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Tagi: Homepage als Gerümpelturnier

Wie kann man ein Aushängeschild so verlottern lassen?

Eine Zeitung liefert News. Diese Banalität scheint man in der Qualitätsoffensive, also beim Schuss in den Ofen, bei Tamedia vergessen zu haben.

Dass die News nun von zwei Hubs verwaltet werden, als wären sie Pakete, die man irgendwie rumschicken muss, ist das eine. Dass eine Homepage so unattraktiv wie möglich daherkommt, das andere.

So geht’s mal los. Immerhin ist noch erkennbar, dass es sich um die Webseite des «Tages-Anzeiger» handelt. Aber sonst? Wildwest. Selbstanpreisung (2.50 / Woche für 1 Jahr). Versteht man immerhin nach scharfem Nachdenken.

Dann zweimal quer scrollen, etwas, was man unbedingt vermeiden sollte. Oder halt auch nicht.

Und schwups, drei Minuten später sieht’s schon ganz anders aus. Irgend ein Algorithmus hat nach Anzahl Klicks, Verweildauer, dem Mondzyklus und dem Stand von Ebbe und Flut beschlossen, etwas umzustellen.

Dann kommt die Abteilung ungeordnete News aus aller Welt und aller Gattungen, einfach mal so serviert:

Zehn Happen, von Wahlen in der Moldau über Klimaschutz, ein Bob Dylan auf X, ein Brand in Pfäffikon oder der Senf am Sternen-Grill. Help yourself, such dir was aus. Oder lass es.

Dann, nach einer Riesenwerbung, kommt die Rubrik «Redaktion empfiehlt». Das ist nun sehr speziell; wieso sollte sie das tun? Heisst das, dass die anderen Artikel nicht empfehlenswert sind, sondern aus Zufall und Unachtsamkeit auf die Homepage kamen?

Dann, nicht minder merkwürdig, eine «News-Pause». Hier gibt es also keine News? Was ist dann ein Artikel «Möchten Sie wissen, wie Sie geschlafen haben?» Keine News, aber zum Einschlafen?

Wieder Werbung, dann «Züritipp(s) der Woche». Ob es sich noch nicht herumgesprochen hat, dass der «Zürtipp» eingespart wird, wie man der Öffentlichkeit und der Redaktion gleichzeitig mitteilte. Was sehr geschmackvoll war. Aber immerhin sorgte Qualität-Papst Bärtschi für ein paar Lacher, als er Abos erwähnte, die es gar nicht mehr gibt.

Wieder Riesenwerbung, dann Ressort «Zürich». Chrüsimüsi, würde man das wohl nennen, wenn es nicht irgendwie unsichtbar einem Ordnungsprinzip folgen würde. Nur welchem?

Werbung, dann «Schweiz». Was ist da vermeldenswert?

Echt? Minen und Minenopfer in der Ukraine, verjährte Straftaten von Geistlichen, 19 Entlassungen bei RTS. Das ist in der Schweiz los? Arme Schweiz.

Dann zweimal untereinander Werbung. Zuerst die übliche, dann Werbung für das neue Buch von Thomas Knellwolf. Blöd aber auch: dennoch schafft es der Wälzer nicht in die Bestsellerliste.

Dann ein weiterer Höhepunkt, «International». Der NL «Alles klar, Amerika?», zum Einloggen und Langweilen. Dann der Ukraine-News-Ticker, ohne einloggen, ebenfalls sacklangweilig. Als wäre das nicht genug Ukraine, gleich daneben «Alles rund um den Krieg in der Ukraine». Und daneben von der «Süddeutschen» serviert ein Porträt des möglicherweise getöteten Hamas-Chefs Sinwar. Eigenleistung der eigenen Auslandredaktion? Null.

Dann eine weitere Rubrik, die zur Leservertreibung dient: «Unter Verdacht: der True-Crime-Podcast». «Wirtschaft», «Sport», dann die Lieblingsrubrik aller verbliebenden Journis «Meinungen». Dann breaking news, «Bereit zum Wandern?» Ja, zum Abwandern.

Weil’s so schön war, die Rubrik «Podcast», Spionage, USA-Podcast, «Flo-Jo – alle Folgen im Überblick», die auch niemand interessierten, und dann muss nach rechts gescrollt werden, was aber gerade nicht funktioniert, was sicherlich auch kein Schaden ist.

Schliesslich, sozusagen im Unterholz versteckt, «Elif x Tagi: Unsere Kochserie», die ebenfalls kein Mensch interessiert hat. Tiefer gesunken ist dann nur noch die «Kultur», obwohl es die eigentlich gar nicht mehr gibt.

Ach nein, dann kommt noch «Leben», «Panorama», «Digital», «Reisen» und last and least «Das Magazin», aber soweit nach unten scrollt sowieso niemand.

Wenn man sich dieses Gerümpelturnier anschaut, versteht man zwei Dinge. Wieso Kerstin Hasse aus der Chefredaktion entfernt wurde. Und wie es aussieht, wenn eine völlig demotivierte Redaktion die Homepage mit Gefässen bespielen soll, die eigentlich der Leserabschreckung dienen.

Statt dummes Zeugs über angeblich neue Strategien und Qualitätssteigerung durch Rausschmeissen zu verzapfen, sollten sich die vielen Häuptlinge und Oberindianer vielleicht mal um etwas ganz Banales kümmern: wie baue ich eine Homepage eines Newsmediums so auf, dass der Leser auch animiert zu lesen beginnt.

Aber das ist eben gar nicht so einfach, deshalb lässt man ganz oben lieber die Finger davon.

Lesen statt labern

Wer ist ein Kriegsverbrecher im Nahen Osten?

Die Mainstream-Meinung ist klar gemacht: Die Führer der Hamas? Aber selbstverständlich. Völlig zu recht sind gegen Yahya Sinwar, Mohammed Deif und Ismail Haniyeh Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragt worden. Schon alleine die Geschehnisse des 7. Oktober 2023 reichen aus, um diesen Verdacht zu begründen.

Grosses Gebrüll auch und gerade von kleinen Geistern erhebt sich aber, weil auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und der Verteidigungsminister Yoav Galant unter dem gleichen Verdacht stehen. Die dümmsten (aber beliebtesten) Wäffeleien dagegen sind: damit werde die fundamental-wahnsinnige Hamas und die gewählten Vertreter einer Demokratie auf die gleiche Stufe gestellt.

Das ist völliger Unsinn, weil es voraussetzt, dass Exponenten demokratischer Regierungssysteme keine Kriegsverbrechen begehen könnten. Sozusagen per Definition. Alleine eine oberflächliche Betrachtung der langen Reihe von US-Kriegsverbrechen, angefangen beim Vietnamkrieg, der Bombardierung von Laos und Kambodscha, die Kriegsverbrechen in Afghanistan, im Irak und während unzähligen militärischen Interventionen seit dem Zweiten Weltkrieg, führen diese Behauptung ad absurdum.

Die Art der Ausübung politischer (und militärischer) Herrschaft ist also völlig unerheblich bezüglich der Frage, ob Kriegsverbrechen begangen werden oder nicht.

Zudem hat sich der Internationale Strafgerichtshof der Unterstützung eines Expertengremiums versichert, das nochmals untersuchte, ob es genügend Anhaltspunkte, Indizien, Beweise für die Vorwürfe gegen diese fünf Verantwortlichen gibt.

Hier wird alleine Amal Clooney herausgegriffen, weil sie als attraktive Ehefrau von George Clooney eine Angriffsfläche für billige Polemik (mit stark sexistischen Untertönen) bietet. Dass in diesem Gremium andere honorige Rechtsgelehrte sitzen wie Sir Adrian Fulford, der israelisch-amerikanische Völkerrechtsexperte Theodor Meron, die britische Rechtsanwältin Baroness Helena Kennedy oder die britische Juristin Elizabeth Wilmshurst, das ist diesen Kritikastern egal. Weil es ihnen nicht in den Kram passt, dass niemand von denen seine Reputation aufs Spiel setzen würde, indem er aus welchen Gründen auch immer die Auffassung des Chefanklägers teilte, dass auch Netanyahu und sein Verteidigungsminister auf die Anklagebank gehören – wenn er nicht von der Richtigkeit überzeugt wäre.

Unterstützt wird das Gremium zudem von zwei akademischen Experten aus der ersten Liga. Aber all das ist einäugigen Schwarzweiss-Sehern völlig egal. Für die sind die Israelis einfach «die Guten», wie Markus Somm in beachtlicher Einfalt formulierte. Und Gute können bekanntlich nie böse sein, so wie Böse nie gut sein können. Das erkennt man in klassischen US-Western daran, dass die Bösen schwarze Cowboyhüte aufhaben, zur Unterscheidung von den Guten mit hellen.

Selig sind die Armen im Geist, das wusste schon die Bibel. Denn für sie ist die Welt nicht rund und kompliziert, sondern flach und einfach. Blöd nur, dass solche einfältigen Weltbilder nie sehr nahe an der Wirklichkeit liegen, was ihre Vertreter Mal für Mal erstaunt, aber keinesfalls in ihrer felsenfesten Überzeugung zweifeln lässt, dass sie – getragen von haltloser, aber tiefster Überzeugung, den absoluten Durchblick zu haben – das Leiden der Menschen in der Ukraine und im Gazastreifen für zwar bedauerlich, aber halt unvermeidlich halten.

Auch dort können natürlich nur und ausschliesslich die Russen Kriegsverbrechen begehen, wieso auch Präsident Putin per Haftbefehl gesucht wird. Auf ukrainischer Seite – denn auch das sind doch die Guten – ist aber niemand angeklagt.

Es gebührt wieder einmal der «Weltwoche» das Lob, dass sie als einziges deutschsprachiges Magazin die Erwägungen dieses Gremiums, die öffentlich erhältlich sind, auf Deutsch übersetzt hat und leicht gekürzt ins Netz stellt.

Die Lektüre ist nicht sehr prickelnd, weil es – wie es sich gehört – trocken-juristisch zu und her geht. Sie sei dennoch allen Kurzdenkern und Krakeelern empfohlen, die mal wieder mangelnde Kenntnis durch überreichlich Meinung wettmachen.

Dass deutsche Leitmedien in Sachen Israel mit gebremstem Schaum agieren, mag angesichts der Vergangenheit noch knapp verständlich sein. Wieso in der Schweiz unisono die beantragten Haftbefehle gegen Hamas-Führer als Nebensache abgetischt werden, aber grosses und aufgeregtes Geschrei herrscht, dass der Internationale Gerichtshof es wagt, gleiches Recht auch auf Israel anzuwenden, ist hingegen erbärmlich.

Dabei ist es, nochmals zum Mitschreiben, kinderleicht zu verstehen: Kriegsverbrechen sind Kriegsverbrechen. Es gibt keine guten und bösen, keine erlaubten und verbotenen, keine verzeihlichen. Wer den Grundsatz «gleiches Recht für alle» aufweichen will, kann auch gleich die Wiedereinführung von Faustrecht oder Gottesurteilen, das Erlangen von Geständnissen durch Folter fordern. Denn er will den Wall des Rechts gegen Willkür und Barbarei aus politischer Sympathie schleifen. Und begibt sich damit jedes Rechts, unbarmherzige Bestrafung für Hamas-Verbrecher zu fordern.