Schlagwortarchiv für: Schlagzeilen

Wichtiges und Unwichtiges

Qualität, für die man gerne zahlt …

Tamedia sei «mehr als die nächste Schlagzeile», behauptet der Medienkonzern forsch. Er haut sogar noch mehr auf die Kacke: «Als stärkstes Redaktionsnetzwerk der Schweiz gestalten wir die Themen und Debatten des Landes mit

Soll man es betrauern oder sich darüber freuen, dass das schon längst nicht mehr der Fall ist? Oder trauen Sie Raphaela Birrer zu, die «Themen und Debatten des Landes» mitzugestalten? Ach, nicht so auf die Frau spielen? Gut, dann schauen wir uns doch mal die gestalterische Kraft am 1. Mai an. Vielleicht könnte man dazu in Abwandlung eines alten Arbeiterslogans sagen: Es stehen alle Schlagzeilen still, wenn dein starker Arm es will.

Greifen wir also «mehr als die nächste Schlagzeile» heraus. «Sexismus am Arbeitsplatz – hier werden Männer zu Unterstützern», eine wunderbare Schlagzeile, die aber, horribile dictu, nicht auf die Tamedia-Redaktion selbst angewendet wird. Obwohl, will man dem Protestschreiben von 78 erregten Tamedia-Mitarbeiterinnen glauben, die das dringend nötig hätte. Aber so viel Mehr wäre dann doch zu viel des Guten.

Unbedingt berichtenswert ist auch das hier: «Eine fatale Karikatur bringt den «Guardian» in Schwierigkeiten». Hinter der Schlagzeile: in der englischen Zeitung war eine Karikatur erschienen, der ein antisemitischer Gehalt vorgeworfen wurde. Der «Guardian» nahm sie vom Netz und entschuldigte sich. Also ist hinter der Schlagzeile einfach heisse Luft.

Ein chinesischer Schachweltmeister, eine missglückte italienische Tourismus-Werbung, ein «Chili-Esser schrammt haarscharf am Tod vorbei», und das in San Francisco, der «Beobachter» wisse, wie es dazu kam, dass eine Frau «zwei Schafe im Badezimmer hielt». Auch hier gähnt hinter den Schlagzeilen das Nichts.

Das schnarcht schon in der Schlagzeile bei der Abteilung «International». «Flucht und Vertreibung der Palästinenser», natürlich von der «Süddeutschen Zeitung» einkopiert, in Wien suche Afghanistan einen neuen Helden, meint die SZ, kopiert dann das stärkste Redaktionsnetzwerk der Schweiz. Ach, und «60 Minuten mit Obama»; kalter Kaffee, lauwarm serviert.

Wollen wir noch die Kolumnen oder gar die «Kultur» anschauen? Lieber nicht, richtig. Aber he, es war doch der 1. Mai, normalerweise der News-Retter an einem schlappen Feiertag. «Wir berichten live (mit Video)», trompetet das Redaktionsnetzwerk. Tatsächlich, ganze drei Redaktoren werden freigelassen, verlassen ihre Verrichtungsboxen und setzen sich heldenhaft Tränengas und anderen Widrigkeiten aus. Als Lohn der Angst bringen sie Nachrichten wie diese mit: «Plötzlich stürzen sich fünf zivil gekleidete Beamte einer speziellen Eingreiftruppe auf einen Mann und verhaften ihn, sie werden unterstützt durch den Wasserwerfer. Ein Polizist ist bei der Aktion mutmasslich verletzt worden.»

Dazu passend ein Foto, wie uniformierte Beamte einen Mann verhaften. Aber in der Hektik kann das ja passieren. Auch die deutsche Sprache leidet unter dem Kriegsgeschehen am Zürcher Helvetiaplatz: «Die eingekesselten auf dem Kanzleiareal». Dafür hat Tamedia einen hübschen Ausdruck für linksautonome Chaoten, für gewaltbereite Mitglieder des Schwarzen Blocks gefunden, der wirklich ingeniös ist und eine echte Alternative zu «Demonstrierende» darstellt: «Aktivisten». Das hört sich schnüggelig an und lässt sich allgemein anwenden.

Klimaaktivisten statt Klimakleber. Religionsaktivisten statt islamistische Fundamentalisten. Sprachaktivisten statt Genderwahnsinnige. Sauberaktivisten statt faschistische Sprachreiniger. Nur: gibt es denn nicht auch Aktivistinnen? Ist «Aktivist» nicht Ausdruck der männerbeherrschten Unterdrückungssprache? Hallo? DER Aktivist? Was hat sich Tamedia dabei nur gedacht? Die einzig korrekte Form dieses Ausdrucks wäre «Aktivierende». Kann doch nicht so schwer sein.

Mal ernsthaft, liebe Mitglieder des angeblich stärksten Redaktionsnetzwerks der Schweiz: ihr erwartet wirklich, dass das Publikum dafür auch noch zahlt? Betrachtet ihr das als Arbeitsplatzsicherung – oder wollt ihr euch selbst wegschreiben? Oder von der SZ wegschreiben lassen? Oder soll das eine Satire auf ein ernsthaftes Qualitätsmedium sein? Oder ist das subversiver Widerstand gegen das Aushungern durch Pietro Supino? Gegen eine unfähige Redaktionsleitung? Gegen überforderte Ressortleiter(innen)?

Wie auch immer, den Leser packt das Grauen und er wird vergrault …

Corona – weiterhin der stille Star

Das kann doch ein Virus nicht erschüttern. Corona generiert weiterhin die meisten Artikel. Aber wer sieht die Zukunft?

Afghanistan hat visuell die besseren Karten. Die Szenerie ist zwar wiederholungsgefährdet. Rund um den Flughafen von Kabul, martialisch auftretende Taliban, zu Fuss oder im US-Jeep, Flüchtlinge im Flugzeugbauch oder beim Aussteigen. Dazu die üblichen Talking Heads, also Politiker, Fachleute, Besserwisser und Rechthaber im Nachhinein.

Also das gleiche Personal wie bei Corona. Nur: 731 Treffer für Afghanistan in den letzten 24 Stunden im SMD, 1621 für Corona. Allerdings gilt auch hier: lang lebe die Wiederholung.

  • «Forscher warnen vor neuer Corona-Supervariante» (Newsticker SRF),
  • «Neuseeland verlängert Lockdown» («Süddeutsche», somit auch Tamedia),
  • «Diese Länder verschärfen ihre Massnahmen wieder» (bluewin.ch),
  • «Jurist Loris Mainardi kritisiert Bewilligung für Corona-Demo» (nau.ch),
  • «Ins Restaurant nur noch mit Zertifikat?» (NZZ),
  • «Brig-Glis erwartet bis zu 500 Anti-Corona-Demonstranten» («Walliser Bote»),
  • «Von Spucktests bis Virenfilter» («Zürichsee Zeitung»),
  • «Operngenuss trotz Maske – Bayreuther Festspiele im Zeichen von Corona» (SDA),
  • «Vierte Corona-Welle in Deutschland: Neuinfektionen nehmen weiter zu» («Blick»),
  • «Nein zum Covid-Gesetz – Ist SVP-Angriff aufs Impfzertifikat ein Spiel mit dem Feuer?» («20 Minuten»),
  • «Wer kann Corona besser als die Zürcher?» («Der Landbote»),
    «Pandemie macht erfinderisch: Wie aus einem Geistesblitz auf dem WC eine Firma entstand» («Tages-Anzeiger»),
  • «Die vierte Welle rollt über den Kanton Bern» («Thuner Tagblatt»).

Hand aufs Herz und Maske vors Gesicht: Wir sind doch rundum, vollständig, ausgewogen und hilfreich informiert, nicht wahr? Wir sind zudem mit guten Ratschlägen überversorgt. So dekretiert der Rest-Chefredaktor des einstmals stolzen «Tagblatts» aus St. Gallen:

«Wer geimpft, genesen oder getestet ist, kommt rein – der Rest nicht».

Bei allem Verständnis dafür, dass auch CH Media viele Batzeli an Steuergeldern erhält und sich auf noch mehr Subventionen freut: Muss man es mit dem Bundesrats-Verlautbarungsjournalismus so weit treiben? Man könnte doch, aus Ehre und Anstand, wenigstens noch den Halsansatz sichtbar lassen, wenn man schon in ein dafür nicht vorgesehenes Körperteil kriecht.

Schreiben ohne Verstand: Stefan Schmid im «Tagblatt».

«Freiheit ohne Verantwortung gibt es nicht. Darum ist es richtig, Ungeimpften in einer Pandemie den Zugang zu Lokalen mit viel Volk vorübergehend zu untersagen.» Ach ja, wenn die Allzweckwaffe Stefan Schmid vom «Tagblatt» ins Philosophieren gerät, wird schmerzlich bewusst, dass es eigentlich auch Pressefreiheit ohne Verantwortung nicht geben sollte. Denn nein, solange es offiziell keinen Impfzwang gibt, ist es nicht richtig, Menschen zu diskriminieren, die von dieser Freiheit Gebrauch machen. Oder soll das dann auch bei der nächsten Grippewelle gelten?

So viele Informationen bis es flimmert

Nochmal Hand aufs Herz und Maske vor die Augen: Wer unserer geschätzten Leser kann folgende drei Fragen aus dem Stand und richtig beantworten?

1.Unter welchen Voraussetzungen können wir nach Deutschland reisen?
2. Sind die Spitäler wieder am Rand ihrer Kapazitäten?
3. Braucht es eine dritte Impfung?

Oh, Sie nehmen den Telefonjoker und sagen nichts ohne Anwalt? Vielleicht gibt es doch mehr Ähnlichkeiten zwischen Afghanistan und Corona, als man gemeinhin annimmt. Ein kühner Vergleich?

Eigentlich nicht. Afghanistan war und ist das Land des Kannitverstan. Wieso ist eine Billion US-Dollar spurlos vergurgelt? Corona war und ist die Pandemie der Widersprüchlichkeit. Wieso steht einer Schadensbilanz alleine in der Schweiz vom schätzungsweise 150 Milliarden Franken, bewirkt durch staatliche Massnahmen, kein Durchbruch in der Bekämpfung der Pandemie gegenüber?

Ja, über diese beiden Fragen lohnt es sich, vertieft nachzudenken. Leider hilft einem dabei kein deutschsprachiges Qualitätsmedium. Selbst die «Republik», die doch eigentlich unverzichtbar ist beim Retten der Demokratie, der Schweiz und der Welt, schweigt.

Da bleiben als letzte Hoffnung eigentlich nur noch die Muotathaler Wätterschmöcker, echt jetzt.

Die sehen wenigstens die Zukunft.

Kette der Belanglosigkeiten

Früher generierten Journalisten ihre Storys durch Mithorchen am Stammtisch oder einen anonymen Hinweis per Briefpost. Heute krallen sie sich zusammen, was sie auf Instagram und Co. finden. Zum Leidwesen der Leser.

Von Stefan Millius

«Angepöbelt, weil er Männer liebt»: Die Schlagzeile auf dem Lokalportal stgallen24.ch verspricht Drama. Gab es da wieder eine dieser inakzeptablen Hetzjagden auf einen Homosexuellen? War Gewalt im Spiel?

Nicht ganz. Der Artikel dreht sich nämlich um folgendes Ereignis: Ein 20-jähriger Mann, der offenbar durch eine Perlenkette auffiel, befand sich mit einem Kollegen in einem Fast-Food-Lokal. Zwei junge Männer begannen, sich tuschelnd und lachend über die beiden zu unterhalten. Was im Spruch gipfelte: «Schau dir mal diese hässliche Schwuchtel an.» Ende.

Anpöbeln ist anders

Nun ist das zwar nichts, was man über andere Leute hörbar sagen sollte und es deutet nicht auf eine nachhaltig erfolgreiche Erziehungsarbeit hin. Es entspricht aber nicht dem Wortsinn von «anpöbeln», es gab keine direkte Konfrontation, keine Bedrohung, nichts. Es geschah das, was Übergewichtigen, Pickligen oder allgemein aus der Norm stechenden Leuten bedauerlicherweise täglich passieren kann: Andere Leute starren und tuscheln.

Und das wird ernsthaft auf 7300 Zeichen ausgebreitet. Wie um das zu rechtfertigen, liefert der 20-Jährige ein weiteres Beispiel nach. Im letzten Winter habe ihm ein Mann auf Albanisch «Schwuchtel» nachgerufen. Wieso das im Artikel mit «Nick» benannte Opfer das überhaupt verstand, bleibt offen. Aber es geht in die Richtung der Fast-Food-Begegnung: Nicht schön, nicht richtig, aber kein öffentliches Ereignis.

«Pride Month» wird ausgewalzt

Denn so daneben es ist, mit einem Schimpfwort bedacht zu werden oder mitzukriegen, wie zwei andere abwertend über einen reden: Ist das echt eine Titelstory von halbepischer Länge wert? Die Auflösung kommt am Schluss: Anlässlich des «Pride Month» hat sich die Redaktion von stgallen24.ch vorgenommen, bis Ende Juni regelmässig Artikel rund um Homosexualität zu publizieren. Da muss ein dahingeworfenes «Schwuchtel!» in einer Fremdsprache wohl reichen, um Inhalte zu generieren.

Damit ordentlich Text zusammenkommt, weist die Autorin im Text auch gleich noch auf die Abstimmungsvorlage «Ehe für alle» hin und stellt «Grindr», ein Datingportal für Schwule vor. Weil das ja direkt zusammenhängt mit Anpöbeleien im öffentlichen Raum.

Nur Negatives schafft es weiter

An die Öffentlichkeit drang das Ganze schliesslich, weil Nick das jüngste Vorkommnis auf Instagram veröffentlichte und sich die Redaktion des Lokalportals drauf stürzte – juhu, einer aus unserer Gegend, das füllt! Das Problem der Zusammenhangskette «Von den sozialen Medien in die ‹richtigen› Medien» ist, dass die Perspektive des Publikums verzerrt wird. Hätte Nick auf Instagram berichtet, wie er freundlich auf seine wunderschöne Perlenkette angesprochen wurde und sich daraus ein konstruktives Gespräch über Homosexualität entspann: Da hätte man bei einer Redaktion höchstens müde gegähnt, aber garantiert nichts geschrieben. Den Weg in die Schlagzeilen finden nur Negativerlebnisse. Was in der Summe den Eindruck vermittelt, Nick und Co. würden täglich ein Spiessrutenlaufen erleben.

Ach ja, laut «Google Translator» heisst «Schwuchtel» auf albanisch übrigens «fanatik». In der Rückübersetzung wird dann aber das neudeutsche «Freak» ausgespuckt. Immerhin liefert die Nullstory noch einen Hauch Allgemeinwissen.