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Die Peinlichkeit geht weiter

Wozu gibt es in der Schweiz eigentlich Wirtschaftsredaktionen?

Zur Pflege des Gendersterns? Für den Kampf um die Gleichstellung der Frau? Für Schlachten gegen Diskriminierung, Ausgrenzung, Abwertung?

Die SNB erhöht schritt um Schritt den Leitzins – lupft es nun Hunderttausende von Eigenheimbesitzern? Müssen Millionen von Mietern den Gürtel enger schnallen? Schafft es die SNB, mit der Anhebung des Zinses, der die Wohnkosten erhöht, die Inflation zu dämpfen? Gelingt ihr das allenfalls deswegen, weil Immobilienpreise zum Beispiel nicht im Warenkorb enthalten sind, mit dem die Inflation gemessen wird? Ist diese Art der Messung überhaupt sinnvoll?

Da gäbe es doch einige Fragen zu beantworten. Aber he, es wird endlich Sommer, die Ferienpläne sind gemacht, die Zurückgebliebenen machen Dienst nach Vorschrift, am liebsten im Home Office, das gerne in die Badi verlegt wird.

Aber das ist noch gar nichts im Vergleich zur Berichterstattung über das desaströs Ende der zweitgrössten und traditionellsten Bank der Schweiz. Was bei der Credit Suisse im Vorfeld geschah, konnte man überall lesen – in der englischsprachigen Wirtschaftspresse. Aber nicht in der Schweiz. Was sich in den hektischen Verhandlungen in den letzten Tagen der Bank abspielte – «Financial Times» lesen, und man wusste es. Allenfalls ergänzt durch «Wall Street Journal», Bloomberg oder den «Economist».

Schweizer Wirtschaftswürstchen? Nahmen die Peinlichkeit in den Stehsatz: «wie die FT, Bloomberg, WSJ meldete …». Die Finma vernichtet mit einem Federstrich 17 Milliarden Bonds, was sogar auf der Webseite von der CS vermeldet wurde? Na und? Erst als FT & Co. von einem anschwellenden Gebrüll der geprellten Anleger berichtete, wachte die Schweizer Wirtschaftsjournaille auf. Und fand sogar die eine oder andere Pensionskasse, die damit auch um einige Millionen gebracht worden war.

Offenbar wiederholt sich hier der Fall Vincenz, nur im ganz Grossen. Wir erinnern uns, fast ein Jahr lang berichtete der Finanzblog «Inside Paradeplatz» über Merkwürdigkeiten im Finanzgebaren des damaligen Raiffeisen-Superstars. Die übrige Wirtschaftspresse sagte: gar nicht erst ignorieren, ist doch wohl nichts dran.

Bis sie dann endlich aufwachte und sich in Vorverurteilungen mittels angefütterter Dokumente überschlug. Ein Trauerspiel.

Das wiederholt sich nun dramatisch bei der Credit Suisse. Die NZZ versuchte sich in Abwiegeln und behauptete mal kühn, dass Proteste gegen das Abschreiben von 17 Milliarden ziemlich sinnlos seien, die Anleger sollten doch mal das Kleingedruckte lesen, das gehe schon in Ordnung. Als dann eine Prozesslawine losbrach, in den USA, in Japan, nach internationalem Recht oder im Rahmen von Investitionsschutzabkommen, wurde die NZZ dann etwas kleinlauter.

Schliesslich hat die FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter bei diesem Notverkauf zum Schnäppchenpreis nicht nur eine mehr als jämmerliche Rolle gespielt. Sondern auch noch den fatalen Satz gesagt «this is not a bail-out». Dass sie weder wusste, was ein AT1-Bond oder ein Bail-out ist, kann man leider nicht als mildernden Umstand gelten lassen.

Und nun das: Bloomberg meldet, dass die UBS plane, 35’000 Banker auf die Strasse zu stellen. Das wäre die Hälfte der Belegschaft der CS. Das würde bedeuten, dass das Backoffice der CS in Zürich gestrichen wird. In der Schweiz beschäftigen beide Banken zurzeit noch rund 37’000 Mitarbeiter. Ein Drittel weniger, das wären 12’000 Arbeitsplätze.

Das ist nicht der Rotstift, das ist die Axt. Das sind schlechte Nachrichten für die Verkäufer von Luxusschlitten, Zürisee-tüchtigen Yachten, Massschneidereien, aber auch für Personal Trainer, Innenarchitekten und Style-Berater. Der Konsum von edlen Tropfen und teuren Zigarren wird zurückgehen. Dafür freuen sich die Apotheken; sie stocken schon jetzt die Bestände an Psychopharmaka auf.

Und die Schweizer Wirtschaftsmedien? Schreiben «Gemäss Informationen der Nachrichtenagentur Bloomberg». Meine Herren (und Damen). Es muss ja nicht gleich ein Kahlschlag um ein Drittel sein. Aber die Einsparung einiger Sesselfurzer in den Wirtschaftsredaktionen würde der Qualität der Berichterstattung sicherlich keinen Abbruch tun.

Das eingesparte Geld könnte dann in ein paar Abos der wichtigsten englischsprachigen Wirtschaftsmedien sinnvoll investiert werden. Sozusagen eine Win-win-Situation. Ausser für den betroffenen Redaktor. Aber der könnte ja auf Berater von arbeitslosen Bankern umsatteln.

Medien Suisse

Ein repräsentativer Querschnitt durch die Niederungen.

Wir könnten nun die «Financial Times», das «Wall Street Journal» oder «The Economist» genauer anschauen, wie die über die CS-Pleite berichtet haben. Dabei würden wir aber blau und grün vor Neid, was im angelsächsischen Raum für Qualitätsjournalismus möglich ist.

Also lassen wir das und schauen, was am 11. April 2023 über die CS erschienen ist. Am späten Vormittag zählt die Mediendatenbank SMD insgesamt 96 Treffer für das Stichwort «Credit Suisse». Darin sind natürlich all die Doppeltreffer durch den Kopfblattsalat bei Tamedia und CH Media inbegriffen.

cash.ch macht etwas ganz Originelles; es erteilt dem «Chefdenker Andrew Garthwaite» von der CS das Wort: Wie er schreibe, sei «die Stimmung unter Aktienanlegern gar nicht mal so pessimistisch. Der Stratege wähnt die Aktienmärkte deshalb auch weiterhin in einem schleichenden Bärenmarkt».

Schleichender Bärenmarkt, eine Auskunft des «Chefdenkers» einer gescheiterten Bank? Schleich di, wie der Bayer da sagt.

Sowohl Tamedia wie die NZZ erfreuen den Leser mit einem Erklärstück zur Sondersession zur CS, die an diesem Tag begann. Da wird dieses und jenes erklärt, dabei wäre die Zusammenfassung ganz einfach: «Im Vorfeld zeichnet sich ab, dass die Parlamentarier die Kredite billigen dürften», schreibt die NZZ wie immer vornehm zurückhaltend.

Oder anders formuliert: nachdem die SP mit einer Kehrtwende den einzig sinnvollen Vorschlag der SVP abgeschossen hat, dass das Parlament den Bundesrat beauftragen soll, eine Gesetzgebung auszuarbeiten, mit der die sogenannten systemrelevanten Banken so gesundgeschrumpft werden, dass keine Staatsrettung mehr nötig ist und man sie im Fall der Fälle wie jedes andere Unternehmen auch abwickeln könnte, wird an dieser Sondersession genau nichts passieren.

Das mäandert sich dann durch den Medienkuchen. «zentralplus», «blick.ch», «finews.ch», «watson», «20 Minuten», «srf.ch», «nau.ch», «bluewin.ch», «Handelszeitung», SDA, man wähnt sich wieder einmal in Nordkorea, so uniform ist die Berichterstattung.

Tamedia wagt sich sogar zur Frage vor: «Was bei einem Nein des Parlaments zu den Milliardenkrediten passiert». Abgesehen davon, dass es das nicht geben wird: nichts.

Einzig «Inside Paradeplatz» bringt etwas Farbe ins Druckergrauschwarz: «In Einladung zu Aktionärsversammlung schrieb Grossbank von 24 Mrd. Jahresverlust. Offiziell sprach sie stets von 7,3 Mrd. Verlust.» Denn Lukas Hässig hat sich nochmal die Einladung zur letzten GV der CS genauer angeschaut. Und behauptet kühn: «Die Geschichte mit der CS, die noch am Freitag vor ihrem Verschwinden alle Kapital- und Liquiditätsvorgaben erfüllt habe, muss möglicherweise neu geschrieben werden.»

Das ist erfrischend. Aber es ist auch beelendend, weil daneben keinerlei Hintergrundberichte erscheinen. Die muss man dann wohl wieder in der FT, dem WSJ oder dem «Economist» lesen. Beziehungsweise die deutschen Versionen, wenn die hiesigen Medien dort abgekupfert haben …

Wo liegt denn Taiwan?

Nur mühsam reissen sich die Mainstream-Medien vom Ukrainekrieg los.

Auch das noch. Sommerloch, saure Gurken, in der Ukraine ist nicht wirklich was los, wer im Schweizer Journalismus was zu sagen hat, ist in den Ferien.

Ausgerechnet nach dem verlängerten Wochenende mit 1. August kommt nun ein neues Thema auf den Radarschirm. Eigentlich ein uraltes Thema. Denn seit 1949 existieren zwei chinesische Republiken. Die grosse bekannte auf dem Festland, und die kleine, nicht so bekannte auf einer Insel, die früher Formosa hiess.

Entstanden ist diese Verdoppelung dadurch, dass der damals regierende Diktator Tschiang Kay Check von der erfolgreichen Volksrevolution von Mao Tse Tung hinweggefegt wurde – und sich mit grösseren Teilen der Luftwaffe und Marine nach Formosa flüchtete. Im kalten Krieg war Taiwan ein wichtiger Stützpunkt im subversiven Kampf gegen Rotchina.

Aber die Zeiten ändern sich. Taiwan mauserte sich schnell zu einer erfolgreichen Wirtschaftsnation, dank der verheerenden Wirtschaftspolitik von Mao war Rotchina lange Jahrzehnte ein wirtschaftlicher Zwerg. Das änderte sich unter seinen Nachfolgern, und heutzutage ist China fast auf Augenhöhe mit den USA. Wirtschaftlich, militärisch klafft noch ein kleiner Abgrund zwischen den beiden Ländern.

Aber Taiwan hat seine Bedeutung als westlicher Showcase gegen kommunistische Elendswirtschaft längst verloren. China hat die Insel längst aus (fast) allen internationalen Organisationen gedrängt, nur noch eine Handvoll Staaten unterhalten diplomatische Beziehungen mit der Insel. Darunter so Schwergewichte wie Haiti, die Marshall-Inseln, Nauru oder der Vatikan.

Kein europäisches Land, auch nicht die Schweiz, anerkennen Taiwan länger als zumindest selbständigen Staat. Auch die USA nicht, die aber einerseits Festlandchina als einzig legitimen Vertreter anerkennen, andererseits aber Taiwan militärische Unterstützung zusagen, sollte die Insel von China angegriffen werden.

Umso stärker China wird, desto massiver macht es seinen Anspruch auch auf Taiwan geltend. Jede Unterstützung des Inselstaats wird als Einmischung in innere Angelegenheiten scharf verurteilt. Wer sich zu offiziellen Kontakten mit Taiwan hinreissen lässt, wird diplomatisch, politisch und wirtschaftlich abgestraft.

So eierten die letzten US-Präsidenten um dieses Problem herum, unabhängig davon, ob es Republikaner oder Demokraten waren. Nun hat sich die Nummer drei in der US-Regierungshierarchie zu Besuch nach Taiwan gegeben. Was genau die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi dort will, ist gar nicht so einfach zu erklären.

Überraschungsfrei reagiert China äusserst gereizt auf diesen Besuch. Es werden fürchterliche Konsequenzen angedroht, mit den Säbeln gerasselt und gleich zwei Flugzeugträger als Machtdemonstration Richtung Taiwan losgeschickt.

Das ist die ziemlich komplizierte Ausgangslage, die nun von den B-Teams den Lesern erklärt werden sollte. Tamedia macht es sich wie meist einfach: es berichten Lea Sahay und Christian Zaschke von der «Süddeutschen Zeitung». Vielleicht könnte die Schweizer Sicht sich von der deutschen etwas unterscheiden? Vielleicht, aber es ist heiss, Ferienzeit und überhaupt. Aus eigenen Kräften reicht es zu einem «News Ticker», wie diese Sparmassnahme, das Übernehmen beliebiger Agenturmeldungen, seit Längerem heisst. Vielleicht arbeitet der Auslandchef Christof Münger an einem Kommentar, vielleicht ist er auch selbst im Ausland in den Ferien. Bedeutendes zu sagen hätte er sowieso nicht.

Bei CH Media spannt der ausgewiesene China-Kenner Pascal Ritter seine Muskeln an. Offenbar ist die zweiköpfige Ausland-Redaktion des Wanner-Konzerns gerade in den Ferien oder unpässlich. Also muss ein Reporter ran, dem auf die Schnelle nichts besseres einfällt, als das kindische Frage-und-Antwort-Spiel: «Was Sie jetzt über den Konflikt wissen müssen». Zu den entscheidenden Fragen gehört: «Worum geht der Streit überhaupt?» Grossartig ist die Antwort auf die Frage: «Welche Auswirkungen hätte ein militärischer Konflikt

«Experten gehen davon aus, dass ein Krieg um Taiwan massive und grössere Auswirkungen hätte als der Angriff Russlands auf die Ukraine – auch auf Deutschland.» Kommt halt davon, wenn man in der Eile deutsche Experten abschreibt und vergisst, dass das hiesige Publikum vielleicht ein Mü mehr daran interessiert wäre, was für Auswirkungen das auf die Schweiz hätte.

Was macht denn Blöd-«Blick»? Da sagt ein Bild mehr als zehn Worte:

Und was macht der einsame Leuchtturm des publizistischen Schaffens in der Schweiz? «Ein Zwischenstopp mit Folgen», formuliert die NZZ zurückhaltend, begleitet von einem ersten, vorsichtigen Kommentar: «Pelosis Reise ins Ungewisse: Amerika riskiert eine unnötige Krise mit China».

Für diesen Erkenntnisstand muss man nun noch nicht unbedingt Leser der NZZ sein. Aber vielleicht legt die alte Tante mit der ihr eigenen Gemächlichkeit noch etwas nach …