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Falscher Titel

Die «SonntagsZeitung» schlägt mal wieder Alarm.

ZACKBUM weiss, was passiert ist. Wir können auch ein untrügliches Indiz anführen. Es gibt kein Editorial und auch keinen Artikel von Arthur Rutishauser. Also ist er in den Ferien. Und die Leser haben die Bescherung.

Es ist mal wieder ein Cover, bei dem man sich fragt, wieso eigentlich der Mut fehlt, den Leser mit der Mitteilung zu überraschen: diese Woche ist uns einfach mal wieder überhaupt nix eingefallen.

Stattdessen: «So lebt eine polyamore Familie, Odermatt, Rösti». Zwei Jung-Nationalrätinnen sind sich uneinig. Verblüffend, die eine ist in der SVP, die andere in der SP. Und dann der falsche Titel des neuen Jahres: «Schweizer Berge schrumpfen». Richtig wäre: «SonntagsZeitung» schrumpft.

Beweise gibt es überreichlich: «50 Jahre «Kassensturz»». Nichts gegen Roger («wer hat’s erfunden?») Schawinskis Meisterleistung, aber eine Doppelseite? Und hätte man von Schawi nicht ein besseres Foto nehmen können?

«Der Streit unter den rechten Parteien spitzt sich zu», ein schönes Stück Wunsch- und Blasenjournalismus. Dann erschütternder Mülltourismus, begleitet vom Lacher des Monats: «Ärztin lässt zwei Verletzte liegen, die von ihrem Hund angefahren wurden». Ein grossartiges Stück Qualitätsjournalismus.

Neu daher kommt auch die Seite «Standpunkte». Das Lustigste, nämlich die Bildsatiren von Peter Schneider, sind verschwunden. Stattdessen das brüllend originelle Gefäss «Schnappschuss». Aber immerhin, dank der unablässig quengelnden Jacqueline Badran und des unablässig knödelnden Markus SommWarum Deutschland nicht zur Schweiz gehört», auf diesen Titel muss man erst mal kommen), kann die Seite schmerzlos überblättert werden.

Womit man beim Porträt des «interkulturellen Beraters» gelandet wäre, der sich gegen Gewalt in Migrantenfamilien einsetzt. Putziger Titel: «Auch meine Klienten wissen, dass es falsch ist, die Partnerin zu schlagen». Aber sie tun es halt dennoch, da sollte man nicht eurozentrisch und postkolonialistisch unser Wertesystem anderen Kulturen aufzwingen wollen.

Wenn dem Wirtschaftsressort auch mal wieder gar nichts einfällt, dann wärmt es diese Uralt-Geschichte auf: «So viel Food-Waste verursacht der Detailhandel». ZACKBUM warnt: wenn man schon Anfang Jahr den ganzen Stehsatz verballert, dann wird es spätestens in der Sommerflaute ganz dünn. Denn das Stichwort «Food-Waste» ergibt im Medienarchiv SMD in den vergangenen 12 Monaten satte 1886 Treffer

Aber, ZACKBUM widerspricht seinem Ruf, alles nur negativ zu sehen, dann kommt das Highlight der Ausgabe; ein selten mutiger Peter Burkhardt titelt: «Wo Kettensägen-Mann Javier Milei recht hat». Und legt in der Unterzeile noch nach: der argentinische Präsident sei in Europa als irrer Rechtspopulist verschrien, «dabei ist sein Wirtschaftsprogramm vernünftig und angesichts der Krise des Landes dringend nötig». Vielleicht sollte Burkhardt das mal seinem Kollegen Simon Widmer schonend beibringen.

Aber dann geht es weiter in der Abteilung eingeschlafene Füsse in ungewaschenen Socken: «Die Angst vor der nächsten Finanzkrise wächst». Und wächst und wächst und wächst. Gestern, heute und morgen. Auch der Geldonkel und ehemalige Chefredaktor Martin Spieler hat sich wohl noch nicht wirklich von der Sause an Silvester erholt: «Nur auf Megatrends zu setzen, ist riskant». Mindestens so riskant, wie auf Mikrotrends zu setzen. Oder überhaupt zu setzen.

Dann kommen wir auf das Niveau «Hund überfährt Passanten» zurück: «Wechseljahre mit Anfang 30». Daraus könnte man problemlos eine Serie basteln: «Herzinfarkt unter 30, graue Haare unter 30, MS unter 30, Demenz unter 30, Glatze unter 30, Dritte Zähne unter 30».

Nachdem Jean-Martin Büttner bereits alles Nötige zur «singenden Nervensäge» gesagt hat, darf nun Joan Baez in der SoZ selbst etwas zu sich sagen.

Dann noch etwas reinster Gesinnungsjournalismus: «Putins Aufstieg vom Hinterhofschläger zum neuen Stalin». Allerdings macht der Rezensent dieses sicherlich ausgewogenen Romans die Lektüreempfehlung gleich am Anfang kaputt: «Doch der Ukraine-Krieg macht auch seinen Roman kaputt.» Frage: wieso sollte man das dann lesen? Und bis zu einem neuen Stalin ist’s dann doch noch ein Weilchen hin für den Kremlherrscher.

Dann wieder zurück zu «Hund überfährt Mann»: «Ein Kind, eine Mutter und zwei Väter». Huch. Wir kommen zum Intelligenztest dieser Ausgabe: welchen Einrichtungstipp gibbs Anfang Jahr? Bravo, genau: «Neues Jahr, neue Ordnung». Dann eine brandneue Erkenntnis: «Im Winter schlafen Bäume nur mit einem Auge». Und was machen von Geburt an einäugige so?

Aus der Frühzeit gibt es hingegen Schreckliches zu vermelden, wenn auch nur in Frageform: «Schnitten sich die Menschen der Steinzeit Fingerglieder ab?» Nüchterner geht es in die Gegenwart zurück, wo der Autobauer zu den letzten Mohikanern gehört, die Printinserate schalten: «Der Traum von vergangener Grösse», die SoZ begrüsst das Comeback von Cadillac. Zweiter Intelligenztest, was wird im Reise-Teil thematisiert? Bravo, schon wieder richtig: «Da wollen wir 2024 hin. Traumziele».

Aber, schluchz, schon nach 58 Seiten ist dann Schluss. Mehr würde der Leser auch nicht aushalten …

 

 

 

 

Whataboutism

Gegenfrage und Themenwechsel. Die Königsdisziplin der Betroffenen.

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Der Vergleich lag so nahe, dass ihm Simon Widmer von Tamedia nicht widerstehen konnte: «Analyse zum Titanic-.Tauchboot: die toten Migranten haben mehr Anteilnahme verdient». Ist das so? Weil sie mehr sind?

Hält Widmer einer fühllosen Gesellschaft den Spiegel vor, blicken wir in eine teilnahmslose Fratze? Auch Adrian Kreye von der «Süddeutschen Zeitung» macht sich seine Gedanken: «Über die vermutlich 500 Flüchtenden, die vor Griechenland starben, weiß man nur wenig.» Dabei sei es «das Sinnbild des herzlosen Nordens , der nicht bereit ist, die Menschen zu retten, die aus dem Süden vor Krisen wie Krieg, Klima oder Armut fliehen mussten, an denen der Norden oft Mitschuld hat».

Ähnlich sieht das auch Widmer: «Das Schicksal der superreichen Titan-Passagiere treibt viele mehr um als der Tod von Hunderten Migranten.» Interessante Beobachtungen von zwei Mitmachern. Zwei Journalisten. Über die U-Boot-Tragödie erschienen in den letzten sieben Tagen 684 Artikel. Über die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer im letzten Monat ganze 31. Also beklagen die beiden etwas, woran sie selber mitbeteiligt sind.

Denn statt zu klagen, hätten sie ja den toten Flüchtlingen im Mittelmeer mehr Aufmerksamkeit verschaffen können. Stattdessen fällen sie moralische Werturteile über etwas, woran sie selber schuld sind.

Daraus entsteht dann dieser unsägliche Whataboutism, wofür es kein adäquates deutsches Wort gibt. Diese Leiter kann man beliebig hinaufsteigen. Wieso gibt es im vergangenen Monat über 15’000 Meldungen zur Ukraine, lediglich 522 zum Sudan? Findet denn dort kein Krieg statt, mit Massakern, Verwüstungen, Flüchtlingen, Elend, Misere?

Und whatabout die 10’000 Kinder, die jeden Tag an Hunger oder leicht heilbaren Krankheiten sterben? Ein Massenmord, wie Jean Ziegler nicht müde wird zu betonen.

Und whatabout die Millionen Menschen in Armut, im Elend, die Ausgebeuteten, Erniedrigten, Geknechteten, Versklavten, die Kinderarbeiter ohne Zukunft, die Sweat Shops, wo die T-Shirts all der besorgten Gutmenschen genäht werden, die in der Schweiz jährlich ein Trinkgeld für nachhaltig hergestellte Kleider ausgeben?

Während aber Kreye sich wenigstens allgemein Gedanken über das Missverhältnis in unserer Aufnahmefähigkeit von Tragödien macht, fordert Widmer ultimativ «mehr Teilnahme». Ohne das allerdings begründen zu können. Das Problem fällt ihm selber auf, also versucht er es mit untauglichen Hilfskonstruktionen: «Vom missglückten Tauchgang des Titanic-Tauchbootes lassen sich über den Fall hinaus nur wenige Lehren ziehen.» Das mag so sein. «Beim Schiffsunglück im Mittelmeer stellt sich hingegen eine ganze Liste an juristischen, politischen und moralischen Fragen.» Auch das mag so sein.

Was für Lehren will Widmer daraus ziehen? Am Schluss wird’s absurd: «Und selbstverständlich bleibt zu hoffen, dass alle Titan-Passagiere doch noch lebend geborgen werden können. Doch dieselbe Anteilnahme haben auch die Flüchtlinge verdient, die in der vergangenen Woche ertrunken sind

Welche Anteilnahme haben nun die Flüchtlinge verdient? Die Hoffnung, dass auch sie noch lebend geborgen werden könnten? Nein, sie sind tot, wie die Besatzung des U-Boots, wie man inzwischen weiss. Anteilnahme ist nicht das Gleiche wie Lehrenziehen. Abstrakte Anteilnahme ist wohlfeil, die Forderung danach ist geradezu schäbig, wenn sie ein Journalist äussert, der Bestandteil der Erregungsbewirtschaftung um das U-Boot ist. Statt sich an seine Redaktionskollegen zu wenden, erhebt er gegenüber der Öffentlichkeit den Mahnfinger. Dabei liest und diskutiert die doch nur, was ihr Widmer, Kreye und Kollegen servieren.

Widmer ist auch schon ganz woanders. Er erklärt den Lesern die abgeschriebenen Wirren um ein Kindermädchen in Kolumbien. Statt den Schicksalen der ertrunkenen Flüchtlinge nachzugehen.

Heinrich Pestalozzi soll gesagt haben: «Wohltätigkeit ist das Ersaufen der Gerechtigkeit im Güllenloch der Gnade.» Dazu passt:

Anteilnahme ist das Ersaufen der Abhilfe im Güllenloch der Gefühlsduselei.

Au weia, au weiwei

Wie drei Qualitätsjournalisten eine Story versenken.

Eigentlich könnte es ein schönes Recherchierstück sein: «Warum die CS den China-Kritiker rauswarf». Die News ist zwar nicht brandneu, aber man will ja nicht zu viel vom heutigen Elendsjournalismus verlangen.

Es geht darum, dass dem weltberühmten chinesischen Künstler Ai Weiwei seine Konten bei der Credit Suisse gekündigt wurden. Vorwand: Die Bank führe keine Geschäftsbeziehungen mehr mit Vorbestraften. Es liegt auf der Hand, dass das ein Kotau vor dem chinesischen Regime und dem Riesenmarkt dort ist, wo man vor allem im Immobilienbereich Multimilliarden – in den Sand setzen kann.

Also ideal für die CS. Und ideal für ein sauberes Stück Hinrichtungsjournalismus. Gleich drei Tamedia-Cracks haben zusammen in die Tasten gehauen. Vielleicht liegt es daran, dass Linus Schöpfer, Simon Widmer und Jorgos Brouzos nur ein Jammerlappen von Artikel gelungen ist.

Der vielfältige Schweizer Print-Journalismus (Ausschnitt).

Zunächst der szenische Einstieg, wie er vom «Spiegel» seit gefühlten hundert Jahren zelebriert wird:

«Oktober 2021, ein Sonntagmorgen in Portugal. Chinas berühmtester Dissident sitzt in seiner Küche und schlürft Suppe. Die Kamera ist an, wir sprechen über Zoom mit Ai Weiwei.»

Informationsgehalt: null. Bedeutung: null. Jeder Chinakenner weiss, dass die dort ihre Suppe schlürfen. Morgens und abends und auch zwischendrin. Jeder weiss, dass die Kamera schon an sein muss, sonst geht da nix. Aber nun geht’s sicher mit dem Enthüllungsjournalismus los.

 

Künstler und Dissident: Ai Weiwei.

Moment, zunächst muss noch, das haben wir mal im Schulaufsatz gelernt, erklärt werden, was wir so tun und getan haben: «Im Folgenden erzählen wir die Geschichte hinter Ais Rauswurf. Dafür sichteten wir Mails und Transkripte von Sitzungen, führten Gespräche mit Ai Weiwei, Verantwortlichen der Credit Suisse und unabhängigen Bankexperten.»

Das muss einem natürlich gesagt werden; die drei Herren haben sich nicht einfach eine Story aus den Fingern gesaugt. Sie haben doch tatsächlich etwas recherchiert. Wahnsinn. Nun könnte der Leser, der es bis hierher durchgehalten hat, natürlich der Meinung sein: was interessieren mich die Kontoverbindungen eines Suppe schlürfenden Chinesen in Portugal?

Natürlich weist der Einzelfall ins Allgemeine hinaus

Aber auch dafür gibt es sofort eine Antwort: «Es ist eine Geschichte, die über den Streitfall «Credit Suisse gegen Ai Weiwei» hinausweist. Denn sie gibt Einblick in das Kalkül und die Ethik einer Schweizer Grossbank. Und sie zeigt, wie verblüffend rasch und zugleich radikal die Bank im Ernstfall ihre Verteidigungslinie anzupassen weiss.»

Ein Kunstwerk des Künstlers.

Normalerweise wird die Moral einer Geschicht’ erst am Schluss enthüllt, aber warum mal nicht gleich am Anfang? Wohl in der berechtigten Befürchtung, dass nicht allzu viele Leser bis zum Ende der 13’360 Anschläge umfassenden Gähnstory durchhalten. Als wären wir hier bei der «Republik».

Aber wir sind beim Qualitätsmedium Tamedia, das diese seitenfüllende Sauce in alle Kopfblätter in allen Winkeln der Schweiz ergiesst. Was macht man, wenn man schon ganz am Anfang die Recherche und die Moral und überhaupt alles verraten hat, inklusive Journalismus in langen Hosen? Genau, man macht eine «Rückblende». «Ai schreibt, die Credit Suisse habe das Konto seiner Stiftung aufgelöst. Begründet habe das die Bank mit einer neuen Geschäftsregel, die keine gerichtlich verurteilten Kunden mehr erlaube. Er sei aber weder angeklagt noch verurteilt worden. Das wahre Motiv müsse daher wirtschaftlicher Art sein.»

Das war am 6. September, am 11. September erschien dann ein Interview in den Tamedia-Blättern mit Ai Weiwei. Da sagt er nochmals, was er schon zuvor gesagt hat. Schnarch.

Künstler mit Kunstwerk, hier für Hornbach.

Die CS sagt das, was man als Bank halt so sagt. Bankkundengeheimnis, sagen nix zu allfälligen Kontoverbindungen. Aber nicht nur in den Medien sinkt das Niveau unaufhörlich ins Bodenlose. Wir lesen im Schulaufsatz: «Am Samstagmorgen erhalten wir einen Anruf, am Apparat ist ein Kommunikationsspezialist der CS. Man wolle ein neues Statement abgeben.»

Links künstlerisch verfremdet, rechts das Segellogo der CS.

Wunderbar dass wir das alles wissen; es war ein Anruf, und es war ein «Kommunikationsspezialist» am Hörrohr (der hoffentlich inzwischen seinen Job los ist). Denn der teilte mit, dass man die Kundenbeziehung «beendet» habe, weil der Künstler «gesetzlich erforderliche Informationen nicht lieferte». Das ist nun tatsächlich ein Knaller – an Blödheit.

Hier könnte man abbrechen, aber he, es sind drei Autoren …

Damit könnte man eigentlich die Story knackig beenden. Aber nein, wir erinnern uns: es wurden Unmengen von Material durchgeackert. Zur Verfügung gestellt vom «Team» Weiweis. Also vielleicht nicht ganz objektiv. Aber wie auch immer, warum in einem Satz etwas sagen, wenn man auch viele verwenden kann.

Der eine Satz: diese Unterlagen scheinen zu belegen, dass die CS nach Vorwänden suchte, um Weiwei rauszuschmeissen. Gefühlte 100’000 Buchstaben später kommt der Künstler zu einer geradezu konfuzianisch weisen Beurteilung: Die Bank sei «money-rich but truth-poor». Wobei das mit dem «money-rich» auch eher ein Gerücht ist.

Der Künstler als Kunstwerk.

Aber, Fakten auf den Tisch, haben nun die Chinesen auf die CS eingewirkt, den Dissidenten rauszuschmeissen? «Dafür gibt es keine Hinweise.» Aber das wäre ja eigentlich die Aufgabe einer echten Recherche gewesen.

Stattdessen endet der Artikel mit einem leisen Seufzer, «keine Hinweise». Das ist nun keine Kunst. Das ist auch keine Leistung. Das ist einfach jämmerlich. Das ist au weia, das ist au wei. Dabei wäre die einzig interessante News (leider verschenkt), dass die CS sich nicht entblödet, etwas zu einem Kunden zu sagen. Als ob man noch nie vom Bankkundengeheimnis gehört hätte.

Dafür könnte man die Blöd-Bank einklagen, aber dazu sind die Journis selber …