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Wumms: Markus Somm

Schwatzen im Nebel des Krieges.

Somm müsste sich eigentlich um den serbelnden «Nebelspalter» kümmern, nachdem nach dem brutalen Rausschmiss des Chefredaktors der Print-Ausgabe der Versuch krachend gescheitert ist, sie dem Online-Auftritt anzunähern.

Aber es ist ein altes Phänomen, dass man sich lieber ums Grosseganze und die Welt kümmert als um das Wichtigkleine in nächster Nähe.

Also benützt Somm seine Kolumne in der «SonntagsZeitung», um mal wieder allen anderen Medienschaffenden die Knöpfe reinzutun. Schon im Titel erklärt er, wie er die Welt sieht: «Die Israelis sind die Guten». Vielleicht zeigen sich hier Restanzen seiner linksradikalen Vergangenheit. Da war es auch immer klar, wer die Guten und wer die Bösen sind. Nur: damals gehörten die Israelis sicher nicht zu den Guten für einen strammen Linken.

Als Aufhänger für seine Kolumne über die Guten nimmt er die Berichterstattung über die Explosion bei einem Spital im Gazastreifen. Bekanntlich passte die «News York Times» ihre Berichterstattung mehrfach an. Entsprechend der sich entwickelnden Informationslage, aber Somm sieht das anders: «Von Tätern war keine Rede mehr, von neuen Erkenntnissen oder neuen Quellen ebenso wenig – obschon in der Zwischenzeit die Israelis plausible Beweise vorgelegt hatten, dass es sich um eine Rakete der Palästinenser selbst gehandelt haben muss

Natürlich, wenn die per Definition und laut Somm «Guten» «Beweise» vorlegen – vielleicht sollte ein guter Journalist da von Indizien sprechen, die genauso wenig wie die Behauptungen der Palästinenser bislang von unabhängiger Seite bestätigt wurden –, dann ist die Sache doch klar.

Aber nun galoppiert Somm erst richtig los: «Es war eine Lüge, eine Hamas-Lüge, fabriziert von Hamas-Mördern, die den Tod der eigenen Leute den Israelis unterschieben wollten. Dass Terroristen lügen, kann keinen überraschen, dass aber die berühmtesten Zeitungen und Fernsehsender des Westens darauf hereinfallen, das umso mehr.»

Es mag den einäugigen Somm vielleicht überraschen, dass die «berühmtesten Zeitungen und Fernsehsender des Westens» auch schon auf Lügen der Guten hereingefallen sind. Oder hat er die «Massenvernichtungswaffen»-Lüge schon vergessen, mit der die USA samt Koalition der Willigen den Irak überfiel, was einen gescheiterten Staat und Hunderttausende von Toten hinterliess? Oder die «Brutkasten»-Lüge? Oder die Tongking-Lüge? Um nur drei Beispiele zu nennen.

Aber Somm dreht seine verbale Eskalationspirale weiter und weiter. Es sei sein Eindruck, dass es viele gäbe, «die sich danach sehnten, beide Seiten – Israelis und Palästinenser – für jede Gewalt gemeinsam verantwortlich zu machen, wie man das seit Jahren im Westen zu tun pflegt». Selbst das mag sein, aber ist es denn für Somm ausgeschlossen, dass auch die Guten für Gewalt verantwortlich sein könnten?

Immerhin, dann fällt Somm ein witziges Beispiel der Absurdität ein. Ob denn die NYT jemals eine solche Schlagzeile bringen würde: «Selenski lässt russisches Spital bombardieren, 500 Tote, sagt die Gruppe Wagner». Aber dann hört der Spass auf, wenn er behauptet: «Mördern glaubt man offenbar alles, solange sie Juden umbringen.» Das ist an Perfidie kaum zu überbieten.

Damit begibt auch er sich aus dem immer enger werdenden Raum der sinnvollen Debatte. Mit den folgenden Sätzen schlägt er krachend die Türe hinter sich zu, um in den Sumpfgebieten des Kriegsnebels zu verschwinden: «Erstens, die Israelis sind die Guten. Zweitens, die Hamas greift nicht bloss die Israelis an, sondern den Westen insgesamt. Es ist Zeit, dass wir aufhören, uns mehr zu hassen, als unbedingt nötig ist.»

Erstens: nur in alten US-Western gibt es die zweifellos Guten und die Bösen, die man alleine schon daran erkennt, dass die Bösen immer schwarze Hüte aufhaben. Zweitens, die Hamas greift nicht den Westen insgesamt an, das tun fundamentalistische Wahnsinnige insgesamt, die – wie die Hamas – von fanatisch islamistischen Regimes finanziert werden. In diesem Fall vom Iran, in anderen Fällen von Saudiarabien. Da aber das wahhabistische Scheich-Regime ein guter Freund des Westens ist, logen die westlichen Guten auch herbei, dass die Terroristen von Al-Kaida von Saddam Hussein unterstützt worden seien – obwohl sie alle Saudis waren und Bin Laden der bedeutenden saudischen Baufirma gleichen Namens angehörte.

Daher sollten wir – drittens – solchen Schwaflern wie Somm nicht mehr glauben, als unbedingt nötig ist.

Daher muss sich der gute (wie auch der schlechte) Leser eine einfache Frage stellen: will er sich wirklich von Organen informieren lassen, die von einem solchen einäugigen Propagandaplapperer mit infantiler Schwarzweiss-Weltsicht geleitet werden?

Während Somm so die Welt in gut und böse ordnet, versucht es der «Nebelspalter» mit dem gefühlt zehnten Relaunch, Redesign und «alles neu». Statt harter oder weicher Bezahlschranke ist nun alles gratis, wenn man vorher Werbung konsumiert. Ein solch hilfloses Geruder hat es in der jüngeren Schweizer Mediengeschichte noch nie gegeben. Das ist jenseits von Gut und Böse. Das ist einfach inkompetent.

Kratzer im Image von Selenskyj

Wieso liest man kritische Worte nur in der NZZ?

Wir müssen uns wiederholen, denn die NZZ wiederholt auch ihr Alleinstellungsmerkmal.

Das höchste der Gefühle an Kritik des ukrainischen Heldenpräsidenten besteht flächendeckend darin, dass er vielleicht zu forsch immer mehr Waffen fordert und zu ungestüm in NATO und EU will. Aber dass er eine direkte Konfrontation der Atommächte fordert und damit einen Dritten Weltkrieg riskiert, wird ihm nachgesehen.

Im Schwsarzweissfernsehen darf es keine Farbflecken geben. Gut ist gut, Held ist Held. Alles, was da stört, und das ist einiges, muss in den Hintergrund treten, denn Helden sind Helden, das ist in Comic-Verfilmungen so, das ist in der Darstellung der Mainstream-Medien so.

Pandora Papers, Millionenfonds im Ausland, gekaufte Präsidentschaftswahlen, Marionette eines ukrainischen Oligarchen, Zensur, Unterdrückung der Opposition, willkürliche Personalpolitik, undemokratische Entscheidungen – was soll’s, ein Held ist ein Held.

Nun blättert die NZZ kurz in die Zeiten kurz vor dem Überfalls Russlands zurück. Und geht der Frage nach, wieso der ukrainische Präsident nicht auf Warnungen vor einer bevorstehenden Invasion reagiert hat. Das wirft ihm kein Geringerer als der US-Präsident Biden vor. Und wird ausserhalb der NZZ mit Schweigen übergangen.

«Obwohl es klare Belege gegeben habe, habe auch Selenski sie «nicht hören wollen». Biden hatte unter Berufung auf die Erkenntnisse seiner Geheimdienste schon früh vor einem russischen Angriff auf die Ukraine gewarnt», schreibt Ulrich von Schwerin.

Noch Ende Januar hatte Selenskyj das als «Panikmache» verurteilt. Noch fahrlässiger: ««Wir werden im April Ostern feiern und dann im Mai wie üblich: Sonne, Ferien, Grillieren», sagte der frühere Fernsehstar am 14. Februar, der vor seiner Wahl zum Präsidenten 2019 versprochen hatte, den Krieg im Donbass durch Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu beenden. Seine Charmeoffensive war aber rasch gescheitert», führt die NZZ an.

Die ukrainische Armee habe dann allerdings viel effizienter und entschlossener Widerstand geleistet, als es von den russischen Invasoren erwartet worden war. Hingegen hatte Selenskyj versäumt, umfassende Zivilschutzmassnahmen rechtzeitig anzuordnen. «Allerdings bleibt die Frage, ob der Vormarsch der Russen im Falle einer frühzeitigen Generalmobilmachung nicht hätte eher gestoppt und der Verlust von Gebieten im Osten und Süden hätte verhindert werden können. Auch hätten womöglich viele Leben gerettet werden können, wenn bedrohte Städte wie Mariupol frühzeitig evakuiert worden wären.»

Es mag sein, dass das Rechthaberei im Nachhinein ist. Sicherlich schmälern solche Fehler nicht das Ansehen, das sich Selenskyj seit der Invasion erworben hat. Aber es mutet immer seltsamer an, wie Schweizer und deutschsprachige Medien sorgfältig alle dunklen Flecken auf einer weissen Weste übersehen. Da spricht man moderndeutsch von einem Narrativ, das sich durchgesetzt hat.

Aber genauso wenig wie alle Ukrainer zu guten Menschen werden, wenn sie flüchten, genauso wenig ist ihr Präsident eine reine Lichtgestalt. Nach wie vor absurd sind zudem alle Hoffnungen von Kriegsgurgeln, dass Russland in der Ukraine eine krachende militärische Niederlage zugefügt werden kann. All diese Mosaiksteine formen sich zu einem Bild, das fatal an die Frontberichterstattung während des Ersten Weltkriegs erinnert.

Da war auch, natürlich je nach Perspektive, die eine Seite angeführt von genialischen Feldherren und entschlossenen Führern, die von Sieg zu Sieg eilten, auch wenn ab und an schmerzliche Rückschläge eingeräumt werden mussten. Aber das waren nur Etappen auf dem sicheren Weg zum völligen Triumph, Der dann plötzlich für eine Seite zur völligen Niederlage wurde, was von der Bevölkerung fassungslos zur Kenntnis genommen wurde. Und nach Schuldigen und Ursachen rief, die mit den wahren Gründen nichts mehr zu tun hatten.

In Analogie dazu darf man gespannt sein, worin die moderne Dolchstosslegende vom Fall der Ukraine bestehen wird.

Blick in die Zukunft

«Die Ukraine muss siegen.» Und wie wird’s wirklich?

Beim Blick in die Zukunft herrscht weitgehend Einfallslosigkeit. Geboren aus Schwarzweissdenken kann man sich Prognosen nur in Schwarzweiss vorstellen. Dadurch wird das Zerrbild der Gegenwart in die Zukunft extrapoliert.

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Da aber ein militärischer Sieg der Ukraine doch allgemein als unwahrscheinlich gilt, wird halt gerudert. Der Heldenpräsident Selenskij wird unbedingt mit allen nötigen Waffen versorgt, um den russischen Invasoren möglichst schmerzlich Widerstand leisten zu können – und sie zu guter Letzt aus dem Land zu werfen.

Das führt zwar zu bedauerlichen Kollateralschäden in der ukrainischen Bevölkerung und Infrastruktur, zu unermesslichem Leid und Zerstörung, aber die Alternative wäre nur, wie das ein Historiker in unnachahmlicher Dummheit behauptet, dem Präsidenten zu raten, er solle aufgeben.

Und das wiederum würde den Appetit des wahnsinnigen Verbrechers im Kreml stimulieren, der sich anschliessend noch Transnistrien, vielleicht Moldau, warum nicht Polen unter den Nagel reissen will. Deshalb muss der zur lokalen Militärmacht abgerüstet werden, was dadurch gelingt, dass möglichst viel von seinem Kriegsgerät vernichtet wird.

Das zukünftige Ziel muss unbedingt sein, dass die territoriale Integrität der Ukraine erhalten bleibt und sich Russland völlig zurückzieht, auch von der Krim. Anschliessend wird die Ukraine in die EU und die NATO eintreten, womit weitere Überfälle durch Russland ausgeschlossen sind.

Weiter im rosaroten Bild

Als Zeichen der europäischen Solidarität werden nicht nur Waffenlieferungen getätigt und geschenkt, es werden auch bedingungslos ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Die Schweiz sollte angesichts besonderer Umstände nicht so zickig auf ihrer Neutralität bestehen. Immerhin hat sie sich allen Sanktionen angeschlossen und nimmt auch freiwillig wohl bis zu 200’000 Flüchtlinge mit dem Sonderstatus S auf.

Die werden von der Schweizer Bevölkerung begeistert empfangen, wie nie zuvor zu Hause aufgenommen und fast als Familienmitglieder akzeptiert. Schliesslich handelt es sich um Miteuropäer, hochqualifiziert und überwiegend weiblich, meistens von einer kleineren oder grösseren Kinderschar begleitet. Dem entsprechenden Ansturm muss natürlich das Schul- sowie das Sozialsystem der Schweiz gewachsen sein. Ein Unmensch, der da von Kosten und Sekundärfolgen in der reichen Schweiz spricht.

Sobald der Endsieg über Russland errungen ist, werden grössere Teile der Flüchtlinge wieder in die Ukraine zurückströmen, so wie das ja auch bei den Ungarn und den Tschechen der Fall war. Der Wiederaufbau des Landes wird zu grossen Stücken durch beschlagnahmte Vermögenswerte reicher Russen im Ausland finanziert, zudem muss sich natürlich Russland daran beteiligen.

Als Gegenleistung hat die Ukraine schon versprochen, dass sie dann die letzten Reste von Korruption, Oligarchenherrschaft, pseudodemokratischen Veranstaltungen, willkürlicher Machtausübung beseitigen wird. Selbst Präsident Selinksij wird mit gutem Beispiel vorangehen und seine Millionenbesitztümer im Ausland offenlegen, vielleicht sogar verkaufen, um das Geld dann zu spenden.

Das ist der märchenhafte Ausblick des Mainstreams. Die Wunschvorstellung aller kalten Krieger und Kriegsgurgeln, die dafür grosse Teile der aktuellen Wirklichkeit einfach ausblenden.

Zurück in die realistische Zukunft

Denn das alles wird natürlich nicht passieren. Ein realistisches Zukunftsbild sieht so aus: als ersten Schritt wird es einen Waffenstillstand geben. Umso schneller, desto besser für die Zivilbevölkerung der Ukraine. Danach werden Verhandlungen beginnen, ohne Vorbedingungen. Wie vom Altmeister der amoralischen Realpolitik Henry Kissinger – und nicht nur von ihm – bereits skizziert, werden diese Verhandlungen damit enden, dass die Krim und die beiden Donbass-Provinzen russisch bleiben, sowie ein Landzugang zur Krim. Die Ukraine wird zumindest auf absehbare Zeit nicht in die NATO eintreten und höchstens den normalen, zeitraubenden Weg in die EU einschlagen.

Da Russland mehrfach wortbrüchig geworden ist, was seine Versprechen betrifft, die Grenzen der Ukraine anzuerkennen und zu respektieren, wird die territoriale Integrität der Ukraine von der NATO garantiert werden. Diese Kröte muss Putin schlucken, der sich ohne Not in eine Position manövriert hat, in der er nur verlieren kann. Die Frage ist nur, wo die Schwelle zum für ihn erträglichen Verlieren liegt.

Die anfängliche Begeisterung über und die Solidarität mit ukrainischen Flüchtlingen wird – wie bei früheren Flüchtlingswellen mit Willkommenskultur und allem – schnell nachlassen. Beispiele von Missbrauch, von Ausnützen, von Betrug, von Unwilligkeit, sich zu integrieren und auch bescheidene Angebote zu akzeptieren, werden zunächst als fremdenfeindliche SVP-Propaganda denunziert, sickern aber zunehmend in die öffentliche Meinungsbildung ein. Wie meist hat hier «Inside Paradeplatz» ein feines Näschen für die Vorboten zukünftiger Entwicklungen.

Die Belastungen der Schweizer Solzialsysteme werden diskutiert, die Bevorteilung von Flüchtlingen gegenüber notleidenden Schweizern kritisiert. Absurde Forderungen wie die, dass in der Schweiz Sondersteuern für sogenannte Kriegsgewinner erhoben werden sollen, deren Ertrag dann der Ukraine zugute kommen muss, fachen die kritische Debatte zusätzlich an.

Eine Wende wird sich immer deutlicher abzeichnen

Viele Familien, die gutgläubig Plätze angeboten haben, werden sich immer lautstärker darüber beschweren, dass sie versprochene Unterstützung nicht erhalten und stattdessen im Stacheldraht von Behörden und Bürokratie verröcheln, bzw. selbst in gröbere finanzielle Probleme geraten.

Die Meinungsträger, die von jeglichem Nachgeben abraten und die ewigen schiefen Vergleiche mit dem Appeasement gegenüber Hitler ziehen, werden zunehmend verstummen. Insbesondere, da Russland, in die Ecke gedrängt, immer unverhohlener mit dem Einsatz von zumindest taktischen Atomwaffen droht. Und immer deutlicher macht, dass es die Ausrüstung der ukrainischen Streitkräfte mit westlichem Militärgerät als Annäherung an eine direkte Intervention der NATO in der Ukraine empfindet.

Immerhin sind die Dummschwätzer verstummt, die noch vor Kurzem die Errichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine, garantiert durch die NATO, oder gar ein direktes militärisches Eingriffen des Bündnisses forderten.

Es gibt die Zukunftsprognose, die auf der fantasievollen Weltsicht beruht: wenn Wünsche wahr werden. Es gibt die Zukunftsprognose, die sich nach einer heilen, gerechten, moralisch intakten Weltvorstellung ausrichtet. Es gibt die Zukunftsprognose, die in typisch eurozentristischer Selbstfixierung davon ausgeht, dass die ganze Welt nicht nur den Einmarsch verurteilt, sondern auch bei wirtschaftlichen oder politischen Sanktionen gegen Russland dabei sei. Dabei stehen hier den europäischen Staaten plus USA, Japan, Australien und Neuseeland die überwältigende Mehrheit von über 150 Nationen gegenüber, die sich in keiner Form an Sanktionen beteiligen. Darunter Schwergewichte wie China und Indien.

Medien machen immer wieder die gleichen Fehler

Auch das Denunzieren von realistischen Zukunftsprognosen als zu nachgiebig, feige, gar als Ausdruck der Übernahme russischer Positionen, als Einladung für den Kreml, weitere Eroberungszüge zu riskieren, ist unnütz. Damit werden zwar weiterhin die Mainstreammedien bespielt, aber die machen den gleichen Fehler wie in ihrer Berichterstattung über die Pandemie.

Eine zu einseitige, zu meinungsstarke, zu wenig faktenbasierte, ausgewogene und umfassende Berichterstattung stösst den Konsumenten ab. Muss er dafür noch bezahlen, fragt er sich zunehmend, welchen Gegenwert er in Form von Einheitsbrei, ewig gleichen Kommentaren, markigen Kriegsrufen und unablässigen Verurteilungen Russlands bekommt.

Wie bei der Pandemie übergehen die Mainstreammedien gefloppte Prognosen kleinlaut. Die russische Wirtschaft wird demnächst zusammenbrechen. Der Rubel wird ins Bodenlose fallen. Russland wird schwerste Verluste mit seinen Rohstoffexporten erleiden. Die russische Bevölkerung wird in zunehmendem Leidensdruck beginnen, massiv gegen ihre Regierung zu protestieren. Der Veretdigungsminister ist abgetaucht, vielleicht schon abgesetzt, oder im Straflager. Oder liquidiert. Putin ist nicht nur wahnsinnig, sondern auch krank. Geschwächt. Innerhalb des Kremls wird bereits über seine Nachfolge nachgedacht. Nur ein ausgeklügeltes Sicherheitsdispositiv hat bislang verhindert, dass ein erfolgreiches Attentat verübt wurde.

Früher gab es die journalistische Berufsgattung des Kremlastrologen. Das waren die Kenner und Spezialisten, die aus kleinsten Anzeichen (wer steht wo bei Paraden, hustet der Generalsekretär, wieso wurde das Politbüromitglied schon seit zwei Wochen nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen) die ganz grossen Linien zogen. Nur war damals der Ruf der Medien noch viel weniger als heute ramponiert.

Neben Putin steht nun allerdings schon der zweite Verlierer eindeutig fest. Wieder einmal die sogenannten Qualitäts- und Bezahltitel, die für gutes Geld schlechte Ware liefern.

 

 

Die Krise der Intellektuellen

Gerade wenn man sie bräuchte, verlieren sie ihre wichtigste Fähigkeit.

Für manche ist es ein Schimpfwort, für andere eine Auszeichnung. Eine richtige Definition gibt es eigentlich nicht; ein Intellektueller ist wohl ein gebildeter, kompetenter Mensch mit allgemeinen oder speziellen Kenntnissen, der sich meistens öffentlich kritisch oder zustimmend äussert.

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Vor allem aber sollte es jemand sein, der zu Differenzierungen fähig ist. Also das Gegenteil vom «terrible simplificateur», der sich in der Lage sieht, auch komplexeste Zusammenhänge auf ein einfaches Schwarzweiss runterzuhacken. Die Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis. Die Wirtschaft. Der Umweltschutz. Der Krieg in der Ukraine. Der Simplizist hat die einfachen, daher eingängigen Antworten.

Er braucht nicht mal ein Narrativ, Schlagwörter reichen. Wertungen laden sie zusätzlich und zwecks noch deutlicherer Erkennbarkeit auf. Als weiteres Mittel aus dem Nähkästchen der furchtbaren Vereinfachung kommt die Personalisierung zum Einsatz. Womit wir im Ukrainekrieg ein Erklärungsmodell gebastelt hätten, das hermetisch dicht, einfach, verständlich, für jeden überblickbar ist.

Mach’s einfach, mach’s falsch

Hier kämpft der böse Putin, der Schlächter, Wahnsinnige und Kriegsverbrecher, gegen den guten Selenskij, der Held, Staatsmann, der mutige Krieger.

Eigentlich wäre es nun die Aufgabe des Intellektuellen, dieses holzgeschnitzte, unzulängliche Abbild der Realität zu hinterfragen. Denn wenn etwas aus vielen tausend Jahren der betrachteten Geschichte und Gegenwart klar ist: es gibt nie Schwarzweiss. Die Wirklichkeit ist immer bunt, kompliziert, widersprüchlich, verwirrend.

Nun könnte man einwenden, dass es doch nicht jedem hirnwindungsmässig gegeben ist, nicht jeder Zeit für komplizierte Erklärungen komplexer Zusammenhänge hat. Schliesslich müsse auch ein ganzes Schlachtfeld wie die Ukraine in einem dreiminütigen Beitrag in der «Tagesschau» Platz finden. Eine Antwort in einem Soundbite von 15 Sekunden. Alles andere würde doch zu weit führen.

Man könnte eine Schwarzweiss-Welt für die Massen durchaus neben einer bunten Welt für freischwebende Intellektuelle unkommentiert lassen. Wenn solche Holzschnitzereien eben nicht immer zu gefährlichen Fehlschlüssen führen würden. Die Bewohner dieser einfach gestrickten Weltbilder nicht immer wieder ratlos zurückliesse, wenn es sich herausstellt, dass die Wirklichkeit eben nicht so einfach ist.

Die umgekehrte Beweisführung 

Das Dasein eines Intellektuellen sollte sich eigentlich – neben herausragender Wissensakkumulation und Fähigkeit zur Analyse – dadurch auszeichnen, dass er Fragen viel interessanter als Antworten findet. Dass Schwarzweiss spontan Allergie auslöst. Dass der Intellektuelle auch nicht davor zurückschreckt, unbequeme Frage zu stellen, gegen den Strom zu schwimmen. Dabei auch durchaus bereit ist, Irrtümer auf dem Weg zur besseren Erkenntnis in Kauf zu nehmen.

Zu diesem Besteck gehört so etwas Banales wie die in der Mathematik heimische umgekehrte Beweisführung. Also statt zu beweisen, dass etwas so ist, beweist man, dass das Gegenteil nicht sein kann. Die indirekte Beweisführung.

Das könnte zum Beispiel als Denkanlage sein: mal angenommen, Putin ist nicht ein wahnsinniger Schlächter, der im Blutrausch Länder überfällt, sie zerstört und von der Wiederherstellung eines zaristischen Imperiums träumt. Wenn er das nicht wäre, was ist er dann? Was will er? Was wäre für ihn ein Triumph?

Dagegen könnte man einwenden: was soll das, wozu soll das nützen, das ist doch einfach sinnlose Gedankenspielerei, überflüssig wie ein zweiter Kropf. Aber auch dieser Einwand ist krachend falsch. Wenn es gelingt, die wirkliche Motive und Gründe des Handelns von Putin aus ihm heraus zu erklären, kann man sich sinnvoll überlegen, mit welchen Angeboten man die Katastrophe in der Ukraine möglichst schnell beenden kann.

In Krisenzeiten werden Intellektuelle schwach

Denn es gibt ja nicht umsonst den Begriff des Pyrrhus-Sieges. Wenn also der Krieg, die Schlacht gewonnen wird, aber der Frieden, die Folgen sind schlimmer als eine Niederlage. Ein handliches und aktuelles Beispiel, wie sich Intellektuelle nützlich machen könnten.

Es ist aber auch aus der Geschichte bekannt, besonders hässlich und widerlich in den beiden Weltkriegen sichtbar, dass sich viele Intellektuelle in Krisenzeiten den Simplifizierern anschliessen. Statt Nachdenklichkeit und Analyse Hurrapatriotismus. Statt Zweifel und Fragen gebrüllte Antworten.

Natürlich gab es immer Widerstandsnester von Intellektuellen, die sich der allgemeinen Hysterie nicht anschlossen. Sie wurden immer beschimpft und niedergemacht, nicht zuletzt als Vaterlandsverräter, Helferhelfer des Feindes, Versteher und Schönredner. Erst im Nachhinein wurden sie gelegentlich als aufrechte Kämpfer rehabilitiert.

Auch heute steigt die Hysterie stündlich, schwindet der Platz für um Erkenntnis ringende Debatte. Auch kleine Würstchen spüren plötzlich den Mantel der Geschichte um sich wehen, blubbern von Zeitenwende, historischem Bruch und tun so, als wäre noch nie geschehen, was gerade geschieht. Das gibt ihnen den Anschein von Bedeutung, von Wichtigkeit. Ein Trugbild wie Schatten an der Wand.

Besonders widerlich sind dabei die Zeitgeist-Surfer, die gelenkig gängige Narrative bedienen und sich damit eine Position als «Spezialist», «Koryphäe», «Soziologe», «Russland-Kenner» erobern. Denn schlimmer als Schwarzweissschnitzer sind Intellektuelle, die mitschnitzen, statt ihre eigentlich Aufgabe wahrzunehmen. Nachzudenken, Fragen zu stellen, Erkenntnisse gewinnen, im Steinbruch der Wirklichkeit, die alles ist. Ausser schwarzweiss und simpel.

Vincenz: die andere Seite

Jahrelang krochen ihm die Medien überall rein. Zu Recht.

Kein Organ zu klein, um Scharfrichter zu sein. Eigentlich könnte sich die Justiz den heute beginnenden Prozess auch sparen. Er findet nicht zu Unrecht in einem Theatersaal statt. Unsere Schwarzweiss-Medien haben schon lange von Weiss auf Schwarz umgeschaltet.

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Drei Jahre dauerte die quälende Untersuchung durch einen Staatsanwalt, bis der endlich eine Anklage hingewürgt hatte. Noch nie in der jüngeren Geschichte wurde die Öffentlichkeit so rundum und kontinuierlich mit allen saftigen Details der Untersuchung bespasst.

So ziemlich jedes Dokument, das dazu dienen konnte, den Ruf des gefallenen Starbankers zu ruinieren, wurde an die Medien durchgestochen. Herausragend dabei der Oberchefredaktor von Tamedia, der sich nicht zu schade war, immer wieder als Lautsprecher zu dienen. Ohne sich ein einziges Mal zu fragen, in welche Dienste er sich da stellte.

Selbst die dicke Anklageschrift fand schneller den Weg in die Öffentlichkeit als zu den Angeklagten. Um den Medien genügend Zeit zur Nachbearbeitung zu lassen, brütete dann das Bezirksgericht Zürich ein Jahr lang über einem Prozesstermin. Nun ist’s so weit, und als weiterer Höhepunkt juristischen Schaffens stellt sich heraus, dass nicht genügend Prozesstage eingeplant wurden.

Nun ist’s endlich so weit, der Prozess beginnt

Denn überraschenderweise wird bei einen Staatsanwalt, sieben Angeklagten und einem Privatkläger länglich das Wort ergriffen, Plädoyer gehalten. Wer konnte das auch ahnen.

In einer letzten Climax geben die Qualitätsmedien nochmal alles und kehren  die letzten Krümel aus ihren Archiven. Denn sie wissen: dann ist’s mal vorbei, endet der Prozess mit einem Urteil und garantiert mit einem Weiterzug ans Ober- und dann ans Bundesgericht. Aber das dauert wieder.

Der «Blick» gerät ins Stottern und bringt den gleichen Artikel zweimal …

Vincenz hat tatsächlich dermassen viele Angriffsflächen geboten, mit seinem unseligen Hang zum Halbseidenen und mit Rotlicht Beschienenen, mit seinem Hang zum Spesenrittertum und mit seinen Versuchen, sich die Taschen zu füllen, dass jeder Kleinschreiber genügend Anlass findet, moralisch mit dem Zeigefinger zu wackeln und sich zu entrüsten.

Welch ein Leistungsausweis des gefallenen Starbankers

Dabei geht völlig vergessen, dass Vincenz auch was geleistet hat. Als er 1999 bei Raiffeisen antrat, war das ein Verbund meist verschnarchter Bauernbanken. Provinz- und Lokalfürsten wachten eifersüchtig über ihre Herrschaftsgebiete. Moderne IT, modernes Banking, Anlagemöglichkeiten, selbst banale Sicherheitsmassnahmen: alles unbekannt. Es gab noch Filialen, da wurde das Bargeld in der Schublade eines Holzschranks aufbewahrt.

Als Vincenz 2015 abtrat, war er zur nationalen Berühmtheit geworden und Raiffeisen zur Nummer drei im Schweizer Finanzmarkt, zur Nummer eins bei der Hypothekenvergabe. Mit Geschick, jovialem Charme und der ewigen Aussage, dass er nicht etwa der Boss sei, sondern sogar 300 Chefs habe, hatte Vincenz ein kleines Wunder vollbracht.

Finanzkrise, Steuerstreit, Schwarzgelder, Skandale: als wäre er (und seine Bank) aus Teflon, alles perlte von Raiffeisen ab. Er konnte sogar, im Sinne seiner Bündner Bundesrätin, offen das damals noch heilige Schweizer Bankgeheimnis in Frage stellen.

Er wurde nicht nur von den Boulevardmedien gehätschelt, als Gast an allen Promi- und Cervelat-Anlässen, immer zu einer Homestory bereit, immer bereit, den einfachen Bündner Wandersmann zu geben, den Naturburschen mit Berglercharme.

Dabei pfiffen es damals schon die Spatzen von den Dächern in St. Gallen, dass er eine unselige Vorliebe für Stripclubs und leichte Damen hatte.

Aber wer Erfolg hat, ist unantastbar. Im schreienden Kontrast dazu wirtschafteten seine Kollegen die einstmals grossen Traditionsbanken UBS und CS an den Rand des Abgrunds. Vernichteten Milliardenwerte, zerstörten Reputation und Renommee, beschmutzten den Namen mit einer Kette von Skandalen, Flops, sogar kriminellen Handlungen.

Sie fuhren die Banken fast gegen die Wand und den Börsenwert in den Keller – während sie obszöne Gehälter abkassierten, Boni im geschmacklosen Bereich.

Seine Kollegen schaufelten Millionen – er schuf Mehrwert

Demgegenüber wurde das Gehalt von Vincenz gedeckelt. Er schuf dann für ein Zehntel des Einkommens seiner Versagerkollegen echten Mehrwert – was ihn kräftig angurkte. Ob er dann für die Selbstbereicherung zu unerlaubten Mitteln griff, das wird der Prozess erweisen.

Was die aktuelle Berichterstattung über ihn allerdings mit ausgewogener Information, Faktentreue und allen Qualitätsmerkmalen zu tun haben soll, mit denen die Mainstreammedien dafür werben, mit einer Milliarde Steuergelder unterstützt zu werden?

Nichts hat sie damit zu tun, einfach nichts. Skandalisierung, Einseitigkeit, Hetzjagd, rumtrampeln auf einem, der schon am Boden liegt, vorverurteilt wurde und sich niemals mehr von dieser Rufschädigung erholen wird. Völlig unabhängig davon, ob er am Schluss verurteilt oder freigesprochen wird.

Noch zwei Monate, bevor Vincenz als bislang einziger Bankenlenker in U-Haft kam, bekam er vom heutigen Oberchefredaktor der «Blick»-Gruppe Christian Dorer Gelegenheit, sich in einem «was wollten Sie schon immer mal sagen»-Interview reinzuwaschen und gegen alle Vorwürfe zu verteidigen. Mit diesen typisch kritisch-unkritischen Fragen, die in solchen Fällen gestellt werden.

Müsterchen: «Haben Sie sich bereichert?» – «Das stimmt absolut nicht.»

Es gilt bis heute die Unschuldsvermutung. Was für ein Witz. Für die Schweizer Massenmedien gilt sie garantiert nicht.