Schlagwortarchiv für: Sibylle Berg

Archäologie des Verschwindens

Was weg ist, fehlt nicht. Oder doch?

Wer erinnert sich noch an die grossen Debatten, ob eine Impfung gegen Corona nützt oder schädlich ist? Ob Ungeimpfte potenzielle Massenmörder seien? Da liefen Corona-Kreischen wie Marc Brupbacher zu Höchstformen auf, sahen völlige Verantwortungslosigkeit herrschen («Der Bundesrat ist völlig übergeschnappt») und das Ende der Welt nahen.

Vorher völlig unbeachtete Wissenschaftler überboten sich in Ankündigungen von Todeszahlen (Wissenschaftler Althaus gewann mit dem Höchstgebot von 100’000 Toten in der Schweiz).  Eine Task Force ermächtigte sich, verantwortungsfrei allen Politikern, inklusive Bundesrat, der sie eigentlich zwecks stillen Beratungsdienstleistungen ins Leben gerufen hatte, Noten, Ratschläge und besserwisserische Forderungen zukommen zu lassen.

Das Maskentragen war nicht nur obligatorisch, sondern Nicht-Träger wurden öffentlich an den Pranger gestellt; alle Dissidenten von der medial unterstützten Regierungslinie wurden als Corona-Leugner, Aluhutträger, Verschwörungstheoretiker und willige Gefolgsleute von üblen Rechtspopulisten beschimpft. Wer an bewilligten Demonstrationen teilnahm, war ein nützlicher Idiot, wer sie mit Treicheln begleitete und den eidgenössischen Schlachtruf «Horus» anstimmte, ein Faschist.

Welche Schäden die hysterische und überzogene Politik wirtschaftlich und gesellschaftlich angerichtet hat – Schwamm drüber.

Vorbei, verweht, vergessen.

«#metoo», die grosse Bewegung gegen männliche Herrschaft, Übergriffe von Mächtigen auf Abhängige, der Aufschrei lange schweigender Frauen. Neben wenigen sinnvollen Anklagen produzierte die Bewegung eine Hexenjagd, diesmal aber auf Männer. Harvey Weinstein, als Sexmonster entlarvt und in den Knast gesteckt. Kevin Spacey und so viele andere: falsch beschuldigt, ruiniert, fertiggemacht, und wenn sie Jahre später von allen Anwürfen freigesprochen werden, interessiert das niemanden mehr wirklich. Die doppelte Endmoräne dieser Bewegung trägt die Namen Anuschka Roshani und Till Lindemann. Sie als Falschbeschuldigerin, er als Falschbeschuldigter.

Erinnert sich noch jemand daran, dass der heruntergekommene «Spiegel» dem Rammstein-Sänger sogar eine Titelgeschichte widmete, Roshani ihre grösstenteils frei erfundenen und längst widerlegten Anschuldigungen dort veröffentlichen durfte? Dass nun auch noch ein gefallener linker Starreporter seine Karriere beenden musste, weil ihm anonym verbale Übergriffe und ein angeblicher körperlicher Übergriff vorgeworfen werden, wobei eine medienbewusste Medienanwältin eine zwielichtige Rolle spielt: war da mal was?

Vorbei, verweht, vergessen.

«We stand with Ukraine», jede bessere WG machte neben der Pace-Fahne Platz für eine Ukraine-Flagge. Der ehemalige Schauspieler Volodymyr Selenskyj, an die Macht bekommt dank der Millionen eines ukrainischen Oligarchen, der sich damit eine Amnestie von gewaltigen Unterschlagungen erkaufte, wurde zum neuen Superhelden des Widerstands. Selbst eine Modestrecke in der «Vogue» mitsamt vor zerschossenen Flugzeugen posierender Gattin konnte diesem Image keinen Abbruch tun. Endlich war die Welt wieder in Ordnung. Nach dem bösen chinesischen Virus nun der böse russische Autokrat.

Seither dürfen Ukrainer und Russen in einem Stellvertreterkrieg verbluten. Der völkerrechtswidrige Überfall hat bislang Schäden in der geschätzten Höhe von 1000 Milliarden US-Dollar angerichtet. Zahlen wird die nicht Russland, auch nicht die Ukraine. Und erst recht nicht China oder Indien. Wer bleibt? Genau, in erster Linie die EU. Da gab es neulich eine gross angekündigte ukrainische Offensive. Wie geht’s der, wo steckt sie, ist sie erfolgreich, erfolglos, ist die Ukraine am Ende oder Russland oder beide? Wen interessiert’s im Moment, der arme Selenskyj versucht verzweifelt, darauf aufmerksam zu machen, dass es Hamas-Terrorismus und russischen gäbe. Dabei zählen seine westlichen Verbündeten ihre Munitions- und Waffenlager durch und fragen sich, womit sie allenfalls Israel unterstützen wollen.

Vorbei, verweht, vergessen.

Ein Treppenwitz ist dagegen, dass der grosse Shootingstar der Schweizer Literatur, der mehrfach preisgekrönte Kim spurlos verschwunden ist. Das eint ihn mit dem anderen grossen Gesinnungsblasenschreiber Lukas Bärfuss, von dem man auch noch kein ordnendes Wort zu den aktuellen Weltläufen gehört hat. So viel zu der gesellschaftspolitischen Verantwortung des Schriftstellers, die immer als Begründung herhalten muss, wenn mehr oder minder begabte Schreiber meinen, ihre persönliche Meinung zu diesem und jenem interessiere eine breitere Öffentlichkeit. Ach, und wo bleibt Sibylle Berg, die nach Plagiatsvorwürfen und leichten Zweifeln an der Authentizität von Reportagen auch deutlich leiser geworden ist.

Ein Treppenwitz im Treppenwitz ist, dass die Webseite von «Netzcourage» seit Tagen nicht mehr erreichbar ist, und ausser ZACKBUM ist das noch niemandem aufgefallen, bzw. keiner hält es für nötig, darauf hinzuweisen, dass nun Tausende, na ja, Hunderte, öhm, Dutzende, also eine Handvoll von Cybermobbing-Opfern unbeholfen und ungeholfen rumstehen. Ach, und es können wieder ungehemmt «Cockpics» verschickt werden, wovon angeblich bereits jede zweite Frau belästigt wurde. Nun kommt auch noch die andere Hälfte dran.

Vorbei, verweht, vergessen.

Sich prügelnde Eritreer, überhaupt Nachrichten aus den Elendslöchern dieser Gegend, aus Äthiopien, Sudan, Somalia, aber auch Tschad, Niger? Ach ja.Falsche Hautfarbe, keine nennenswerten Rohstoffe, Pech gehabt. Hat noch nie gross interessiert, interessiert aktuell überhaupt nicht. Armenier? Ach ja, die Armenier, war da nicht neulich was? Der religiöse Autokrat Erdogan, der die Errungenschaften Atatürks aus reiner Machtgier rückgängig gemacht hat und die Türkei ins Mittelalter zurückführen will, bombardiert als Kriegsverbrecher kurdische Lager in Syrien? Na und, ist aber doch in der NATO, hilft bei den Flüchtlingsströmen und daher ein Guter. Mohammed bin Salman, auf dessen Befehl hin ein Dissident unter Bruch aller diplomatischer Regeln in einer saudischen Botschaft brutal ermordet und zerstückelt wurde – nun ja, ein Freund des Westens, Waffenkäufer und Besitzer von Ölquellen. Da sehen wir ihm doch sein Gemetzel im Jemen auch gleich nach.

Vorbei, verweht, vergessen.

Hunderttausende von Kindern, denen bei der Kakaoernte Gegenwart und Zukunft gestohlen wird, die missbraucht, gequält, geschlagen, erniedrigt werden? Das wurde vom Läderach-Skandal überstrahlt, von der erschütternden Enthüllung, dass Läderach Senior als Mitglied einer Freikirchen-Sekte mitverantwortlich dafür war, dass vielleicht zwei oder drei Dutzend Zöglinge eines Internats ein wenig psychisch oder physisch misshandelt wurden.

Das Zurich Film Festival kündigte sofort erschreckt die Partnerschaft. Das gleiche Filmfestival, das den geständigen Vergewaltiger einer Minderjährigen Roman Polanski noch einige Jahre zuvor den Ehrenpreis fürs Lebenswerk überreicht hatte. Das gleiche Filmfestival, das ohne Skrupel solche Schoggi verteilt hätte, wenn das Problem nur darin bestanden hätte, dass sie mit ausbeuterischer Kinderarbeit gewonnen wird. Na und, Westafrika, Schwarze, who cares.

Vorbei, verweht, vergessen.

Israel, Israel, Israel. Ein bestialischer Überfall, das Abschlachten von Zivilisten. Das Vorgehen einer Mörderbande, wie es nur mittels der mittelalterlichen Todesreligion Islam möglich ist. Und schon wieder werden die Fundamente der Aufklärung in Frage gestellt. Es ist diskussionslos widerwärtig, dass in Deutschland (und in kleinerem Umfang auch in der Schweiz) antisemitische Ausschreitungen stattfinden. Wer die Sache Palästinas mit radikalfundamentalistischen Wahnsinnigen wie Hamas vermischt, ist ein Vollidiot und schadet der Sache Palästinas schwer. Aber wer Antisemitismus als wohlfeiles Totschlagargument gegen jede, auch gegen berechtigte Kritik an Israel verwendet, schadet einer fundamental wichtigen Sache unserer westlichen Gesellschaft: dem freien Diskurs. Der Überzeugung, dass nur im Austausch von Argument und Gegenargument, von Meinung gegen Meinung Erkenntnis und somit Fortschritt möglich ist.

Niemand hat das anschaulicher auf den Punkt gebracht als der ehemalige Pfaffenbüttel Giuseppe Gracia: «Wer Israel für Dinge kritisiert, die er bei anderen Staaten akzeptiert, ist ein Antisemit.» Wer Israel kritisiert, muss also zuerst Vorbedingungen erfüllen, die von Gracia und seinen Gesinnungsgenossen selbstherrlich aufgestellt werden. Wer Israel kritisiert, muss zuerst eine Litanei herunterbeten, welche anderen Staaten er auch kritisiert. Wer Israel kritisiert, muss zuerst Bekenntnisse ablegen. Zu oder gegen oder über. Sonst sei er Antisemit. Wer sagt «Israel verübt im Gazastreifen Kriegsverbrechen», dürfte das laut diesen Zensoren allenfalls nur sagen, ohne als Antisemit beschimpft zu werden, wenn er vorher sagt «Russland verübt Kriegsverbrechen in der Ukraine, die USA verüben Kriegsverbrechen überall auf der Welt, der Iran verübt Kriegsverbrechen, Saudiarabien, die sudanesische Regierung» usw. usf.

So wie früher die Inquisition forderte, dass Bekenntnisse abgelegt werden mussten, bevor in von ihr bestimmtem engem Rahmen Kritik an der Kirche geübt werden durfte. Bis man ihr dieses Recht wegnahm. So wie man es heute all diesen Anti-Aufklärern wegnehmen muss. Denn wer da zuschaut, wenn freie Rede beschränkt werden soll, ist das nächste Opfer.

Oder ganz einfach: grausame Kriegsverbrechen, die gegen Israel begangen werden, rechtfertigen, erklären, beschönigen nicht Kriegsverbrechen, die Israel begeht. Dass für persönlich Betroffene Hamas-Anhänger Tiere sind, die vernichtet werden müssen, ist menschlich verständlich. Dass der israelische Verteidigungsminister von menschlichen Tieren spricht, die als solche behandelt werden müssten, ist inakzeptabel. Ein militanter Israel-Verteidiger hat vor Kurzem in der NZZ eine richtige Frage gestellt: Wie kann Israel auf monströse Taten reagieren, ohne selbst zum Monster zu werden?

Auch beim Kampf gegen Monster darf man nicht selbst zum Monster werden. Auch gegen Palästinenser gab es Massaker, oder hat man die Namen Sabra und Schatila samt der üblen Rolle Israels bereits vergessen? Erinnert man sich schon nicht mehr an den Werdegang des aktuellen israelischen Ministerpräsidenten, den nur sein Amt vom Knast trennt? Entschuldigt, relativiert, verniedlicht, erklärt das die bestialischen Massaker der Hamas? In keiner Art und Weise. Aber es hilft dabei, nicht auf Stammtischniveau dumm zu schwätzen.

Das Schlimmste, was den Palästinensern in den letzten Jahren passiert ist, ist die Machtübernahme durch fundamentalistische Islamisten, durch Anhänger einer menschenverachtenden Todesreligion. Was Hamas will, ist Zerstörung, sie haben keinerlei positive Perspektive. Weder für Israel, noch für die Palästinenser. Was will aber Israel? Wo bleibt hier der gesunde Menschenverstand, der freie Diskurs, die konstruktive Debatte?

Einfache Frage: sollte es Israel gelingen, die Hamas zu liquidieren, wie es sein erklärtes Ziel ist: und dann?

Vorbei, verweht, unmöglich.

Trotz alledem

Liegt es an der Konkurrenz? Die NZZ bleibt ein Leuchtturm.

ZACKBUM wühlt sich täglich durch den Morast. So kommen uns die Expeditionen in die Niederungen des Tagesjournalismus immer mehr vor. Kurze Denke, atemlose Schreibe. Niveaulos, kulturlos, kenntnislos. Ungebildet und holperig, Fast Food, wobei man nie weiss, wo der Hamburger oder die Pizza aufhört und der Karton anfängt. Geschmacklich ist das sowieso schwer zu unterscheiden.

Und dann scrollt man durch die Homepage der NZZ und muss zugeben: immerhin, da ist noch Nahrung vorhanden, keine Sättigungsbeilage, die hungrig lässt.

Gut, Kriegsgurgel Rásonyi startet nicht mit einem Highlight, sondern mit einem Ärgernis. Aber kein Blatt ist unfehlbar, und den Auslandchef könnte höchstens der Chefredaktor an die Kandare nehmen, und will er das. Wahrscheinlich profitiert der Irrwisch davon, dass Gujer durch die Nachfolgeregelung bei der NZZaS etwas abgelenkt ist.

Aber nach diesem Ärgernis herrscht Freude. «Letztlich heisst finanzielle Repression, Geld von alten Leuten zu stehlen». Ein Interview der klaren Worte mit Russell Napier. Ein Hintergrundbericht zur jüngsten Schiffskatastrophe im Mittelmeer. Eine grafische Aufbereitung der Verluste, die Russland im Ukrainekrieg erleidet. Selbst «Wie viel Wokeness verträgt die Vogue» ist der NZZ ein (guter) Artikel wert.

Lucien Scherrer, der im Roshani-Skandal eine eher trübe Rolle spielte, rehabilitiert sich mit einem Artikel nach dem anderen. Zuletzt ging er den Erzählungen von Sibylle Berg über ihre Biographie und über angeblich Erlebtes in Reportagen nach. Aktuell nimmt er sich George Soros vor, der jedes Jahr 1,5 Milliarden Dollar verteilt. «Dabei fördert er auch Feinde der offenen Gesellschaft.» Zu recht der meistgelesene Artikel.

Ein dystopischer Roman von C.F. Ramuz, der erst kürzlich auf Deutsch übersetzt wurde, ein hübsches Essay über den Pool, wo «Träume wahr werden –Alpträume aber auch».

Eine erfrischend nachdenkliche Analyse zum Wahlsieg der AfD in Deutschland, ein bissiger Artikel über eine weitere Sammelklage gegen die CS in New York. Selbst einen geschmäcklerischen Artikel darüber, wie «das Besteck in Szene gesetzt wird», verzeiht man der NZZ.

Damit haben wir nur eine Auswahl der aktuellen Artikel erwähnt. Was dabei auffällt: mit der negativen Ausnahme von Rásonyi spielt die Befindlichkeit, die unqualifizierte, aber persönliche Meinung keine grosse Rolle. Die Welt ist nicht so, wie sie zu sein hätte, aber obwohl ich es ihr sage, hört sie nicht auf mich: dieses weitverbreitete Leiden findet man in der NZZ glücklicherweise nur in homöopathischen Dosen.

Daher verzeiht man der NZZ gelegentlich Ausrutscher nach unten. Weil in der übrigen Presse die Aufschwünge nach oben noch viel, viel seltener sind.

Frau Berg, bitte melden

ZACKBUM hätte da ein paar Fragen …

Welche Teile der Biographie von Sibylle Berg erlebt, welche fabuliert sind, das ist ihre Sache. Dass sie auf Nachfragen die Antwort verweigert und stattdessen einen Anwalt in Stellung bringt, auch.

Glaubwürdiger macht sie das allerdings nicht unbedingt. Denn wenn sie zum Beispiel behauptet, in der DDR Dissidentin gewesen zu sein, wäre das etwas geschmacklos gegenüber wirklichen Dissidenten, wenn sie das nicht gewesen wäre.

Ganz heikel wird es bei ihren journalistischen Werken, bei Reportagen. Da gilt das Prinzip der Wahrhaftigkeit. Es darf nur Selbsterlebtes auch so beschrieben werden. Was geliehen wurde, vom Hörensagen stammt, aus anderen Quellen, muss ausgewiesen werden. Das ist der stillschweigende Pakt zwischen Autor und Leser. Der Leser kann den Wahrheitsgehalt der Reportage nicht nachprüfen, daher muss er sich darauf verlassen können, dass ihm kein Relotius und kein Kummer Fabuliertes und Erfundenes als echt serviert.

Bezüglich dem journalistischen Schaffen von Berg gibt es nun einige Fragen. Insbesondere, was den Artikel «Der Totmacher» betrifft, aber nicht nur.

Also luden wir Berg ein, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen:

1. Kennen Sie das Werk von oder den Autor Jaques Buval?
2. Ist es Zufall, dass diverse Inhalte Ihrer Reportage «Der Totmacher» mit den Inhalten von Video-Interviews Buvals übereinstimmen?
3. Sie beschreiben die Gerüche und den Zustand des Hauses, in dem Pekalski einige Zeit wohnte. Woher wissen Sie das?
4. Sie beschreiben, was in Pekalski und in seinen Opfern vorging. Woher wissen Sie das?
5. Sie schreiben: «Kommt die Nacht, ist Polen verlassen. Alle sitzen in ihren Häusern, trinken.» Halten Sie das nicht für diskriminierend und rassistisch?
6. Sie wollen in Kambodscha zufällig einem führenden Vertreter der Roten Khmer begegnet sein. Wo und wann war das genau, wie hiess der Mann?
7. Sie beschreiben, wie Sie in Tel Aviv zufällig Zeuge eines Attentats geworden sind. Der Text erschien am 1.1. 2016 in der «Welt». Wie ging das?
8. Als der NZZ-Redakteur Lucien Scherrer einige Fragen zu Unstimmigkeiten in ihrer Biographie stellte, liessen Sie Ihren Anwalt antworten, der von einem «verstörenden Vorstoss in die intimsten Bereiche eines Menschen» schrieb. Sie selbst haben doch all diese Angaben gemacht, wieso ist dann eine Überprüfung verstörend?
Leicht verstörend war dann die Reaktion. Berg lässt ausrichten, sie arbeite «derzeit an neuen Projekten und möchte und muss sich ganz darauf konzentrieren». Daher möchte sie nicht mit Fragen belästigt werden.
Auf die Idee wären nun Relotius oder Kummer nicht gekommen. Wenn es um das wichtigste Gut eines Reporters geht – seine Glaubwürdigkeit –, kann eigentlich niemand so beschäftigt sein, möchte und muss sich so auf neue Projekte konzentrieren, dass da kein Fitzelchen Zeit für eine Antwort bleibt.
Bei Scherrer fand Berg immerhin die Zeit, ihren Anwalt zu instruieren, das als unziemlichen, gar «verstörenden» Eingriff abzukanzeln und mit juristischen Schritten zu drohen.
ZACKBUM ist gespannt …

Die Plattmacherin

Alles nur geträumt? Eine Archäologie am Berg.

Sibylle Berg hat ein bedeutendes Oeuvre geschaffen. Immer getragen von finsterer Weltsicht und artistisch dekorierter Depression.

Ob sie ihre eigene Biographie aufgehübscht, fiktionalisiert oder schlichtweg erfunden hat, ist eine lässliche Sünde. Wenn Journalisten ihr das alles abgenommen haben, ohne auf Widersprüchlichkeiten oder mangelnde Belege aufmerksam zu werden, wohlan. Lucien Scherrer von der NZZ hat die verdienstvolle Knochenarbeit geleistet, nachzugrübeln – um zum Ergebnis zu kommen, dass für vieles, für allzu vieles jeglicher Beleg fehlt; vom schweren Unfall über den Selbstmord der Mutter bis zur Dissidenz in der DDR.

Selbst über Geburtsdatum oder den Ort, wo Berg aufgewachsen sein will, gibt es verschiedene Angaben – von ihr selbst. Daher ist es absurd, sie damit verteidigen zu wollen, dass ihre Biographie privat sei und niemanden etwas angehe. Dahinter versteckt sie sich selbst, lässt das ihren Anwalt sagen – und nur rudimentär gebildete Journalistinnen wie Alexandra Kedves versuchen, das mit untauglichen Beispielen zu verteidigen: «Bezüglich ihres Privatlebens darf sie sich bedeckt halten, so wie das eine Menge Autorinnen und Autoren vor ihr taten.»

Kedves sollte es bei backfischartigen Schwärmereien «Kehle-Zuschnür-Momente, die hier für diese so gespaltene, so wunde Nation geschaffen wurden» in wackligem Deutsch bewenden lassen und nicht Grössen wie Thomas Pynchon für untaugliche Vergleiche missbrauchen.

Nun ist es unbezweifelbar so: in ihrem literarischen Werk, selbst in ihrer Biographie darf Berg Dichtung und Wahrheit vermischen, wie es ihr drum ist. Schreibt sie als Journalistin, sieht das ganz anders aus. Da gibt es nur die Wahrhaftigkeit – oder den Missbrauch des Vertrauens des Lesers, der ja dem Autor glauben muss, dass der gesehen, erlebt und recherchiert hat, was er schreibt.

Schauen wir uns die drei von Scherrer erwähnten Artikel von Berg einmal genauer an. Da wäre zum ersten «Der Totmacher», im November 1996 in ehemaligen Nachrichtenmagazin «Facts» erschienen. Copyright beim «Zeit Magazin», wir kommen darauf zurück. Fast 15’000 Anschläge über den polnischen Massenmörder Leszek Pekalski, der 57 Menschen umgebracht haben soll.

Berg verwendet einleitend diesen pseudo-literarischen Sound der Verdichtung, der guten «New Journalism» ausmacht, aber sehr schal wird, wenn er nicht gekonnt ist:

«Der Ort liegt da wie besoffen, wie im Koma liegt er da, in der Mittagshitze. Ein Nest in Polen. Eine staubige Strasse und Regen drauf, ganz offen, das Dorf zu säubern von versautem Leben. Eine ausgehöhlte Fabrik. Bekloppte Hunde kläffen, als gäbs da was zu bewachen. Links und rechts als Häuser getarnte Ruinen, als Menschen verkleidete Säufer. Wanken am Strassenrand, zum Kiosk, zum Saufen, die Beine nur von Gummistiefeln am Boden gehalten.»

Man weiss es ja, die Polen sind Säufer, die Lage ist hoffnungslos. So beginnt auch angeblich das Leben des Mörders: «Hier wird 1966 Leszek Pekalski geboren. Sein Vater ein debiler Traktorist, seine Mutter eine Magd, die Zeugungsnacht eine Vergewaltigung. Dreck, vom ersten Tag an.»

Dann kriecht sie in das Leben von Pekalski, als sei sie dabei gewesen: «Sitzt er in diesem Zimmer, auf dem Bett, und weiss die Feinde draussen, die Leere draussen. Und drinnen. Und wartet, dass die Zeit vergeht. Vergeht nicht, die Scheisszeit. So gern hätte er etwas für sich, das die Langeweile wegmachen würde. Fasst er sich an und weiss auf einmal, was ihm helfen würde.»

Aber Polen ist halt trostlos: «Kommt die Nacht, ist Polen verlassen. Alle sitzen in ihren Häusern, trinken.» Vielleicht ist Polen nicht verloren, aber verlassen und versoffen.

Dann überfällt Pekalski im Wald eine Frau, auch hier ist Berg dabei, sozusagen in ihm: «Endlich hat Leszek etwas, was ihm gehört. Er zieht sie aus, er untersucht die Frau. Sie wehrt sich nicht. Fein. Eine warme, weiche Frau. Das tut gut. Das riecht gut. Frauenhaar, Frauenkörper. Auf ihr liegen. Neben ihr. Bewegt sich nicht, kann er alles in sie stecken, kann er stark sein, Mann sein

Wenn es widerlich wird, ist Berg in ihrem Element, die Beschreibung der Vergewaltigung einer 13-Jährigen: «Sie lebt noch, als Leszek sie vergewaltigt. Sie lebt, trotz des Blutes, das aus ihrem Kopf kommt, trotz der Knochen, die im Hirn stecken. In ihrem Schmerz, ihrer Angst bis zum Wahnsinn, zerbeisst das Mädchen sich die Finger, bis das Weisse rausschaut.»

Dann fabuliert Berg ihre eigene Begegnung mit dem Mörder im Gefängnis: «Journalisten empfängt er nur, wenn sie ihm seine Wünsche erfüllen. Tüten voll Pornohefte, Schokolade, Kekse. Journalisten kommen viele, weil jeder gerne Mörder guckt. Ist ein gutes Grauen, dem Leszek gegenüberzusitzen, auf Armlänge, die Bewacher im Nebenraum.»

Auch sie habe seine Wünsche erfüllt: «Da schaut er lieber in die Tüte, wo die Schokolade drin ist und die Pornohefte.»

Nun gibt es hier ein paar Probleme. Berg will zum Beispiel auch wissen, wie es im Haus des Onkels des Mörders roch und aussah, als Pekalski dort einzog: «In einem heruntergekommenen Haus steht er, der Leszek, der versagt hat, in einem dunklen Flur, der stinkt, nach Moder, nach verfaulten Abfällen. In der guten Stube werden die Wände zusammengehalten von Heiligenbildern und Kruzifixen, und zu reden gibt es nichts. Der Onkel zeigt ihm ein Zimmer. Eine Stiege hoch, in den ersten Stock. Zwölf Quadratmeter gross. Tapete wellt von den Wänden. Pappe im Fenster, statt Scheiben. Ein Bett.»

Frage: Woher weiss Berg das? Ist sie dort gewesen? Hat’s Jahre später immer noch gestunken? Der Prozess war nur in kleinen Teilen öffentlich. Und da gibt es den Autor Jaques Buval, der aufgrund von Interviews mit Pekalski im Gefängnis (zu denen er ihm Schokolade und Pornohefte mitbrachte) später ein Buch über den Fall schrieb.

Diese mit Video aufgezeichneten Interviews spielten eine bedeutende Rolle im Prozess. Nun hat schon Truman Capote in seinem (im Übrigen furchtbar mäandernden) Werk «Kaltblütig» mit äusserster Genauigkeit die Morde (und die Mörder) einer vierköpfigen Farmerfamilie beschrieben. Allerdings als Rekonstruktion aufgrund von Akten, Zeugenaussagen und Gesprächen mit den Mördern.

Er erweckte dabei niemals den Eindruck, er sei selbst dabei gewesen; sozusagen als unsichtbarer Zuschauer oder versteckt im Hirn der Täter. Das ist in einer Reportage auf jeden Fall unstatthaft.

Die Beschreibung der Polen und Polens als hemmungslose Säufer in einem trostlosen Land ist an Rassismus und Diskriminierung schwer zu überbieten. In einer literarischen Verdichtung einer Reportage muss der Leser immer wissen, was faktisch unterlegt und was Ausdruck der literarischen Fantasie des Autors ist. Wer mit schalen und wohlfeilen Metaphern arbeitet, erweckt Misstrauen:

«Polen ist überall, der Sozialismus ist überall, und Stumpfheit liegt auf dem Land wie grauer Schmier

Diese Grenzen überschreitet Berg in ihrer «Reportage» mehrfach. Der Sound ihres Artikels ähnelt fatal den Werken von Tom Kummer oder von Claas Relotius. Diese zwei Serientäter haben mit ihren erfundenen oder fabulierten Geschichten dem Ansehen des Journalismus im Allgemeinen und des «Zeit Magazin» sowie des «Spiegel» im Speziellen schweren Schaden zugefügt. In beiden Fällen hatte die Aufdeckung ihrer Lügenstorys personelle Konsequenzen.

Wie heisst es doch heutzutage immer so schön: Im Fall von Sibylle Berg gilt die Unschuldsvermutung … Sie wird Gelegenheit bekommen, zu den hier aufgeworfenen Fragen (und zu einigen weiteren zu weiteren Artikeln) Stellung zu nehmen.

Weiss Berg, was in diesem Kopf vorgeht?

 

 

 

Hat sie alles erfunden?

Die NZZ versucht, nicht nur den biographischen Geschichten auf den Grund zu gehen.

Und scheitert, wie Autor Lucien Scherrer unumwunden zugibt. Er hat umfangreich versucht, all die vielen romanhaft wirkenden Anekdoten aus dem Leben der Schriftstellerin Sibylle Berg zu verifizieren – oder zu falsifizieren.

Herausgekommen ist ein interessantes Feuilletonstück über die neue Fluidität, nicht nur, was die sexuelle Ausrichtung betrifft, sondern auch die eigene Biographie.

Einleitend beschreibt Scherrer die wichtigsten Eckpunkte dieser Biographie. Der schwere Autounfall: «Das Scharnier des Cabriodachs bohrt sich in ihren Kopf, bleibt kurz vor der Hirnhaut stecken. Klinisch tot wird Berg geborgen. Ihre Stirnhöhle ist seither weg, ihr Gleichgewichtssinn ebenfalls. Sie muss 19-mal, 20-mal oder auch 22-mal operiert werden, man muss ihr Plastikteile unter das Gesicht ziehen.»

Der Selbstmord der Mutter, Bergs Ausreiseantrag, direkt an den damaligen Staatschef Erich Honecker. Ihr Geburtsdatum im Jahr 1952, 1962, 1966 oder 1968. Zu all dem finden sich Angaben, oftmals von Berg selbst. Die handkehrum zugibt, dass sie das mit dem Brief an Honecker erfunden habe.

Weder für den Autounfall, noch für den Selbstmord der Mutter, noch für viele weitere biographische Anekdoten lassen sich Belege finden. Was nicht beweise, dass es nicht so gewesen sei, relativiert Scherrer vorsichtig.

Allerdings: «Belege für ihre Selbstdarstellung als DDR-Dissidentin gibt es bis jetzt keine.» Da fängt dann das Schräge an. Scherrer fährt fort: «Wer einen schweren Unfall erlebt hat, weiss in der Regel das Datum und die Uhrzeit, weil es ein Leben davor und eines danach gibt. Es gäbe Untersuchungsakten der Justiz, Polizeiberichte, Fotos, in spektakulären Fällen auch Medienberichte. Im Fall von Sibylle Berg gibt es bis dato: nichts, nicht einmal eine eindeutige Jahresangabe.»

Nun darf eine Schriftstellerin auch ihr Leben zur fiktionalen Erzählung machen, warum nicht. Als Scherrer aber Nachfragen stellt, hat Berg zunächst keine Zeit für Antworten. Als er insistiert, meldet sich ein Anwalt:

«Dieser wertet die Fragen der NZZ – gibt es Dokumente zu ihrem Unfall?, hat sie ihre Kindheit nun in Rangsdorf oder Constanta verbracht?, kann jemand ihre DDR-Biografie bestätigen? – als «verstörenden Vorstoss in die intimsten Bereiche eines Menschen» und droht mit juristischen Schritten.»

Sehr schräg wird es, wenn es um den Inhalt von Reportagen geht, die Berg geschrieben hat. 1996 ein Bericht für das damalige Magazin «Facts» über einen polnischen Massenmörder. «Der Text, den Berg schreibt, nennt alle Details aus Pekalskis Leben. Sie weiss, wie es in seinem Haus gerochen hat, was seine Opfer gedacht haben und was er beim Morden gefühlt hat und dass er sich einst eine Gummipuppe gewünscht hat. … Ein Jahr später ist Sibylle Berg für das «Zeit»-Magazin in Kambodscha, dem «Land der frohen Mörder». Zufällig sitzt sie im Strandrestaurant neben einem Anführer der Roten Khmer, der drei Touristen aus einem Zug kidnappen und hinrichten liess. Der Mörder sieht nett aus und hübsch, während des Gesprächs zermalmt er mit einer Hand ganz langsam ein grosses Insekt. … 2016 ist Sibylle Berg zufällig vor Ort, als ein islamistischer Attentäter in Tel Aviv zwei Menschen erschiesst und zehn verletzt. Sie sitzt, so schreibt sie in einem Augenzeugenbericht in der «Welt» und im «Bund», in ihrer Wohnung an der Diezengoffstrasse, rennt auf den Balkon und sieht schreiende Menschen.»

Schliesslich kam sie neulich in die Schlagzeilen, als sie sich beklagte, dass sie vergeblich 62 Wohnungsbewerbungen geschrieben habe, ein Opfer der Zürcher Wohnungsnot. «Ob es die 62 Bewerbungen wirklich gibt? Und wie gross ist die Not einer Schriftstellerin, die bestens im Zürcher Bürgertum vernetzt ist, nach eigenen Aussagen eine Wohnung im Tessin hat und von einer weiteren Wohnung in Tel Aviv schreibt?», merkt Scherrer spitz an.

Allerdings gerät Berg zumindest unter Relotius-Verdacht, was den Wahrheitsgehalt ihrer Reportagen betrifft. Sind es literarische Fiktionen, handelt es sich um Etikettenschwindel.

Aber auch dieses Thema steht natürlich unter Sexismusverdacht. Also eilt Alexandra Kedves von Tamedia der Autorin zu Hilfe:

Bei Tamedia ist man für kleine Werke niemals um grosse Begriffe verlegen. Das sei eine «Analyse», sei der NZZ-Bericht «ein Aufreger? Wir ordnen ein». Kedves, also «wir», ist ansonsten nicht so für Einordnung, eher für backfischartiges Schwärmen. So sülzte sie über die Amtseinführung von Joe Biden: «Zum Heulen schön: Was für eine Biden-Show!» – «Kehle-Zuschnür-Momente, die hier für diese so gespaltene, so wunde Nation geschaffen wurden.» – «Das rote Haarband der schwarzen Poetin und Aktivistin Amanda Gorman – der jüngsten Dichterin, die je zur Vereidigung eines US-Präsidenten auftrat

Also hat auch Kedves etwas Mühe, zwischen Realität und Schwärmerei zu unterscheiden. In ihrem grossen Berg-Verteidigungsartikel zählt sie zuerst die literarischen Meriten auf, die von niemandem bestritten werden. Dann repetiert sie auszugsweise die Ergebnisse der Recherche der NZZ. Dann geht Kedves zur freihändigen Verteidigung des nächsten Idols über: «Bezüglich ihres Privatlebens darf sie sich bedeckt halten, so wie das eine Menge Autorinnen und Autoren vor ihr taten.» Das wäre richtig, wenn nicht fast alle dieser widersprüchlichen Erzählungen über das Privatleben der Schriftstellerin – von Berg selbst stammen würden.

Dann lässt Kedves ein wenig Bildung aufblitzen. Allerdings mit ausnahmslos falschen Vergleichen. Der Verleger von «Gullivers Reisen» habe die Identität des Autors nicht gekannt. Dass es 1726 nicht sehr ratsam war, selbst romanhaft verkleidet scharfe satirische Spitzen gegen die herrschende englische Klasse zu schreiben, mag wohl auch Kedves einsichtig erscheinen. Wenn sie es denn wüsste. Dann führt sie noch die Brontë-Schwestern an, die unter Pseudonym geschrieben haben. Das hat aber nichts damit zu tun, dass sie sich bezüglich ihres Privatlebens «bedeckt halten wollten». Und schliesslich noch «der amerikanische literarische Superstar Thomas Pynchon», der sich den Medien «fast komplett» verweigere. Das ist richtig, damit steht er aber in scharfem Gegensatz zu Berg, die sich niemals den Medien verweigert.

Ausser, wenn sie mit kritischen Fragen konfrontiert wird. Dagegen urteilt Kedves nassforsch: «Die Lesenden haben kein Anrecht auf ihre private Geschichte.» Das mag stimmen, beantwortet aber nicht die Frage, ob und warum Berg bei den vielen Erzählungen über ihre Biographie geflunkert, erfunden, dazugedichtet, umgedichtet hat.

Das mag noch angehen. Sollte das auch bei ihren non-fiktionalen Reportagen der Fall gewesen sein – hier trippelt dann Kedves auf den Zehenspitzen: «Dass da eine Claas-Relotius-hafte Imaginationskraft mitgeschrieben hat, will der NZZ-Journalist nicht ausschliessen» –, gibt es ein gröberes Problem mit Sibylle Berg. Ein Problem der Glaubwürdigkeit.

Denn bei aller Liebe zum Fluiden: Claas Relotius und Tom Kummer sind eine Schande ihres Berufs, da nützt auch keine noch so verschwurbelte Erklärung oder gar Rechtfertigung etwas. Denn was sie betrieben (oder noch betreiben), ist Leserverarschung. Ein Anschlag auf die sowieso schon erschütterte Glaubwürdigkeit der Medien. Mit einem Wort: eine Schweinerei.

 

Guter Vorsatz für 2022?

Sprechen wir über Inhalte. Also über Mike Müller.

Der arbeitslose Comedian Mike Müller fiel letzthin durch Ausfälligkeiten auf. «Oh je, Sibylle», japste er inhaltsleer, als sich Sibylle Berg erfrechte, sich als Gegnerin des Covid-Gesetzes zu outen.

Das hätte Müller sicherlich als paternalistisches Machogehabe denunziert. Wenn er es nicht selbst und für die gute Sache geäussert hätte. Dann stellte er eine «Frage für ein ungeimpftes Arschloch». Das kommt halt davon, wenn ein normalerweise geskripteter Komiker, dem Gagschreiber zuarbeiten und der dann die Sprüche nur stammelfrei über die Lippen bringen muss, aus eigenen Kräften komisch sein will.

Aber sprechen wir mal nicht über Inhalte, sprechen wir über die Form. Fällt hier etwas auf?

Wir schauen nochmal genau hin:

 

Hoppla, da sprengte er irgendwie den Rahmen. Wir versuchen’s nochmal:

So, nun ist er in voller Breite im Bild. Darf man da von Masse statt Klasse sprechen?

Es darf immer noch gelacht werden

Slapstick, Heiterkeit und Gelächter. SoBli und NZZaS laden nach und ein.

Auch der SoBli kämpft mit Verzweiflung und Themenleere. Was macht man in der Not? Genau, man schmeisst sich ran:

Das Blatt mit dem Regenrohr schüttet Sympathie aus.

Fertig geklatscht, jetzt wird in die Hände gespuckt; der aus den wohlverdienten Ferien wieder aufgetauchte Chefredaktor Gieri Cavelty weiss:

«Am 28. November sagen Herr und Frau Schweizer hoffentlich mit überwältigendem Mehr Ja zur Pflegeinitiative.»

Das ist eine gefährliche Ansage, denn Cavelty liegt eigentlich meistens falsch mit dem, was er schreibt.

Die schreibende Brille wagt eine Prognose.

Dann widmet der SoBli 18 Seiten dem Thema Pflege. Ach, nein, es sind nur 8, aber wirken tun sie wie eine 180-seitige Schlafpille.

Bloss eine Doppelseite verbrät der SoBli zur Tragödie um Alec Baldwin. Das Problem dabei: es gibt nichts Neues. Nix, null, nada. Nicht mal neue Fotos. Rehash nennt das der Journalist, neu gemixt, gehackt, aufgewärmt und als frisch serviert.

Kann wenigstens der SoBli mal ernst werden?

Jetzt wissen wir, was uns gefehlt hat: Biowindeln.

War ein Versuch, aber war nicht gelungen. Dafür gibt’s noch mehr Polit-Slapstick:

Endlich: lechts und rings vereint gegen den Staat und überhaupt.

Ja Schreck lass nach; die sonst immer auf der richtigen weil linken, weil guten Seite stehende Sibylle Berg hat schon Freund und Feind verblüfft, indem sie sich für das Referendum gegen das Covid 19-Gesetz aussprach. Und jetzt noch das. Antifa und Trychler knutschen sich ab? Funiciello und Martullo Blocher tauschen Tipps für Kleider in Übergrössen aus? Das Ende ist nahe.

Aber vorher darf Bundespräsident Guy Parmelin noch ein Interview geben. Das Schöne daran: es ist nur eine halbe Tabloid-Seite lang. Das genauso Schöne: der Inhalt ist völlig belanglos. Sonst was los auf der Welt? Ach ja, «China greift nach Taiwan», sagt irgend ein «Senior Fellow» in New York, und der SoBli serviert den kalten Kaffee brühwarm. Vergisst aber darauf hinzuweisen, dass in einer chinesischen Provinz ein netzartiges Aufbewahrungsgefäss mit körnigem Inhalt sich von der Vertikalen in  die Horizontale verlagert hat.

Auch hier noch ein Absackerchen:

Bald gehen die Lichter aus (was beim SoBli schon passiert ist).

Endlich, die Schuldigen an der kommenden Energiekrise sind gefunden. Wir alle, wer denn sonst.

Der NZZaS hatten wir bereits letzte Woche einen Zweiteiler gewidmet. Da wäre unfair, das zu wiederholen. Also nehmen wir uns doch diesmal «Das Magazin» zur Brust. Allerdings macht’s einem das Cover schon mal nicht leicht. Britney Spears, Vegi-Wein und Schülermagazin, das ist das NZZ-Niveau?

Das NZZ am Sonntag Schülermagazin.

Was schlecht anfängt, kommt selten dann hinten hoch. Selbst Christoph Zürcher, dem es Mal für Mal gelingt, das Diktum von Karl Kraus mit Leben und Inhalt zu füllen, einen Feuilletontext zu schreiben bedeute, auf einer Glatze Locken zu drehen, findet diesmal keine Locke. Will man dann wissen, zu welchen Selbstbetrachtungen Fabian Cancellara fähig ist? Fabian who? Also bitte, der Radprofi, der ungedopte Strassenhero, der Mann, der’s in den Beinmuskeln und eigentlich nur dort hat.

Was macht selbst eine hochkarätige Redaktion mit lauter Geistesriesen, vielleicht auch Scheinriesen, wenn ihnen gar nix einfällt? Genau, sie gibt einer Gymiklasse die Aufgabe, ein paar Aufsätzchen zu Themen von allgemeiner Wichtigkeit zu schreiben. So Liga «Gerechtigkeit, Stil, Natur oder Sexismus.»

Da wohl noch niemals ein paar Seiten so schnell überblättert wurden, braucht’s nun einen sogenannten Stopper:

Stopp, wo ist das Niveau geblieben?

Voilà, man fühlt sich gestoppt. Allerdings: Was soll das? Eine offenbar ältere Dame hält ein merkwürdiges Plakat hoch, auf dem man mühsam «Free Britney» entziffern kann. Dann widmet sich Henriette Kuhrt, sonst für Stilfragen zuständig (geht Schuhe ohne Socken im Büro?), dem Thema Britney Spears. Viele Worte. Null neue Worte. Auf sechs Seiten. Aber das Layout hatte ein Einsehen mit dem Leser. Die Mittelspalte besteht fast immer aus Fotos. Und drei Seiten ausschliesslich. Danke.

Wir kommen zu unserem Liebling, der Seite «Konsumkultur». Diesmal werden hier Cashmere-Socken angepriesen. Kosten schlappe 98 Euro (ja, für zwei) und man sollte sich gleich einen Stapel zulegen: was nicht in der Wäsche eingeht, geht schnell im Schuh kaputt.

Aber da tröstet vielleicht eine «Tiffany Eternity-Uhr» mit ein paar Brilläntchen. Kostet nur schlappe 28’000 Franken aufwärts, wäre doch ein nettes Weihnachtsgeschenk.

Dann durfte Christoph Zürcher das «Hyatt» am Flughafen anschauen, das nicht gerade von Gästen überflutet wird. Nun ist der Charme eines Flughafenhotels überschaubar und seine Zweckbestimmung eigentlich nur, Durchreisenden kurzzeitig Beherbergung anzubieten. Aber ein geschickter Schwurbler wie Zürcher zwirbelt hier ein paar dünne Haarsträhnen zu Locken. Es bleibt aber eine Glatze darunter sichtbar.

Dann kümmert sich Schreibkraft Kuhrt noch um dringende Fragen des Lebensstils. Soll man noch die Türe aufhalten? Ja. Wann sagt man Gesundheit, und bringt’s Permanent-Make-up? Jein. Schliesslich schiesst Zuza Speckert das «Magazin» noch zu einem letzten Höhepunkt in die intellektuelle Stratosphäre: wer ist wo mit einem Weinglas in der Hand rumgestanden und war in der Lage, fröhlich-wichtig in die Kamera zu glotzen? Adabeis nennt man solche Leute in München. Gilt auch für Zürich und ist eines NZZ-Magazins unwürdig.

Die Nestbeschmutzerin

Sibylle Berg ist gegen die Verschärfung des Covid-Gesetzes. Ihre Gesinnungsblase blubbert kräftig.

Es ist herrlich zu beobachten, wie es vermeintlich intellektuellen Geistesgrössen die Worte vom Mund bläst. «Oh je, Sibylle», lässt sich der nicht so komische Komiker Mike Müller vernehmen. Der völlig humorlose Millionenerbe Patrick Frey schmäht:

«Echt jetzt, liebe Sibylle? Du weisst aber schon, mit wem du dich damit ins Lotterbett legst, oder?»

Eigentlich riecht das streng nach Sexismus, aber gegenüber einer Abtrünnigen ist wohl alles erlaubt.

Im Lotterbett? Sibylle Berg.

Der komische Komiker und Epidemiologe Viktor Giacobbo ist staatstreu, gesetzestreu für das Gesetz und dekretiert: «Alle, die es jetzt bekämpfen, ob Rechte oder Linke, sorgen für eine Verlängerung der Pandemie. Und vielleicht sollten wir uns auch in dieser Hinsicht ein Beispiel an Dänemark nehmen.»

Dunkel bleibt das Komikerwort, was Dänemark betrifft. Beeindruckend aber, mit welcher wissenschaftlicher Sicherheit die Witzfigur Harry Hasler (oder ist es Fredi Hinz, eventuell sogar Debbie Mötteli?) hier zulangt. Man sieht ihn vor sich, wie er sich auf die Wampe haut und knarrend letzte Weisheiten absondert. Assistiert von Mergim Muzzafer, alias Mike Müller.

Was um Himmels willen ist denn geschehen?

Aber was ist denn geschehen, was den unheiligen Zorn all dieser Fachleute in der Bekämpfung der Pandemie hervorruft? Eine, die sie als eine der Ihren ansehen, ist ihrer Meinung nach fahnenflüchtig geworden.

Sibylle Berg, sonst fester Bestandteil der linken Gesinnungsblase, tapfer immer auf der richtigen, guten, fortschrittlichen Seite, schwesterlich im Kampf gegen das Falsche, Böse, Rückschrittliche, also das Fremdenfeindliche, Hetzende, Rechtsnationale, in einem Wort die SVP und Roger Köppel, macht etwas, was verboten ist.

Wollen Berg und Gesinnungsgenossen so eine Zukunft?

Sie denkt selbständig. Grauenhaft, wie kann sie nur. Aber das ginge ja noch, wenn sie nicht zu völlig falschen Erkenntnissen käme:

«Bei vollem Respekt für die Schwierigkeit der Situation und in Anerkennung einer weltweit vorhandenen schweren Atemwegserkrankung halte ich ein Zertifikat, das Menschen Zugang oder Nichtzugang zur Teilhabe am täglichen gesellschaftlichen Leben gestattet oder verweigert, für gefährlich.»

Man merkt der gewundenen Formulierung an, dass Berg – intelligent wie sie ist – wusste, dass das ganz furchtbar Dresche geben wird. Mit ihr zusammen streiten einige Unentwegte in einem linken Komitee gegen die Verschärfung des Covid-Gesetzes, also für ein Nein an der Urne. Darunter auch der Sprecher des Chaos Computer Clubs der Schweiz, sonst auch ein sicherer Wert im Lager der Pächter der Entscheidungsbefugnis, was gut und richtig und was daher böse und nichtig sei.

Das muntere Feuilleton der NZZ

Weniger plump als der «Blick» und die sich in ihm äussernden irritierten Recht- und Linkshaber lässt sich natürlich die NZZ vernehmen, genauer ihr neuer Feuilleton-Chef, der fröhlich weiter austeilt, dass es eine intellektuelle Freude ist. Er nimmt den Begriff «Dystopie» auf, die böse Schwester der Utopie, die eine schreckliche und nicht wünschenswerte Zukunft beschreibt.

Allen kommt dabei sofort George Orwells «1984» in den Sinn, die 1948 verfasste Schreckensvision eines totalen Überwachungsstaats. In jüngster Zeit legte Robert Harris mit «Der zweite Schlaf» nach, eine durch ihre Plausibilität verstörende Dystopie. Immer geht es um Überwachung und Kontrolle. Um Machtausübung, legitimiert durch den Verweis auf ein übergeordnetes, unbezweifelbares Prinzip. Geschöpft aus Ideologie, Religion, immer mit der Behauptung, nur das Gute und Bessere für alle zu wollen.

 

Könnte man kennen. Wenn man nicht nur blöd blubbern würde.

Einig sind sich die Apologeten dieser Gutwelten, dass es böse Menschen zu bekämpfen gilt, die sich dem Fortschritt und der Verbesserung in den Weg stellen. Besonders gehasst werden natürlich Renegaten, Abweichler, vermeintliche Kampfgenossen, die plötzlich zu Verrätern werden.

Das NZZ-Feuilleton erteilt aber all diesen Kläffern gegen den Berg, wenn dieser Kalauer gestattet ist, eine intellektuelle Abfuhr, die es in sich hat. Benedict Neff zitiert den Bundespräsidenten, der warnte, dass dieses Gesetz nicht der «geeignete Ort» sei, um «seinen Unmut auzudrücken».

Dagegen hält Neff mit intellektueller Schärfe: «Warum aber eigentlich nicht? Je fragwürdiger die Verhältnismässigkeit der Grundrechtseinschränkungen ist, desto mehr erodiert die Akzeptanz für diese Politik in der Bevölkerung. Von der Risikogruppe der über 60-Jährigen sind mittlerweile deutlich mehr als 80 Prozent geimpft, die Lage in den Intensivstationen hat sich wieder stabilisiert. Je mehr der Eindruck entsteht, die Regierung betreibe eine Katastrophenpolitik, ohne dass es eine Katastrophe gibt, desto schwieriger ist diese Politik noch zu vermitteln.»

Dass auch grössere Denker irren können, beweist gerade der deutsche Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas, der den Kampf bis zum Endsieg, Pardon, gegen das Virus als «gemeinsamen Gegner» bis zur «Herdenimmunität» fordert, die natürlich nur durch Impfung erreichbar sei.

Impfen, zertifizieren, kontrollieren. Sonst …

Neff hingegen wünscht sich eine Regierung, die mit ihrer Politik weniger Anlass zu «dystopischen Assoziationen geben» würde. Denn nicht nur die Abteilung Komiker dreht leicht im roten Bereich, auch der Beamte, ein als Biedermann verkleideter Brandstifter, beunruhigt, wie Neff richtig konstatiert:

«Wem jetzt schon angst und bange ist vor einem Staat, der sich selbst ermächtigt, dem dürfte ein Zürcher Beamter weitere dystopische Schauer verabreicht haben. Eine «gutmütige Diktatur» sei eine gute Art und Weise, um eine Pandemie zu bewältigen, meinte Peter Indra, Chef des Zürcher Amts für Gesundheit, im deutschen Fernsehen.»

 

45 Nieten

Wenn CH Media 50 Intellektuelle sucht, als wären es Ostereier.

Listicals, Rankings, die 50 dümmsten Ausreden, die 30 schönsten Ferienfotos, die 20 hässlichsten Hunde – im Elendsjournalismus ist eine Reihenfolge von irgendwas immer ein Spaltenfüller.

Nun hat sich CH Media an ein ganz grosses Thema gewagt: die 50 wichtigsten Intellektuellen der Schweiz. Suchten sie nach Geistegrössen im Sinne von Karl Mannheim oder mehr in Richtung von Antonio Gramsci? Hä? Ach, lassen wir das, wahrscheinlich zu intellektuell.

Intellektuell ist ja auch nur so ein Adjektiv. Hä? Eine Zuschreibung. Aber ein Ranking braucht natürlich eine Methode. Bitte sehr:

«Mit einer grossen Datenanalyse haben wir die wichtigsten Denkerinnen und Denker des Landes gesucht. Schriftstellerinnen und Künstler, die sich in die politische Debatte einmischen.»

Hä?

CH Media: Brille kaputt?

Leider ging dieser grossen Analyse keine kleine Definition der Begrifflichkeiten voraus. Sind nun Intellektuelle gesucht, Denker oder Meinungsführer in der öffentlichen Debatte? Ach, das ist irgendwie auch zu verkopft, sagen wir mal so: CH Media habe den «Intellektuelle-Index entwickelt. Er fusst auf einer wissenschaftlichen Datenanalyse im Web und einem Jury-Urteil der Kulturredaktion».

Worauf wiederum die «wissenschaftliche Datenanalyse» fusst – oder gar das «Urteil der Kulturredaktion», auch da sollte man nicht zu tief grübeln. Wir sind nun natürlich alle gespannt, wer denn die drei wichtigsten Intellektuellen der Schweiz sind, wer die ersten drei Plätze belegt.

Trommelwirbel, wer ist auf den Podestplätzen?

Der Enthüllung möchten wir noch einen kleinen, wissenschaftlichen, intellektuellen Intelligenztest vorausschicken: Welches Geschlecht hat der wichtigste Intellektuelle der Schweiz? Na? Kann doch nicht so schwer sein. Nein, non-binär oder divers könnte es sein, ist es aber nicht.

Wir verabschieden uns hier von allen Lesern, die nicht «weiblich» gesagt haben; sorry, zu tiefes intellektuelles Niveau zum Weiterlesen.

Für die wenigen anderen: Trommelwirbel, die wichtigste Intellektuelle der Schweiz ist – Sibylle Berg. Nun sagen Sie ja nicht: Sibylle wer? DIE Kolumnistin auf «Spiegel online». Ausserdem: «Auf Wikipedia wird ihr Eintrag am häufigsten aufgerufen und ist am besten mit anderen relevanten Einträgen verlinkt. Ausserdem gehört sie zu den meistgesuchten Intellektuellen auf Google und den meistzitierten in den traditionellen Medien.»

Geben Sie zu: wären Sie nie drauf gekommen. ZACKBUM auch nicht. Wir sind einfach zu blöd für so Sachen. Geistiges Hochreck, ganz dünne Luft, grosse Köpfe, tiefes Grübeln, nix für Normalos. Zudem wurde Sibylle Berg hier noch nie zitiert, wahrscheinlich deshalb sind wir kein «traditionelles Medium».

Nur für Hirnis am Hochreck geeignet.

Aber wir wollen noch die nächsten zwei Plätze verraten. Da kommen nun, keine Überraschung, zwei Männer. Auf Platz vier, Ladies first, steht dann schon Hazel Brugger, die man ja nicht mehr als Comedian missverstehen sollte. Auf Platz sechs Regula Stämpfli, eigentlich «Blick»-Kolumnistin und sich nie für ein Holzhammer-Argument zu schade. Aber nun eine ganz wichtige Meinungsmacherin.

Platz zwei: Milo Rau. Jetzt sagen Sie vielleicht schon zum zweiten Mal: Milo wer? Also bitte: «Dass er sich neben seinem Aktivismus auch als Kolumnist für Zeitungen und Literaturkritiker im Schweizer Fernsehen zu Wort meldet, macht ihn zu einem der sichtbarsten Intellektuellen der mittleren Generation.»

Zum sichtbarsten unsichtbaren Intellektuellen, wollen wir hinzufügen. Und bitten um Einsendungen, wann um Himmels willen Rau mal etwas Intelleles gesagt hat.

Auf Platz drei hätte jeder kommen können

Platz drei, da hätte man nun wirklich drauf kommen können, ist der Sprachwürger, Geröllspucker, Dumm-Provokateur und Büchnerpreisträger Lukas Bärfuss. Gut, eigentlich sollte jeder Intellektuelle, der Wert auf seinen Ruf legt, die sofortige Streichung aus dieser Muppetshow verlangen. Noch ein paar Müsterchen: Mario Botta. Ein Intellektueller, doch kein Architekt? Sophie Hunger. Singt intellektuelles Zeugs? Und nichts gegen Blödelbarden, aber Peach Weber, echt jetzt? Zora del Buono, Manuel Stahlberger; who the f… ist denn das?

ZACKBUM empfiehlt der Kulturredaktion von CH Media dringend, sich bei «watson» ein Beispiel zu nehmen, wie man harmlose Listicals bastelt. «Nach diesen 11 besten Filmreden wird es dir besser gehen», «Kennst du die 50 wertvollsten Firmen der Welt?», «Nachhaltig leben mit Kindern, geht das? 6 Punkte im Check». Oder, unser Geheimfavorit:

«Mit diesen Hausmitteln ist dein WC schwupdiwup sauber.»

Das ist Nutzwert, das ist Unterhaltung, das hat Niveau, da spielen die Journalisten in ihrer Liga, wagen sich nicht in die Todeszone ganz oben – mit dünner Luft und ohne Sauerstoffflasche.

Bis da nicht Remedur geschaffen wird, die «Kulturredaktion» sich öffentlich entschuldigt, führt sie unsere Liste der peinlichsten Denker und Denkerinnen des Landes an. Falls es auch noch Transgender, divers oder non-Binäre darunter haben sollte, fühlen die sich bitte inkludiert. Zudem gratulieren wir: so zeigt man, dass man die totale Resilienz gegen jeden ernsthaften Gedankengang erreicht hat.

Damit verabschieden wir uns bis auf Weiteres von dieser «Kulturredaktion», sie hat den Bereich des Ernstzunehmenden, Seriösen, Relevanten, Intellektuellen verlassen – mit unbekanntem Ziel.