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Viertes Sanktionspaket der EU

So geht’s halt: die Schweiz übernimmt und übernimmt.

Eisen, Stahl und Luxusgüter. So könnte man die Massnahmen des inzwischen vierten Sanktionspakets der EU zusammenfassen. Plus der Entzug des Meistbegünstigtenstatus und die Erweiterung der sogenannten Oligarchenliste.

Was schon beim gescheiterten Rahmenvertrag ein Problem darstellte, manifestiert sich hier deutlich. Mitgegangen, mitgefangen. Wer einmal Sanktionen der EU übernimmt, muss auch alle weiteren automatisch nachvollziehen.

Hier geht es um ein fast vollständiges Verbot jeglicher Transaktionen mit 12 bedeutenden russischen Staatsbetrieben wie Gasprom oder Rosneft. Allerdings, neckisch, der Erwerb «fossiler Energieträger», sowie von Titan, Aluminium etc. ist ausgenommen. Man will ja schon sanktionieren, aber bitte in der warmen Stube.

Köstlich ist auch ein Ausfuhrverbot für Luxusgüter, also

Luxusautos, Schmuck, Haushaltsgegenstände, Porzellan, Elektrogeräte, Bekleidung und Taschen, Lebensmittel und Alkoholika, reinrassige Zuchttiere.

Viel souveräner handhaben das die USA. Deren Sanktionen sind schlichtweg weltweit gültig und verbindlich. Denn eigentlich jeder (und jede) verwendet entweder US-Dollar oder Produktebestandteile oder Technologien made in USA. Und im Zweifelsfall hat man ja eine Filiale im Land of the Free, und was da eine vertiefte Prüfung der hygienischen Zustände samt Werksschliessung alles anrichten könnte …

Wie sagte EU-Präsidenten Ursula von der Leyen pompös: «Diejenigen, die Putins Kriegsmaschinerie am Laufen halten, sollten nicht länger ihrem pompösen Lebensstil frönen können, während Bomben auf unschuldige Menschen in der Ukraine fallen.»

Nehmt das, ihr Kriegsmaschinenwarte. Chanel, Rolex, Gucci, Single Malt, Meissen, Dysonfön, könnt ihr euch alles abschminken. Fertig mit Versace, der Brioni muss aufgebügelt werden, die Louboutins ausgetragen.

Kein Nachschub für Oligarchinnen …

Wer nach einem Beispiel sucht, um das Wort lachhaft zu illustrieren …

 

 

Tanken für den Frieden

Steigt der Spritpreis auf 3 Franken, hört der Spass auf.

Sanktionen? Unbedingt. Ausschluss russischer Banken aus internationalen Zahlungssystemen? Sofort. Schliessung der Filialen westlicher Multis in Russland? Genau, Schluss mit Ikea, McDonald’s und Co.

Beschlagnahmung von Jachten, Villen, Bankkonten russischer Oligarchen? Unbedingt. Die sollen wissen, wie wendehalsig wir im Westen sind. Zuerst in London, Genf, Paris, Berlin und auch Zürich mit offenen Armen empfangen. Schweizer Gnome strapazierten ihre Leber und schütteten literweise Wodka in sich rein, um russische UHNWI, also die Reichsten der Reichen, als Kunden an Land zu ziehen.

Kein Bückling zu tief, kein Weg zu weit, immer mindestens eine Dose Beluga-Kaviar, und dazu vielleicht einen «Legend of Kremlin Premium Wodka» im neckischen Buchversteck zum Verschenken im Kühlschrank. Plus natürlich mindestens zwei Flaschen «Beluga Gold Line» für schlappe 430 Franken. Dafür gibt’s aber 1,5 Liter und ein Extrahämmerchen zum Entfernen des Siegels.

Alles vorbei, auch die russische Zobelmütze wird verschämt im Keller eingemottet. Ganz dreckig geht es bereits den grossen Rohstoffhändlern in der Schweiz. Die neuen Masters of the Universe, unkaputtbar, mit dem einfachen Prinzip »verkaufe teurer, als du einkaufst» zu Multimillardären geworden – nun dank senkrecht fallenden Kursen am Verlumpen.

Die Volksseele applaudiert und kocht

Das alles findet unter grossem Beifall der Bevölkerung statt. Gelegentlich rastet auch der Volkszorn etwas aus und beschädigt Ladenfronten von russischen Geschäften und Lokalen, als seien die Besitzer persönlich für die Politik Putins verantwortlich. Russische Künstler, Sportler, Schauspieler, überhaupt alles, was blondgefärbt dieses unannachahmliche «äh» wie in «russischä Sääle» ausspricht, muss mit Repressionen rechnen.

Das nannte man früher Sippenhaft, das nennt man heute Zeichen setzen.

Aber es gibt ein Thema, da wird’s etwas schwierig mit den Zeichen gegen und dem Kampf für und «stoppt Putin». Bei allem, was mit Energie zu tun hat. Deshalb haben bislang erst die USA angekündigt, auf den Import von russischem Erdöl und -gas zu verzichten. Deshalb tänzeln alle europäische Staaten um dieses Thema herum.

Denn fast die Hälfte aller russischen Exporte bestehen aus diesen beiden Produkten, rund ein Drittel des BIP wird damit erwirtschaftet. Ein Boykott würde Russland massiv, schnell und viel schmerzlicher treffen als alle bisherigen Sanktionen.

Wollen wir boykottieren, wo’s weh tut?

Auf der anderen Seite stammt rund die Hälfte des in die Schweiz importierten Erdgases – aus Russland. Beim Erdöl ist’s nicht so dramatisch, aber der russische Anteil ist auch bedeutend. Natürlich wäre es möglich, russische Produkte durch andere Quellen zu ersetzen. Gas kann in flüssiger Form importiert werden, neben Russland gibt es die arabische Welt, die USA und sogar Venezuela als mögliche Exporteure.

Nur: das kostet. Schon jetzt steigt der Benzinpreis und steigt und steigt. Gelenkig hat er die Schwelle von 2 Franken überschritten, bewegt sich auf 2.25 zu, auf 2.50, auch 3 Franken liegt durchaus drin. Das trifft den Schweizer, auch den friedensbewegten, falls sich der nicht prinzipiell mit Velo und ÖV fortbewegt, ins Mark.

Wenn das Befüllen einen 70-Liter-Tanks mal 200 Franken kostet, sieht das mit «Zeichen der Solidarität setzen, Boykott russischer Produkte» schon etwas anders aus. Da wird’s dann ganz schräg. Da könnte sich der Volkszorn plötzlich nicht länger gegen Russland, sondern gegen die eigene Regierung richten.

Denn, was schamvoll im Kleingedruckten erwähnt wird, rund die Hälfte des Spritpreises landet in Form von Steuern und Abgaben nicht etwa in Russland, sondern beim jeweiligen Staat.  Das regelt in der Schweiz das «Mineralölsteuergesetz», abgekürzt MinöStG. Für Motorenbenzin und Diesel ist zusätzlich ein Mineralölsteuerzuschlag fällig.

Das bedeutet, wenn die Eidgenossenschaft auf knapp 5 Milliarden Steuereinnahmen verzichten würde, käme der Spritpreis auf idyllische 1.20 oder so runter. Dann würde friedlich Tanken für den Frieden in der Ukraine und der ganzen Welt wieder richtig Spass machen.

Wer übrigens meint, die steil nach oben schiessenden Spritpreise hätten wir dem Unmenschen Putin zu verdanken: stimmt auch nur teilweise. Denn richtig absahnen tun, wie immer in solchen Krisen, die Raffinerien. Denn die Preiserhöhungen beim Endprodukt stehen mal wieder in keinem Verhältnis zu den Preiserhöhungen pro Barrel Rohöl …

Oder aber, ZACKBUM mit hohem Nutzwert, wie wär’s, dieses Angebot auszunutzen? Gut, ist nicht gerade zentral gelegen, aber diese Preise sind unschlagbar …

Diesel Fr. 1.61 (wenn man in Euro zahlt), Bleifrei 1.624. Das sind Zahlen aus dem Automobilistenhimmel …

Abrazo, Maduro

Die USA haben einiges versucht, den venezolanischen Diktator von der Macht zu vertreiben. Neu mit Umarmung?

Man muss die Meldung des «Wall Street Journal» noch in einer zweiten seriösen Newsquelle absichern, um’s zu glauben: eine Gruppe höherer US-Regierungsbeamter flog vergangenen Samstag nach Venezuela, um mit Diktator Nicolás Maduro die Möglichkeit einer Aufhebung des Ölembargos zu diskutieren.

Nebenbei auch noch die Freilassung einiger Gefangener, aber eigentlich geht’s natürlich ums Öl. Die USA gehörten lange Jahre, auch noch zu Zeiten von Hugo Chávez, zu den Importeuren von venezolanischem Öl. Denn das Land sitzt auf den wohl grössten Ölreserven der Welt.

Nur ist es Chávez und vor allem seinem Nachfolger Maduro gelungen, Venezuela in verzweifelte Armut zu stürzen, während sich die herrschende Clique selbst für lateinamerikanische Verhältnisse ungeniert, ungehemmt und unanständig bereichert. Dafür dienen vor allem weiterhin Ölexporte, deren Gewinne nicht etwa in dringend nötige Nahrungsmittelkäufe fliessen, sondern in die tiefen Taschen korrupter Funktionäre.

Korrupter und unfähiger Funktionäre, muss man hinzufügen, denn mit unermüdlicher Arbeit ist es nur aus Parteitreue zu ihren Posten gekommenen Managern gelungen, die Erdölproduktion Venezuelas auf einen Bruchteil früherer Zeiten zurückzufahren.

Alle Putschversuche gescheitert

Alle Versuche, vor allem der Trump-Regierung, Maduro zu stürzen oder seinen Gegenpräsidenten Juan Gaidó bei einer Machtübernahme zu unterstützen, sind kläglich gescheitert. Fast vergleichbar mit der Ukraine befinden sich Millionen von Venezolanern auf der Flucht, um den unerträglichen Lebensumständen in ihrem Land zu entkommen.

Maduro, das müssen selbst linke Solidaritätsbesoffene anerkennen, ist die Karikatur eines sozialistischen Führers. Unfähig, korrupt bis in die Knochen, ohne jedes Anzeichen, dass er einen Plan hätte, um das Land aus dieser Misere herauszuführen. Venezuela stellt praktisch nichts selbst her, muss alles importieren, auch Nahrungsmittel, und durch das Absacken der Ölproduktion, plus das Abzweigen bedeutender Teile der Einnahmen, fehlen die Devisen.

Auch alle Sanktionen, die die USA gegen Venezuela verhängten, hatten keine Wirkung – ausser, dass es der Bevölkerung noch dreckiger ging. Aber spätestens seit Corona ist auch dieses Höllenloch von der Landkarte des Interesses verschwunden.

Sollte es der Biden-Administration aber tatsächlich ernst sein, wäre das für Maduro ein verspätetes Weihnachtsgeschenk ungeahnten Ausmasses. Es wäre Ostern, Geburtstag und Wünsche wahrwerden auf einmal.

Es geht halt ums Öl, worum denn sonst

2005 betrug die Ölproduktion noch 3 Millionen Fass pro Tag, 2018 hatte sich das halbiert, heutzutage sind es noch 800’000, wenn die Angaben stimmen. Um den Output zu steigern, müssten die USA zunächst einiges Geld in die Hand nehmen, um die marode Infrastruktur wieder einigermassen in Betrieb zu setzen. Das ist aber nicht so einfach und so schnell möglich. Ein Spezialist schätzt, dass es fünf Jahre mit jährlichen Investitionen von 12 Milliarden Dollar bräuchte, um das Produktionsniveau wieder auf frühere Höchststände zu heben.

Es gibt noch eine zweite, gewaltige Hürde. Venezuela braucht eigentlich jeden Tropfen Öl, um seine Schulden gegenüber Russland und vor allem China zu begleichen; hier steht der faktisch bankrotte Staat mit über 60 Milliarden Dollar in der Kreide.

Die USA wiederum importierten täglich 540’000 Fass Öl aus Russland. Nachdem das von der Biden-Administration abgeklemmt wurde, muss schnell Ersatz her. In den «besten» Zeiten importierten die USA aus Venezuela mehr Öl. Dort ist also die entsprechende Infrastruktur vorhanden.

Allerdings ist es selbst mit dem Einsatz modernster Technologie und Milliarden nicht möglich, eine zu Schanden gewirtschaftete, marode, verlotterte Produktionsinfrastruktur in nützlicher Frist hochzufahren. Selbst eine Steigerung der Tagesproduktion auf eine Million Fass wäre schon ein Gewaltsakt. Das wäre zwar mehr als genug, um Russland zu ersetzen. Aber weder China noch Russland würden es komisch finden, wenn der Schuldendienst, sowieso schon verzögert, weiter verdünnt würde.

Auch Kuba könnte wieder einmal profitieren

Also zeugt dieser Versuch der Biden-Administration von einer unfassbaren Dummheit. Sozusagen als Kollateralschaden würde sich auch das völlig in den Seilen hängende Kuba freuen. Das profitierte über Jahre von sozialistischen Brudergaben in Form von Gratis-Öl. Was auch seit einigen Jahren versiegte und zusammen mit dem Zusammenbruch des Tourismus und der Erschwerung von Überweisungen der Exilkubaner für eine Wirtschaftskrise sorgte, die schlimmer ist als während des sogenannten «periódo especial», der speziellen Periode in Friedenszeiten nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers Anfang der 90er-Jahre.

Das hatte auf Kuba zehn dunkelschwarze Jahre zur Folge, bis Anfang 2000 Chávez sozusagen von Fidel Castro adoptiert wurde. Eine teure Freundschaft für Venezuela. Vielleicht mit Fortsetzung.

Russen-Zensur

Schreckliches Russland, freier Westen. Echt jetzt?

«Russia Today» (RT) ist ein russischer Staatssender. Seine Selbsteinschätzung: «RT DE ist ein Medium, dessen Blick auf die Entwicklungen in Deutschland, Europa und der Welt durch Pragmatismus, Kompetenz und gesunden Menschenverstand geprägt ist», mögen nicht viele teilen.

Der dysfunktionalen EU fiel es aber ein, die weitere Ausstrahlung von«Russia Today» und von «Sputnik» schlicht zu verbieten.

Das verkündete Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission. Das ist, so mehr oder minder, die europäische Regierung, und von der Leyen war gar nicht als Kandidatin angetreten, wurde aber dennoch gewählt.

Das alles führt offenbar zu bedauerlichen rechtsstaatlichen Verwirrungen. Denn man mag von RT und Konsorten halten, was man will: In einem Rechtsstaat braucht es entsprechende Gesetze, die ein solches Verbot legitimieren. Es kann in erster Linie nicht sein, dass eine Regierungspräsidentin selbstherrlich und ohne Verweis auf die gesetzliche Basis ihres Handelns verkündet, dass ein Sender einfach verboten wird.

Der Vizepräsident fügte noch hinzu, diese Sender stellten «eine erhebliche und unmittelbare Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Union dar.» Echt jetzt? Würde der Randgruppen-Sender RT, den ja nur fanatische Russland-Fans ernst nehmen können, tatsächlich Ordnung und Sicherheit innerhalb der EU bedrohen? Womit? Mit seinen Sendungen? Echt jetzt?

Mindestens so kläglich wie dieses Verbot war die Reaktion der übrigen Massenmedien in Deutschland. Knappe Meldung, kein Kommentar. Die grossartige westliche Medienfreiheit, eines der wichtigsten Assets im Direktvergleich mit autoritären Staaten? Gesetzliche Regeln bilden die Grundlagen für das Handeln der Regierung, zweiter wichtiger Unterschied zu Russland oder China?

Gesetzliche Grundlagen für Entscheide? Ach was

Nun, das ist die EU; schön, dass die Schweiz nicht Mitglied ist und autark und souverän entscheiden kann, was sie ihren Eidgenossen zumutet. Es steht zu vermuten, dass RT hierzulande keine erhebliche Bedrohung der Ordnung und Sicherheit darstellt. Also kann man ihn als freier Schweizer doch frei empfangen?

Leider nein, so weit geht dann die Freiheit doch nicht mehr. Denn was der EU billig ist, ist der Schweiz, die ja die Sanktionen unbesehen übernimmt, billiger. Also ist hierzulande auch Mattscheibe. Aber nicht nur das. «Swisscom» und «Salt» haben beschlossen, den Sender aus ihrem Angebot zu nehmen. Aufgrund welcher gesetzlichen Grundlagen? Keine vorhanden.

Ist es lebenswichtig, sich mit der Sicht der russischen Regierung, genauer des Kreml-Herrschers Wladimir Putin, beschallen zu lassen? Natürlich nicht, wer das tut, ist selber schuld. Sollte man aber in der freien Schweiz die Möglichkeit haben, das zu tun? Solange RT nicht klar gegen gesetzliche Bestimmungen verstösst, sollte das doch möglich sein.

«Die Swisscom hat aufgrund der ausserordentlichen Situation entschieden, Russia Today per sofort und bis auf weiteres nicht mehr auszustrahlen», lässt sich eine Sprecherin bei CH Media zitieren.

Natürlich herrschen deswegen in der Schweiz keine russischen Zustände. Natürlich sind in der Schweiz weiterhin kritische Recherchen möglich. Natürlich gibt es in der Schweiz weiterhin ein breites Informationsangebot. Natürlich kann man mit ein wenig Geschick weiterhin RT live verfolgen. Natürlich interessiert das eigentlich fast keinen.

Aber das nassforsche Vorgehen einer unter merkwürdigen Umständen ins Amt gewählten Präsidentin, die kommentarlose Übernahme durch Schweizer TV-Anbieter, das völlige Fehlen einer rechtlichen Grundlage für diese Entscheidungen, das ist leicht beunruhigend. Nein, das ist sehr beunruhigend.

 

 

 

 

 

Neue olympische Disziplin

Wettkämpfe müssen nicht körperlich sein.  Es gibt eine neue geistige Übung.

Die Reihe wird lang werden. Wir eröffnen sie mit Raphaela Birrer. Die «ausgebildete Lehrerin hat auf Primarstufe unterrichtet» und «Publizistik, Politologie und Geschichte an der Universität Zürich studiert». Mit oder ohne Abschluss, man weiss es nicht. Auf jeden Fall ist sie im Rahmen der Frauenoffensive «seit 2022 Mitglied der Chefredaktion Tamedia. Zudem leitet sie seit 2019 das Inland-Ressort der Mantelredaktion».

Also nicht niemand; ihre Stimme hat Gewicht. Leider. Immerhin, der Bundesrat kann aufatmen. Die strenge Lehrerin ist gnädig mit ihm:

«Der Entscheid des Bundesrats ist richtig – und schlicht alternativlos. Wir müssen uns in diesem Krieg entschieden auf die Seite des Rechts, der Freiheit und der Demokratie stellen.»

Indem die neutrale Schweiz auf Drängen des Auslands die EU-Sanktionen übernimmt, ohne Mitglied der EU zu sein. Also hat der Bundesrat nur knapp bestanden und muss nachsitzen: «Trotzdem hinterlässt der Entscheid einen schalen Nachgeschmack.»

Bevor dagegen eine Mundspülung helfen könnte, wieso denn das? Na, weil der Bundesrat eine Versammlung von Laueri ist: «In anderen westlichen Ländern haben die Regierungen angesichts der militärischen Gewalt Russlands rasch reagiert und radikale Massnahmen erlassen

 

Dagegen herrscht in Bundesbern Larifari: «Schuld an dieser Fehleinschätzung waren schlecht vorbereitete Departemente, aber auch eine kleinkrämerische Kultur im Bundesrat.» Da muss nun die Lehrerin ganz streng werden und Grundsätzliches erklären: «Die Schweiz darf nicht militärisch in Konflikte intervenieren. Ansonsten hat der Bundesrat Spielraum, die Neutralität der weltpolitischen Lage entsprechend auszugestalten. Davor schreckte er offensichtlich zurück.»

Ihr Angsthasen, donnert Birrer vom Katheter: «Die Schweiz ist in ihren zentralsten Werten zu wenig gefestigt.» Was kann man da tun? Strenge Erziehung, klare Kante, Nachsitzen und Strafaufgaben erledigen: «Hier muss – nicht nur im Umgang mit Russland – ein Umdenken stattfinden.» Die sieben Bundeszwerge müssen je hundert mal ins Reinheft schreiben: Wir müssen umdenken.

Denn sollte das nicht passieren, schwant Birrer ganz Übles, Abgründiges, Schlimmes. Sie sagt nur Russland, sie sagt nur China. Sie sagt nur «anderes Wertesystem», sie sagt nur «ein bewusst vom Westen abgegrenzter Normenraum», was immer das sein mag.

Eine Warnerin und Mahnerin, die Kassandra von der Werdstrasse

Sie warnt und mahnt, sollte dieses Umdenken nicht stattfinden, und morgen werden die Hausaufgaben abgefragt in Bundesbern – wehe, wer da schwänzt –, wer nicht umgedacht hat, bekommt’s mit dem Lineal zu tun. Denn: «Bleibt die Schweiz in diesem Kräftemessen unentschlossen, droht sie zerrieben zu werden

Kein Käsefondue mehr, stattdessen Reibekäse? Keine Neutralität mehr, stattdessen «entschiedene Stellungnahme»? Es gibt noch Hoffnung für die Schweiz. Aber nur, wenn die sieben Zögerer von Bern unter Führung der Weltstrategin Birrer entschlossen in die richtige Richtung marschieren.

Allerdings: Ob man wohl auch bei Tamedia schon davon gehört hat, dass auch Lächerlichkeit töten kann?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Faktencheck Sanktionen

Nun ist die Schweiz auch dabei. Wobei eigentlich genau?

Nehmen wir die offizielle Ankündigung der deutschen Bundesregierung als Basis für einen Faktencheck.

Es handle sich um «Sanktionen von bisher unbekanntem Ausmass». Die habe Deutschland zusammen mit den Regierungschefs der EU und der G7 beschlossen. Also nun wird’s ernst, brutal, bekommt der Kreml-Boss endlich richtig Feuer unter den Hintern, um es weniger diplomatisch auszudrücken.

Und sehr gut, auch die Schweiz verstecke sich nicht länger hinter ihrer Neutralität, sondern schliesse sich dem «freien Westen» an, wie das Tamedia im Rückfall in beste Kalte-Kriegs-Terminologie formuliert.

Das hört sich alles sehr energisch an. Allerdings hat «energisch» etwas mit Energie zu tun. Doch wir lesen zuerst das Kleingedruckte. Worin bestehen nun diese unbekanntes Ausmass-Sanktionen?

Tatä: «Russische Banken werden vom internationalen Zahlungsdienstleistungssystem SWIFT ausgeschlossen.» Nimm das, Putin. Wir reichen noch den Nebensatz nach: «die bereits von der internationalen Gemeinschaft sanktioniert sind». Also ja nicht alle. Vor allem nicht die, über die der Zahlungsverkehr für Erdgas- und Ölhandel läuft.

Die Handlungsmöglichkeiten der russischen Zentralbank werden beschnitten, «mit internationalen Finanzgeschäften den Kurs des Rubel zu stützen». Das tut nun tatsächlich etwas weh, wobei der Handel mit Rohstoffen traditionell in Dollar abgewickelt wird, daher auch der Begriff Petrodollar.

Dann soll es reichen Russen ans Portemonnaie gehen, bzw. ihnen soll verwehrt werden, «sich und ihren Familienangehörigen einen so genannten goldenen Pass und damit eine europäische Staatsbürgerschaft zu verschaffen».

Soll werden, wohlgemerkt. Alle die, die sich schon längst einen solchen Pass besorgt haben (florierendes Geschäft für Malta, Zypern und andere finanzschwache EU-Staaten), sind davon nicht betroffen.

Einfrieren von Vermögenswerten «von sanktionierten Individuen, ihren Familien und Firmen». Wohlan, Viktor Vekselberg ist das schon vor einer guten Weile passiert. Es ist nicht bekannt, dass er seither Sozialhilfe beantragen musste.

Der EU-Luftraum wird für russische Flugzeuge gesperrt. Wum, dafür der russische für europäische. Wum. Der russische Luftraum ist grösser. Ätsch.

Gibt’s noch mehr harte Sanktionen? Bitte sehr:

  • Energiesektor: Es werden insbesondere Exportverbote verhängt, die es Russland unmöglich machen, seine Ölraffinerien zu modernisieren.
  • Transportsektor: Der Verkauf von Flugzeugen und Ausrüstung an russische Fluggesellschaften wird verboten.
  • Industriesektor: Der Zugang Russlands zu wichtigen Technologien wie Halbleitern oder modernster Software wird beschränkt.
  • Visavergabe: Diplomaten und verwandte Gruppen sowie Geschäftsleute verlieren ihren privilegierten Zugang zur Europäischen Union.

Fehlt da etwas? Ach, nur eine Kleinigkeit. Deutschland kauft weiterhin russisches Öl und Gas. Die EU kauft weiterhin. Polen kauft weiterhin. Die USA kaufen weiterhin. Ja, auch die Schweiz kauft weiterhin. Gerade jetzt zum Beispiel. Obwohl echte Sanktionen dagegen Russland ziemlich schnell an den Rand des Zusammenbruchs treiben würden.

Denn über die Hälfte aller russischen Exporte bestehen daraus. Diese Rohstoffe stehen zudem für rund 30 Prozent des russischen BIP. Russland lebt und atmet damit. Natürlich stünde China bereit, einen Teil der Produktion abzunehmen. Aber bei diesen gewaltigen Mengen kann man nicht einfach einen Schalter umlegen, und dann fliessen Öl und Gas nach Asien statt nach Europa.

Sanktionen «unbekannten Ausmasses» würden hier ansetzen. Was Russland eher schnell in die Knie zwingen würde, aber auch dramatische Auswirkungen auf die Wirtschaft der EU (und damit auch der Schweiz) hätte. Also lieber heucheln, Pace-Fahnen schwingen und «Sanktionen sofort» fordern. Faktenfrei, kenntnisfrei.

Oder haben wir diese Informationen in den Mainstream-Medien überlesen?