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Kriegsberichterstattung

Vorwärts, wir ziehen uns zurück.

Das war ein berühmter Spruch in der Nazi-Armee. Und wohl nicht nur dort. Die Nebel des Krieges verbergen meistens sehr schnell, was sich wirklich auf dem Schlachtfeld abspielt.

Dennoch ist es verblüffend, dass auch im 21. Jahrhundert mit all seiner Informationstechnologie, mit Drohnen, mit Satelliten, mit tonnenweise Aufklärungsmaterial es völlig unklar ist, wie es nun um die angebliche ukrainische Offensive steht.

Angeblich deswegen, weil sie nicht einmal offiziell bekanntgegeben wurde. Aber abgesehen davon, wie sieht denn die Lage aus? «Ukraine meldet Vorankommen bei Bachmut», weiss «watson». Gut, das ist bekanntlich ein Quatsch-Organ. In seiner umgetauften Rubrik «Russlands Krieg» vermeldet hingegen Tamedia neutraler:

«Mit Blick auf die laufende Gegenoffensive gegen den Aggressor Russland meldet die Ukraine schwere Kämpfe an mehreren Frontbereichen insbesondere im Osten. Russische Truppen griffen bei Awdiiwka, Marinka und Liman im Donezker Gebiet an, schrieb die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar am Sonntag auf Telegram. Auch bei Swatowe im angrenzenden Gebiet Luhansk rückten die Besatzer demnach weiter vor. «Dort toben heftige Kämpfe. (…) Die Situation ist ziemlich kompliziert.»

SDA weiss hingegen: «Kiew: 37 Quadratkilometer innerhalb einer Woche befreit». Pessimistischer ist die NZZ: «Ukrainische Offensive kommt trotz westlichen Waffen nur langsam voran. Kampf- und Schützenpanzer aus den Nato-Staaten können bisher nicht die Wende bringen – Berichte über Verluste häufen sich».

Ganz anders schätzt der «Blick» die Lage ein: «Die Ukrainer rücken vor. Nachdem sie die strategisch wichtige Stadt Cherson schon Ende 2022 zurückerobert haben, dürfte bei der laufenden Gegenoffensive auch die vor kurzem verlorene Stadt Bachmut bald wieder in ihre Hände fallen.»

ZACKBUM fasst zusammen. Es gibt schwere Kämpfe und die Russen greifen an. Dagegen haben die Ukrainer einige Quadratkilometer befreit und werden bald Bachmut wieder einnehmen. Allerdings häufen sich die Berichte über schwere Verluste.

Das alles sind Meldungen vom gleichen Tag, wohlgemerkt. Es ist schlimmer als damals bei Fukushima, wo wochenlang ein wildes Potpurri von allen möglichen Spekulationen von «halb Japan verstrahlt» bis zu «alles nur halb so schlimm» zu haben war. Wobei dann  am Schluss «alles nur halb so schlimm» siegte. Aber das ist natürlich keine News, die sich zu einer Schlagzeile aufpumpen lässt.

Genauso wenig wie die News, dass offensichtlich keinerlei objektivierbare Informationen über den Verlauf der Offensive erhältlich sind. Es kommt einfach darauf an, ob man mehr der ukrainischen oder der russischen Kriegspropaganda glauben will. wobei Kriegspropaganda per Definition das Gegenteil der Wahrheit ist.

Aber womit sollten arm und lahm geschrumpfte Redaktionen ohne grosse Fachkompetenz sonst die Spalten und Webauftritte füllen? Sie versuchen es ja schon verzweifelt mit allen möglichen und unmöglichen Ratgebern, mit dem Herausquetschen der letzten Newstropfen aus Rammstein, selbst mit der Blöd-Frage «Wieso sieht Indiana Jones aus wie 37»?

Aber einen veritablen Krieg, den kann man nicht einfach mit der Schlagzeile abhandeln: Die Lage ist unübersichtlich, und niemand weiss etwas Genaueres. Obwohl das die Wahrheit wäre.