Schlagwortarchiv für: Sahra Wagenknecht

Tiefdruckgebiet Sonntag

Dabei wäre die Weltlage doch so interessant …

Aber die «SonntagsZeitung» setzt mal wieder ihre eigenen Prioritäten:

Sie adressiert die wichtigsten Fragen der Menschheit zurzeit. Die da wären: «Hilft die Glukosemessung beim Abnehmen?», «Das sind die besten Spaghetti», «Eine 84-Jährige, die am liebsten in Jugis schläft», «Darf man noch schimpfen?» und «UNO: Schweiz auf der Seite der Israel-Kritiker». Das ist zwar Berichterstattung über den Nahen Osten, bezieht sich aber auf eine längst abgefrühstückte und im Übrigen bedeutungs- und sinnlose Abstimmung in der UNO-Vollversammlung.

Dann will Glättli überraschungsfrei nicht Bundesrat werden (umgekehrt wäre es eine frontwürdige Meldung), herrscht beim Bau der zweiten Gotthardröhre Vorsicht, und ganz unten rechts (!) noch die Meldung «Moskau einfach». Nein, «Kommunisten sehen sich im Aufwind». Sehen sich, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.

Mal im Ernst, wurde nun auch der letzte zurechnungsfähige Blattmacher entlassen? Kann sich jemand vorstellen, dass eine solche Front am Kiosk einen unbezähmbaren «muss ich kaufen»-Reflex auslöst?

Wer dem tatsächlich nachgegeben hat oder zu den zwangsbeglückten Abonnenten gehört, wird auch auf der nächsten Doppelseite unsanft in den Schlaf gewiegt. Arthur Rutishauser hat einen patenten Lösungsvorschlag für den nahen Osten, der angeschlagene Obergrüne Glättli wird doch allen Ernstes gefragt, ob er sich Chancen auf einen grünen Bundesrat ausrechne, dann noch etwas Schlaumeierei «Angriff der Grünen setzt SP unter Druck, nicht die FDP», und schon erlöst ein Inserat den Leser. Aber nur kurzfristig. Die nächste Seite ist wieder putzig.

Oben wird die Schweiz gebasht, dass sie einer UNO-Resolution für eine «humanitäre Waffenruhe» zugestimmt habe. Der israelische UNO-Botschafter, nie um harsche Worte verlegen («UNO-Generalsekretär muss zurücktreten»), beschimpft das als «Schande». Auch die SoZ muss die Schweiz darauf hinweisen, dass jeglicher Hinweis auf die Verursacher der Eskalation in der Resolution fehle. Noch schlimmer: die Liste der Urheberländer mache «hellhörig».

Denn neben dem Haupturheber Jordanien gebe es da viele arabische Länder und, Gottseibeiuns, «zweifelhafte Nationen wie Nordkorea, Russland und Venezuela». Pfuibäh, wenn die für irgendwas sind, muss man dagegen sein, egal, was es ist. Aber eigentlich sind wohl alle 120 Nationen, die dieser Resolution zustimmten, irgendwie zweifelhaft und sollten sich am besten auflösen. Anhaltend hohes Niveau der intellektuellen Durchdringung, auch bei der SoZ.

Aber dann wird es ganz heikel: «Tausende liefen an Kundgebungen mit», an «Pro-Palästinenser-Demos». Fast bedauernd meldet die SoZ: sie «blieben friedlich», und offenbar ist es den Veranstaltern gelungen, Hamas-Wahnsinnige und «from the river to the sea»-Idioten auszugrenzen. Ausser in Basel, dort wurde ein solches Transparent gezeigt. Zudem waren es mehr als erwartet, in solchen Fällen spricht man dann von «mehreren Tausenden».

Der unverwüstliche Alt-Nationalrat Geri Müller zeigte in Bern seine schönsten Selfies. Nein, er wies darauf hin, dass dieser Spruch keineswegs antisemitisch sei, sondern nur fordere, dass Palästinenser zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer frei leben könnten. Kleine Märchenstunde.

Da es aber keinen Vorfall gab, der Anlass für richtig verbale Dresche geboten hätte, ist der Artikel scheu mit (SDA/SZ) gezeichnet. Da wollte sich kein Redaktor die Finger dran verbrennen.

Dann ein Bericht, der uns alle mehr aufrütteln sollte als die Gefahren, die vom Islamismus ausgehen: «In diesem Berner Büro planen sie die Weltrevolution». Schluck, schon wieder? Doch, doch: «Die Regierungen der Kapitalisten müssen von der vereinten Arbeiterklasse gestürzt werden». Jö. Es gibt in der Schweiz auch Nostalgiker, die den Alpöhi zurückwollen. In Österreich trauern manche dem Kaiser nach. Aber eine Seite und dieser Titel für Revolutions-Nostalgiker?

Dann muss aber jedem linientreuen Tamedia-Journi das Halbeli hochkommen, das er sich am Samstag gönnte, um den Frust über die neuen Entlassungswellen runterzuspülen. Ein positives Porträt über Nina Fehr Düsel. Frisch gewählte Nationalrätin und Tochter von Hans Fehr. Ja, dem Fehr von SVP. Und sie ist auch in dieser fremdenfeindlichen Hetzerpartei. Dabei heisse es über sie, sie «sei konstruktiv, tolerant, ja «liebenswürdig»». Und das muss man in der SoZ lesen, da platzt so manche Gesinnungsblase.

Dann, da war doch was, eine Seite Ukraine. Aber gerade nach der jüngsten Ausdünnung der Work Force stammt der Artikel natürlich von der «Süddeutschen Zeitung», what else?

So geht’s dann auch weiter. Eine Seite Gemischtes, Abhandlung über gefährlichen Häuserkampf und Abhandlung über Sahra Wagenknecht. Beides ist der SZ nicht ganz geheuer, wie die beiden Autoren aus München zum Ausdruck bringen, was dem SoZ-Leser frisch aufgewärmt serviert wird. Ach, vielleicht eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der frischgegründeten Partei Wagenknechts? I wo, eine Glosse darüber, dass deren provisorisches Kürzel BSW schon von anderen gebraucht werde, darunter dem «Bundesverband Schwimmbad & Wellness». Ist das vielleicht zum Brüllen komisch.

Aber nicht nur im Nahen Osten geht es strub zu und her: «160’000 Schweizer Kinder erhalten Ohrfeigen». Die «Präsidentin von Kinderschutz Schweiz» mahnt: «Jeder Fall ist tragisch, gopf. Jedes Kind kann eine langfristige Schädigung davontragen.» Von den Kindern in Israel und im Gazastreifen ganz zu schweigen.

Aber dann müssen alle Klimaretter, die es aktuell sowieso nicht so leicht haben, dank Greta, eine weitere eiskalte Dusche über sich ergehen lassen: ein Arktisforscher behauptet doch unwidersprochen: «Der Weltuntergang ist nicht nahe». Wenn das die Klimakleber wüssten.

Sonst noch was? Rutishauser entgeht ja in der Wirtschaft nichts, auch nicht: «Globus sucht nach neuen Investoren». Das ist zwar ungefähr so überraschend wie «Trump ist gar nicht so reich, wie er tut». Aber immerhin, mit Riesenfoto von René Benko mit Gattin Nathalie füllt das die erste Seite und zweite Seite des Wirtschafts-Bundes.

Aber immer noch relevanter als die Titelstory bei «Leben & Kultur»: «Abnehmen und fitter werden dank Blutzuckertracker?» Ein Selbstversuch, immer wieder beliebt. Resultat: war nix. Ausser: zwei Seiten gefüllt.

Dass es die SoZ allerdings nicht fertigbringt, mit eigenen Kräften den neusten Asterix zu besprechen, sondern das auch von München erledigen lässt, ein Armutszeugnis. Die spinnen, die an der Werdstrasse.

Aber dann der Test, auf den die Welt gewartet hat, der vor allem in Italien mit angehaltenem Atem gelesen wird: die besten Spaghetti. Erstaunliches Resultat: mit einem halben Kochtopf Vorsprung gewinnen die Migros-Spaghetti. Wohlgemerkt die von M-Budget. Wahnsinn. Darf man den Kalauer machen, dass der Name einer der beiden Autorinnen gut zum Thema passt? Claudia Salzmann

Ach, einer geht noch, was macht der «SonntagsBlick»? Nun, es gibt ihn noch, was ja schon mal eine Nachricht ist. Er ignoriert auf der Front die Welt, lobt natürlich Gut-Behrami und macht mit einem Interview auf. Mit dem Gottseibeiuns Christoph Blocher. Und bevor er den interviewt, topft Reza Rafi auch noch die Grünen ein «Es ist bittere Ironie, dass die Grünen ausgerechnet mit einer Bundesratskandidatur ihr Unreife für eine Regierungsbeteiligung darlegen». Na ja, «darlegen», aber inhaltlich für einmal nichts zu meckern.

Nur das Hausgespenst bleibt sich treu und irrlichtert etwas über die SVP, diese «Schweizer Rechtspopulisten, Anti-Europäer aus tiefster Seele». Aber immerhin, er schreibt nicht «schwarzer Seele», und den «Führer aus Herrliberg» lässt er auch mal weg. Dafür drischt er in eine neue Richtung: «Für die Siege der Rechtspopulisten trägt die Linke die Verantwortung.» Da schau an.

 

Wir brauchen echten Journalismus

Ein Drecksstück reiner Demagogie im Tagi.

«Wir brauchen eine echte Friedens­bewegung – und keine Ego-Show von Frau Schwarzer». So titelt Tamedia über einem Stück von Meredith Haaf. Das ist eine Leihmeinung von der «Süddeutschen Zeitung», denn der grosse Konzern des Coninx-Clans ist schon lange nicht mehr in der Lage, eigene Meinungen zu haben.

Haaf ist bei der SZ «Stellvertretende Leiterin im Ressort Meinung» und kümmert sich vor allem um «politische Fragen, die das Zusammenleben der Menschen, die Gerechtigkeit der Verhältnisse und das Selbstverständnis unserer Gesellschaft betreffen».

Das äussert sich dann so: In der Gesellschaft sei «Einsatz für den Frieden nachvollziehbar». Immerhin, aber:

«In Deutschland aber geht derzeit eine unkonzentrierte Ego-Show als anschlussfähige Friedensbewegung durch, wie am Samstag am Brandenburger Tor zu besichtigen war. Wie ärgerlich, wie schade.»

Dann holzt Haaf weiter: «Ähnlich wie die organisierten, besonders rabiaten Corona-Massnahmen-Gegner zeigen auch die auf Zuspruch stossenden Friedensinitiativen – die ja zum Teil von denselben Personen ausgehen – eine gewisse intellektuelle Trägheit

Dann wünscht sich Haaf scheinheilig einen «wertschätzenden, offenen Austausch darüber, was Friedenspolitik kann und soll». Um intellektuell sehr träge weiterzuholzen: «der Autor Sascha Lobo hat eigens für Schwarzer und Co. den Ausdruck «Lumpenpazifismus» erfunden; «Friedensschwurbler» ist noch so ein Ausdruck».

Wenn für Haaf Wagenknecht, Schwarzer, Habermas, fast 700’000 Unterzeichner eines Manifests, darunter grosse Teile der deutschen Intelligenzia, alle auf dem Holzweg sind, was wäre dann richtig? Es brauche einen Pazifismus, der «mehr kann als stereotyp «Frieden» zu fordern», was «eine von sich selbst beseelten Selbstberuhigungsclique» angeblich tue. Denn wahrhafter Pazifismus «reicht nicht dem Aggressor die Hand, sondern denen, die ihm widerstehen».

Jeder darf meinen, auch Haaf. Jeder darf rumeiern, auch Haaf. Jeder darf sich selbst widersprechen, wertschätzenden Austausch fordern – und dann abschätzig niedermachen. Aber vielleicht könnte Haaf, statt dafür den Begriff Pazifismus zu vergewaltigen, sich an seine Definition erinnern. Denn bei George Orwell mag das mit dem Kriegsministerium, das Friedensministerium heisst, als literarische Metapher für Demagogie noch angehen. Aber in der realen Welt bedeutet Pazifismus «eine weltanschauliche Strömung, die jeglichen Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt und den Verzicht auf Rüstung und militärische Ausbildung fordert».

Vielleicht sollten sich das starke Meinungsträger mit schwachen Kenntnissen hinter die Ohren schreiben. Das Stück ist natürlich zuerst in der SZ erschienen. Dort wurde es so eingeschenkt:

Tamedia hat keine eigene Meinung, aber dafür schenkt er den gleichen Text mit einem abgeänderten Titel ein: «Analyse zur Friedensdemo in Berlin: Wir brauchen eine echte Friedens­bewegung – und keine EgoShow von Frau Schwarzer». Dazu stellte er ein Foto von Alice Schwarzer (oben über dem Titel), das an bösartiger Demagogie nicht zu überbieten ist. Ein echtes Drecksstück von Journalismus.

«Paradigmen-Tsunami»

Was ist schlimmer als Dummschwätzen? Klugscheissen.

«Doch was geschieht, wenn die strikte Zwei­geschlechtlichkeit auf dem Müllhaufen der Geschichte landet, wenn die Zerstörung der Umwelt nicht mehr geleugnet werden kann oder nationale Grenzen an Bedeutung verlieren? Was sollen wir mit einer Psychoanalyse anfangen, die theoretisch noch immer auf der Zwei­geschlechtlichkeit beruht? Wohin mit dem Pazifismus und dem Anti­militarismus angesichts der Katastrophe in der Ukraine? Wie soll eine soziale Markt­wirtschaft ohne die Umwelt zerstörendes Wachstum funktionieren

Die «Republik» versteht sich bekanntlich als das Blatt der tiefen Denke, wo in jeder Beziehung die ganz dicken Bretter gebohrt werden. Meistens ohne viel Zuschauer wie bei der unendlichen Google-Serie. Aber das hat noch nie einen «Republik»-Schreiber davon abgehalten, wenig für viel Geld zu tun.

Daniel Strassberg ist Psychoanalytiker und hat noch ein Philosophiestudium drangehängt. Das qualifiziert ihn dazu, sich über «Nietzsche und Superman. Rousseau und die SVP» zu verbreitern. Diesmal denkt er darüber nach, dass wir uns angeblich in einem «Paradigmen-Tsunami» befänden.

Hier missversteht er nicht nur Thomas S. Kuhn, sondern auch noch gleich Michel Foucault, über den er seine Liz-Arbeit geschrieben hat: «In den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts stellten Kuhn und Michel Foucault beinahe gleichzeitig fest, dass Theorien und Begriffe nur in einem entsprechenden konzeptuellen Rahmen Sinn ergeben – oder um in unserem Bild zu bleiben: Sätze sind nur vor dem richtigen Hinter­grund sinnvoll.»

Also eigentlich hatte sich Kuhn in seinem bahnbrechenden Werk «Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen» mit dem Phänomen beschäftigt, dass es immer ein Weilchen dauert, bis neue Erkenntnisse zum Allgemeingut werden. Selbst nachdem man durchschaut hatte, dass Sauerstoff für Feuer zuständig ist, geisterte die Phlogiston-Theorie lange Zeit weiter herum. Oder die Farbenlehre Goethes, der sich allen Erkenntnissen von Newton verweigerte. Das waren bahnbrechende Gedanken, die nun nicht direkt etwas mit Paradigmenwechseln zu tun haben, wie sie Strassberg versteht. Foucaults Diskursanalyse, die Strassberg hier aus Gründen des Reputationsmanagements (ich kenne dann gleich zwei grosse Denker, gell) dazuquetscht, hat mit Kuhns Paradigmenwechseln nicht wirklich zu tun.

Sobald Strassberg aber das Klimpern mit Namen und Fremdwörtern verlässt, wird’s eher banal: «Natürlich verlängern die Panzer den Krieg. Doch Wagenknecht blendet aus, dass ohne sie die Ukraine längst von der russischen Armee überrollt worden wäre …»

Peinlich wird’s dann, wenn sich Strassberg von banalen Beispielen wieder in die lichten Höhen der Theorie aufschwingen will: «Vieles, woran wir glaubten, gilt nicht mehr, und doch sind wir, von einigen Ausnahmen abgesehen, noch weit davon entfernt, neue Begrifflichkeiten, neue Theorien und neue Glaubens­sätze entwickeln zu können

Blöd nur, dass sich eigentlich in den letzten Jahrzehnten seit Kuhn und Foucault die Erkenntnis- und Diskurstheorie fröhlich weiterentwickelt hat und es keinerlei Anlass gibt, neue Begrifflichkeiten zu entwickeln. Besonders peinlich ist, dass einer der wichtigsten Theoretiker auf diesem Gebiet auch zu diesen verpeilten Pazifisten gehört, die eine Verhandlungslösung und nicht noch mehr Panzer fordern.

Aber vielleicht hat Strassberg das Werk von Jürgen Habermas nicht mehr zur Kenntnis genommen und ist bei Kuhn und Foucault stehengeblieben. Wohl deshalb haut er auch Habermas diesen hier rein: «Aber das Fest­halten an alten pazifistischen Überzeugungen, nur um sich treu zu bleiben, ist kein Argument, das ist höchstens bier­selige Nostalgie.»

Noch schlimmer: «Tatsächlich bilden alte, ausgediente Paradigmen den Kern der meisten alternativ-esoterischen Theorien.» Wir fassen zusammen: Leute wie Wagenknecht, wohl auch Schwarzer, dazu die fast 700’000 Unterzeichner des Manifests, darunter viele bedeutende Intellektuelle, aber auch Habermas hängen inzwischen bierselig alternativ-esoterischen Theorien an.

Wer für so einen ernüchternden Stuss freiwillig bezahlt, sollte sich mindestens psychologisch beraten lassen …

 

Haut die Wagenknecht

Medien als Meinungsträger statt Berichterstatter.

Hand aufs Herz: wie viele Teilnehmer hatte die Friedensdemonstration letzten Samstag in Berlin? Waren es 13’000, wie die Polizei und viele Medien behaupten? Waren es 50’000, wie die Veranstalter und wenige Medien behaupten? Oder waren es «viele tausend» worauf sich Tamedia und andere Schweizer Medienkonzerne zurückziehen?

Es erinnert etwas an eine Anti-Coronapolitik-Demonstration zu Bern, als die Schweizer Medien nur knirschend und unter Druck einräumten, dass sie mit der Zahl der Teilnehmer schwer untertrieben hatten. Als ob es heutzutage nicht bis auf den Kopf genau möglich wäre, die Anzahl Teilnehmer an einer Manifestation zu bestimmen.

Aber das ist ja nur ein Aperçu im Rahmen der ausgewogenen Berichterstattung über die Ziele dieser Manifestation. Inzwischen haben, wie der Autor René Zeyer, fast 700’000 Menschen das «Manifest für den Frieden» unterschrieben, während Gegenmanifeste (und Gegenmanifestationen) lediglich ein paar Verkrümelte mobilisieren konnten.

Aber das alles ist für die Leitmedien kein Anlass, wenigstens korrekt über Absichten, Ansichten, Reden und Inhalte zu berichten. Um dann anschliessend den Senf dazu zu geben. Zunächst einmal geht es gegen die beiden Initiantinnen. Alice Schwarzer, die für die Emanzipation der Frauen im deutschen Sprachraum alleine mehr getan hat als alle sogenannten Feministinnen in der Schweiz zusammen, kann von ihrem Renommee her nicht so einfach weggeräumt werden. Also wirft man ihr vor, sie habe doch keine Ahnung von Politik und solle sich gefälligst weiter um Frauenfragen kümmern.

Das geht nun bei Sahra Wagenknecht schlecht. Also wird ihr von ihrer politischen und sozialen Genese in der ehemaligen DDR, über angebliche Verherrlichung des Stalinismus bis hin zu Moskauhörigkeit und dem Handeln als nützliche Idiotin Putins so ziemlich alles vorgeworfen, mit dem man eine inhaltliche Auseinandersetzung vermeiden kann.

Eine herausragende Rolle bei all diesen Denunziationen spielt auch, dass sich angeblich «vereinzelte Rechte und Rechtsradikale unter die Teilnehmer gemischt» hätten. Die Mitbegründer der deutschen Grünen, Petra Kelly und Gert Bastian, bekämen das grosse Kotzen, würden sie noch leben, wenn sie das Gewäffel des grünen Vizekanzlers Robert Habeck hören müssten: «Das ist kein Frieden, das ist eine Chimäre, die da aufgebaut wird, das ist eine politische Irreführung der Bevölkerung

Selbst aus ihrer eigenen Partei, der «Linken», wird Wagenknecht angegriffen, so behauptet die stellvertretende Parteivorsitzende: «Aber diese Demonstration hatte nichts mit linker Politik, gar mit linker Friedenspolitik zu tun

Besonders sauer stossen kriegerischen Friedenstauben Sätze von Wagenknecht wie dieser auf: «Wir wollen nicht, dass mit deutschen Panzern auf die Urenkel jener russischen Frauen und Männer geschossen wird, deren Urgrosseltern tatsächlich von der Wehrmacht auf bestialische Weise millionenfach ermordet wurden.»

Ds ist nun eine durchaus vertretbare Position, über die man, wie über den gesamten Inhalt des Friedensmanifests, trefflich inhaltlich streiten könnte. Stattdessen werden selbst die absurdesten Behauptungen aufgestellt: «Gleichsetzungen von Baerbock mit Hitler, wie sie unter den Teilnehmenden zu sehen waren, wurden nicht von der Bühne zurückgewiesen. In meinen Augen eine unfassbare Relativierung des Faschismus.»

Es ist also die Aufgabe einer Demonstrationsleitung, jedes einzelne Plakat einer Massendemonstration auf seine Korrektheit zu überprüfen und – sollte es durchfallen – von der Bühne aus zu kritisieren? Das könnte Anlass für eine saukomische Satire sein, wenn es nicht so beelendend mies und denunziatorisch wäre.

Nochmal Hand aufs Herz: welcher Leser könnte – nach Lektüre der Mainstreammedien und aufmerksamer Beobachtung der Berichterstattung im Schweizer Farbfernsehen – die wichtigsten Forderungen der Demonstration wiedergeben? Wer könnte eine Zusammenfassung der dort gehaltenen Reden machen? Wer kann behaupten, ein realitätsnahes Bild der politischen Verortung der überwiegenden Mehrheit der Teilnehmer erhalten zu haben?

Positionen wie diejenige von Wagenknecht und Schwarzer, Ansichten der Hunderttausenden von Unterzeichnern und Zehntausenden von Demonstrationsteilnehmern können falsch sein, kritisiert werden, argumentativ in der Luft zerrissen.

Nur findet das nicht statt. Es wird auf den Mann, Pardon, auf die Frau gezielt, nicht auf deren Argumente. Es wird unterstellt, assoziiert, es werden angebliche Haltungen («moskauhörig») unterstellt. Ist die Vermutung abwegig, dass das alles aus Mangel an Gegenargumenten geschieht?

Ist die Vermutung abwegig, dass diese Art der Berichterstattung wieder ein Schlag ins Kontor ist, was das wichtigste Asset der Medien betrifft? Nämlich ihre Glaubwürdigkeit als Bote, wo sich der Botschafter mitsamt seinen Ansichten nicht wichtiger nimmt als die Nachricht selbst.

Denn Wertungen und Kritiken nimmt man doch nur demjenigen ab, der zuvor bewiesen hat, dass er in der Lage ist, ein Ereignis korrekt zusammenzufassen und seine wichtigsten Elemente dem Leser mundgerecht zu servieren. Aber wer die Nachberichterstattung schon mit diesem Lead beginnt, hat bereits verloren:

«Selbst in der eigenen Partei hagelt es Kritik für die prominente Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht mit ihrem sogenannten «Manifest für Frieden»».

Und die Zustimmung in der eigenen Partei? Und wieso «sogenannt»? Hat das auch nur im entferntesten mit handwerklich korrektem, professionellen, kompetenten Journalismus zu tun? Die Frage stellen, heisst sie beantworten.

Partei ergreifen

ZACKBUM ist eine Plattform für Medienkritik. Und für Frieden.

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht haben eine neue Petition lanciert. Sie wurde bereits von über 350’00 Menschen unterzeichnet, die sich der glasklaren Sachlogik nicht entziehen können.

Zu den Erstunterzeichnern gehören diesmal Dr. Franz Alt, Rudolf Dressler, Justus Frantz, Wolfgang Grupp, Gottfried Helnwein, Oskar Lafontaine, Romani Rose, Helke Sander, Martin Sonneborn, Katharina Thalbach, Erich Vad, Günter Verheugen, Antje Vollmer und viele mehr.

Eine gute Gesellschaft, in die sich ZACKBUM-Redaktor René Zeyer gerne begibt.

Wer es ihm gleichtun will: das ist der Link zum Unterschreiben.

Hier der Text:

Manifest für Frieden

«Heute ist der 352. Kriegstag in der Ukraine. Über 200.000 Soldaten und 50.000 Zivilisten wurden bisher getötet. Frauen wurden vergewaltigt, Kinder verängstigt, ein ganzes Volk traumatisiert. Wenn die Kämpfe so weitergehen, ist die Ukraine bald ein entvölkertes, zerstörtes Land. Und auch viele Menschen in ganz Europa haben Angst vor einer Ausweitung des Krieges. Sie fürchten um ihre und die Zukunft ihrer Kinder.

Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität. Aber was wäre jetzt solidarisch? Wie lange noch soll auf dem Schlachtfeld Ukraine gekämpft und gestorben werden? Und was ist jetzt, ein Jahr danach, eigentlich das Ziel dieses Krieges? Die deutsche Außenministerin sprach jüngst davon, dass „wir“ einen „Krieg gegen Russland“ führen. Im Ernst?

Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis. Nach den zugesagten Panzern fordert er jetzt auch Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe – um Russland auf ganzer Linie zu besiegen? Noch versichert der deutsche Kanzler, er wolle weder Kampfjets noch „Bodentruppen“ senden. Doch wie viele „rote Linien“ wurden in den letzten Monaten schon überschritten?

Es ist zu befürchten, dass Putin spätestens bei einem Angriff auf die Krim zu einem maximalen Gegenschlag ausholt. Geraten wir dann unaufhaltsam auf eine Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg? Es wäre nicht der erste große Krieg, der so begonnen hat. Aber es wäre vielleicht der letzte.

Die Ukraine kann zwar – unterstützt durch den Westen – einzelne Schlachten gewinnen. Aber sie kann gegen die größte Atommacht der Welt keinen Krieg gewinnen. Das sagt auch der höchste Militär der USA, General Milley. Er spricht von einer Pattsituation, in der keine Seite militärisch siegen und der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann. Warum dann nicht jetzt? Sofort!

Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!

Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“.

Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.»

Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht