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«Schnallt eure Gürtel enger und zieht euch warm an!»

In Europa kommt die «Moral vor dem Fressen», in Asien ist es genau umgekehrt. Teil 1

Von Felix Abt

Nachdem die Megaphone des Wertewestens schon zum totalen Wirtschaftskrieg gegen Russland aufgerufen haben, ertönt nun der Schlachtruf gegen China, ohne Rücksicht auf die Folgen für das «gemeine Volk».

Das ehemalige deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» steht bereits an der Spitze des Propagandakriegs gegen Russland und verbreitet dreiste Lügen, ohne sich dafür zu schämen, wie zu Zeiten ihres chronisch wahrheitswidrig publizierenden Starjournalisten Relotius. Jetzt bläst es zum Angriff auf das nun als brandgefährlich dargestellte China, das diesmal eine viel größere Bedrohung für die Demokratie darstellt als die Taliban am Hindukusch – huch, wo war das noch mal? -, wo NATO-Truppen, darunter auch deutsche Soldaten, angeblich die deutsche Freiheit verteidigten, und auch mehr als die derzeit sehr gefährlichen Russen in der ach so demokratischen Ukraine. Und natürlich fühlen sich zahlreiche deutsche und andere europäische Medien und Politiker bemüßigt, in die gleiche Kerbe zu hauen.

Ein durchschnittlicher litauischer Abgeordneter, der stellvertretend für viele Politiker in den baltischen Staaten steht, unterstellt auf Twitter, China und Russland seien eine grosse – und vermutlich minderwertige – «mongolische» Nation.

Die genannten Beispiele zeigen, wie Politiker und Medien in Europa die Stimmung anheizen und die rote bzw. gelbe Gefahr wieder heraufbeschwören.

Besonders fleißig warnt der in China lebende «Spiegel»-Reporter Georg Fahrion eindringlich vor der unheimlichen Gefahr, die aus China kommt. Er lässt kaum ein gutes Haar an dem Land und spuckt in die chinesische Nudelsuppe, wann immer er kann. Besonders originell ist er dabei nicht, denn die meisten westlichen Journalisten, die sich mit China befassen und im Übrigen kein Chinesisch sprechen, tun mehr oder weniger dasselbe, als hätten sie sich untereinander abgesprochen. Man wird ihnen nie vorwerfen können, China-Versteher zu sein. Als gelernter Politikwissenschaftler kann Fahrion die Lage sicher politisch korrekt einschätzen, wie es seine Chefs in Hamburg und die buntfarbenen Politiker in Berlin von ihm erwarten.

Was er mit vielen seiner deutschen Kollegen gemeinsam hat, ist, dass er noch nie etwas verkaufen musste: keine deutschen Autos, keine Maschinen und keine Adidas-Schuhe, und schon gar nicht in China, wo deutsche Produkte von Millionen von Kunden gekauft werden und Hunderttausende von deutschen Arbeitsplätzen sichern. Die deutsche Autoindustrie zum Beispiel verkauft derzeit 40 % ihrer Autos in China. Ob der hochgelobte «America First»-Verbündete bei einem von deutschen Politikern und Journalisten provozierten Absatzeinbruch aushelfen und viel mehr deutsche Autos kaufen würde, ist zumindest zweifelhaft. Auch haben Fahrion und seine Genossen in den zu intellektuellen Schiessbuden umfunktionierten Redaktionsstuben sicher noch nie Bauteile aus China kaufen müssen, die dazu beitragen, die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten, oder in China günstig hergestellte Konsumgüter, ohne die die Kaufkraft und der Wohlstand der deutschen Verbraucher viel bescheidener ausfallen würden.

Die deutschen Unternehmer wissen es, aber nicht vom «Spiegel» und anderen russlandfeindlichen Medien: Der Zugang zu russischen Rohstoffen, der ihnen von gutmenschlichen Ideologen in Politik und Medien verwehrt wird, ist eine echte Gefahr für das Überleben ihrer Unternehmen. Die gut bezahlten Weltverbesserer haben ihren russischen Absatzmarkt bereits ruiniert. Wenn es den Medien wieder gelingt, die Politiker so aufzuwiegeln, dass auch ihr China-Geschäft schnellstmöglich den Bach runtergeht, dann könnte sich in Deutschland im Handumdrehen Armut stark ausbreiten. Während die Massen dann hungern, dürfen sich die abgehobenen politischen und journalistischen Eliten wenigstens in ihrer moralischen Überlegenheit sonnen.

Nun, was sollte sich ein Spiegel-Reporter mit gutem Einkommen um die Auswirkungen der China-dämonisierenden Medien scheren? Selbst wenn Beijing eines Tages genug von seinen Tiraden hat und ihn ausweist, wie es mit einzelnen BBC und anderen Anti-China-Journalisten getan hat, wird es sich auch für ihn auszahlen: Ein lukrativer Buchvertrag, in dem seine Story über den heldenhaften Kampf gegen den brutalen roten (oder gelben) Drachen ausgiebig ausgeschlachtet wird, ist ihm sicher, wahrscheinlich auch andere Vorteile, wie eine Beförderung beim «Spiegel» oder ein vom Steuerzahler besser bezahlter Job in der deutschen Regierungsbürokratie oder in der Brüsseler Eurokratie, bei einem Think Tank oder gar an einer Universität.

Lady Gaga – das große Vorbild für die nach “Freiheit” lechzenden Chinesen!

Der Londoner «Times» zufolge «verkörpert die Sängerin Lady Gaga alles, wovor China Angst hat».

Bei einem von Lady Gaga gesponserten Festival gab es einen «Artpop»-Moment, bei dem sich ein «Kotzkünstler» auf die Sängerin erbrochen hat.

«Für uns war diese Performance Kunst in ihrer reinsten Form. Aber wir verstehen vollkommen, dass manche Leute das nicht mögen», erklärte Gaga.

Dazu gehören wahrscheinlich mehr als eine Milliarde Chinesen, die von amerikanischer Kotzkunst nicht viel halten und keinen Grund sehen, dieser Künstlerin nachzueifern. Natürlich wird in China auch ausländische Musik gehört, wie K-Pop oder die Musik von Taylor Swift, Ed Sheeran, Shawn Mendes, Drake, Coldplay und Passenger, aber meist von eher jüngeren Menschen. Es gibt sogar eine Fernsehsendung namens «中国有嘻哈», was wörtlich bedeutet: «China hat Hip-Hop». Natürlich erfährt man davon nichts in den westlichen Medien, die China lieber verunglimpfen.

Trendige Videos über Strassenmode in China auf Douyin, der chinesischen Version von Tik Tok, widersprechen der westlichen Medienpropaganda, die das Land als eher trist, farblos und als «kollektivistische Diktatur» darstellt. Wer mehr über China erfahren möchte, und zwar nicht durch die westlich getrübte Linse, kann dies auf diesem von Expats in Hongkong betriebenen Portal tun.

Fortsetzung folgt.

Wer finanzierte Spitzel Cincera

Die Schweiz war in Angst: Übernehmen die subversiven Roten die Macht?

Es gibt ab und an einen Lichtblick im trüben Sumpf der Schweizer Journaille. Der von der Schaffhauser AZ zum «Tages-Anzeiger» gestossene Redaktor Kevin Brühlmann hat ein feines Stück abgeliefert.

Er hat sich auf die Spuren des «Kommunistenjägers» Ernst Cincera begeben. Um den zu verstehen, muss man sich in die 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts zurückbegeben. Es war die Hochzeit des Kalten Kriegs zwischen dem kapitalistischen und dem kommunistischen Lager, angeführt von den USA und der UdSSR. Da beide Supermächte über genügend Atomwaffen verfügten, um die Welt gleich mehrfach in die Luft zu sprengen, rückte die Möglichkeit einer militärischen Auseinandersetzung in weite Ferne.

Aber auch in der Schweiz ging die Angst um. Die Angst vor einer subversiven Wühlertätigkeit von verkappten Linksradikalen oder Kommunisten, die sich insgeheim daran machten, das Schweizer System zu unterwandern – und schliesslich mit einem Umsturz oder gar einer Revolution die Macht zu ergreifen.

Das Bürgertum wollte sich wehren – mit allen Mitteln

So jedenfalls die schreckensbleiche Vorstellung in rechtsbürgerlichen Kreisen. Um in den Verdacht zu geraten, zu diesen Umstürzlern zu gehören, reichte oft bereits eine Mitgliedschaft in der SP, Gewerkschaftsarbeit oder öffentliche linke Äusserungen. Zu trauriger Berühmtheit gelangte damals Ernst Cincera. Der nur 163 cm grosse gelernte Grafiker und Werber hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den Kampf gegen die Subversiven persönlich zu führen.

Eine journalistische Spitzenleistung.

Schon in den späten 60er-Jahren hatte Cincera damit begonnen, ein Archiv anzulegen. Auf tausenden von Karteikarten notierte er die Namen von potenziell Verdächtigen, von Linken, von aus Moskau gesteuerten Systemveränderern. Oder zumindest von Personen, die Cincera dafür hielt. Längst war er nicht mehr als Werber tätig, sondern sammelte Informationen, Zeitungsausschnitte, Berichte, Spitzelrapporte und notierte all das fleissig auf seinen Karteikärtchen.

Denunziant Cincera zerstörte Karrieren

Was sich aus heutiger Sicht verschroben-putzig anhört, war es damals keinesfalls. Denn immer häufiger bedienten sich Firmen und sogar staatliche Stellen dieser Kartei. Man konnte sich bei Cincera melden und ihn um Auskunft über einen Stellenbewerber bitten.

Fand sich dessen Namen in seiner Kartei, wurde es nichts mit der Anstellung.

Cincera, Jahrgang 1928, war das Kind einer Arbeiterfamilie und sympathisierte selbst in seiner Jugend mit dem Kommunismus. Aber in der Rekrutenschule hatte er eine Art Erweckungserlebnis und gelangte zur Überzeugung, dass die Schweiz vor der Unterwanderung durch rote Gesellen geschützt werden müsse.

So denunzierte er einige Jahre ungestört vor sich hin. Bis 1976 der Journalist Jürg Frischknecht zusammen mit ein paar Helfern zum Gegenschlag ansetzte. Das Grüppchen brach in Cinceras Geheimarchiv ein, klaute ein paar tausend Karteikarten und brachte das Tun dieser «unheimlichen Patrioten» ans Tageslicht.

Cincera war aber nur die Spitze eines Eisbergs

Darauf wandten sich viele, die zuvor seine Dienste eifrig benützt hatten, offiziell von ihm ab. Aber das war nur das Vorspiel zu einem viel grösseren Bespitzelungsskandal. Nicht zuletzt gefüttert mit Erkenntnissen aus Cinceras Denunziantenarchiv, hatte die Bundespolizei ein eigenes Archiv von angeblich subversiven Zeitgenossen angelegt. Und zwar mit der grossen Kelle: Als auch diese geheime Fichensammlung 1989 aufflog, waren darin rund 900’000 Personen verzeichnet.

Später konnte man Einsicht in die eigene Fiche nehmen. Der ZACKBUM-Autor durfte dabei feststellen, dass sogar ein Besuch der kubanischen Botschaft in Bern verzeichnet worden war, nicht ohne die Erwähnung, dass er von einer nicht identifizierten Person dabei begleitet wurde. Herzerwärmend war auch, dass sogar ein Physiklehrer der Kantonsschule Aarau meinte, seiner staatsbürgerlichen Pflicht nachgehen zu müssen und den Autor – ohne konkrete Verdachtsmomente – als ganz gefährlichen Aufrührer bei der Bundespolizei denunzierte. Eigentlich war dieser Mann dadurch charakterlich nicht geeignet, Schüler zu unterrichten, als bösartiger Spitzel.

Die ironische Fussnote besteht darin, dass Moritz Leuenberger, als er nach dem Studium auf der Suche nach einer Anstellung war, selbst Opfer des Denunziationsarchivs Cinceras wurde. Später aber seine politische Karriere vorantrieb, indem er zuvorderst bei der Aufklärung des staatlichen Fichenskandals wirkte – und schliesslich den Sprung in den Bundesrat schaffte.

Spitzel Cincera, Opfer Moritz Leuenberger (oben rechts).

Ein wichtiger Aspekt der Tätigkeit Cinceras bliebt aber bislang unbeleuchtet: wer hat dieses aufwendige Archiv, wer hat die Tätigkeit Cinceras finanziert? Da ist Brühlmann ein echter Fund und Treffer gelungen. Als Sammelbecken für Spenden diente damals das «Institut für politologische Zeitfragen», sozusagen eine bürgerliche Tarnorganisation. In dem Beirat sass Cincera, direkte Geldflüsse sind natürlich nicht nachweisbar.

Alle grossen Firmen spendeten für Spitzeltätigkeiten

Aber mit Schweizer Akkuratesse sind alle Spender von 1970 bis 1992, bis zur Auflösung des Instituts, aufgeführt. Darunter so ziemlich alle bedeutenden Schweizer Unternehmen; Migros, Zurich Versicherung, Nestlé, natürlich die Schweizer Grossbanken, usw.

Die akkurate Liste aller Spender.

Brühlmann zieht eine berechtigte und bittere Bilanz aus seiner hochinteressanten Recherche:

«In einer Demokratie, die sich rühmt, auf dem Wettbewerb um die besten Ideen zu fussen, musste man Anliegen junger Menschen, zum Beispiel gute Löhne oder mehr Mitbestimmung im Betrieb, nicht diskutieren, denn man konnte sie als Staatsfeinde an den Rand der Gesellschaft schieben. Und darüber hinaus.»

Die Liste der Spender eines Jahres.

Die Frage, ob sich ähnliche Strukturen heute wieder herausbilden, diesmal im Umgang mit den sogenannten Corona-Skeptikern, liegt auf der Hand. Wie China erschreckend vorführt, sind zudem heutzutage die Kontrolle- und Überwachungsmöglichkeiten durch die zunehmende Digitalisierung um Zehnerpotenzen grösser als zu Zeiten der kalten Krieger und unheimlichen Patrioten im letzten Jahrtausend.

Amateurhafte Stümper im Vergleich zu den heutigen Möglichkeiten

Der Karteikärtchen-King Cincera, die Bundesbeamten, die mit Schreibmaschine Fichen anlegten und archivierten, das waren alles Anfänger, Kinderkram, lachhafte Amateure im Vergleich zu den heutigen Spitzelmöglichkeiten der staatlichen Geheimdienste.

Brühlmann ist ein gelungenes Stück Recherche zu verdanken. Eine kleine Sternstunde des Journalismus, die zeigt, was alles möglich ist, wenn man sich nicht um die eigene Befindlichkeit kümmert, in wahnhafter Suche nach Diskriminierung oder nach einer gendergerechten Sprache verliert. Sondern das macht, wozu der Journalist da ist: einen Faden aufnehmen, ihm nachgehen durchs Labyrinth der Zeitgeschichte, um mit einem schönen, runden Ball an Story zurückzukehren.