einer rechtlichen Klage konkretisieren lassen, steht ausser Frage, dass die Rockkultur aus einem sexistischen, männerdominierten Selbstverständnis heraus operiert. Und das seit Jahrzehnten. Dass diese Praxis jetzt öffentlich hinterfragt wird, ist eine positive Nebenwirkung der Kontroverse.» Nun stinkt’s zum Himmel. Lassen wir den Quatsch mit «nicht konkretisieren liess» beiseite. Da wird einer – nicht zuletzt von Tamedia – öffentlich ans Kreuz genagelt, obwohl er unschuldig ist, aber das habe auch positive Nebenwirkungen einer «Kontroverse»? Was für einer Kontroverse? Ist Vorverurteilung, Kolportieren anonymer Anschuldigungen neuerdings eine Kontroverse und nicht mehr üble Hetze?
  4. «Der Entscheid der Staatsanwaltschaft zeigt aber auch, wie unglaublich schwierig es ist, sexuelle Übergriffe zu belegen.» Was für eine dumme Verallgemeinerung. Der Entscheid der Staatsanwaltschaft zeigt einzig, dass es im Fall Lindemann nicht genügend Verdachtsmomente gab, um eine Strafuntersuchung zu rechtfertigen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
  5. «Die Vorwürfe gegen Till Lindemann fielen so heftig aus und wurden auch von seriösen Zeitungen dermassen hartnäckig vorgebracht, dass sie einer Vorverurteilung gleichkamen.» Näher an eine Selbstkritik lässt es Büttner nicht kommen. Wäre Tamedia wirklich reuig, hätten hier Beispiele und Namen aus dem eigenen Schaffen genannt werden müssen. Da das nicht erfolgt, verpestet der Haut-gout von Heuchelei die Luft.
  6. «Deshalb zu verlangen, die Medien dürften erst dann berichten, wenn eine konkrete Klage vorliege, klingt moralisch integer. Aber die Forderung missversteht die mediale Aufgabe, über laufende gesellschaftliche Fragen zu debattieren.» Mediale Aufgabe, anonyme Anschuldigungen von Trittbrettfahrerinnen zu kolportieren? Das ist ja nicht mal witzig, sondern nur blöd.
  7. «Dass die Berliner Staatsanwaltschaft jetzt gegen die Medien entschieden hat, belegt beiläufig etwas anderes, und es ist entscheidend: Trotz hohem öffentlichem Druck hat der Rechtsstaat funktioniert.» Ach ja? Damit ist Lindemann, nachdem auch Tamedia auf die Unschuldsvermutung geschissen hat – und das nicht zum ersten Mal – wieder rehabilitiert? Werden all die Verleumder und diejenigen, die ihnen grosse Plattformen boten, streng bestraft? Nein, wenn die Medien jedes Mass verlieren, nicht mehr in der Lage sind, verantwortungsvoll mit ihrer Macht umzugehen, dann hat auch der Rechtsstaat ein gravierendes Problem. Er hat hier nicht einfach gesiegt. Sondern Lindemann hat schlichtweg genug Geld, um sich seine Gegenwehr leisten zu können. Das unterscheidet ihn zum Beispiel von Finn Canonica. Wie Tamedia mit dem umspringt, spottet jeder Beschreibung und wäre einen Kommentar von Büttner wahrlich wert. Aber hallo, wes Brot ich ess …

Um es gepflegt auszudrücken: hier wird mit hohler Geste ein «nostra culpa» aufgeblasen, so unnütz wie ein Aufruf zu Frieden auf der Welt und gegen den Hunger. Gleichzeitig wird jedes Argument aus der Ecke gekratzt, das zur Salvierung des eigenen Organs dienen könnte.

Wenn Tamedia meint, dass damit Büttner ein paar Kartoffeln aus dem Feuer geholt hat, täuscht sich die Teppichetage ein weiteres Mal. Das ist bloss Leserverarsche, und der Leser ist nicht so dumm, das abzukaufen. Da müssten Bigboss Supino und Little Boss Birrer schon noch ein paar bessere Kunststückchen einfallen. Wenn ihnen das gegeben wäre.

Das Prinzip billige Rechtfertigung.