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Willkommen in der Meinungsfreiheit

Mark Zuckerberg will weniger Kontrolle auf seinen Plattformen.

Es erhebt sich grosses Geschrei: denn der Alleinherrscher über das wichtigste Meinungsimperium der Welt (Facebook, Instagram, Threads), der Meta-CEO Zuckerberg, hat angekündigt, man habe «einen Punkt erreicht, wo wir zu viele Fehler hatten und zu viel Zensur».

Deshalb werde die Zusammenarbeit mit externen Fakencheckern Zug um Zug eingestellt und auf das Wirken von Algorithmen gesetzt, die üble Inhalte finden und löschen.

Öffnet das die Türen für Terrorpropaganda, Darstellungen von Kindsmissbrauch, für Drogenhandel, für wilde Verschwörungstheorien, für Fake News und allen Unrat, den kranke Gehirne unter dem Schutz der Anonymität ins Netz kübeln?

Zu welchem Wahnsinn der Mob fähig ist, wenn er feige versteckt ungehemmt randalieren kann, weiss jeder, der sich öffentlich äussert. Wird das vom Betreiber der Plattform eingeschränkt, schreit der Mobber Zensur und fühlt sich in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäusserung eingeschränkt.

Umgekehrt behaupten nun viele Kommentatoren, das sei ein Bückling Zuckerbergs vor Donald Trump, ein Nachahmen dessen, was Elon Musk auf seiner Plattform X vorexerziere.

All das geht mal wieder am Kern des Problems vorbei. Der Kern trägt den unverfänglichen Namen «Section 230». Das ist ein Teil des US-Kommunikationsgesetzes aus dem Jahr 1996. Der Kernsatz lautet:

«Kein Anbieter oder Benutzer eines interaktiven Computerdienstes darf als Herausgeber oder Sprecher von Informationen behandelt werden, die von einem anderen Anbieter von Informationsinhalten bereitgestellt werden.»

Auf Deutsch übersetzt: digitale Plattformen – in erster Linie soziale Netzwerke – sind haftungsfrei, was Inhalte betrifft, die Dritte auf ihnen verbreiten. Das geht auf einen Rechtsstreit aus den Anfangszeiten des Internets zurück. Denn damals musste geklärt werden, wie weit die Meinungsfreiheit im Netz geht, ob sie grenzenlos sein kann und wer haftbar für die Verbreitung von anstössigen Inhalten ist.

Gleichzeitig musste geklärt werden, ob die Löschung von Inhalten durch die Plattformbetreiber im Rahmen der Meinungsäusserungsfreiheit statthaft ist. Das Gesamtresultat ist ein kräftiges Jein.

Die Veröffentlichung von Kinderpornografie ist eindeutig strafbar, ihre Löschung unabdingbar. Ebenso die Aufforderung zu kriminellen Handlungen, zu Kreuzzügen, zu Massenmord, etc. Aber oberhalb davon beginnt die grosse Grauzone.

Dabei muss man sich einen gravierenden Unterschied vor Augen halten. Jedes News-Medium, auch dieser Blog, ist für alle Inhalte mitverantwortlich. Was Autoren publizieren sowieso. Aber auch, was Kommentatoren absondern. Völlig egal, ob der Kommentator sich hinter einem Pseudonym versteckt oder nicht: die Plattform, die seine justiziablen Äusserungen publiziert, haftet. Immer.

Ausser, es handelt sich um einen «interaktiven Computerdienst», worunter alles läuft, was wir Social Media nennen. Dank eines US-Sondergesetzes ist das so. Selbstverständlich gibt es nationale Regelungen. Aber man versuche mal, einen US-Riesen wie Meta in den USA einzuklagen. Viel Spass dabei. Viele Nutzer wissen auch ein Liedchen davon zu singen, wie schwierig es ist, anstössige, beleidigende, geschäftsschädigende oder anderweitig strafrechtlich relevante Inhalte löschen zu lassen.

Das zweite Problem bei der Internetkontrolle (oder -zensur, je nach Betrachtungsweise) ist: diese Aufgabe, also die Einhaltung von Gesetzen, ist eigentlich eine staatliche Verpflichtung. Sie wird aber privaten Anbietern übertragen, da sich der Staat ausserstande sieht, die Multimilliarden Posts der über drei Milliarden Facebook-Nutzer zu kontrollieren.

EU-Deutschland hat, so monströs wie der Name ist der Inhalt, mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz versucht, bussgeldbewehrte Compliance-Regeln für soziale Netzwerke zu schaffen. Auch hier begibt sich der Gesetzgeber ins Minenfeld von Verantwortlichkeiten, Datenschutz, Meinungsfreiheit und des Versuchs, Hasskriminalität zu unterbinden.

Auch hier besteht eines der vielen Probleme darin, dass den Netzwerkbetreibern, bspw. Facebook, eigentlich nur staatlich wahrzunehmende Aufgaben übertragen werden. Nämlich die Beurteilung, ob ein Post legal oder illegal ist.

In diesem Sinn ist Zuckerbergs Ankündigung kein Kniefall vor Trump, den er zu dessen grossen Zorn nach dem Sturm aufs Capitol im Januar 2021 auf Facebook sperrte. Sondern es ist mehr die Weigerung, diese eigentlich staatliche Aufgabe länger wahrzunehmen und ständig im Kreuzfeuer von Kritikern zu stehen, die entweder eine zu lasche, eine einseitige oder eine zu rigide Kontrolle (oder Zensur) von Inhalten monieren.

Meinungsfreiheit ist nie grenzenlos. Sie braucht Limiten, Kontrollen und Schutz. Sonst degeneriert sie völlig und wird unbrauchbar. Völlige Freiheit endet immer in Anarchie, Faustrecht und Chaos. Aber wo und wie Grenzen ziehen? Die sind eigentlich vorhanden, es mangelt nur an ihrer Durchsetzung.

Das ist so, wie wenn der Staat die Aufsicht über die Einhaltung von Verkehrsregeln einer privaten Firma übergeben würde und sagte: du sorgst jetzt für die Einhaltung und entscheidest selbst, was ein Verstoss ist und was nicht. Aber wehe, du machst dabei einen Fehler. Dann bis du dran.

Was tun? Höchstwahrscheinlich wäre schlichtweg eine Aufhebung der Sonderreglung mit Section 230 ein Schritt in die richtige Richtung. Aber den kann nur fordern, wer dieses Gesetz kennt. Was schon mal bei den meisten Kommentatoren und Kritikern dieser Entscheidung Zuckerbergs nicht der Fall ist.

So ist’s halt im Elendsjournalismus, und dieses Nichtwissen ist selbstverständlich Bestandteil der Meinungsfreiheit. Denn Dummheit ist (meistens) nicht strafbar. Leider.

Verantwortungslos, haftungsfrei

Jede Internet-Plattform ist für ihren Inhalt verantwortlich. Ausser alle Social Media.

Wenn ZACKBUM etwas publiziert, wovon sich jemand beleidigt fühlt, kann er (oder auch sie) Rechtsmittel dagegen einlegen. Also einen Prozess lostreten. Verleumdung, üble Nachrede, Beleidigung, Schmähkritik, es gibt einige nette Artikel im ZGB und im Strafgesetz.

Das gilt nicht nur für eigene Werke. Es hat schon seinen Grund, wieso auch hier Kommentare moderiert und freigeschaltet werden. Denn nichts gegen das freie Wort, aber wer sich damit in den Bereich des Justiziablen bewegt, haftet nicht nur selbst. Sondern derjenige, der ihm die Plattform gegeben hat, haftet mit.

Macht ja auch Sinn; wenn eine Beleidigung über der nicht mehr rauchgeschwängerten Luft über dem Stammtisch verschwindet, der Beleidiger befriedigt noch ein Bier bestellt, dann ist der Schaden überschaubar. Multipliziert aber eine Plattform diesen Rülpser ein paar zehntausend oder gar hunderttausend Mal, dann hat er schon eine andere Wirkung.

Privat geäussert geht «Dieser Bundesrat gehört eingesperrt oder gleich erschossen» noch so knapp. Allerdings möchte man nicht Mitglied einer solchen Runde sein. Rutscht diese Aussage auf eine Plattform (Absender: ein besorgter Staatsbürger), haben Absender und Multiplikator im Ernstfall ein gröberes Problem.

Keine Regel ohne Ausnahme

Ausser, es handelt sich um Social Media. Wie häufig ist hier die Wurzel des Übels gut versteckt und tief in der Geschichte. Oder ist allen Lesern Abschnitt 230 des 47. Titels des «United States Code», der als Teil des «United States Communications Decency Act» erlassen wurde, geläufig? Dachte ich mir.

Am 8. Februar 1996 erblickte nämlich der «Protection For ‹Good Samaritan› Blocking and Screening of Offensive Material Act» im US-Parlament das Licht der Welt. Als Ergänzung zum «Communications Act» von 1934. Damals gab es bekanntlich das Internet noch nicht.

1996 steckte es noch in den Kinderschuhen, und da die USA ein sehr prozessfreudiges Land sind («I sue you» wird mindestens so häufig verwendet wie «how are you?»), stöhnten die ersten Anbieter von Diensten darunter, dass man sie mit Klagen überschüttete wegen Äusserungen oder Inhalten ihrer Nutzer.

Geht nicht, fanden die Parlamentarier, also verkündeten sie:

«Kein Anbieter oder Nutzer eines interaktiven Computerdienstes darf als Herausgeber oder Sprecher von Informationen behandelt werden, die von einem anderen Anbieter von Informationsinhalten bereitgestellt werden.»

Auf Deutsch: Wenn auf einer Plattfom steht «Zeyer ist ein dummes Arschloch», dann ist das freie Meinungsäusserung und niemand ist haftbar dafür. Vorausgesetzt, es ist ein «interaktiver Computerdienst».

Was ist denn das? Nun, kurz gefasst Facebook, Twitter, Instagram usw. Denn auf Betreiben von deren Vorläufern wurde dieser Abschnitt 230 formuliert. Später gab es natürlich ein paar Einschränkungen, bspw. bei Copyright-Verletzungen oder den «Stop Enabling Sex Traffickers Act (FOSTA-SESTA)».

Im Prinzip funktioniert das ganze Geschäftsmodell dieser Social Media bis heute nur wegen des Abschnitts 230. Die Unfähigkeit der Politik, hier Grenzen zu setzen, setzt sich bis heute fort.

Profitgier setzt immerhin Grenzen

Selbst skrupellose Geschäftsleute wie Mark Zuckerberg sind sich bewusst, dass es auch so etwas wie Image und Reputation gibt. Dass sie sich also für Missbrauch als Hassschleuder, für Verbreitung von Rassismus, absurden Verschwörungstheorien, Hetze usw. irgendwie rechtfertigen müssen.

Darf hier nicht beschimpft werden: Mark Zuckerberg.

Also behaupten sie, dass sie das Menschenmögliche täten, um solche Inhalte zu löschen. Daher gibt es schon seit Jahren arme Schweine, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als den Müll zu screenen, den kaputte Menschen auf soziale Plattformen stellen. Wer in der Dritten Welt auf einer Elektroschrott-Müllkippe nach Brauchbarem sucht, gefährdet seine körperliche Gesundheit. Wer in diesem digitalen Müllhaufen herumstochert, seine geistige.

Trotzdem kann es nicht gelingen, allen Schrott wegzuräumen oder erst gar nicht auf die Plattformen zu lassen. Sie begründen es damit, dass alleine Facebook von 2,6 Milliarden Nutzern verwendet wird – täglich. Bei solchen Zahlen sei es schlichtweg unmöglich, alles auszufiltern, was nicht Gesetzen und Regeln entspricht. Und schliesslich, im Notfall gibt es Section 230 …

 

Auch da hatte Trump etwas nicht ganz verstanden.

Wenn man «verboten» sagen kann, sagt’s der Deutsche

Auf der anderen Seite, Vorreiter Deutschland, denn wenn geregelt werden soll, dann regelt der Deutsche, bis es kracht. Und nur er kann Namen wie «Netzwerkdurchsetzungsgesetz» erfinden. Das verpflichtet, zumindest in seinem Geltungsbereich, den Betreiber von Plattformen, spätestens auf Aufforderung «offensichtlich rechtswidrige Inhalte» innert 24 Stunden zu löschen. Was ist das? Jaha, das ist dann genau die Frage, im Fall.

Als es noch Karneval gab …

Edle Absicht, schreckliche Folgen

So edel die Absicht auch sein mag, so rechtsstaatlich inakzeptabel ist die Umsetzung. Denn damit werden private Betreiber dazu gezwungen, ein Recht auszuüben, das in einem Rechtsstaat nur den dafür vorgesehenen Institutionen vorbehalten sein sollte. Nämlich Zensur zu üben.

Offensichtlich rechtswidrige Inhalte sind kein Thema der Diskussion. Aber wo fängt verbotenes Chorona-Leugnen an? Ab wann wird eine Verschwörungstheorie zensurreif? Wo hört das Recht auf freie Meinung auf? Was ist strafbar? Das entscheiden normalerweise Gerichte. Neuerdings entscheiden das Dunkelkammern, Komitees der sozialen Plattformen, die natürlich, um Ärger zu vermeiden, lieber löschen als zulassen.

Eine Abschaffung von Section 230 würde die Plattform-Riesen dazu zwingen, sich wie alle anderen an die geltenden Gesetze zu halten. Aber alleine Facebook bringt einen Börsenwert (leicht volatil, aber doch) von einer runden Billion auf die Waage. Das ist dann too big to control. Schlicht und ergreifend.

Du kommst aus dem Gefängnis frei, Internet-Version.