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Lob des Gujers

Der Mann kann denken. Und schreiben. Selten, heutzutage.

Wenn heute ein Editorial erscheint, dann wird geistiges Kleingeld unter die Leute gebracht. Raphaela Birrer, Patrik Müller, Reza Rafi, plus die Zwergenschar der Reichsverweser von Kopfblättern der grossen Medienkonzerne («Blick» kann man ja nicht mehr ernst nehmen): meistens im Sinne des Konzerns Gehampeltes. Nicht mal für den Tag geschrieben. Schneller vergessen als gelesen.

Oder erinnert sich jemand an ein einziges dieser Editorials? Eben.

Bei Eric Gujer sieht das etwas anders aus. Beansprucht er am Samstag den Platz oben in der NZZ, dann kommt durchaus etwas Lesenswertes heraus, wird der Leser auf eine andere Flughöhe mitgenommen. Zum einen, weil der Mann geschliffen schreiben kann. Das unterscheidet ihn schon mal von den gestolperten, sich verhaspelnden, unter erkennbarem Zeitdruck geschriebenen Werken seiner Kollegen.

Dazu hat er einen Bildungsrucksack, der wohlgefüllt ist; ein zweiter Unterschied, auch wenn Rafi, der Gerechtigkeit halber sei’s erwähnt, manchmal erstaunliches Wissen aufblitzen lässt.

Und schliesslich bemüht er sich in einer Tageszeitung, den Blick über den Tag hinaus zu erheben. Daraus entstehen dann Editorials wie «Torheit ist in der Politik normal».

Gujer beschäftigt sich mit der durchaus interessanten Frage: «Warum agieren die Inhaber hoher Ämter so oft in einer Weise, die der Vernunft und dem aufgeklärten Eigeninteresse zuwiderläuft?» Zur Beantwortung nimmt er das Buch der amerikanischen Historikerin Barbara Tuchman zu Hilfe: «Die Torheit der Regierenden».

Es ist schon vor vierzig Jahren erschienen, also bevor die meisten Kindersoldaten in den Newsrooms auf der Welt waren. Ihre Schlussfolgerungen: «Als Gründe nennt Tuchman Selbstüberhebung, Unfähigkeit, Dekadenz oder Starrsinn, kurz: das Mängelwesen Mensch. Gegen Torheit ist niemand gefeit. Nur weil wir künstliche Intelligenz besitzen, ist die natürliche Intelligenz nicht gewachsen.»

Dann lässt Gujer eigenes Wissen aufblitzen und salbt seinen Rückgriff in die Geschichte mit leichter Ironie: «John Adams, der zweite Präsident der Vereinigten Staaten, erklärte: «Während alle anderen Wissenschaften vorangeschritten sind, tritt die Regierungskunst auf der Stelle; sie wird heute kaum besser geübt als vor drei- oder viertausend Jahren.» Die Einsicht gilt von Troja bis Trump. Der 47. Präsident der Vereinigten Staaten ist keine Ausnahme, keine Monstrosität in sonst so aufgeklärten Zeiten. Er ist eine historische Konstante. Wem das zu fatalistisch klingt, der mag sich damit trösten, dass die Welt trotzdem nicht zugrunde gegangen ist.»

Dann dekliniert Gujer die Begrifflichkeit durch; Torheit sei keineswegs ein Privileg der Populisten oder von Menschen mit niedrigen Absichten wie Trump. Auch Lichtgestalten wie John F. Kennedy ritten die USA verblendet in den Vietnamkrieg, während ein Schurke wie Richard Nixon ihn beendete. Zudem nützt das Gegenteil, nämlich vernünftige Entscheidungen treffen, auch nicht unbedingt.

Wie Kanzler Schröder erfahren musste, der zwar die Wirtschaft reformierte, zum Dank dafür aber abgewählt wurde.

Gujers Conclusio, um es gewählt zu formulieren, verdient es, vollständig zitiert zu werden:

«Politische Torheit basiert nur selten auf schlichter Dummheit oder Borniertheit. Sie ist die Folge eines Kalküls, das Chancen und Risiken abwägt, auch wenn es am Ende irrig ist. Politik entsteht im Wechselspiel zwischen den Emotionen der Regierenden und denen der Regierten. Da verspricht die Unvernunft nicht selten mehr Ertrag als die Vernunft. Die Herrschenden handeln im Augenblick. Die wenigsten besitzen eine echte Strategie, die auch den übernächsten Spielzug vorhersieht. Der Historiker hat es da einfacher als der Politiker. Er ist der Prophet der Vergangenheit und nicht der Spielball der Gegenwart

Der Historiker als der Prophet der Vergangenheit, alleine dafür verdient Gujer ein anerkennendes Kopfnicken und eine leichte Verbeugung. Mindestens.

Loser Trump

Sternstunde des Journalismus: eine Gurkentruppe mit runtergelassenen Hosen erwischen.

Für einmal ist es nicht investigativer Journalismus, der Peinliches enthüllt. Sondern der Chefredaktor von «The Atlantic» wurde in eine Chatgruppe auf Signal eingeladen, zu der hochrangige Mitglieder der Trump-Administration gehörten. So wurde Jeffrey Goldberg Zeuge eines ungeheuerlichen Vorgangs:

«Kurz vor 14 Uhr Ostküstenzeit am 15. März erfuhr die Welt, dass die USA Huthi-Ziele im Jemen bombardierten.
Ich wusste jedoch bereits zwei Stunden vor der ersten Bombenexplosion, dass der Angriff bevorstehen könnte. Der Grund dafür war, dass mir Verteidigungsminister Pete Hegseth um 11:44 Uhr den Kriegsplan per SMS zugeschickt hatte. Der Plan enthielt genaue Informationen über Waffenpakete, Ziele und den Zeitplan.»

Aber das ist noch nicht alles. Burschikos unterhielten sich die anderen Teilnehmer noch über dies und das. Immer in der Annahme, dass die jeweiligen Accounts tatsächlich den dahinterstehenden Personen gehören: «Ich hasse es einfach, den Europäern erneut aus der Patsche zu helfen», textete Vizepräsident J. D. Vance, der Verteidigungsminister stimmt ihm zu: «Ich teile voll und ganz deine Abscheu vor dem europäischen Schmarotzertum. Das ist erbärmlich.»

Dann tut Vance etwas, was seinem Herrn und Meister nicht gefallen dürfte. Er sagt über den bevorstehenden Angriff auf Stellungen der Huthi-Rebellen: «Ich bin mir nicht sicher, ob dem Präsidenten bewusst ist, wie widersprüchlich das zu seiner aktuellen Botschaft über Europa ist

Peinlich genug, wenn sich solche Führungskräfte als Mitglieder einer Gurkentruppe entlarven. Aber sie können nicht aus ihrer Haut, auch beim Versuch der Schadensbegrenzung. Selbstverteidigungsminister Hegseth behauptet öffentlich, «niemand hat über Kriegspläne getextet». Dem widerspricht Goldberg knapp und dokumentiert: «Das ist eine Lüge

Die überforderte «Geheimdienstkoordinatorin» Tulsi Gabbard kommt derweil bei einer Anhörung ins Rudern und mag nicht einmal bestätigen, ob sie bei dieser Chatgruppe dabei war (geheim). Das tut dann CIA-Direktor John Ratcliffe für sie: er glaube «ja», sagt er auf eine entsprechende Frage. Er muss es wissen, als Teilnehmer.

Eine weitere bröckelige Verteidigungslinie ist, dass es gar nicht so geheim gewesen sei, was besprochen wurde. Der «Spiegel» schreibt: «Dem demokratischen Senator Mark Warner platzte schließlich der Kragen. Es könne nicht beides stimmen – dass keine vertraulichen Informationen ausgetauscht worden seien und gleichzeitig jede Auskunft über die Inhalte verweigert werde.»

Und was macht der Commander in Chief, der nicht dabei war? Natürlich abwiegeln, das sei halt mal ein kleiner Flop in zwei Monaten tadelloser Regierungsarbeit. Aber dann zeigt Donald Trump mal wieder sein wahres Gesicht, wenn er sich in die Enge getrieben fühlt und den ihm wohlbekannten Begriff Loser über seinem gelben Haar hängen spürt: er wird grob ausfällig.

Goldberg sei ein «sleazebag», ein «Dreckskerl», er wolle ihm Trump und damit den Interessen der USA schaden, «The Atlantic» sei ein gescheitertes, abrebelndes Blatt, das demnächst eingestellt werde.

In Wirklichkeit ist die Zeitschrift Pflichtlektüre für jeden, der sich auf einem Niveau über internationale Politik informieren will, das im deutschen Sprachraum seinesgleichen sucht. Und der Gewinner des Pulitzerpreises Goldberg, der vorher für den Leuchtturm «The New Yorker» arbeitete, ist so verantwortungsbewusst, dass er die detaillierten Informationen über Waffensysteme, Strategie und beteiligte US-Einheiten vertraulich behandelt, um niemandem zu schaden.

Schon Richard Nixon, der über den Einbruch in Watergate stolperte, pflegte in von ihm aufgezeichneten Gesprächen mit seinen Vertrauten eine vulgäre und primitive Sprache. Das dürfte bei Trump auch der Fall sein. Richtig gefährlich wird das allerdings dadurch, dass er in seiner zweiten Amtszeit von Speichelleckern umgeben ist, die ihn darin nachahmen.

Dieser Flop ist einmalig in der Geschichte von US-Administrationen. Aber es ist halt ein Flop. Wirklich beängstigend ist aber, dass sich diese Gurkentruppe wohl über alle politischen und militärischen Themen auf der Welt in dieser flapsigen Art unterhalten dürfte. Das erklärt zwar einiges, beunruhigt hingegen sehr.

Man stelle sich nur vor, dass das Schicksal der Ukraine, des Gazastreifens, von Grönland oder Kanada in solchen Gesprächsrunden entschieden wird. Ach, und das von Europa, diesem «Schmarotzer», wie sich alle einig sind.

Nixon entging einem Amtsenthebungsverfahren nur durch eiligen Rücktritt, nachdem er sich von seinem Nachfolger ein Generalpardon garantieren liess. Das wird bei Trump nicht geschehen. Seine Anhänger und Fans, von der «Weltwoche» abwärts, werden auch diesen Aberwitz schönschwatzen oder ignorieren. Die Zeiten haben sich seit Nixon nicht zum Besseren entwickelt.

Fussnote: Der rasende Reporter Roger Köppel eilt stattdessen nach Belgrad, um dem wankenden Präsidenten Vucicnur über meine Leiche») Gelegenheit zur Selbstbeweihräucherung zu geben und allen Fragen nach eigener Schuld an den andauernden Massenprotesten perseverierend auszuweichen.

Pfeifen im Wald, nächste Strophe

Peter Burghardt macht sich Sorgen. Immer wieder.

Der SZ-Korrespondent und ehemalige Sport-Redaktor Burghardt tat alles, um eine Kandidatur von Donald Trump zu verhindern. Vergeblich. Anfang Jahr zeigte er noch leisen Optimismus: «Es ist Januar. Noch zehn Monate, zahlreiche Abstimmungen und mehrere Gerichtsverhandlungen bis November

Aber jetzt ist es schon Juni, und die Unke lässt (fast) jede Hoffnung fahren. «Die Republikaner erklären damit die Justiz zum Feind», «analysiert» er martialisch.

Dann erinnert er an das Schicksal des republikanischen Präsident Richard Nixon, der einem Amtsenthebungsverfahren zuvorkam, indem er zurücktrat. Hat zwar mit dem aktuellen Fall eigentlich nichts zu tun, aber schön, haben wir daran erinnert. Im Fall Trump hätten aber «seine Leute im Kongress» ihn vor einem Impeachment bewahrt. «Und jetzt haben sie, jedenfalls öffentlich, kein Problem damit, dass ihr Spitzenkandidat für die Präsidentschaftswahl 2024 ein verurteilter Straftäter ist.»

Allerdings steht Burghardt selbst mit der Justiz auf dem Kriegspfad. Denn er müsste eigentlich – auch als Sport-Redaktor – wissen, dass Trump weiterhin so unschuldig ist wie er selbst. Gälte für ihn (und für Burghardt) die Unschuldsvermutung* bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung. Das konzediert er dann weiter unten auch so nebenbei: «Natürlich darf ein Urteil kritisiert werden und ein Verurteilter in Revision gehen».

Dass Trump in einer Art ausfällig wird, die ihn schon knapp an einer heftigen Ordnungsstrafe vorbeischrammen liess, unbenommen. Wer einen Richter als «Teufel» bezeichnet und den US-Staat als «faschistisch», ist ziemlich neben der Spur und fände höchstens in Constantin Seibt einen Gesinnungsgenossen.

Damit kommt Burghardt dann zum Höhepunkt seiner sogenannten Analyse: «Das Muster ist klar: Wenn Trump angeklagt oder überführt wird, dann sind die Strafverfolger für seine Parteigänger befangen und korrupt; wenn die Justiz auf der anderen Seite des politischen Spektrums hart urteilt, preisen die Republikaner den funktionierenden Rechtsstaat

Was Burghardt genau vom US-Rechtsstaat hält, erschliesst sich dem Leser allerdings nicht. Er bezeichnet zwar konservative Richter im Obersten Gerichtshof nicht gerade als Teufel, mäkelt aber auch kräftig an deren Gesinnung und angeblicher Parteilichkeit rum. Dabei war es schon immer so, dass amtierende Präsidenten ihr Privileg ausnützten, neue Richter ernennen zu können, wenn in ihre Amtszeit Rücktritte fielen.

Dann gibt Burghardt den US-Republikanern über den Teich hinweg noch einen guten Rat mit auf den Weg: «Wozu Hetze führen kann, hat spätestens der 6. Januar 2021 gezeigt, als Trumps Hooligans das Capitol überfielen. Bei aller Wahltaktik sollte auch den Republikanern daran gelegen sein, dass der Kampf um die Macht nicht den Rechtsstaat zertrümmert.»

Da diese Ermahnung nicht nur in der «Süddeutschen Zeitung», sondern auch bei Tamedia erschienen ist, werden sie sich die Republikaner sicher zu Herzen nehmen. Es wäre allerdings toll, wenn Burghardt auch einmal auflisten würde, was die Demokraten so innerhalb und ausserhalb des US-Rechtsstaats alles anstellen.

*Korrektur: Renzo Ruf hat ZACKBUM eines Besseren belehrt: «Im Gegensatz zu der Schweiz gilt man in den USA bereits in erster Instanz als rechtskräftig verurteilter Straftäter. Die Medien handhaben das entsprechend. Das klingt für Schweizer Ohren störend, aber ist hier Usus. Das Urteil eines Geschworenengerichts hat in den USA, auch dank des 4. Verfassungszusatzes, einen sehr hohen Stellenwert. Auch können Freisprüche von der Anklagebehörde nicht angefochten werden, aufgrund der «double jeopardy clause» (5. Verfassungszusatz). Und zweitens wird in den USA im Berufungsverfahren (und hier verallgemeinere ich sehr stark) ja meist nicht mehr der ganze Fall aufgerollt, sondern es werden nur einzelne Rechtsfragen beleuchtet. Im Gegensatz zur Schweiz findet man deshalb die Phrase «Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig» in amerikanischen Medienberichten nicht. Man sagt hier, das Urteil könne angefochten werden, aber die Dynamik ist eine ganz andere.

ZACKBUM dankt höflich.