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Hysterie? Hysterie

Wie reagieren die Qualitätsmedien auf den Ex-Bundesrat Maurer?

Offensichtlich fühlt sich Ueli Maurer pudelwohl als ehemaliger Bundesrat. Endlich kann er klarstellen, wieso er bei der Credit Suisse nicht eingriff – wofür er kräftig Prügel bezog. Aber sein Argument, dass er gegen den Willen des damaligen Oberversagerrats Axel Lehmann nun schlecht einen Multimilliardenkredit beim Parlament habe verlangen können, leuchtet ein.

Noch prononcierter äussert sich Maurer zur überstandenen Pandemie: Die Reaktion darauf sei hysterisch gewesen, stellt er fest. Die «Sonntagszeitung» gab ihm Gelegenheit für ein langes Interview: «Wer eine kritische Frage stellte, wurde aussortiert, indem man ihn als ‹Verschwörer› oder als ‹Rechtsextremen› brandmarkte».

Nun ist Maurer nicht nur ähnlich beliebt wie Bundesrat Rösti, sondern gehört wie der für viele Mainstream-Medien der falschen Partei an. Der SVP.

Also keift die NZZ, das andere Organ aus dem eigenen Hause sozusagen als «Beweis» zitierend: «Ueli Maurer werde, befreit von den Zwängen bundesrätlicher Kollegialität, immer radikaler. Das schrieb die «NZZ am Sonntag» vor zwei Wochen – und führte zahlreiche Beispiele von provokativen Aussagen Maurers zur Schweizer Corona-Politik an

Noch schlimmer, ein anonymer «Soziologe» diagnostiziere: «In den Aussagen von Maurer fänden sich «gezielt gesetzte Versatzstücke vieler verschwörungstheoretischer Erzählmuster»».

Dann schwant der NZZ noch mehr Übles. Der alt Bundesrat sei zwar 73-jährig. «Doch der frühere Präsident der SVP zeigt keine Lust, in aller Ruhe die Rente zu geniessen und – wie andere frühere Bundesräte – der Maxime «servir et disparaître» zu folgen. Er erklärt bereits, gegen «einen möglichen schlechten Rahmenvertrag» an vorderster Front kämpfen zu wollen.»

Auf Radio 1 hetzt der ehemalige SP-Stapi von Zürich Elmar Ledergerber, Maurer sei «schon immer ein illoyaler Bundesrat gewesen», habe «gehetzt» und Parteipolitik betrieben. Offenbar meint der Schwätzer, das versende sich doch schnell.

Schon am 20 Januar hatte die NZZ gerüpelt: «Ueli Maurer stösst mit kruden Aussagen selbst Parteifreunde vor den Kopf»; Simon Marti und Georg Humbel, brav im Dienste der FDP, schreiben von einem «Entfesselten». Auch der «Blick» stösst ins gleiche Horn: «Alt Bundesrat Maurer verbreitet krude Thesen». Das ist besonders mutig von einem Blatt, dessen CEO ein perfektes Beispiel für die Corona-Hysterie abgibt und seine Redaktionen anwies, brav die Regierungspolitik in der Pandemie zu unterstützen. Von seiner Standleitung zum damaligen Gesundheitsminister Berset ganz zu schweigen.

Etwas vornehmer formulierte Tamedia: «Ueli Maurer irritiert mit neuen Aussagen zur Pandemie selbst SVPler». Abgesehen davon, dass diese Aussagen keineswegs neu waren oder sind, und ein irritiertes Parteimitglied, das so gerne in die Medien kommen möchte, findet sich immer.

Viktor Giacobbo, dem es auch immer mehr egal ist, wie er in die Medien kommt, damit seinem Ex-Kollegen Mike «Arschloch»-Müller ähnlich, erinnert an sich selbst, als Maurer-Imitator mit Clownnase:

Nun kann man zu Maurers pointierter Position durchaus geteilter Meinung sein. Allerdings wäre es dann zumindest redlich, auf die Begründungen des alt Bundesrats einzugehen. Immerhin hat ihm die SoZ dazu Gelegenheit gegeben, was aber innerhalb von Tamedia sicherlich nicht gerne gesehen wurde.

Aber die fundierteste Kritik kommt vom Weltorgan «Zofinger Tagblatt», im Verbund der CH Media Presse. Das druckt einen Kommentar des Chefredaktors der «Aargauer Zeitung» nach. Fabian Hägler war lange Jahre Leiter des «Ressort Aargau», und dermassen qualifiziert weiss er: «Corona war keine bewusst geschürte Hysterie, die Massnahmen dagegen keine Massenhypnose. Die Impfung dagegen ist nicht heisse Luft, sondern hat unzählige Menschen vor einem schweren Krankheitsverlauf bewahrt. Das sind die Fakten und der wissenschaftliche Konsens zur Pandemie.»

Abgesehen davon, dass Maurer das so nicht formuliert hat: es ist immer beruhigend, wenn ein Lokalredaktor sich als Virologe, Immunologe und Kenner der Sachlage outet. Aber vielleicht hätte er doch bei der Berichterstattung über das Jubiläum des Kleintierzüchtervereins Oberentfelden bleiben sollen.

Denn das kann er; wir geben ein Müsterchen aus seinem jüngeren Schaffen: «Wenig ist so eng mit Lenzburg verknüpft wie die ehemalige Spielwarenfabrik Wisa Gloria. Und kaum etwas aus deren Sortiment war und ist bekannter als die ikonischen Kinderwagen. Florina Haderer hat beides verknüpft, ein 140-Jahr-Jubiläum draufgelegt und herausgekommen ist: eine Neulancierung der Kinderwagen von anno dazumal

Das kann er. Er kann aber auch die ganz grossen Bögen: «Wie der Kanton Aargau die Schweizer Traditionsanlässe mitprägt. Fête des Vignerons 2019 in Vevey, Olma 2015 in St. Gallen und Expo.02 in Neuenburg: Das waren die letzten Auftritte als Gastkanton.»

Ach ja, das Peter-Prinzip hat wieder zugeschlagen.

 

Wir haben’s gewagt

Eigentlich wollte ZACKBUM schon nach diesen Anrissen aufgeben.

Denn was haben eine Pizzaschachtel und Patti Basler gemeinsam? Sie sind beide nicht lustig. So viel Sexismus muss einleitend sein.

Aber vom Humorlosen zu einem wirklich ernsten Thema. Auf der Frontseite reisst die «NZZamSonntag» ein Doppelinterview an:

Das ist nun auch ein Stück perfide Demagogie. Demagogisch daran ist, dass die Aussagen von zwei EU-Botschaftern in der Schweiz zum Plural «EU-Länder» aufgepumpt wird, was beim Leser den Eindruck erwecken soll, dass alle EU-Mitglieder das so sähen. Perfid daran ist, dass dieses Interview die FDP-Wackelpolitik bezüglich Waffenexporten via Drittländer unterstützen soll.

Schauen wir mal genauer hin, wie Ladina Triaca und Simon Marti das Doppelinterview mit der holländischen und dem französischen Botschafter(in) in der Schweiz, denn das sind die «EU-Länder», geführt haben.

Natürlich ist es nicht die Aufgabe des Interviewers, den Interviewten in den Senkel zu stellen. Aber zu viel Unterwürfigkeit ist auch fatal. So sagt die holländische Botschafterin unverfroren auf die Frage, ob die EU Druck auf die Schweiz ausgeübt habe: «Wir gingen davon aus, dass der Bundesrat uns folgen würde. Die grosse Frage war, wie rasch.» Zu dieser klaren Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates hätte man vielleicht etwas sagen können. Aber nur vielleicht …

Dann geht’s zur Sache, also zum neuen Versuch, klare Schweizer Gesetze auszuhebeln, die auch die Wiederausfuhr Schweizer Waffen in Kriegsgebiete glasklar verbieten, was auch alle europäischen Staaten vertraglich zugesichert haben. Aber neu heisst es: «Es geht hier um die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen und Munition, die sich in den Beständen unserer europäischen Partner befinden. Sind diese blockiert, ist das ein Problem für Europa.»

Das schlucken die Interviewer widerstandslos, also legt der französische Botschafter nach:

«Wenn die Schweiz die Lieferung von Waffen und Munition blockiert, heisst das auch, dass sie ein europäisches Land daran hindert, seine eigene Sicherheit zu verteidigen.»

Spätestens hier hätte man von zwei gestandenen NZZaS-Journalisten erwarten dürfen, dass sie Widerspruch gegen diese absurde Behauptung einlegen. Aber nein, tun sie nicht. Also zeigt der Franzose, was diplomatischer Zynismus ist und antwortet auf die Nachfrage, ob der Druck auf die Schweiz anhalten werde: «Aber ich würde nicht von Druck auf die Schweiz sprechen, sondern von einer sehr starken Nachfrage.»

Vielleicht haben die beiden Journis nicht die abgefeimte Ironie verstanden, sie winken auch diese Frechheit durch. Da machen zwei Diplomaten klar, dass sie auf Schweizer Gesetze pfeifen, kokettieren ungeniert damit, dass man dieses Stachelschwein doch schon noch kleinkriegen werde, behaupten in Bezug auf russische Vermögen gar, «die Russen werden zahlen müssen für den Wiederaufbau der Ukraine, aber natürlich stellen sich rechtliche Fragen». Könnte man da nicht erwarten, dass der Interviewer nachhakt, ob damit gemeint sei, rechtsstaatliche Grundsätze samt Eigentumsgarantie in die Tonne zu treten? Könnte man, müsste man. Ist aber nicht.

Was für eine blamable Aufführung der Interviewer. Was für eine blamable Führung durch die oberen Hierarchiestufen, die diese mangelhafte Leistung ins Blatt durchwinkten. Man sollte die beiden Kolonialherren, womit auch die Dame gemeint ist, zu personae non gratae erklären; die beiden Journis am besten gleich mit.

Neben dieser Fehlleistung verblasst beinahe die Kehrtwende der England-Korrespondentin Bettina Schulz. Sie erweckt nämlich den Eindruck, mit dem Denken Lenins sehr vertraut zu sein. Der soll als erster gesagt haben: Was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern an. So lästerte sie ausführlich über die angeblich ausweglose und kritische Situation ab, in die sich Britannien durch den Brexit begeben habe. Dazu noch dieser neue Premier, Himmels willen. Nun aber: «Drachentöter im Massanzug. Rishi Sunak lässt mit seinem EU-Coup ein ganzes Land aufatmen». Das ist schön für die Briten, nur: was soll man der Wetterfahne Schulz denn noch glauben?

Auf Seite drei dürfen wir dann eine Analyse des Schreibtischgenerals, des Sandkastenstrategen, der militärischen Koryphäe Markus Bernath lesen. Der hatte bekanntlich schon die Niederlage Russlands verkündet. Aber auch ihn geht sein dummes Geschwätz von gestern nichts an, aktuell analysiert er: «Die Russen wollen genau diese Stadt (Bachmut, Red.) erobern, weil sie überall sonst scheitern. Und die Ukrainer verteidigen den Ort bis zuletzt, weil auch sie nicht zu einer Offensive fähig sind.»

Frage eins: Stimmt das? ZACKBUM hat keine Ahnung und weiss sich damit mit Bernath einig. Frage zwei: wird diese Analyse in drei Monaten noch Bestand haben? Nein. Frage drei: wieso wird dann eine Seite darauf verschwendet? Gute Frage.

Der gebeutelte Leser wankt zu Seite 16 und kriegt auch dort eine volle Ladung Gedöns serviert. Zunächst sargt der schreibende Rentner Felix E. Müller «Das Magazin» ein. Immerhin schreibt nicht Aline Wanner, also bleibt ZACKBUM ungeschoren. Ist aber auch nicht nett von Müller, dass er das Magazin der NZZaS für völlig überflüssig erklärt. Oh, hoppla, er meint natürlich das Magazin der Konkurrenz. Sicher reiner Zufall, diese Schelte.

Gegen Schluss wird Müller dann etwas dunkel, was den Sinn seiner Kolumne betrifft. Nachdem er die Überflüssigkeit des Tagi Magi beschworen hat, fährt er fort: «Noch verfehlter ist es, auch Mobbingfälle auf diese Weise veredeln zu wollen. Sie wären genauso schlimm, hätten sie sich so, wie behauptet, beim «Entlebucher Anzeiger» zugetragen.» Mann o Mann, was will uns die schreibende Schnarche denn damit sagen? Das «Magazin» veredelt Mobbingfälle? Sie werden edler durchs Magazin? Wer würde bestreiten, dass sie beim «Entlebucher Anzeiger» genauso schlimm wären, hätten sie sich so zugetragen?

Ist halt schon blöd, wenn man ab und an den Faden verliert und Unverständliches murmelt. Aber eigentlich gäbe es dafür eine Redaktion, die das dem Leser erspart. Leider Konjunktiv. Aber der Leidensweg ist auf dieser Seite noch nicht abgeschritten, der Kelch nicht bis zur Neige geleert. Denn darin schwimmt noch Nicole Althaus. Sie schreibt, nein, lieber Leser, mehr als einmal raten ist nicht erlaubt, sie schreibt über weibliche «Hysterie» und – hübsche Formulierung – «Mensch mit Menstruationshintergrund».

Aber dann regt sie sich über die zunehmende Verwendung eines sensiblen Sprachgebrauchs auf, also statt «Armer» heisst es dann «Mensch mit limitierten finanziellen Ressourcen». Das sei ganz furchtbar und ändere nichts an der Realität. So weit, so gut. Dann bringt sie ein Beispiel einer klaren Reportersprache über Heiratsgebräuche in den Slums von Mumbai. So weit, auch so gut. Aber dann will sie diese klaren Sätze selber in eine «diskrimierungsfreie Sprache» übersetzen, um diesen Unfug zu entlarven. Nur: sie kann’s nicht, also wird’s zum peinlichen Eigentor.

Allerdings ist damit der Golgatha-Weg des Lesers, man muss leider zu solchen Metaphern greifen, noch nicht zu Ende. Peer Teuwsen, da zuckt der sensible Leser schon zusammen, interviewt Josef Hader. Das ginge ja noch, wenn Hader in Form wäre. Aber Teuwsen hat ihn, geschickt, geschickt, der völlig humor- und begabungsfreien Patti Basler an die Seite gestellt.

Wir sind bekanntlich bereit, für unsere Leser eine Leidensfähigkeit an den Tag zu legen, die ihresgleichen sucht. Aber wir lasen diesen Satz hier von Basler: «Aber ich persönlich bin je nach Körperstelle einer anderen Region zugewandt. Der Beckenboden zum Beispiel ist südostasiatisch tief im Om.» Seit wir uns das plastisch vorzustellen versuchten, kriegen wir das Bild nicht mehr aus dem Kopf, da nützt auch keine transzendentale Meditation mehr. Um weitere Beschädigungen zu vermeiden, gaben wir hier die Lektüre auf. So viel Selbstschutz muss sein.

War’s das wenigstens? Fast. Auf Seite 53 interviewt Peer Teuwsen, ja, wir zucken zusammen, Jan Weiler. Jan who? ZACKBUM gesteht: Wir haben noch nie von einem der «meistgelesenen Autoren deutscher Sprache» gehört. Hört sich auf jeden Fall besser als Bestsellerautor an. Das ist ein Mann mit einem bescheuerten Pseudonym auch, das war auch ein Konsalik, das sind auch die Autoren der Jerry-Cotton-Heftchen. Aber hier ist es Weiler. Dabei hat gerade Peter von Matt eine neue Essaysammlung veröffentlicht, vor der man niederknien muss. Dabei gibt es unzählige andere Neuerscheinungen, zum Beispiel das kleine Wunderwerk von Volker Reinhardt über Montaigne. Und, und, und. Aber Teuwsen hat den einschlägig bekannten Weiler dazu eigeladen, in der NZZaS einen «Fortsetzungsroman» zu schreiben.

Gut, wir haben den «Der erste Satz»-Test gemacht: «Als Peter Munk zwei Tage nach seinem einundfünfzigsten Geburtstag auf der Rolltreppe des Globus zwischen der zweiten und der dritten Etage einen Herzinfarkt erlitt, ergriff ihn weder Todesangst noch Verunsicherung, sondern reine Empörung.»

Um das Resultat vorweg zu nehmen: durchgefallen. Knackt in den Gelenken, weil ungelenkes Situieren, überflüssige Ortsangabe, «ergriff ihn» unmotiviert altertümlich, Substantivierung macht die Aussage behäbig, Verbalisieren wäre viel dynamischer gewesen. Und kann jemand, der gerade einen Herzinfarkt erleidet, darüber empört sein? Mediziner würden sagen: nein. Also ist’s auch noch ein unsinniges Setting.

Danach kommt übrigens die Rückblende, wir ahnten es und blendeten uns aus.

Also noch mal so eine Ausgabe der NZZaS, und ZACKBUM verlangt Schmerzensgeld. Und nein, liebe Leser, die Lektüre von SoZ und SoBli kann uns nun wirklich keiner zumuten, nach diesem Schmerzenspfad durch das Sonntagsblatt aus der Falkenstrasse, das endlich mal wieder eine Schreiboffensive starten sollte. Denn eigentlich hätte es doch die Mannschaft dafür.

 

Jouschu-Leiter Hannes Britschgi will bis 2024 weitermachen

Und schwärmt von seinen angehenden Journalisten.

Hannes Britschgi leitet seit 11 Jahren die Ringier Journalistenschule (Jouschu). Von seinen Schülern hält er viel, nur der Arbeitseinsatz könnte höher sein.

ZACKBUM: Bei Frauen muss man da etwas vorsichtig sein, bei Ihnen hoffentlich nicht: Sie sind 65 Jahre alt und diesen Sommer hört Ihr Klassenzug auf. Gehen Sie dann golfen?

Hannes Britschgi: Nein, geplant ist der nächste Ausbildungsgang 2022 bis 2024. So könnte ich 2024 das 50-Jahr-Jubiläum der Jouschu feiern. Vorausgesetzt, Ringier und meine Gesundheit lassen das zu.

Bleiben wir doch beim Thema Alter. Sie sind über 40 Jahre älter als Ihre Schülerinnen und Schüler. Sprechen Sie eigentlich noch die gleiche Sprache wie die?

Machen Sie sich da mal keine Sorgen. Meine drei Töchter sind etwa in dem Alter meiner Schülerinnen und Schüler. Aber es ist klar, dass auch ich mich ständig in den neuen Technologien fortbilden muss.

Sie sind Leiter einer einzigartigen Schule für Journalismus. Im Unterschied zu den teuren Lehrgängen am MAZ, zahlt Ringier seinen Volontärinnen und Volontären sogar einen Lohn (im ersten Jahr 1625 Franken pro Monat, danach 3250 Franken). Der Unterricht findet in einer Villa statt. Lohnt sich das wirklich für Ringier?

Ja, das tut es. Schauen Sie, als ich vor 10 Jahren die Schulleitung übernahm, ging das mit einer gewaltigen Budgetreduktion einher. Ich habe lange studiert, wie man die Qualität sichern und trotzdem sparen kann. Die Lösung: Ich habe die Schlagzahl der Lehrgänge reduziert. Jetzt schreiben wir in zehn Jahren nur noch drei Klassen aus.

Stichwort Qualität: Einer der Jouschu-Dozenten ist Ralph Donghi …

… ja, richtig, Ralph ist einer von rund vierzig Dozentinnen und Dozenten. Und er ist einer der interessantesten. Er erklärt den Schülern im Modul «Feldrecherche» seine Arbeitsmethode. Aber wissen Sie was? Seine Lektionen führen zu heftigen Diskussionen unter den Studenten. Will ich diese nötige Auseinandersetzung den angehenden Journalisten vorenthalten? Nein, sicher nicht.

Werden Ihre Leute überhaupt Journalisten oder machen sie später irgendetwas mit Medien?

Gute Dreiviertel der Abgängerinnen und Abgänger der jüngsten Jouschu-Klassen erhielten einen festen Arbeitsvertrag bei Ringier und leisten wertvolle Arbeit für den Verlag: Zum Beispiel Helena Schmid mit ihren Primeurs im News-Ressort der Blick-Gruppe oder Alexandra Fitz mit ihren grossen Geschichten im SonntagsBlick – sie ist dort stellvertretende Leiterin des Magazins – oder die talentierte Schreiberin Rahel Zingg im Style, jetzt in der Schweizer Illustrierten, oder der gescheite Bundeshausredaktor Simon Marti vom SonntagsBlick. 

Sie haben über 40 Jahre Journalismus im Blut und kennen den Nachwuchs aus nächster Nähe. Was hat sich verändert?

Nicht sehr viel. Wir erhalten zwar weniger Anmeldungen, aber die, die dann kommen, brennen für den Beruf. Ich bin jedes Mal fasziniert von unseren Talenten. Etwas hat sich geändert. Früher gab es für angehende Journalisten keine Nacht und keinen Sonntag. Junge Erwachsene von heute trennen Job und Freizeit stärker als früher. Einerseits ist das gut und überzeugend, andererseits irritiert mich der dosierte Einsatz nach Dienstplan.

Hannes Britschgi, 1955, studierte an der juristischen Fakultät Bern und machte 1984 das Berner Anwaltspatent. Seit über 30 Jahren ist er Journalist. Zuerst beim Schweizer Fernsehen: «Karussell», «Max», «Kassensturz», «Rundschau». Für seine «Rundschau»-Interviews erhielt er den «Telepreis 1997». 2001 wechselte er als Chefredaktor zum Schweizer Nachrichtenmagazin «FACTS». 2005 übernahm er die Programmleitung von «Ringier TV». 2008 wurde er «SonntagsBlick»-Chefredaktor. Seit 2011 leitet er die Ringier Journalistenschule.

 

Sobli-da-so-blöd-da

Der «SoBli» als Bundesratsversteher.

Wo und wie fasst man als Journalist eigentlich einen Bundesrat an? Erfahrene Kollegen raten: Gleich wie einen Bauern oder wie den Kellner, der gerade den Kaffee auf den Tisch stellte.

Der «Sonntagsblick» hat in Bundesbern zwei junge Journalisten akkreditiert: Camilla Alabor und Simon Marti. Die beiden führen Interviews mit der obersten Exekutive des Landes. Krawall ist nicht so ihr Ding, sie plaudern lieber ein bisschen um den heissen Brei herum, und schon sind zwei Seiten voll.

Niemanden störte das wirklich. Es ging auch so lange gut, wie in der Schweiz alles bestens lief. Vollbeschäftigung, schöne Landschaft, warme Gipfelis. Momentan aber läuft gar nichts gut. Der Bundesrat trägt einen wesentlichen Teil der Schuld auf sich.

Im aktuellen «Sonntagsblick» gibt es nun ein Interview mit der Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Wieder mit Alabor und Marti. Machen wir kurzen Prozess: Es ist das bisher schlechteste Interview, das ich von den beiden gelesen habe. Für mich unverständlich, warum man diese beiden Gutwetterjournalisten an ein so wichtiges Gespräch lässt, anscheinend unbetreut.

Warum ich das Interview so schlimm finde? Weil Camilla Alabor und Simon Marti das nicht gemacht hatten, was sie eigentlich mussten: Fragen stellen. Die Politikerin habe ihnen «einen Blick hinter die Kulissen gewährt», freuen sich hingegen Alabor und Marti. Für den Onlinetext wird ein Bild ausgesucht, dass an Jesus‘ Abendmahl erinnert. Alabor und Marti holen die Harfe und texten: «Mit dem Ausbruch der Coronakrise fand sich Simontta Sommaruga plötzlich in der Rolle der Landesmutter wieder.»

Harfe kurz weggelegt, dafür mit Posaune: «Auf einmal im Auge des Sturms. In ihrer Mitte: die Bundespräsidentin.» Was ist das für ein Schwachsinn? Schreiben unsere deutschen Kollegen solche Hymnen auf Spahn oder Merkel? Nein, die werden gegrillt, geröstet und gegessen. Ist das schlimm? Nein, es nennt sich Job.

In welchem Land der Welt schreibt der Boulevard: «Plötzlich fällt Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60) die Aufgabe zu, das Land durch die Krise zu führen. Den Bundesrat zusammenzuhalten. Die Kantone miteinzubeziehen.»

Alabor und Marti haben sich für eine didaktische Interviewform entschieden: Auf eine Antwort von Sommaruga folgt die Erklärung der Redaktion. Erstes Beispiel: Sommaruga:

«In dieser Phase hat sich der Bundesrat darauf verlassen, dass die Kantone ihre Verantwortung übernehmen.»

Alabor und Marti kommentieren:

«Ebenso wie die Schweizer Bevölkerung zählte auch der Bundesrat darauf, dass die Kantone den Sommer zur Vorbereitung auf die zweite Welle nutzen. Das hat ganz offensichtlich nicht geklappt.»

Zweites Beispiel: Sommaruga

«Der Wendepunkt war für mich der Freitag, 9. Oktober, als die Zahlen emporschnellten Da habe ich meine Bundesratskollegen Alain Berset und Guy Parmelin angerufen und gesagt: So geht es nicht weiter. Wir müssen die Kantone an den Tisch holen.»

Alabor und Marti nicken und schreiben als Kommentar:

«Gesagt, getan.»

«Wenn es sein musste», schreiben die beiden Journalisten an anderer Stelle, «griff sie auch mal zum Telefon und organisierte (…) ein Krisentreffen mit den Kantonen.» Wer so etwas schreibt, hakt auch nicht nach, wenn die «SP-Magistratin» Zeugs wie dieses sagt:

«Ich notierte in meinem Notizheft bereits Anfang Oktober: Der Bund muss wieder präsenter werden.»

Die beiden anständigen Bundeshaus-Journalisten wollten wahrscheinlich ihren Badge fürs Bundeshaus nicht verlieren. Dafür verliert der «Sonntagsblick» noch weiter an Abonnenten.