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Das Schweigen der Belämmerten

Israel ist ein heikles Thema. Zu heikel für viele Medien.

Es gibt Dumpfbacken, für die sind die Israelis schlichtweg «die Guten». Die dürfen dann auch alles Böse machen. Für andere ist jeder, der die Kriegsverbrechen Israels im Gazastreifen kritisiert, ein Antisemit. Die denunzieren sogar ein Model mit palästinensischen Wurzeln so massiv, dass ein Sportschuhhersteller es aus seiner Kampagne entfernt.

Wer Israel kritisiert, dem wird unterstellt, er legitimiere damit den barbarischen Überfall fundamentalistischer Wahnsinniger auf die Zivilbevölkerung und Besucher eines Musikfestivals.

Aber neben der Schlachterei im Gazastreifen gibt es noch ein weiteres Thema, um das viele nur auf Zehenspitzen herumtänzeln. Die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten. Erschwerend kommt gerade hinzu, dass der Rücktritt von Joe Biden von der Präsidentschaftskandidatur so ziemlich alle Ressourcen bindet.

Da kann ein klares Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) doch glatt untergehen. Das höchste Gericht der UNO hat mit klaren Worten die Besetzung und Besiedelung palästinensischer Gebiete scharf verurteilt.

Lediglich der «SonntagsBlick» zitiert die Worte des «Gerichtspräsidenten Nawaf Salam (70): «Der Staat Israel steht in der Pflicht, seine unrechtmässige Anwesenheit in den besetzten palästinensischen Gebieten so schnell wie möglich zu beenden.» Insbesondere die Siedlungspolitik wird als klar rechtswidrig verurteilt, Israel müsse die rund 700’000 Siedler in den besetzten Gebieten zur Rückkehr auffordern.

Die Zerstückelung dieser Gebiete, die ungesühnten Verbrechen israelischer Siedler, die sich mit Mord und Totschlag unliebsamer Mitbewohner entledigen, all das ist ein trübes Kapitel israelischer Politik. Wie üblich verblendet reagierte der israelische Ministerpräsident Netanyahu, den bekanntlich nur die Immunität seines Amtes vor einem Knastaufenthalt bewahrt:

«Das jüdische Volk ist kein Besatzer in seinem eigenen Land. Keine Fehlentscheidung in Den Haag wird die historische Wahrheit verfälschen, sowie die Rechtmässigkeit der israelischen Siedlungen auf dem gesamten Gebiet unserer Heimat nicht angefochten werden kann.»

Der SoBli weist auch mutig auf die Frage hin, wie sich denn die offizielle Schweiz verhalten soll, deren Position eigentlich genau diesem Gutachten des IGH entspricht. Er zitiert einen «erfahrenden Diplomaten», natürlich anonym: «Cassis steht für Doppelmoral. Gegenüber Russland hält er das Völkerrecht hoch und ergreift sogar Sanktionen. Gegenüber Israel unterstützt er bislang das Gutachten des IGH nicht mit Nachdruck».

Überlebenskampf, Existenzkampf, die einzige Demokratie im Nahen Osten, umgeben und bedroht von Diktaturen oder von islamischen Wahnsinnigen. Neben Antisemitismus sind das die Totschlagargumente, mit denen jede Debatte über Selbstverschulden oder über mögliche Auswege niedergemacht werden.

Dabei ist es völlig klar, dass nur eine wie auch immer geartete Zweistaatenlösung die Chance auf Frieden verspricht. Dass Israel von Amokläufern umgeben ist, darf doch keine Entschuldigung dafür sein, selbst auch Amok zu laufen. Israel kann die Hamas nicht vernichten, und das ist nur der kleine Bruder der Hetzbolla, und die wiederum sind nur die Zöglinge Irans.

Dass islamische Fundamentalisten keine tragfähige Lösung für die Zukunft haben, ist eine Sache. Dass Israel auch keine hat, ist die andere, viel schlimmere. Dass ein Land, das Atomwaffen besitzt, nicht völlig besiegt werden kann, ist eine triviale Erkenntnis, die sowohl auf Russland wie auf Israel zutrifft. Darum herum zu eiern, bringt überhaupt nichts. Wobei die Gefahr im Nahen Osten viel grösser ist als in der Ukraine.

Da sich Israel mit seiner Invasion des Gazastreifens – ohne die formulierten Kriegsziele auch nur ansatzweise zu erreichen – immer mehr ins Eck manövriert und an internationaler Unterstützung verliert, ist hier die Gefahr des Einsatzes von Atomwaffen ungleich höher als in der Ukraine. Und offenbar müssen die von der Gegenseite bald nicht mehr aus Pakistan importiert werden, sondern der Iran ist selbst zur Herstellung in der Lage.

Damit wäre dann Israel nicht mehr der Hegemon als alleiniger Besitzer; der Nahe Osten wird vom Pulverfass zum atomaren Pulverfass.

 

Zeit der Gedankenleere

Israel/Palästina: eigentlich ein Idealfall für Intellektuelle.

Der heimtückische Überfall der fundamentalistischen Terrororganisation Hamas auf Israel ist ein durch nichts zu rechtfertigendes Verbrechen. Raketen wahllos auf zivile Ziele abfeuern, Nicht-Kombattanten als Geiseln nehmen, in Dörfern um sich schiessen: unsäglich.

Die Hamas (Bewegung des Islamischen Widerstands), ein Ableger der Muslimbrüderschaft, regiert seit ihrem Wahlsieg von 2006 diktatorisch im Gazastreifen. Ihr erklärtes Ziel ist die Beseitigung des Staates Israel mit militärischen Mitteln. Zu ihren wichtigsten Unterstützern gehört der Iran, der zwar Israel 1948 sofort anerkannte, aber nach der islamistischen Revolution das Existenzrecht eines israelischen Staates nicht mehr anerkennt.

Der einzige erkennbare Grund für den Überfall könnte sein, dass damit die Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien, einem Todfeind des Irans, torpediert werden soll. Völlig ungeklärt ist die Frage, wie der israelische Geheimdienst, der wohl beste der Welt, der ganze Infiltrationsteams im Gazastreifen unterhält, die monatelangen Vorbereitungen übersehen haben kann.

Die Folgen dieses terroristischen Überfalls für den Gazastreifen werden fürchterlich sein.

Das sind wohl soweit die einigermassen gesicherten Tatsachen.

Anschliessend wird es aschgrau. Es gibt einige versprengte Anhänger des Antisemitismus, die fundamental gegen die Juden sind und auch Zweifel an der Existenzberechtigung Israels haben. Sie sind in der intellektuellen Auseinandersetzung über das Thema irrelevant.

Viel komplizierter wird es bei der Linken, die traditionell das Kopftuch à la Arafat als modisches Statement um den Hals geschlungen hatte und hat. Die mehr oder minder unreflektiert das, was sie für die Sache der Palästinenser hält, unterstützt. Die zwar das Existenzrecht Israels anerkennt, aber genauso einen Palästinenserstaat fordert. Dabei allerdings übersieht, dass sich die Zeiten seit der Herrschaft von Yassir Arafat massiv geändert haben. Ihm war es noch gelungen, die Al-Fatah als zwar terroristische, aber politische und nicht religiöse Bewegung auf der internationalen Landkarte zu etablieren.

Aktuell bestünde eigentlich die Aufgabe von Intellektuellen, Journalisten, Analysten, Experten darin, zu versuchen, die in die verschlungene Geschichte des Nahen Ostens nicht Eingeweihte mit Hintergrundinformationen zu versorgen. Sie versagen einmal mehr.

Aktuell bestünde die Aufgabe von Politikern und politischen Parteien, die sich traditionell der palästinensischen Sache verschrieben haben, darin, sich zu diesem Angriff zu äussern. Die «Gesellschaft Schweiz Palästina», immer noch präsidiert von Geri Müller: tiefes Schweigen. Der Co-Präsident von Swissaid, der Freund des Mafiastaates Kosovo, der SP-Nationalrat und Vielschwätzer Fabian Molina behauptet, er sei «schockiert» über «das Leid, welches diese Gewalteskalation bei der Zivilbevölkerung in Israel und Palästina» auslöse. Ein terroristischer Überfall, verkleidet als «Gewalteskalation»? Und welche Zivilbevölkerung Palästinas? Ein Geeier. Dann verkündet Molina noch allgemein: «Angriffe auf Zivilpersonen sind niemals legitim.»

Auch Balthasar Glättli, aalglatter Präsident der Grünen, ist um eine Verurteilung nicht verlegen: «Unser Mitgefühl gilt den Opfern dieser barbarischen Gewalt», salbadert er, als müsste er eine Trauergemeinde verbal trösten.

Nun ist es heutzutage leider so, dass dank Internet so ziemlich jede vergangene Äusserung auffindbar bleibt. Nehmen wir mal ein paar Organisationen durch. Da wäre zum Beispiel Greta Thunberg und «Fridays for Future». Israel begehe «Kriegsverbrechen um Kriegsverbrechen», regte sich die Kämpferin für eine bessere Welt auf. Auch die Organisation  selbst sieht die Sache eher einseitig: «Unsere Herzen sind bei den Märtyrern, ihr Blut wird nicht vergessen gehen.» Damit meinte sie aber nicht israelische oder zivile Opfer, sondern getötete fundamentalistische Terroristen.

Auch ein Mitbegründer der Klimakämpfer «Extinction Rebellion» hat ein etwas verrutschtes Geschichtsbild; so bezeichnete er den Holocaust flappsig als «just another fuckery» (einfach so ein weiterer Scheiss) in der Menschheitsgeschichte.

Auch die SP hat eine lange Geschichte der militanten Verteidigung der Sache der Palästinenser. Noch 2002 organisierte die Partei (zusammen mit den Grünen, den Gewerkschaften und dem reformierten Kirchenbund) eine grosse Demo in Bern mit 10’000 Teilnehmern. Kein Geringerer als der damalige Fraktionschef der SP verurteilte in seiner Rede Israel, das «ganz gezielt ein ganzes Volk massakriere» dabei «die systematische Ausrottung der Palästinenser» plane.

Heute haben alle Kreide gefressen. Molina warnt kleinlaut davor, alle Palästinenser in den gleichen Topf zu werfen. Noch 2022 hatte er, mit einer Mehrheit von 125 Nationalräten, gegen ein Verbot der Hamas in der Schweiz gestimmt. Und auf der Webseite der SP Schweiz findet man unter dem Stichwort Palästina zwei Einträge. Einer von 2014 und der zweite von 2010 … Die Hamas existiert dort nicht.

So gibt es unzählige grössere und kleinere linke Organisationen, Medien oder Einzelmasken, denen es äusserst peinlich wäre, an vergangene Äusserungen zum Nahostkonflikt erinnert zu werden. Man kann ja seine Meinung ändern, das ist erlaubt und aufrechter, als am ewigen Politikertalk festzuhalten: «Ich habe schon immer gesagt.» Aber: eine redliche und genauso öffentliche Auseinandersetzung mit vergangenen Irrtümern wäre anständig und nötig.

Genauso unredlich ist es allerdings, diesen abscheulichen Überfall dazu zu missbrauchen, mal wieder jegliche Kritik an der verbrecherischen Politik Israels, der völkerrechtswidrigen und in unzähligen UNO-Resulotionen verurteilten Besetzung fremder Territorien, der ebenfalls allen internationalen Gepflogenheiten widersprechenden illegalen Siedlungspolitik und an den aktuellen Versuchen, den Rechtsstaat aus den Angeln zu heben, mit der grossen Keule «Antisemitismus» zu erschlagen, wie das nicht nur Amoks wie Giuseppe Gracia tun.

Intellektuelle, die sowieso kaum Einfluss auf das Weltgeschehen haben, versagen bei ihrer wichtigsten Aufgabe: Die Weltlage analysieren, differenziert und informiert der Öffentlichkeit Erklärungen und Erkenntnisse vermitteln, mit denen sie etwas anfangen kann und sich eine eigene Meinung bilden.

Die Medien, die Journalisten versagen aufs Neue und immer wieder krachend, unsäglich, peinlich. Wie wünschte man sich einen Arnold Hottinger zurück, der wohl als Einziger in deutscher Sprache kompetente und nachvollziehbare und erhellende Erklärungen liefern konnte.

Dass das nicht naturgesetzlich ist, sondern ein spezifisch deutschsprachiges Problem, das beweist ein Blick über die Sprachgrenzen hinaus. Alleine der Artikel «The lessons from Hama’s assault on Israel» in «The Economist» enthält in aller gebotenen Kürze mehr Informationen, Erkenntnisse, Erklärungen und Analysen als so ziemlich alles, was bislang auf Deutsch erschienen ist.

Was zurzeit in Israel geschieht, ist ein Verbrechen und eine Tragödie. Sie wird ihre Fortsetzung im Gazastreifen finden. Was sich intellektuell im deutschen Sprachraum abspielt, ist ein Trauerspiel. Wie sich Exponenten der palästinensischen Sache winden und verwinden, ist zum Fremdschämen. Wie Anhänger Israels diesen Überfall missbrauchen wollen, um jegliche Kritik an Israel mit der Antisemitismuskeule zu erschlagen, ist widerwärtig.

Die überbordende Berichterstattung über dieses Verbrechen beinhaltet die fortgesetzte völlige Wurstigkeit gegenüber noch grösseren Verbrechen in der gleichen Weltgegend, im Jemen, im Sudan, in Äthiopien. Oder gegenüber der Erdbebentragödie in Afghanistan. Das ist beschämend.