Schlagwortarchiv für: Schweigen der Journalisten

Multitalent Zander

Er schreibt und schreibt und schreibt.

Corsin Zander verantwortet als «diensthabender Redaktor alle sechs Wochen die Berichterstattung des Ressorts» Zürich Politik & Wirtschaft beim «Tages-Anzeiger». Daneben hat er noch genug Schreibkraft, um über einen «Femizid in Bergdietikon» zu berichten.

Aber am liebsten macht er das, was Journalisten am liebsten machen: meinen. Klar, dezidiert und gnadenlos: «Zu schweigen, wenn es heikel wird, ist feige.» Das wirft Zander vor allem der Zürcher Polizeivorsteherin Karin Rykart und Regierungsrat Mario Fehr vor.

Rykart sage trotz Aufforderung nichts zum «umstrittenen Polizeieinsatz beim feministischen Streik». Dabei würden doch Videos zeigen, «wie Polizisten brutal gegen Demonstrantinnen vorgegangen waren». Da vergisst Zander doch glatt den Konjunktiv vor Erregung.

Dann habe der Tagi über problematische Wohnverhältnisse von unbegleiteten asylsuchenden Minderjährigen berichtet. «Mario Fehr will dazu keine Fragen beantworten und schweigt.» Auf diese beiden Beispiele türmt Zander noch weitere.

Dann macht er sich zum Anwalt des Volkes: «Die Bevölkerung hat Anspruch darauf, dass die gewählten Politikerinnen und Politiker auch dann Auskunft geben, wenn sie in der Kritik stehen

Welche Ansprüche die Bevölkerung hat und ob ausser Zander wirklich jemand sauer ist, wenn Rykart und Fehr (und natürlich auch andere Politiker) nichts sagen? ZACKBUM weiss es nicht, Zander weiss es eigentlich auch nicht.

Aber auch er wirft mit Steinen, obwohl er buchstäblich im Glashaus sitzt, das alle naselang seinen Namen ändert. Das ist aber nicht das Schlimmste. Es gab doch einmal einen Protestbrief von 78 erregten Tamedia-Mitarbeiterinnen. Üble Zustände wurden kritisiert, Sexismus, Diskriminierung, demotivierende Arbeitsatmosphäre. Die Chefetage entschuldigte sich präventiv, zeigte sich betroffen, lobte die Neubesetzung von Stellen auf allen Hierarchiestufen mit mindestens 40 Prozent Frauen aus.

Und kündigte eine unerbittliche Untersuchung aller im Protestschreiben angeführten Beispiele an. Inzwischen hat der Frauenanteil in der Chefetage tatsächlich zugenommen, was nicht nur eine gute Nachricht ist. Aber was ist mit den Ergebnissen der Untersuchung? Konnte ein einziges Vorkommnis verifiziert – oder falsifiziert werden? Schweigen.

Warum musste Arthur Rutishauser als Bauernopfer seine Position als Oberchefredaktor aufgeben, die er tadellos erfüllt hatte? Schweigen. Wieso lässt Tamedia ihren ehemaligen Chefredaktor Finn Canonica im Regen stehen, wenn er von einer ehemaligen, rachsüchtigen und gefeuerten Mitarbeiterin öffentlich übel denunziert wird? Schweigen. Alleine, wenn sich Oberboss Pietro Supino angefasst fühlt, dann lässt er die Macht des Gesetzes über CH Media rollen.

Aber wie steht es denn nun mit den Vorwürfen von Roshani? Schweigen. Wen und wie viele wird es bei der aktuellen Sparrunde erwischen? Schweigen. Warum darf bei Tamedia jeder sein Steckenpferd reiten, sei das gendergerechte Sprache, das Niedermachen unliebsamer Konkurrenten und überhaupt jede Form von Bauchspiegelei? Schweigen.

Wie sollte Zander schreiben: Die Bevölkerung hat Anspruch darauf, dass die Geschäftsleitung von Tamedia Auskunft gibt. Oh, das würde er vielleicht schreiben, wenn nicht …

Stumm wie ein Fisch

Was nicht mal stimmt, denn Fische geben Laut. Journalisten nicht.

Es ist eine zunehmende Unsitte. Journalisten verlangen lauthals Auskunft, Stellungnahmen und unterstellen flugs unlautere Absichten, wenn jemand einfach nicht auf ihre Anfragen antwortet.

Kurt W. Zimmermann macht sich völlig zu Recht in der aktuellen «Weltwoche» darüber lustig: «Dazu will ich mich nicht äussern», überschreibt er seine Medienkolumne. Als Paradebeispiel dient ihm Anuschka Roshani. Die hat im «Spiegel» ihren ehemaligen Chef und den Tamedia-Verlag in die Pfanne gehauen, dass es nur so gekracht hat.

Inzwischen musste der «Spiegel» bereits diverse Vorwürfe löschen, Prozesse sind hängig, und Roger Schawinski hat ein Aufklärungsbuch geschrieben, in dem – gestützt auf einen topseriösen Untersuchungsbericht – fast alle Vorwürfe von Roshani in der Luft zerrissen und ins Reich der (bösartigen) Fantasie verwiesen werden.

Wäre also durchaus sinnvoll, wenn sich Roshani nach ihrer Breitseite im «Spiegel» Anfang Februar erklären würde. Aber nein, sie sagt kein Wort. Oder nur zwei, drei, als sie von einer wohlgesonnenen Journalistin der «Süddeutschen Zeitung» Gelegenheit erhält, zu einer besonders peinlichen Tatsache Stellung zu nehmen. Nämlich der, dass sie vor ihrem internen und dann öffentlichen Mobbing sich um den Stuhl ihres Chefs schriftlich beworben hatte, obwohl der noch draufsass. Das sei eine «Vorwärtsstrategie» gewesen, darf sie unwidersprochen sagen.

Noch irrer war dann der «Literaturclub» des Schweizer Farbfernsehens, in den sie eingeladen wurde. Man habe entschieden, zum aktuellen Fall nichts zu sagen, sondern nur über Bücher zu sprechen. Geisterbahn ist noch ein sanfter Ausdruck für diese Art von Journalismus.

Aber es greift immer mehr um sich. Der ehemalige publizistische Leiter von CH Media ist offenbar und nachweisbar das Sprachrohr von Jolanda-Spiess-Hegglin gewesen, gab ihr seine Artikel vorab zur Durchsicht und koordinierte die Veröffentlichung mit ihr. Ob das stimme, und was das soll, wurde Pascal Hollenstein gefragt. Schweigen.

Bruchpilot Hansi Voigt ist Journalist und hält seinen Latz eigentlich überall rein. Welch üble Rolle spielte er eigentlich bei der Hetzkampagne gegen Michèle Binswanger? Schweigen. Welche Mitarbeiter hat eigentlich die «Republik» warum entlassen? Schweigen.

Die Beiräte von Hetzcourage, Pardon «Netzcourage» werden angefragt, ob sie nicht auch Zweifel an der charakterlichen Eignung der beiden Exponenten haben. Schweigen, mit Ausnahme eines Anwalts, der sagt, dass er nur mit dem Vorstand in dieser Sache rede, nicht mit der Öffentlichkeit.

Anfragen an Chefredaktoren und Journalisten, eine Anfrage an Fabian Urech von der NZZ, an Kaspar Surber von der WoZ, an Salome Müller von der «Zeit», an Renato Beck von der WoZ, statt einer inhaltlichen Antwort kommt bei ihm zurück: «Sind Sie jetzt im bürgerlichen Mainstream angekommen?» Sonst Schweigen, tiefes Schweigen oder höchstens mal ein flapsiger Spruch.

Schweigen oder Wurstigkeit, ein weiteres Symptom für den Niedergang des Journalismus. Wer soll denn noch Anfragen von Journalisten ernst nehmen, wenn die nicht mal selbst antworten?

Wer soll denn Journalisten noch ernst nehmen, wenn die nicht einmal rechtsgültige Verurteilung wegen eines einzigen Tweets aus dem Jahre 2020 über 70 Treffer in der Mediendatenbank SMD zeitigt, die Veröffentlichung erschreckender «#hateleaks», die Auswertung von tausenden von Mitteilungen, wird hingegen im Mainstream stumm übergangen?

Ist das noch ernstzunehmender Journalismus, betrieben von ernstzunehmenden Journalisten? Die sich über nebensächliche Themen wie Genderstern, inkludierende Sprache und das eifrige Nachführen von Listen von Wörtern, die man nur noch als N-Wort oder als M***kopf ausschreibt, ungehemmt und ungebremst verbreitern?

Sich unglaubwürdig machende Journalisten schreiben über Pipifax, antworten nicht auf Anfragen und legen überhaupt ein geistiges Niveau vor, bei dem sich selbst ein Schimpanse am Kopf kratzt. Das tragen sie zudem in einer Sprache vor, die auch ohne Genderstern mehr Geholper als Gekonntes ist. Sie summen im Chor die gleiche Meinung mit, wiederholen die ewig gleichen Scherenschnitte (Trump, au weia, Putin, sehr au weia, Xi, furchtbar au weia), fühlen mit jeder durch einen wollüstigen Blick belästigten Frau mit, scheren sich aber einen Dreck darum, wenn eine renommierte Journalistin durch eine Schmieren- und Hetzkampagne fertiggemacht werden soll.

Und dann wundern sie sich wirklich, dass die Lust des Publikums rapide abnimmt, dafür auch noch das Portemonnaie zu öffnen? Sich an die «Paywall heranführen» zu lassen, wie das die Chefredaktorin von Tamedia mit unübertroffener Einfalt radebrecht?