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Wenn der Richtige das Falsche schreibt

Chefredaktor Patrik Müller ist ein cleveres Kerlchen. Darf auch er sich mal verhauen?

Die Publizistik von CH Media flutscht skandalfrei über die Runden. Keine Untaten, keine erregten Mitarbeiterinnen, die haltlose anonyme Anschuldigungen in die Welt setzen. Kein ständiges Stühlerücken, kein Erfinden absurder Titel wie bei Ringier. Keine Schwachsinns-Kommentare, die bei Tamedia die Spalten füllen und die Leser quälen. Nicht zuletzt Müllers Verdienst.

Aber jetzt hat er in der auflagestärksten Wochenendzeitung einen rausgehauen, was an ein Zitat vom Philosophen Theodor W. Adorno erinnert: «Es gibt kein richtiges Leben im falschen.» Oder an Bertolt Brecht: «Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist. Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschliesst!»

Müller schreibt: «Die beiden in Europa weitherum verhassten Präsidenten Trump und Netanyahu haben ein wichtiges Ziel erreicht: die Schädigung des iranischen Atomprogramms. Trump und Netanyahu haben das Richtige getan.»

Schlimmer noch: «Es sind Lichtblicke in einer Region, deren Probleme fast unlösbar scheinen.»

Da sind dem Mann aber sein rechtsstaatliches Koordinatensystem und sein moralischer Kompass abhanden gekommen. Amok-Präsident Donald Trump fordert die Entlassung von Journalisten, weil CNN und «New York Times», gestützt auf Geheimdienstanalysen, es gewagt haben, das Ergebnis seiner «wohl erfolgreichsten Militäroperation aller Zeiten» in Frage zu stellen.

Der nur durch sein Amt vor dem Knast geschützte israelische Ministerpräsident ist verantwortlich für Kriegsverbrechen ohne Zahl. Israelische Soldaten schiessen gezielt auf hungernde Palästinenser vor Nahrungsausgabestationen, wie die renommierte Tageszeitung «Ha’aratz», gestützt auf Militärquellen, enthüllt.

Die fast völlige Zerstörung der Infrastruktur im Gazastreifen mit Tausenden von zivilen Toten und die Vertreibung der Bevölkerung, Bombardements im Libanon, Syrien und nun auch im Iran. Ausgelöst durch ein Massaker der fundamentalistischen Wahnsinnigen von der Hamas, begründet durch die irre Rhetorik der Ayatollen in Teheran, die von der Vernichtung Israels faseln.

Gezielte Tötungen, Massenmord an der Zivilbevölkerung, Ausbau illegaler Siedlungen im besetzten Westjordanland, Bombardierungen ohne Kriegserklärung, das alles sind Verbrechen. Kriegsverbrechen. Dass sich Staaten wie der Iran oder der westliche Verbündete Saudi-Arabien ausserhalb der zivilisierten Gemeinschaft befinden, dass Terrorgruppen wie die Hamas oder die Hetzbollah Verbrecherbanden sind, ist unbestritten.

Sie sind Parias – wie die israelische Regierung. Dass Trump ziemlich erfolgreich darin ist, das System der Checks and Balances in den USA auszuhebeln und dabei am helllichten Tag ungenierte Selbstbereicherung für sich und seinen Clan betreibt (alleine durch Insiderwissen bevorstehender Ankündigungen mit Auswirkungen auf die Finanzmärkte), ist ebenfalls eine Tatsache.

Sind das, was beide im Iran tun, wirklich «Lichtblicke»?

Lichtblick bedeutet, dass im dunklen Tunnel der Ausgang erkennbar wird. Es ist unbekannt, welche Auswirkungen dieses völkerrechtswidrige Bombardement auf die Fähigkeit Irans hat, eine Atombombe zu bauen. Es ist sonnenklar, dass es das Regime dazu motiviert, sich so schnell wie möglich eine oder mehrere zu verschaffen. Denn nur das schützt es – wie den Pariastaat Nordkorea – vor einer möglichen Invasion.

Pardon, vor einer «Befreiung» von aussen. Das hat bereits im Fall Iraks prima geklappt. Der Diktator Saddam Hussein (der niemals Massenvernichtungswaffen besass) ist weg, das Land ist im Chaos, wie Libyen.

Es sind die Falschen, die etwas tun. Darin kann man mit Müller übereinstimmen. Aber tun sie das «Richtige»? Das Richtige sollte ein erkennbares Ziel haben.

Da hat Müller erbärmlich wenig zu bieten:

«Die Hoffnung lebt weiter – auch für Frieden in Gaza. Gestärkt und mit verbesserten Umfragewerten könnte Netanyahu den Krieg beenden und den Austritt der Rechtsextremen aus seiner Regierung riskieren.»

Frieden in Gaza als Friedhofsruhe? Richtige Schritte zu einem friedlichen Zusammenleben mit Jordanien, Libanon, Syrien, Ägypten, selbst dem Iran? Mit den überlebenden Palästinensern? In welcher Parallelwelt lebt, denkt und schreibt Müller?

«Und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage», so enden Märchen. Hat Müller in seiner Jugend die Erzählungen aus 1001-Nacht zu intensiv studiert? Oder wollte er sich in Dialektik versuchen, was nur was für Könner und nichts für Meiner ist? Hofft er, dass auch böse Buben Gutes tun können?

Beim Betrachten von Bäumen der irrigen Hoffnung schweigt er über so viele Verbrechen, die von diesen beiden «Falschen» verübt werden.Und lobt eines von ihnen.

Da hilft nur noch Friedrich Schiller: «Das eben ist der Fluch der bösen Tat, dass sie, fortzeugend, immer Böses muss gebären.»

Aber Bildung ist längst nicht mehr eine Kernkompetenz der modernen Journaille im Elendsjournalismus.

 

Unerträglich

Patrik Müller lotet schamfrei Tief- und Sumpfgebiete aus.

Die Bachelorette der Politik hat’s mal wieder geschafft. Alleine auf Deutsch verzeichnet die Mediendatenbank SMD an einem Tag 66 Treffer. «Exklusiv-Interview», trompeten Patrik Müller und Thomas Wegmann und verschwenden fast 19’000 Anschläge, um einem politischen Leichtgewicht Bedeutungsschwere zu verleihen.

Natürlich hat sich die Dame, deren Namen wir hier nie mehr nennen wollen, sorgfältig überlegt und ausgesucht, wo sie ihren Rückweg ins Scheinwerferlicht und die Öffentlichkeit antreten wird. Mit ihrer eigenen Partei, mit ihrem Parteichef spricht sie kein Wort und lässt sich verleugnen. Aber da ihr die mediale Aufmerksamkeit wie dem Gummibaum die Büroluft fehlte, konnte sie nicht länger an sich halten. War sie vorher krank, sei sie nun wieder gesund geworden.

Und CH Media bietet ihr willig die grosse Bühne. Riesen-Aufmacherfoto auf der Front der «Schweiz am Wochenende», immerhin das auflagenstärkste Wochenendblatt. Dann eine Doppelseite (!) Interview, geschickt getimt in der Adventszeit, mit einem Titelzitat, das vor schleimiger Scheinheiligkeit nur so tropft:

«Ich fühlte einen Schmerz, der kein Anfang und kein Ende kennt».

Die «GlücksPost» muss grün und blau vor Neid sein, so ein Geheuchel kriegt nicht mal die Herz-Schmerz-Postille hin. Auch die Fragen bewegen sich auf diesem Niveau:

«Wie geht es Ihnen? Wie haben Sie die letzten Wochen verbracht? Wie reagierten die Menschen, denen Sie begegneten?» Ein Therapeut hätte nicht einfühlsamer fragen können. Und die Antworten? Sorgfältig gescriptet; die Dame hatte ja genug Zeit, sich alle passenden Worthüslen bereitzulegen, hat sie sicherlich auf ihre Wirksamkeit hin professionell abklopfen lassen, hat da und dort noch etwas Schleim draufgeschmiert oder weggenommen.

Der Kotau geht bis an den Boden: «... Fehler gemacht, einen groben und dummen Fehler … schäme mich … Verantwortung übernehmen …» Blabla. Ein US-TV-Prediger, dem man einen Seitensprung mit Fruchtfolge vorwirft, könnte keine bessere Show hinlegen. Selbst Christophe Darbellay, als katholischer Familienvater genau dabei ertappt, war ein Waisenknabe dagegen.

Richtig dünn wird es allerdings, wenn die Dame zu erklären versucht, wie es denn zu diesem dummen Vorfall gekommen ist, dass sie ein Foto von sich in Kampfmontur mit Pistole und das zerschossene Marienbild mit Kind postete. Das hat nun schon fast literarische Qualitäten, hätte Molière seinem Tartuffe problemlos in den Mund legen können. Es hat etwas Genialisches, muss man zugeben. Und es sich auf der Zunge zergehen lassen:

«Ich war an jenem Freitagabend überarbeitet, nach mehreren Nachtschichten völlig übermüdet. Ich hatte eine Frist. Mein Kopf war so voll und laut, ich konnte mich auf nichts mehr konzentrieren. In solchen Situationen hilft mir Sportschiessen. Man fokussiert sich auf einen kleinen Punkt und hat dann seinen Kopf wieder zusammen. Also ging ich an jenem Abend in den Keller. Vor der Tür war ein Stapel Altpapier, zuoberst der Katalog des Auktionshauses Koller. Ich riss irgendeine Seite heraus, steckte sie an die Wand, ohne etwas zu überlegen, es hätte auch eine andere Seite sein können …»

Welche Komposition. Ein überarbeiteter Mensch, übermüdet, Nachtschichten. Jö. Will den Kopf freikriegen, aber ja. Da liegt ein Katalog herum, natürlich, man reisst irgend eine Seite heraus, klar doch. Aber das ist nur die Einleitung zu einer oscarreifen Nummer:

«Ich machte meine Schiessübungen. Beim Schiessen passierte etwas in meinem Kopf. Etwas, was mich aus der Bahn warf. Ich musste an meine Mutter und an meinen Bruder denken. (Sie pausiert.) Mein Bruder wurde umgebracht, bevor wir geflüchtet sind.(Sie kann nicht weitersprechen.)»

Müller und Wegmann heulen sich hier gegenseitig ins Hemd und wischen tapfer die Tränen ab: «Ihr Bruder wurde erschossen?»
(Nickt.)
Unfassbar.
(Fährt nach längerer Pause fort.) Ich habe lange und immer wieder versucht, dieser Erinnerung aus dem Weg zu gehen. Beim Anblick des Bildes an der Wand sah ich gar nichts. Ich fühlte nur einen Schmerz. Einen Schmerz, der keinen Anfang und kein Ende kennt. Nach dem Schiessen rannte ich raus. Der Schmerz war immer noch da, irgendwie war er unterbewusst immer da, stärker seit dem Ukraine-Krieg. Ich hatte all das verdrängt, und in dem Moment brach es aus, wie ein Vulkan. Ich konnte den Schmerz nicht alleine tragen und wollte ihn abschalten. Und wusste offenbar nicht anderswo hin damit, als es zu posten. Das war impulsiv und unüberlegt.»

ZACKBUM ist hin und weg. Ist das gut, ist das grossartig. Ist das widerwärtig, heuchlerisch, so echt wie ein angeblich blinder Bettler, der heimlich in die Schüssel blinzelt, wenn jemand etwas hineinwirft.

Aber die Nummer ist noch nicht zu Ende gespielt:

«Dass Sie das durchlöcherte Bild auf Instagram stellten: Das war ein Teilen des Schmerzes mit anderen?
An einem normalen Tag hätte ich mit jemandem darüber gesprochen oder ich hätte mich eingeschlossen und den Schmerz vorbeigehen lassen. Aber ich schwamm da in einem Meer des Schmerzes, der Kopf war … nicht mehr da. Ich war nicht fähig, irgendetwas zu überlegen, ich konnte nur noch tun. Das Handy war da, und so tat ich, was ich mit etwas Überlegen nie getan hätte.
Ist das eine Rechtfertigung?
Nein. Es ist eine Kontextualisierung von dem, was vorgefallen ist, keine Rechtfertigung. Es tut mir nach wie vor unendlich leid, was ich getan und damit ausgelöst habe.»
Kontextualisierung, einfach grossartig. Wir nähern uns unaufhaltsam dem Finale, sozusagen dem Gipfel des Schleimbergs:
«Darf ich fragen: Wann geschah der tragische Tod Ihres Bruders?
In den 90er-Jahren, aber ich möchte nicht darüber sprechen.»

Wow. Das ist mindestens so ergreifend, wie wenn auf der Opernbühne der Held gemeuchelt wird und liegend zu seiner Todesarie ansetzt, während die Umstehenden ihr Haupt verhüllen. Das Publikum greift gerührt zu den Taschentüchern und tupft sich die Tränen ab; nur ein ganz Unsensibler schneuzt sich vernehmlich.

Dann lässt das Interview emotional schwer nach, der Dame werden die üblichen Fragen souffliert, wie’s denn so weitergehen soll politisch. Aber welch eine Show, was für eine begnadete Schauspielerin und Manipulatorin, diese Dame. Dämlich nur, dass zwei gestandenen Journalisten nicht die einzig richtige Frage einfällt, die diese Show wie einen Luftballon platzen lassen würde:

Die Dame hat bekanntlich die Fotos nicht selbst gemacht, sondern machen lassen. Also war das keine spontane, schmerzerfüllte Aktion, Trauerarbeit für den erschossenen Bruder, (schluchz, heul). Also rannte sie auch nicht hinaus, griff auch nicht spontan zum Handy, das ja jemand anders bediente. Sondern es war wie alles zuvor eine eiskalt geplante Provokation, bei der sicherlich aus verschiedenen Schnappschüssen die richtigen ausgewählt wurden, von denen sich die Beteiligten die grösste Wirkung versprachen. Dass die dann übergross wurde, Künstlerpech.

Die beiden betroffenen und ergriffenen Interviewer («unfassbar») vergessen auch, Ameti nach dem angeblichen Polizeischutz zu fragen, mit dem sie hausieren ging, von dem man aber nicht weiss, ob er wirklich stattfand. Schliesslich bestätigte die Polizei ZACKBUM nur, dass man mit der Dame in Kontakt sei.

Die Dame hat zum Start ihres Comebacks alles richtig gemacht. Sie ist und bleibt zwar peinlich, hat nun aber darin zwei Bundesgenossen gewonnen. Einer ist immerhin der Oberchefredaktor von CH Media.

Das löst mehr als fremdschämen aus. Diesen Text zu lesen, das ist so, wie wenn man eine Büchse öffnet ohne auf das Ablaufdatum zu achten, und der Inhalt explodiert einem ins Gesicht.

Was macht eigentlich …

… die «Schweiz am Wochenende»?

Denn sie verkörpert die Zukunft des Printjournalismus. Nach der Zusammenlegung der Redaktionen (begleitet von den üblichen Sparmassnahmen, vulgo Rausschmeissen), kommt als nächster Schritt die Aufgabe der Printversion am Sonntag. Und/oder die Aufgabe einer Extra-Sonntagsausgabe. Teuer, Distribution ein Alptraum, die Wochenqualität ist sowieso schon durch Tagesqualität ersetzt.

Da geht der Wannerclan mutig voran. Nicht nur beim Rausschmeissen. Schon seit geraumer Zeit gibt es die ehemalige Sonntagszeitung als «Schweiz am Wochenende». Und das fängt bekanntlich am Samstag an und lässt sich daher kostengünstig schon am Freitag herstellen. Als nächstes wird die Montags-Printausgabe dran glauben, denn die muss kostenträchtig am Sonntag hergestellt und gedruckt werden.

Aber konkret, wie sieht denn die Ausgabe vom vergangenen Samstag so aus? Aus dem Cover lässt sich, im Gegensatz zur SoZ, noch wenig schliessen. «300 Jahre Immanuel Kant», das legt das Bildungsniveau schön hoch. «Die Schauspielerin ist in aller Munde», das legt das Sprachniveau schön tief. Dann die Fake News des noch jungen Jahres: «Eine Mehrheit will zukünftig auf das eigene Auto verzichten». In Umfragen vielleicht, im der Realität niemals. Und dass 2024 weltweit anscheinend zwei Milliarden Stimmbürger an die Urnen gerufen werden, hübsch. Aber ist das nicht immer mal wieder so?

Immerhin, mit einem solchen Zusammenschrieb lassen sich fast zwei Seiten füllen, allerdings nur, wenn man ein Riesenfoto von Donald Trump zu Hilfe nimmt. Dann kommt Ausgewogen-Belangloses, bis sich Francesco Benini an Frank A. Meyer abarbeitet. Als wolle er auf ZACKBUMs Spuren wandeln, haut er Ringiers ewigem Machthaber ohne Verantwortlichkeit kräftig eine rein: «Er schmeichelt sich ein bei den Mächtigen», schlimmer noch: «Seine Methoden sind heute in Verruf geraten», so gratuliert ihm Benini zum 80.

Genüsslich reibt er Meyer seine Nähe zu den Mächtigen, seine Rolle als Einflüsterer im Bundesrat, seinen Riesenflop beim damaligen Schweizer Botschafter in Berlin rein. Seinen Aufstieg im Verlag erklärt er so, dass Meyer zwar von Bruder Christoph Ringier in den Verlag geholt worden sei, sich dann aber auf die Seite von Michael geschlagen habe und sein Votum bei Mutter Ringier den Ausschlag gegeben habe: Christoph verliess bekanntlich das Unternehmen, Michael wurde zum Alleinherrscher.

Das «Dîner républicain» in Locarno, Frank-Walter Steinmeier als Preisträger, der sich mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz revanchierte, das Engagement von Gerhard Schröder als Berater, dass sich Meyer zum 80. von seiner eigenen Frau interviewen lässt, die in Auftrag gegebene Biographie von Lohnschreiber René Lüchinger (auf diesem Gebiet immer im Nahkampf mit Karl Lüönd), die zur Schlusspointe taugt, Benini lässt eigentlich nichts aus, um Meyer runterzumachen.

Nun polarisiert der Mann ungemein. Aber eine Würdigung zum 80. müsste auch beinhalten, wie er es eigentlich geschafft hat, sich so viele Jahre, manchmal in der Geschäftsleitung, manchmal ausserhalb, als zweitmächtigster Mann ohne Verantwortungsbereich in einem Milliarden-Medienkonzern zu halten. Und nicht alles, was er geschrieben hat, ist schlecht oder flach. Er arbeitet sich im Weinberg der Sprache ab, sucht nach dem passenden Wort, der treffenden Formulierung. Hat in seinen besten Zeiten eine didaktische Schreibe entwickelt, mit der er die Leser auf seinen Gedankengängen mitnimmt.

Bei all seinen Flops und Eitelkeiten war er immer ein Journalist mit Herzblut, der für Qualitätsjournalismus (so wie er ihn versteht) eintritt. So etwas gibt es weder bei CH Media noch bei Tamedia. Vielleicht sollte man da zu gewissen Gelegenheiten die Häme herunterfahren und versuchen, ein literarisch anspruchsvolles Porträt zu schreiben. Aber versuchen kann man nur, was man kann.

Dann die Mutprobe; Aufmacher und Schwerpunkt im Bund «Wochenende» ist Immanuel Kant. Angekündigt als der «Maestro des Denkens». Grosses Thema, würde intellektuelle Grosstaten verlangen. Aber Raffael Schuppisser lässt’s bei Kleingeld bewenden. Er interviewt einfach einen Zeitgeist-Philosophen und stellt ihm Primarschülerfragen: «Wo ist Kant nach wie vor verblüffend aktuell», bitte den kategorischen Imperativ erklären (was der Philosoph dann nicht tut), was würde Kant zu Wokeness sagen, die Definition von Aufklärung, sozusagen die «Kleine Nachtmusik» der Philosophie, die Hamas sei «eine Rotte des Bösen», an der durchgeistigten Durchdringung der Aktualität scheitert dann der Philosoph.

Mit der Feier von Jubiläen hat es CH Media ganz allgemein nicht so. Der Beitrag zu «50 Jahre Kassensturz» kommt über eine reine Aufzählung vergangener Taten und Köpfe nicht hinaus.

Das «Lexikon für den gepflegten Smalltalk» ist hingegen ein nettes Zeitgeiststück, das den Leser unterhält.

Fazit? In vielem unaufgeregter als Tamedia. Allerdings scheitert CH Media an Würdigungen, und wenn man sich Kant vornimmt, dann sollte der Redaktor schon eine vertieftere Ahnung von diesem Philosophen haben, damit er im Interview den selbsternannten Nachfolger etwas besser in die Zange nehmen kann, wenn der sich in Flachheiten verliert.

Samstag am Sonntag

Ein Blick in die frühere «Schweiz am Sonntag».

Auf der Front wird’s schon merkwürdig. «Mehr Schutz für Opfer von Internet-Hetze». Oh, denkt der Leser, nach dem Abgang von Pascal Hollenstein traut sich CH Media endlich, die Hetze gegen die Journalistin Michèle Binswanger zu thematisieren. In der Serie «#hateleaks» wurde anhand von Chat-Protokollen nachgewiesen, wie die hasserfüllte Kämpferin gegen Hass im Internet Jolanda Spiess-Hegglin und ihr Adlatus Hansi Voigt eine schmutzige Kampagne, die sie selbst «Drecksarbeit» nannte, orchestrierten und organisierten.

Aber leider nein, es handelt sich um die Provokation des SVP-Nationalrats Andreas Glarner, der eine öffentliche Telefonnummer öffentlich machte. Im Fachjargon «Doxing» genannt. Das, was Binswanger erlebte, war ja nur ein Shitstorm, eine Hetzkampagne, der Versuch, sie zum «Auswandern» zu bringen, als Mensch und Journalistin unmöglich zu machen. Mittels Fake-Accounts zu Aussagen zu provozieren, die man dann gegen sie und für die eigene Anwältin verwenden konnte.

Wie sagt Bundesrätin Baume-Schneider so richtig: «Es geht um die Fähigkeit, mit anderen Meinungen umzugehen und sie zu akzeptieren. Wir müssen auf solche Exzesse reagieren.» Allerdings.

Richtig blöd ist’s halt, wenn man Freitagnacht Abschluss hat, aber behauptet, man wolle das ganze Wochenende aktuell sein:

Leider finden halt viele Wahlen im In-und Ausland am Sonntag statt …

Aber immerhin, das ist mal was Neues und natürlich Beunruhigendes, da es um Banken geht:

Konkret heisst das, dass die UBS lediglich verpflichtet ist, die Geschäftsbücher der CS zehn Jahre lang aufzubewahren. Protokolle der VR-Sitzungen, der Geschäftsleitung, welche Pfeife hat wann was gesagt, wer ist für eine der vielen Fehlentscheidungen verantwortlich? All das kann problemlos im Aktenvernichter landen. Denn der Bundesrat hat es auch hier versäumt, entsprechende Vorschriften an seine Unterstützung zu knüpfen. Amateurliga.

Und wem widmet sich das «Wochenende», indem die Reste von «Kultur & Leben» versorgt sind? Nein, da muss man nicht raten:

Nachdem Turner pflichtschuldig albgenudelt ist, wird’s dann allerdings dünn, sehr dünn:

Wenn ein Schüler zu spät in den Unterricht kam, pflegte der Mathematiklehrer Schiller zu zitieren: «Spät kommt ihr, doch ihr kommt.» Das wollen wir hier auch so halten.

Geht’s noch dünner? Das Stichwort für Simone Meier, die Kolumnistin. Was macht man als Kolumnistin, wenn einem nun wirklich überhaupt nichts mehr einfällt? Richtig, Man schreibt übers Kolumneschreiben. In der Agenda sei der «Schreibbefehl Kolumne!» gestanden. Darunter Stichwörter, die sie aber nicht mehr entziffern könne. Das wiederum führt zurück zum Aufsatzschreiben in der Schule, und dann …, sorry, aber hier sind uns die Augen endgültig zugefallen. Einzig bedauerlich, dass Meier nicht – endlich mal was Originelles – einfach vier Worte für die Kolumne verwendet hat: «Mir fällt nix ein.» Wäre zumindest ehrlich gewesen.

Erholt man sich wenigstens im «Lifestyle»? Mässig:

Ein runder Geburtstag, als anlassloser Anlass für Rezykliertes. Passt eigentlich zu Heidi Klum, die sich ja ausschliesslich mit äusseren Werten über Wasser hält.

Und das war’s dann schon auf Seite 62. Prädikat: nicht wirklich wertvoll. War auch schon besser. Vielleicht eine besonders schwache Ausgabe erwischt. Wir versetzen das Blatt in die Probezeit.

Wumms: Marc Walder

Der Wurmfortsatz des Journalismus schadet, wo er kann.

In der Debatte, ob es richtig sei, reiche Medienclans mit einer Steuermilliarde zu beschenken, liefen deren Medien zu Höchstformen auf. Vierte Gewalt, kritische Instanz, nötiges Kontrollorgan gegenüber staatlichem Handeln.

Das natürlich in völliger Unabhängigkeit; jede Redaktion ist völlig frei in der Meinungsbildung und Auswahl der Themen. Und erst recht, was die Frage von Zustimmung oder Kritik, Wertung und Bewertung betrifft.

Walder hat all diese Behauptungen sozusagen im Alleingang widerlegt. Er berichtete stolz, wie er «seine» Redaktionen zu staatstreuer Haltung verdonnert hatte. Er sagte: «Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen.»

Nun enthüllt die «Schweiz am Wochenende», wie eng die Beziehungen zwischen Walder und Alain Berset, zwischen den Ringier-Medien und dem Gesundheitsdepartement, während der Corona-Krise waren. Da schwirrten Mails mit vertraulichen Informationen «sehr vertraulich, unter uns, wenn es Ihnen dient» hin und her.

Der Klassiker von Sauhäfeli, Saudeckeli. «Blick» bekam Primeurs, Berset bekam lobhudelnde Berichterstattung. Berset konnte Ringier als Hebel verwenden, Ringer konnte Hebeln wie es dem hysterisch ängstlichen Virus-Gegner Walder passte.

Ein einziger kritischer Artikel wurde gleich vorab angekündigt, Walder bat dann auch um Audienz bei Berset, um sich zu erklären. Der trat als Dressman und Interviewer in Ringiers Flop-Magazin «Interview» auf; bei der Vernissage sah man die beiden Seit an Seit.

«Inside Paradeplatz» wirft eine weitere heikle Frage im Zusammenhang mit dem «Berset-Walder-Gate» auf: «Rechte Hand von Gesundheits-Minister informierte Ringier-CEO vorab über 100-Mio-Deal mit Biontech-Impfung. Pharma-Aktie schoss hoch.» Waren das kursrelevante Informationen?

Unabhängigkeit, Staatsferne, Kritik, Redaktionsfreiheit, Kontrollinstanz: Abrissbirne Walder zerlegt all diese Behauptungen. Er ist der Wurmfortsatz des Journalismus. Im Körper kann man ihn mitsamt Blinddarm problemlos entfernen – meist ohne die geringsten Nebenwirkungen. Einfach so oder wenn er zum Beispiel durch eine Entzündung schadet.

Auch dem Schweizer Journalismus würde es ohne Walder noch nicht gut, aber entschieden besser gehen. Aber Ringier hat es noch nie geschafft, sich von gut vernetzten schädlichen Kräften rechtzeitig zu trennen.

Die Sparmassnahme auf Papier

Vor einer Woche fehlte die «Schweiz am Wochenende» in der Blattkritik. Jetzt folgt sie.

19,7 Gramm. So viel bringt die «Schweiz am Wochenende» auf die Küchenwaage. Nimmt man den Werbeflyer raus, verringert sich das auf 17,7 Gramm. 56 Seiten umfasst die Wochenend-Ausgabe, die den «Sonntag» abgelöst hat. Online ist das Meiste hinter einer Bezahlschranke.

Mit der «Schweiz am Sonntag» wollte das Wanner-Imperium dem alteingesessenen Trio «SonntagsZeitung», «NZZamSonntag» und «SonntagsBlick» das Fürchten lehren. Was auch längere Zeit gelang; nicht zuletzt deswegen, weil der Wirtschaftsredaktor Arthur Rutishauser ausgezeichnete Quellen in der Swissair und dann der Swiss hatte. Und weil Chefredaktor Patrik Müller einen flotten Kurs fuhr.

Das Gemächt von Baden

Wohl ein Höhepunkt war die Affäre um den Badener Namensvetter vom Chefredaktor, dem es gefiel, Selfies seines Gemächts aus den Amtsräumen des Stadtammanns seiner Freundin zu schicken. Daraus entwickelte sich ein ziemliches Schlamassel, aus dem niemand unbeschädigt herauskam.

Nicht nur die direkt Beteiligten bekamen etwas ab; auch der PR-Mensch Sacha Wigdorovitz machte seinem Namen als Katastrophen-Sacha alle Ehre, allerdings in eigener Sache. 2017 war dann Ende Sonntagszeitung.

Arthur Rutishauser ist schon längst als Oberchefredaktor zu Tamedia abgeschwirrt, und obwohl der Verlag tönt, dass mit der «Schweiz Am Wochenende» der Sonntag halt schon etwas früher anfange, handelt es sich um eine Sparmassnahme. Denn so ersetzt die ehemalige Sonntagszeitung alle Samstag-Kopfblätter im Hause, und das sind seit dem Joint Venture mit der NZZ immerhin zwei Dutzend.

Saubere Aufteilung in drei Bünde

Mit Fr. 3.90 ist die SaW immerhin mit Abstand die günstigste Wochenendzeitung, der Leser kann also auch sparen. Was bekommt er dafür geboten? Wir haben die Ausgabe vom 8. August gewogen – und für leicht befunden.

Die SaW ist relativ sauber in drei Bünde aufgeteilt. Der erste Bund ist der Mantelteil, hier werden Inland, Ausland, Wirtschaft, der Geldonkel und die Kommentare abgefeiert. Je nachdem können im Inland auch lokale Themen von überregionaler Bedeutung reingehebelt werden, was ganz schön Koordinationsaufwand erfordert.

Sozusagen gesetzt war an diesem Wochenende das Thema «Schulstart». Hier kommt die SaW nicht über eine Pflichtübung hinaus. Riesiges Aufmacherfoto auf Seite eins, dann eine Doppelseite mit einem weiteren Bildanteil von mindestens ein Viertel. Lauftext, Interview mit dem Fachmann, der Blick ins Ausland. Dann beteiligt sich die SaW am obligatorischen Ratespiel, welche neuen Akzente wohl der SVP-Präsident aus dem Tessin setzen könnte, sollte er gewählt werden.

Wir überblättern das Ausland – und die Wirtschaft

Wir gönnen uns einen kräftigen Schluck doppelten Ristretto und überblättern das Ausland (Weissrussland, Kommentar zu Beirut und der abgängige Ex-König von Spanien). Dann auf einer Doppelseite ein Beitrag zum Thema «Journalisten interviewen Journalisten». Sprung über den Röstigraben, hat das der Blattmacher sicher genannt; also wird der Deutschschweizer Leser mit den Ansichten eines TV-Nachrichtensprechers aus der Welschschweiz in den Schlaf gewiegt. Anlass ist die welterschütternde News, dass er zu einem französischen Privatsender wechselt.

Auch die Wirtschaft leidet sichtbar unter der Hitze, Corona und Impfstoff, Glaceketten, bei der SBB regnet es in die Züge, na ja. Auf der Kommentarseite zeigt der Chefredaktor des St. Galler «Tagblatt», dass er mühelos in der Lage ist, so inhaltsleer, dabei aber so arrogant vor sich hin zu blubbern wie der publizistische Leiter Pascal Hollenstein.

Wespen und Verschweizerung

Nach mageren drei Seiten Sport beginnt im zweiten Bund der Teil «Regionen». Hier wird schön nach Kantonen verteilt abgefüllt, was da so anfiel. Wie schlimm es um die Nachrichtenlage steht, merkt man deutlich am Titel einer mit grossen Bildanteil auf mehr als eine Seite aufgeblasenen Story: «Wespen beschäftigen die Aargauer Feuerwehren». Auch einem als «Essay» angepriesenen Text «Basel verschweizert» wäre eigentlich nach einer Seite der Schnauf ausgegangen (und das wäre gut so gewesen). Aber mit einem über die Doppelseite gezogenen, riesigen roten Balken, sauber im Falz platziert das Kreuz, wird auch hier eine Doppelseite rausgeschunden.

Ein wunderbares Bildthema ist dann auch «Der Coronaleere auf der Spur». Eine Bilderreise zu, genau, leeren Orten und Plätzen. Wahnsinn, die Doppelseite zum Meditieren, ruhen und oooohm sagen.

Schliesslich noch sozusagen das Spielbein, der letzte Bund. Man merkt, dass es hier darum geht: Muss weg, erreicht sonst das Verfallsdatum. Also überrascht uns die SaW hier mit einem Dreiseiter über den US-Präsidentschaftskandidaten Joe Biden. Mann und Werk, ein fabelhafter Ausflug ins SMD, in Google und in ein paar Archive von US-Medien. Leicht geschüttelt und eiskalt serviert.

Wird das Wochenende länger?

Auch wenn die Salzburger Festspiele dieses Jahr nur ein reduziertes Programm anbieten; wenn man schon den Kulturredaktor ins Ausland lässt, Eintritte und Hotelaufenthalt zahlt, dann ist es klar, dass auch daraus mindestens eine Riesenstory werden muss. Und sonst, fällt etwas auf, bleibt etwas hängen? Ehrlich gesagt: nein. Selbst die Reise-Seite mit Tipps für schöne Schweizer Wasserlandschaften, nun ja. Immerhin: Es sieht so aus, als wären hier die eigenen Kräfte bemüht worden, ohne Sponsoring.

Wird also mit der «Schweiz am Wochenende» der Sonntag wirklich länger, beginnt er schon am Samstag, ersetzt sie den Inhalt der Samstagsausgaben, plus Mehrwert für den Sonntag? Sagen wir mal so: Nicht unbedingt. Das Wochenende kommt einem einfach länger vor, wenn man sich langweilt. Auf der anderen Seite hat man auch dieses Blatt relativ schnell durchgeblättert. Ohne dass man durch herausragende Artikel dabei behindert würde.