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Pflichtlektüre für TV-Zuschauer

Warum es nötig ist, die «Rundschau» zu sezieren.

Die Lektüre des Dreiteilers von Thomas Baumann kann so lange wie der dort in Scheiben zerlegte Beitrag der «Rundschau» dauern. Wieso sollte man sich das antun?

Zum einen, weil die «Rundschau» regelmässig ein paar Hunderttausend Zuschauer hat. Sie arbeitet zwar daran, ihr Publikum zu verkleinern, aber dennoch: sie ist eine Medienmacht. Was sie ausstrahlt, hat Wirkung. Wen sie kritisiert, der hat ein Problem.

Zum anderen, weil «Rundschau»-Beiträge regelmässig für politische Anliegen verwendet werden, sich in ihnen angebliche und selektiv ausgewählte Experten mit Eigenwerbung profilieren können.

Wer Macht hat, sollte damit sorgsam umgehen. Insbesondere, wenn es sich um Machtausübung in einem Zwangsgebührensender handelt, der zu Ausgewogenheit und Fairness verpflichtet ist.

Wer Macht hat, sollte zur Selbstkritik fähig sein, Fehlerkultur betreiben, sich auch mal für Fehlleistungen entschuldigen. All das trifft auf die «Rundschau» nicht zu. Sie lässt sogar auf harmlose Fragen die Medienstelle mit einer Null-Aussage antworten. Wie viele Redaktionsmitglieder eine Ergebenheitsadresse an ihren Chef unterzeichnet hätten, das könne nicht gesagt werden, «Persönlichkeitsschutz». Lachhaft.

Überhaupt nicht zum Lachen ist, was Baumann in seiner minutiösen Recherche (moderndeutsch Kontextualisierung) herausgefunden hat. Der Beitrag der «Rundschau» über die Prügelattacke in Schaffhausen erfüllt alle Kriterien. Leider nicht von professionellem, seriösem, anständigem Journalismus. Sondern er ist voll von Thesen- und Gesinnungsdemagogie. Er unterstellt, insinuiert, verknüpft filmisch (oder im gesprochenen Subtext) Ereignisse mit Vermutungen, stellt eine Pseudorealität her.

Es ist tatsächlich eine Kunst, in wenigen Minuten eine komplexe Story zusammenzufassen; dafür Dokumentarbilder zu finden, Protagonisten zu interviewen und längliche Ermittlungsergebnisse knapp in Bild und Ton zu übertragen. Überall muss selektioniert, herausgeschnitten, neu zusammengefügt werden, der Zuschauer muss an der Hand genommen und durch eine komplexe Realität geführt werden.

Das ist keine Hexenkunst, sondern banales Handwerk. Wie man das macht, zeigt (fast) jede angelsächsische Dokumentarsendung. Natürlich hat auch schon der Leuchtturm «60 Minutes» schwache Stunden gehabt. Aber hier herrscht im Allgemeinen kühle Professionalität, Faktencheck, wird hinterfragt und lieber zu Tode recherchiert als Unsinn publiziert.

Die Autopsie dieses einen Berichts der «Rundschau» ist nötig (und seine Lektüre auch), weil man danach der Forderung von Kurt W. Zimmermann in der «Weltwoche» zustimmen muss: eine solche «Rundschau» sollte eingestellt, abgeschafft werden. Weil sie nicht reformierbar ist. Was falsch ist, aber nicht besser und anders werden kann, bleibt falsch. Wäre die «Rundschau» so wenig wirkmächtig wie die Randrandgruppenorgane «Republik» oder «Nebelspalter», die zudem nicht von Zwangsgebühren finanziert werden, könnte man die Macher sich weiterhin in ihrer unter Luftabschluss verfaulenden Gesinnungsblase suhlen lassen.

Aber eine Sendung von SRF? Das geht nicht. Das kann nicht weg, das muss weg.

Aktivismus statt Journalismus Teil 2

«Rundschau»-Beitrag über Schaffhauser Prügelattacke: ein demagogisches Meisterwerk. Die minutiöse Aufarbeitung.

Von Thomas Baumann

Hier geht es zu Teil 1.
Eine Vergewaltigung zur Einschüchterung — in der Wohnung eines Anwalts? Starker Tobak!
Selektive «Filmrisse»
All diese geschickten rhetorischen Verknüpfungen verdecken einige Widersprüche:
Fabienne W. soll möglicherweise zweimal innerhalb von etwas mehr als einer Woche vergewaltigt worden sein. An beide Vergewaltigungen kann sie sich nicht mehr explizit erinnern, in beiden Fällen wird ein Filmriss geltend gemacht.
In beiden Fällen erfolgt weiter der Hinweis auf die Aufnahme von Speisen oder Getränken. Im ersten Fall behauptet der Sohn, jemand habe der Mutter etwas ins Getränk gemischt — die Begründung dafür steht allerdings argumentativ auf ziemlich schwachen Füssen.
Im zweiten Fall ging es Fabienne W. nach dem «Dessert» nicht mehr gut. Das Dessert ist an sich völlig unerheblich — entsprechend wird nicht einmal gesagt, was es zum Dessert gab. Trotzdem wird es erwähnt.
Auch das ist kein Zufall. Das meiste Unwohlsein nach dem Genuss einer Nachspeise wird durch verdorbene Lebensmittel hervorgerufen. Wäre tatsächlich ein solches Unwohlsein vermutet worden, wäre nach der Art des Desserts gefragt worden. Doch natürlich ist nicht eine solche Form von Unwohlsein gemeint: Das Dessert ist in der Schilderung ein rein ‹neutrales› Medium, in das man gegebenenfalls KO-Tropfen geben könnte.
Im Widerspruch zu diesem Filmriss-Narrativ steht allerdings, dass an dem Abend, an dem Fabienne W. gemäss ihrem Sohn «etwas ins Getränk gemischt» wurde, diese einen sexuellen Kontakt ausgerechnet mit der Begründung «Weil ich davon nichts weiss» in Abrede stellt. Auch SRF scheint dieser Widerspruch nicht aufgefallen sein: Ist es doch gerade die Eigenschaft von KO-Tropfen, dass sich das Opfer an nichts mehr erinnern kann.
Geschickte Verknüpfungen und strategische Auslassungen
Schaut man sich die Sendung wiederholt an, fallen einem immer neue geschickte rhetorische Verknüpfungen und Auslassungen auf:
Obwohl es um eine «Einladung zum Abendessen» ging, wird mit keinem Wort erwähnt, welche Speisen dort verzehrt wurden. Ein richtiges Festessen würde natürlich dem Narrativ widersprechen, dass es sich bei der Einladung bloss um einen geschickt kalkulierten Hinterhalt handelte. Eine wohlkalkulierte Auslassung.
Dennoch wird erwähnt, dass es Dessert gab. Weil sich damit ein neuer Verdacht bedienen lässt.
Auch die Auswahl aus dem Videomaterial ist selektiv. So meint SRF zu einer Sequenz: «Die Aufnahmen zeigen auch, wie der Anwalt den Kampfsportler auffordert, auf W. loszugehen.» Ganz offensichtlich hat SRF aus dem gesamten Videomaterial bloss die Szenen ausgesucht, welche ihr Narrativ unterstützen.
Widersprüche — und eine versteckte Agenda?
Während rund der Hälfte des Beitrags lässt sich SRF darüber aus, dass die Behörden die Beweismittel offenbar unsachgemäss sicherstellten. Währenddessen werden den Zuschauern die Aufnahmen der Überwachungskameras in allen Details serviert.
Auch diesen Widerspruch vermag SRF nicht aufzulösen: Entweder sind auch die Strafverfolgungsbehörden im Besitz dieser Aufnahmen — und damit ist mehr als genug Beweismaterial für eine Verurteilung der Täter vorhanden. Die ganzen Vorwürfe an die Strafverfolgungsbehörden lösen sich in nichts auf.
Oder aber SRF verfügt tatsächlich exklusiv über diese Aufnahmen — und die Strafverfolgungsbehörden nicht. Dann fragt sich aber, wie SRF in deren Besitz gelangt ist. Der Anwalt dürfte sie ja kaum an SRF durchgestochen haben.
Einen Hinweis, worum es SRF in seiner Berichterstattung wirklich gehen könnte, zeigt eine Sequenz ganz am Schluss des «Rundschau»-Berichts vom 22. Mai: «Das Verfahren wegen Vergewaltigung beziehungsweise Schändung [in der Nacht vom 16. Dezember 2021] wurde inzwischen eingestellt. Fabienne W. hat dagegen Beschwerde eingelegt.»
Warum wird das erwähnt? In erster Linie hat diese Angelegenheit mit der Prügelattacke vom 28. Dezember 2021, welche im Zentrum der Berichterstattung steht, erst einmal nichts zu tun. Auch SRF dürfte zudem klar sein, dass es aufgrund der erdrückenden Beweislage in der Prügel-Affäre mit grösster Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung der Täter kommen wird.
Die Frage stellt sich: Warum rennt SRF mit der Berichterstattung über die Ereignisse in der Anwaltswohnung quasi offene Türen ein? Geht es letztlich gar nicht um diese Angelegenheit, sondern etwas anderes, eine Angelegenheit, wo SRF keine offenen Türen einrennen würde und wo die Beweislage viel dünner ist — nämlich die Ereignisse vom 16. Dezember 2021?
Dem Anwalt geht es an den Kragen
Auch in den Anwalt scheint sich SRF recht eigentlich verbissen zu haben: «Der Anwalt praktiziert weiter. Obwohl ihm das Anwaltspatent entzogen werden könnte, wenn die Aufsichtsbehörde zum Schluss kommen würde, dass er nicht mehr handlungsfähig oder vertrauenswürdig ist.»
SRF bedient sich hier derselben Methoden wie die Antifa: Man begnügt sich nicht mehr mit Kritik, sondern versucht, den Gegner auch in seiner beruflichen Existenz zu zerstören. Der Hinweis auf einen möglichen Entzug des Anwaltspatents ist nur zu durchsichtig: Es ist geradezu ein Wink mit dem Zaunpfahl an die zuständigen Behörden.
Dabei geht es hier nicht etwa um einen Anwalt, der seine Klienten schlecht beraten hätte und vor dem deshalb das Publikum geschützt werden müsste. Nein, hier soll ein Anwalt dafür bestraft werden, dass er sich mit den falschen Leuten abgibt.
Macht dieses Beispiel Schule, sind wir auch in der Schweiz bald bei chinesischen Verhältnissen: Dort werden nach den Angeklagten jeweils auch gleich noch deren Anwälte verurteilt und ins Gefängnis gesteckt.
Feministische Kreise dürften sich die Hände reiben: Haben wegen Vergewaltigung Angeklagte keinen oder nur noch eingeschränkten Zugang zu Anwälten, weil das Berufsrisiko für diese zu gross wird, dürfte die Zahl der Verurteilungen zunehmen.
Funiciello verirrt sich nach Schaffhausen
Eine klassisch unehrliche Masche ist auch das Lead zum verschriftlichten Bericht: «Der Polizei wird kriminalistisch unhaltbares Vorgehen und Unprofessionalität vorgeworfen», so SRF. Ja, von wem stammt denn dieser Vorwurf? Doch bloss von SRF selber.
Erst wirft SRF der Polizei Unprofessionalität vor und schreibt dann, der Polizei werde Unprofessionalität «vorgeworfen». Der Trick ist nur zu durchsichtig. Dass SRF zu diesem Zweck einen Experten herbeizieht, ändert nichts an der Masche.
Voreingenommene journalistische Arbeit hin oder her: Der Schaden ist angerichtet und die übrigen Verdächtigen springen auf den anfahrenden Zug auf, sofern sie nicht gleich von SRF selber eingeladen werden, wie die «Expertin für geschlechterspezifische Gewalt» Agota Lavoyer.
So krakeelte SP-Nationalrätin Tamara Funiciello an einer Demonstration in Schaffhausen: «Soll ich dort beginnen, wo einmal mehr eine Frau von einer Gruppe Männer zusammengeschlagen, gedemütigt, vergewaltigt wurde
Aus sechseinhalb Minuten in einem Schlafzimmer ohne Überwachungskamera und einer unbelegten Insinuation, dass dort eine Vergewaltigung passiert sein könnte, wird so eine scheinbare ‹Gewissheit›: Es gab dort eine Gruppenvergewaltigung — ausgeführt von einer Horde Männer innerhalb von sechseinhalb Minuten, inklusive dem Opfer die Kleidung wieder vollständig anzuziehen.
Was eine Berner Nationalrätin überhaupt im Kanton Schaffhausen verloren hat und ob es wirklich ihre Aufgabe ist, die Arbeit der Ermittlungsbehörden in einem anderen Kanton zu kritisieren — danach fragt schon gar niemand mehr.
Fortsetzung folgt.

Aktivismus statt Journalismus Teil 1

«Rundschau»-Beitrag über Schaffhauser Prügelattacke: ein demagogisches Meisterwerk. Die minutiöse Aufarbeitung.

Von Thomas Baumann

Geschickte rhetorische Verknüpfungen, strategische Auslassungen: SRF lässt in seinem Bericht keinen Trick aus, um die Zuschauer auf den Weg seines Narrativs zu lotsen.
Vor zweieinhalb Jahren wurde eine Frau in Schaffhausen brutal verprügelt. Die Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Verfahren, stellte Beweismittel sicher. So weit, so normal.
Weil das Opfer mit dem Fortgang der Ermittlungen offenbar unzufrieden war, gelangte es an SRF. Die Sendung «Rundschau» zimmerte daraus einen reisserischen Bericht. Seither rätselt und streitet die Öffentlichkeit darüber, was hinter dieser Tat im nordwestlichsten Zipfel der Ostschweiz steckt.
Fast täglich melden sich weitere Akteure zu Wort, kommen neue Fakten und Sichtweisen zum Vorschein. Die Affäre ist in Bewegung und für ein Fazit ist es definitiv noch zu früh.
SRF schafft ein eigenes Narrativ
Es lohnt sich aber, an dieser Stelle einmal einen genauen Blick darauf zu werfen, wie die «Rundschau» ihre Berichterstattung ursprünglich aufgebaut hat. Denn es ging offensichtlich nicht darum, neutral ein paar Fakten aufzulisten. Vielmehr sollte ein eigentliches Narrativ geschaffen werden. Die Sendungsmacher taten dies mit viel Geschick.
Die zwei Hauptvorwürfe, welche in der Sendung erhoben werden: 1. Schlampige Polizeiarbeit; 2. Ein Vergewaltigungsopfer sollte dazu gebracht werden, von einer Anzeige abzusehen. Als es nicht kooperierte, wurde es verprügelt, eingeschüchtert — und möglicherweise gleich nochmals vergewaltigt.
Die Klammer, welche die beiden Teile zusammenhält: Über das Opfer sagte SRF, «nicht nur die massiven Angriffe hätten sie traumatisiert, sondern auch das Vorgehen der Behörden, welche die Männer mit Samthandschuhen angefasst hätten
Mit anderen Worten: Das Opfer hat nicht bloss direkte rohe Gewalt erfahren, sondern ist darüber hinaus auch noch Opfer struktureller Diskriminierung und dadurch re-traumatisiert worden. Am Horizont zeichnet sich das Schreckgespenst des ‹Patriarchats› ab.
Ein Überblick über die Sendung vom 22. Mai:
Der Beitrag wird anmoderiert: «Eine Frau wird zum Essen eingeladen und dann von einer Gruppe von Männern spitalreif geschlagen. […] Bei der Aufklärung des Kriminalfalls aus Schaffhausen spielt die Polizei eine fragwürdige Rolle.» 10 Sekunden Prügelbilder von der Überwachungskamera, daraufhin Fabienne W., welche auf einem Sofa sitzt.
Eine Stimme sagt in bedeutungsschwangerem Tonfall: «Fabienne W. [das Prügelopfer] ist in Behandlung wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung. Eine Folge der Misshandlungen, die sie erlebt habe, sagt sie.» Fabienne W. erzählt von ihrer angeschlagenen psychischen Gesundheit.
2. Minute: «28. Dezember 2021: Fabienne W. wird zum Abendessen eingeladen — in die Privatwohnung eines Anwalts, den sie flüchtig kennt.» Wieder Bilder der Überwachungskamera, erst friedlich, danach Prügelszenen. Dazu die Stimme aus dem Off: «In der Wohnung sind noch drei weitere Männer anwesend, alle Kumpel des Anwalts. […] Eine wehrlose Frau, vier Männern ausgeliefert.»
Nicht gesagt wird, wer die Einladung ausgesprochen hat. Fernsehzuschauer dürften stillschweigend davon ausgehen, dass die Einladung vom Hausherrn, d.h. dem Anwalt kam: Einladen kann man üblicherweise nur zu sich selbst — nicht in die Wohnung eines anderen. Eine Einladung zu einem Anwalt, den man persönlich nicht näher kennt, ist im Übrigen eher unüblich.
«Extreme Schmerzen»
3. Minute: «Am nächsten Morgen wird Fabienne W. in der Schaffhauser Altstadt gefunden und ins Krankenhaus gebracht. Sie macht eine erste Aussage: Ich habe an den Beinen, zwischen den Beinen, an den Armen und am Kopf extreme Schmerzen. […] Den extremen Schmerzen zwischen den Beinen wird nicht nachgegangen.»
Ungesagt bleibt: Einer der beteiligten Männer hat die Sanität angerufen. Durch die Unterlassung geht der Fernsehzuschauer davon aus, dass Fabienne W. entweder von den Tätern verletzt ‹am Strassenrand› liegen gelassen und von Dritten «gefunden» wurde — oder sich mit letzter Kraft selber aus der Wohnung retten konnte.
4. Minute: Auftritt eines «unabhängigen Experten», in der Person des renommierten Strafverteidigers Konrad Jeker. Dieser findet es «nicht verständlich», dass den laut SRF extremen Schmerzen zwischen den Beinen nicht forensisch nachgegangen wurde.
SRF blendet den Namen des Juristen falsch ein: «Roland Jeker, Strafverteidiger». Solche kleinen Fehler sind oft ein Hinweis, dass auch im Grossen nicht sauber gearbeitet wird: Man glaubt, sich um Details foutieren zu können.
Nichtwissen als Dreh- und Angelpunkt
5. Minute: Der Anwalt wird mit den Worten «Ich habe nichts gesehen und nichts gehört. Ich weiss es nicht» zu den Vorfällen in seiner Wohnung zitiert. Der Experte kritisiert den Anwalt für diese Aussage.
Grundsätzlich ist diese Aussage aus dem Einvernahmeprotokoll des Anwalts kaum relevant. Sie erfüllt aber zwei Zwecke: Einerseits gerät dadurch der Anwalt ins Visier und wird zu einem möglichen Nebenziel. Andererseits erlaubt das Stichwort des ‹Nichtwissens› eine elegante Überleitung:
«Später zeigt sich: Der Anwalt weiss weit mehr, als er anfangs behauptet. Er weiss zum Beispiel, dass sein alter Kollege, nennen wir ihn Peter, in grossen Schwierigkeiten steckt. Denn Peter soll Fabienne W. vergewaltigt haben, vor etwas mehr als einer Woche, am 16. Dezember 2021.»
Innert zwei Minuten und mit einem rhetorischen Kniff wird so aus einer ‹einfachen›, wenngleich brutalen, Prügelei eine potentiell gleich zweifache Vergewaltigung!
SRF zerrt den Sohn der Opfers vor die Kamera
6. Minute: SRF zerrt den Sohn des Opfers vor die Kamera. «Ihr Sohn glaubt, jemand habe seiner Mutter an jenem Abend [16. Dezember 2021] etwas ins Getränk gemischt.» Den Grund dafür nennt der Sohn mit treuherzigem Blick: «Ich kenne meine Mutter so nicht. Ich habe meine Mutter auch schon gesehen, als sie ein paar Gläschen zu viel gehabt hatte. Damals war sie niemals so gewesen, wie an jenem Abend dort.»
Peter wird mit der Aussage zitiert, es habe schon an der Party am 16. Dezember 2021 einen sexuellen Kontakt zwischen ihm und Fabienne W. gegeben. Fabienne W.: «Das ist nicht möglich!» Interviewer: «Warum nicht?» Fabienne W.: «Weil ich davon nichts weiss.»
7. Minute: In der Nacht kam es in der Wohnung von Fabienne W. gemäss Peter dreimal zu «einvernehmlichem» Geschlechtsverkehr. Fabienne W., wieder auf dem Sofa sitzend, schildert, dass sie am Morgen beim ersten Toilettengang herauslaufende Flüssigkeit zwischen ihren Beinen feststellte.
Anwesender Abwesender
8. Minute: Peter bekommt mit, dass herumerzählt wird, dass er Fabienne W. vergewaltigt habe. Er sucht juristischen Rat beim Anwalt. Dieser rät ihm, nichts zu tun. «12 Tage nach der mutmasslichen Vergewaltigung wird Fabienne W. zum Abendessen eingeladen — zum Anwalt nach Hause. Dessen Kumpel Peter ist an diesem Abend nicht anwesend.»
Wiederum ein rhetorischer Kniff: Obwohl der Abend offenbar nichts mit Peter zu tun hat, wird durch die explizite Erwähnung seiner «Abwesenheit» trotzdem eine Verbindung hergestellt.
9. Minute: «Der Anwalt sei an jenem Abend schnell auf die Vergewaltigung zu sprechen gekommen.» Fabienne W.: «Ich musste an den Tisch sitzen und mit dem Anwalt sprechen, dass ich keine Anzeige machen werde.»
In der Zwischenzeit ist aus weiteren Recherchen bekannt, dass Fabienne W. nicht vom Anwalt eingeladen wurde und dieser erst später dazu stiess. Der «Rundschau»-Beitrag vermittelte hingegen wiederholt den Eindruck, dass die Einladung vom Anwalt stammt.
Das ominöse Dessert
15. Minute: «W. habe angefangen zu randalieren, werden die Männer später sagen. Sie hätten lediglich versucht, sie zu beruhigen. W. vermutet hingegen, es sei um Einschüchterung gegangen. […] Zu sehen ist aber auch, wie die Männer mit der Frau im Schlafzimmer verschwinden. Erst nach sieben Minuten kommen sie wieder mit ihr raus. Was ist hier passiert? Auffällig, W. trägt nun Handschellen. Sie weiss von all dem nichts mehr.» Fabienne W.: «Ich weiss einfach, nach dem Dessert-Essen ging es mir nicht mehr gut.» Sie habe einen Filmriss gehabt.
Auch hier wieder rhetorisch geschickt verknüpft: Erst wird das Wort «Einschüchterung» in den Raum gestellt, dann eine mögliche Vergewaltigung insinuiert. Die schon früh in der Sendung — unter anderem durch den ersten Auftritt des Experten — thematisierten «extremen Schmerzen zwischen den Beinen» erlangen hier ihre volle Bedeutung.
Es bleibt jedoch bei der Andeutung, der schwere Vorwurf wird nicht weiter ausgeführt. Was haften bleibt: Die Assoziation von Vergewaltigung und «Einschüchterung». Eine Vergewaltigung zur Einschüchterung — in der Wohnung eines Anwalts? Starker Tobak!
Fortsetzung folgt.

Wumms: SRF

Der Gebührensender und der Persönlichkeitsschutz.

Die Krachwumm-Sendung «Rundschau» wurde anhand eines internen Dokuments und angesichts einer hohen Fluktuation sowie Burnouts von CH Media kritisch beäugt. Im «Rundschau»-Stil knöpfte sich Francesco Benini das offenbar ruppige Verhalten des Chefs Mario Poletti vor, dem unter anderem Thesenjournalismus von seiner eigenen Redaktion vorgeworfen wird.

Daraufhin biss die «Rundschau» zurück. Mit einer Stellungnahme wies sie alle Vorwürfe energisch, aber faktenfrei zurück. Gezeichnet war es «für die Redaktion» von zwei Mitarbeitern, eingehend wurde erwähnt, dass «der weitaus grösste Teil der 16 Reporter:innen, die für das Politmagazin tätig sind», diese Replik verfasst hätten. Wobei sich der Staatsfunk offenbar der modernen Sprachvergewaltigung befleissigt.

Daher gelangte ZACKBUM mit diesen drei Fragen an die Medienstelle von SRF:

  1. Es heisst einleitend, der «weitaus grösste Teil» der Reporter habe diese Stellungnahme verfasst. Wie gross ist dieser grösste Teil in Zahlen?
  2. Die Stellungnahme ist mit «im Namen der «Rundschau»-Redaktion von zwei Personen unterzeichnet. Wie kann das sein, wenn nicht alle Mitglieder der Redaktion damit einverstanden sind?
  3. Wie lauten die Namen der Unterzeichner und der Nicht-Unterzeichner?

Darauf bekamen wir diese Null-Antwort:

«SRF nimmt aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht weiter Stellung zum Fall.»

Bekäme die «Rundschau» eine solchen Schmarren vorgesetzt, sie würde sich in einer Sendung höchlichst erregen. Aber bei SRF ist das offenbar erlaubt. Was die Nennung der Anzahl der Mitverfasser dieser Antwort mit Persönlichkeitsschutz zu tun haben soll? Nichts.

Eine Antwort auf die Frage, wieso das Schreiben «im Namen der Redaktion» verfasst wurde, obwohl offensichtlich nicht alle Mitarbeiter damit einverstanden waren, fällt ebenfalls nicht unter Persönlichkeitsschutz.

Und wieso sollte es schützenswerte Bereiche der empfindsamen Persönlichkeiten der «Rundschau» verletzen, wenn Unterzeichner und Nicht-Unterzeichner mit ihrem Namen hinstehen? Wären die zu feige dafür? Wurden sie überhaupt angefragt, ob sie damit einverstanden wären, bevor die Medienstelle ihre Persönlichkeiten schützte?

Das wäre dann kein Thesen-, aber auch kein Haltungsjournalismus. Mit solchen wurstigen Antworten giesst SRF in seiner strahlenden Arroganz weiter Wasser auf die Mühlen der Initiative, die den Zwangsbeitrag deutlich absenken will. Denn das ist nun das Gegenteil von «Service Publique».

Arroganter Gebührenfunk

Die «Rundschau» kritisiert gnadenlos. Nur nicht sich selbst.

Offensichtlich knistert es im kleinen, glücklichen Team der «Rundschau». Francesco Benini von CH Media wurde ein internes Papier zugespielt, in dem 8 der 17 Mitarbeiter sich unter dem Titel «Plattform zur Verbesserung des Klimas im Ponyhof» echauffierten.

In einem halben Jahr sei knapp ein Viertel der Belegschaft abgesprungen. Schlimmer noch:

«In den vergangenen zwei Jahren erlitten zwei Mitarbeiter des SRF-Magazins ein Burn-out. Ein dritter stand kurz vor einer Erschöpfungsdepression. Ein vierter erlitt bei Dreharbeiten im Winter schwere Erfrierungen an einer Hand und musste sich in Spitalpflege begeben

Der Chef Mario Poletti antworte auf Beschwerden jeweils, dass die «Rundschau» kein Ponyhof sei. Auf diesem Ponyhof herrsche aber ein ruppiger Ton, geringe Wertschätzung, jeder sei selber dafür verantwortlich, dass er nicht krank werde, abgefrorene Finger seien «bonusrelevant», «Feuerwehreinsätze», am schlimmsten aber: der Chef verlange Thesenjournalismus.

Poletti stelle eine These auf – und dann versuchten die Reporter, die Annahme «auf irgendeine erdenkliche Weise zu bestätigen, obwohl die Realität etwas anderes zeigt». Das sei «sehr bedenklich.»» Es gebe «vorgefertigte Ideen und Vorstellungen von Protagonisten, Szenen und Schauplätzen».

Noch schlimmer: «Die «Rundschau»-Mitarbeiter fragen sich, «wieso Chefredaktor Tristan Brenn und SRF-Direktorin Nathalie Wappler untätig bleiben.» Das alles stand in diesem Papier.

Blieben sie offenbar nicht. Denn die «Rundschau» veröffentlichte eine «Stellungnahme zur Berichterstattung bei CH Media».  Hoppla. Der Lead: «Der weitaus grösste Teil der 16 Reporter:innen, die für das Politmagazin tätig sind, hat im Nachgang zum Artikel die nachfolgende Stellungnahme verfasst. Darin distanzieren sie sich von der Berichterstattung und stellen sich hinter Redaktionsleiter Mario Poletti.»

Unterzeichnet ist das Teil von zwei Redaktoren, «im Namen der «Rundschau»-Redaktion». Das ist interessant, weil nirgends ausgewiesen wird, wie gross denn der «weitaus grösste Teil» ist.

Und der Inhalt? «Einige Passagen sind nicht korrekt, andere aus dem Zusammenhang gerissen.» Das ist der Stehsatz jeder Erwiderung auf eine kritische Berichterstattung, das würde von der «Rundschau» in der Luft zerrissen – ginge es nicht um sie selbst. Dann folgt der Schuss in den eigenen Fuss: «Das zitierte Papier war eine Diskussionsgrundlage für eine Retraite, die vor einem Jahr stattgefunden hat.» Also existiert es und die zitierten Äusserungen sind korrekt wiedergegeben.

Dann folgt die Nebelgranate eins: «Wir erleben Redaktionsleiter Mario Poletti als engagierten Chef, der mit Herzblut im Journalismus tätig ist.»  Das Gegenteil wurde nicht behauptet.

Nebelgranate zwei: «Einige der genannten Inhalte sind falsch. Dies hat sich in Gesprächen, die auf dieses interne Schreiben folgten, herausgestellt. Andere sind Momentaufnahmen und Aussagen einzelner Journalist:innen.» Welche Inhalte sind denn falsch? Und welche «Momentaufnahmen» ansonsten zurechnungsfähiger Journalisten?

Dann folgt Nebelgranate drei, die allerdings auch eine gehörige Portion Lachgas verströmt. Die Arbeitslast sei tatsächlich hoch. «Dies ist allerdings nicht der Redaktionsleitung geschuldet, sondern eine Folge des zunehmenden Drucks, den alle Medienhäuser der Schweiz erleben.» Beim gebührenfinanzierte Staatssender SRF, bei dem jede Menge Sesselfurzer beschäftigt sind, der sich keinesfalls dem gleichen Druck wie private Medienhäuser ausgesetzt sieht, herrsche deswegen «unbestritten hohe Arbeitslast»?

Und natürlich wehre man sich gegen «den beschriebenen Thesen-Journalismus». Indem man einfach behauptet: «Es ist nicht korrekt, dass die Redaktionsleitung dies fördert oder gar verlangt.» Nicht korrekt? Merkwürdige Formulierung.

Aber am allerschlimmsten ist: würde auf einen kritischen Beitrag der «Rundschau» so ein windelweiches Dementi erfolgen, die Redakteure würden sich – trotz hoher Arbeitslast – einen Spass daraus machen, das in der Luft zu zerreissen. Nicht ohne hämisches Mitleid zu verströmen, dass hier Lohnabhängige sich für ihren Chef in die Bresche werfen müssen. Wobei offensichtlich nicht einmal alle «Rundschau»-Redakteure an Bord geholt werden konnten. Trotzdem wird «im Namen der Redaktion» geantwortet.

Das Problem ist: wenn diese Redaktion dermassen unprofessionell, ausweichend und windelweich auf eine dokumentierte Kritik antwortet, was ist dann von ihren Recherchierkünsten bei ihren Beiträgen zu halten?

Benini weist zu recht auf den jüngsten Fall hin, wo die «Rundschau» eine wüste Gewaltanwendung gegen eine Frau dokumentierte, die auf Video festgehalten worden war und vor über zwei Jahren stattfand. Die kleine «Schaffhauser AZ» recherchierte dann nach und stiess auf eine ganze Reihe von Ungereimtheiten in diesem Beitrag.

Benini bilanziert: «Der Text der Wochenzeitung lässt den Schluss zu, dass die «Rundschau» in ihrem Beitrag relevante Fakten unterschlug, falsche Fährten legte und Vorwürfe präsentierte, die keiner Prüfung standhalten.» Auch auf diese Kritik reagierte die «Rundschau» ungnädig und dünnhäutig.

Eine Nabelschau bei der «Rundschau», ein kritisches Hinterfragen der eigenen Kritikfähigkeit, das wäre dringend nötig. Wird aber nicht stattfinden.

AZ kriecht zu Kreuze

Ein Glanzstück des Recherchierjournalismus. Und nun dieser Kotau.

In zwei Teilen hat die Winz-Zeitung Schaffhauser AZ das vollbracht, an dem die grossen Medienhäuser der Schweiz gescheitert sind. Sie hat die Hintergründe des brutalen Prügel-Videos recherchiert, das die «Rundschau» mehr als zwei Jahre nach den Ereignissen an die Öffentlichkeit brachte.

Dabei sind der SRF-Sendung möglicherweise gravierende handwerkliche Fehler unterlaufen. Auf jeden Fall stapeln sich bei der Ombudsfrau die Beschwerden. Der Bericht sei tendenziös gewesen, habe grobe Fehler enthalten und sei überhaupt einem Narrativ gefolgt, das das Opfer vorgab. Wie die «Rundschau» so lange nach der Tatnacht in Besitz dieses Videos kam, ist ungeklärt.

Die übrigen Medien beschränkten sich darauf, diese skandalöse Story nachzuerzählen. Nicht so die Schaffhauser AZ. Ihr Co-Redaktionsleiter Marlon Rusch zeigte seinen Kollegen, was recherchieren bedeutet. Und grub viele Fakten aus, die ernsthafte Zweifel an der Darstellung der «Rundschau» auslösen.

Seine Schlussfolgerung: «Das Gesamtbild, das durch die verschiedenen Beweismittel entsteht, lässt die brutale Prügelorgie in einem anderen Licht erscheinen: nicht als Resultat eines kühl geplanten Hinterhalts – sondern als albtraumhaften Höhepunkt eines Rauschabends, der plötzlich völlig ausser Kontrolle geriet.»

Eine Woche darauf erschien Teil zwei, der die Arbeit der staatlichen Behörden unter die Lupe nahm, ebenfalls viel genauer und informierter als die übrigen Medien.

Also eine rundum gelungene Leistung, die Lob und Auszeichnung verdiente. Wenn wir nicht in woken und wahnhaften Zeiten leben würden. Denn faktentreue Recherche kam bei vielen Lesern (und Leserinnen und everybody beyond) überhaupt nicht gut an. Die unterstellten dem doch eher linken Blatt, es habe eine Täter-Opfer-Umkehr begangen, das Leiden der Frau vernachlässigt, die Prügelei relativiert, ihr gar eine Mitschuld unterstellt. Nichts davon trifft zu.

Aber heutzutage kann es sich kein Medium leisten, auf solch lautstark und faktenfrei vorgetragene Kritik anders als mit einem Kotau zu reagieren. Obwohl sie selbstentlarvend dumm ist:

«Ich bin fassungslos. Und so wütend … Was in eurem Artikel fehlt, ist eine dringende Einordnung! … Schlagartig wurde mir aber klar, wie absurd und falsch diese suggerierten Gedanken waren und wie ich dem Fehler verfiel, die strukturelle Gewalt an Frauen selbst zu verharmlosen … Als linke Wochenzeitung hättet ihr die Möglichkeit nutzen können, über die perfiden patriarchalen Mechanismen zu schreiben … Durch die journalistische Arbeit wird jedoch manipuliert, agitiert und polarisiert: Täter werden zu Opfern, Opfer werden zu Tätern, alles dreht sich im Kreis und mir ist schwindlig davon

Kann man solches schwindlige Geschwurbel wirklich ernst nehmen?

Statt mannhaft darauf zu bestehen, dass der Versuch, möglichst nahe an der Wirklichkeit zu bleiben und darzustellen, was sich sorgfältig rekonstruieren liess, zieht die AZ den Schwanz ein: «Der Artikel hat viele Menschen empört, enttäuscht und verletzt. Das ist die Folge einer Reihe von Fehlern, auf die wir im Folgenden eingehen.»

Menschen, die sich über den Artikel empörten oder gar verletzt fühlten, vertragen klassischen Journalismus nicht und möchten lieber in ihrer Gesinnungsblase unter Luftabschluss ruhen. Aber das traut sich die AZ natürlich nicht zu schreiben.

Sondern sie macht – in alter Tradition – eine Selbstkritik. Die zwar mit gebeugtem Haupt den Shitstorm abwettern, will, aber mit dem Inhalt des Zweiteilers wenig bis nichts zu tun hat.

«• Wir haben im Bericht ein Bild des Opfers Fabienne W. erschaffen, das geeignet ist, die Gewalt zu relativieren, die ihr angetan wurde.
• Mit der protokollhaften Chronologie der Nacht haben wir versucht, «Objektivität» herzustellen. Das war eine fehlgeleitete Idee.
• Ein Fehler war auch die Verwendung des Wortes «angeblich» im Bezug auf die mutmassliche Vergewaltigung zwölf Tage vor der Nacht in der Anwaltswohnung.
• In der Sendung «Easy Riser» auf Radio Rasa sprach unser Autor Marlon Rusch kurz nach Erscheinen des Artikels live über unsere Geschichte. Dabei machte er die Aussage, niemand sei zu hundert Prozent ein Opfer und niemand zu hundert Prozent ein Täter. Diese Aussage war unüberlegt und komplett falsch.»

Mit Verlaub, liebe Redaktion: was für ein Bullshit. Das Wort «angeblich» ist bei einer behaupteten Vergewaltigung, bei der die Staatsanwaltschaft bereits die Untersuchung einstellte, wogegen sich das mutmassliche Opfer wehrt, genau richtig und angebracht, ein Weglassen wäre vorverurteilend falsch.

Hingegen ist die Aussage völlig richtig, dass niemand zu 100 Prozent Opfer oder Täter ist. Seit Truman Capotes «Kaltblütig» versucht der Journalismus, selbst hinter brutalsten Taten die Motive der Täter, ihre Geisteshaltung, ihr Menschsein darzustellen – ohne damit ihre Taten in irgend einer Form zu relativieren oder gar zu entschuldigen. Es ist zu befürchten, dass Capote heute mit seinem Meisterwerk einen Shitstorm über sich ergehen lassen müsste, unter dem er vollständig begraben würde.

«Wir bitten alle, die unser Text verletzt oder sogar retraumatisiert hat, um Entschuldigung.»

Aber wenn nicht mehr nach der Wahrhaftigkeit geforscht werden darf, wenn mit Rücksicht auf sich durch geliehenes Leiden angeblich «verletzt» oder gar «retraumatisiert» fühlende Leser so eine Recherche nicht mehr publiziert werden darf, dann sollten doch alle Beteiligten eine Spielgruppe mit Ringelreihen, Anfassen und Bäumeumarmen aufmachen, angeleitet von Empfindlichkeitsspezialisten und Schneeflockentherapeuten, deren Lieblingswort ist: «ich fühle mich dabei unwohl».

ZACKBUM wartet auf den Hashtag #ichbinFabienneW.

 

 

 

Was ist genau passiert?

Wie der Mainstream-Journalismus am Handwerk scheitert.

Die «Rundschau» zeigte schockierende Videoaufnahmen, wie eine Frau brutal verprügelt wird. Sie stellt den Zusammenhang her, dass diese Frau in die Wohnung eines stadtbekannten Schaffhauser Anwalts gelockt worden sei, um sie dort davon abzubringen, einen Kumpel des Anwalts wegen angeblicher Vergewaltigung weiter zu verfolgen. Sagt die Frau.

Die Aufnahmen stammen von den Überwachungskameras des Anwalts, der sie in seiner eigenen Wohnung installierte, weil er verhindern wollte, dass bei seinen häufigen Partys geklaut werde, wie er behauptet. Die Tat fand am 21. Dezember 2021 statt, also vor über zweieinhalb Jahren.

Wie sie in die Hände der «Rundschau» gerieten, ist unbekannt.

Die Frau sagt im Beitrag der «Rundschau», dieser Kollege des Anwalts habe sie zwölf Tage zuvor vergewaltigt, im Bericht wird insinuiert, dass es bei einer siebenminütigen Abwesenheit der Frau in einem Nebenzimmer, in dem es offenbar keine Videokamera gibt, nochmals zu einer Vergewaltigung gekommen sein könnte.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt, habe aber auch zweieinhalb Jahre nach den Vorfällen noch keine Anklage erhoben.

Soweit, so unappetitlich und übel. Das führte zu grosser Resonanz, in Schaffhausen demonstrierten gegen 500 Personen, eine Petition mit bislang 9000 Unterschriften fordert einen unabhängige Untersuchung der Vorkommnisse.

Auch in den Medien gab es grosses Hallo, einfach in Form einer Nacherzählung des «Rundschau»-Berichts. Die kleine Schaffhauser AZ machte dann ihre Hausaufgaben:

«Wir haben diverse Gespräche geführt und als erstes und bisher einziges Medium auch mit mehreren der mutmasslichen Täter gesprochen (die Rundschau hat sie – abgesehen vom Anwalt – nicht kontaktiert). Wir haben versucht, mit dem Opfer Fabienne W. und mit der Opfer­anwältin zu sprechen, diese wollen sich aber nicht mehr zum Fall äussern, weil in der Rundschau bereits alles für Fabienne W. Relevante gesagt worden sei. Schliesslich haben wir uns Zugang zu den polizeilichen Ermittlungsakten verschafft – darunter Tatbestandsrapporte, Einvernahmeprotokolle aller Beteiligten zu verschiedenen Zeitpunkten und medizinische Untersuchungsberichte. Zudem haben wir ungeschnittene Videoaufnahmen aus dem Wohnzimmer des Anwalts einsehen können, die lückenlos die Gewalttat und einen Zeitraum von über zwei Stunden vor der ersten Gewalthandlung zeigen

Daraus folgert die AZ:

«Das Gesamtbild, das durch die verschiedenen Beweismittel entsteht, lässt die brutale Prügelorgie in einem anderen Licht erscheinen: nicht als Resultat eines kühl geplanten Hinterhalts – sondern als albtraumhaften Höhepunkt eines Rauschabends, der plötzlich völlig ausser Kontrolle geriet.»

Es lohnt sich, die minutiöse Aufarbeitung in der kleinen AZ nachzulesen, für die alle grossen Medienkonzerne zu faul waren. Das macht das Vorgehen, das auf den Videos festgehalten ist, keinen Deut besser und will es auch in keiner Art und Weise entschuldigen, nebenbei.

Es lohnt sich auch, den «Rundschau»-Bericht anzuschauen, der der Auslöser für diese Affäre ist. Hier muss man dem Strafverteidiger Konrad Jeker zustimmen, der das Vorgehen der Schaffhauser Polizei scharf kritisiert und bezüglich der Sicherstellung von Beweismaterial eine «mehrfache Befehlsverweigerung» moniert, zudem sei das ganze Verhalten «unprofessionell» gewesen. Was man allerdings auch über die tendenziöse Darstellung der «Rundschau» sagen muss.

Bei den dokumentierten Handlungen handelt es sich einwandfrei um Straftaten. Dennoch ist es bei Straftaten – nicht zuletzt für die Strafzumessung – erheblich, den gesamten Ablauf zu rekonstruieren: Das ist selten so problemlos möglich gewesen wie hier, wo das meiste auf Video festgehalten ist.

Wieso die Schaffhauser Staatsanwaltschaft die Strafuntersuchung wegen der laut Aussagen des Opfers die ganzen Vorfälle auslösenden ersten Vergewaltigung einstellte, wogegen das Opfer Widerspruch einlegte, wird nicht erklärt. Der mutmassliche Vergewaltiger behauptet, es sei einvernehmlicher Sex gewesen.

Die ganze Affäre ist Abscheu erregend, ohne Zweifel. Dass aber eine kleine lokale Zeitung die Arbeit macht, die weder die «Rundschau», noch die grossen Medienkonzerne machten, ist einerseits befremdlich, andererseits bezeichnend für den aktuellen Zustand der Schweizer Medien.

Nicht alle Leser der AZ haben diese handwerklich einwandfreie Arbeit der Redaktion goutiert; sie stellt dem Artikel eine Einleitung voraus: «Dieser Bericht zu den brutalen Gewalttaten in der Schaffhauser Anwaltswohnung hat sehr viel Unverständnis, Wut und Kritik ausgelöst. Wir hören diese Kritik und werden sie als Redaktion intensiv diskutieren, unser Vorgehen bei der Berichterstattung analysieren und nächste Woche in der AZ die Schlüsse, die wir daraus ziehen, mit Ihnen teilen.»

Dann fühlt man sich bemüssigt, eine Selbstverständlichkeit zu unterstreichen: «Vorab möchten wir betonen, dass wir – die Redaktion und all ihre Mitglieder – Gewalt und Unterdrückung verurteilen und keine Rechtfertigung für sie tolerieren.»

Im aktuell aufgeheizten Klima sind offenbar einige Leser nicht in der Lage, eine Aufarbeitung der Ereignisse zu lesen, ohne der Redaktion zu unterstellen, sie nehme Partei gegen das Opfer und für die Täter. Was absurd ist. Wenn das die Reaktion auf solides Handwerk ist, dann feiert Blasen- und Gesinnungsjournalismus Urständ, gute Nacht Recherchierjournalismus.