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Auch Katja Oskamp ist nicht zu retten

Wie hangelt man sich an einem berühmten Mann zu Ruhm? So nicht.

Katja Oskamp ist Fusspflegerin und Schriftstellerin. Das muss noch nicht gegen sie sprechen. Sie hat ein paar Werke veröffentlicht, die durchmischte Reaktionen auslösten. «Halbschwimmer» über ihre Jugend in der DDR wurde gelobt, «Hellersdorfer Perle» verrissen.

Man kann wohl sagen, dass sie ausserhalb von Berlin, vielleicht sogar ausserhalb von Berlin-Lichtenberg nicht wirklich bekannt ist. Das will sie nun ändern, mit ihrem neusten Werk «Die vorletzte Frau». Wer keinen eigenen Ruhm gewinnt, kann sich vielleicht in dem eines anderen sonnen, hat sie wohl gedacht.

Also plaudert sie ungeniert aus dem Intimbereich ihrer Beziehung zum Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann. Das ist so grottenschlecht und widerlich, dass es selbst die normalerweise sanftmütige NZZ in Rage bringt.

Roman Bucheli fängt in seiner Rezension sanft an: «Jeder hat ein Leben zu erzählen. Aber nicht jedes Leben ist gleichermassen interessant für die Öffentlichkeit. Wenn es dabei um Sex geht, ist schon einmal eine gute Voraussetzung erfüllt. … Ganz besonders hilfreich ist schliesslich der Celebrity-Faktor. Je berühmter die Beteiligten sind, desto langweiliger und dürftiger darf ein solches biografisches Süppchen sein.»

Dabei lässt sie kein unappetitlich-intimes Detail aus, wie Bucheli mit zugehaltener Nase schreibt: «Griff die Erzählerin zum Auftakt dem Mann in den Schritt, so setzt sie sich später zwischen seine gespreizten Beine, um mit einer Spritze und brachialer Kraftanwendung seine Harnröhre wieder freizuschiessen, sooft diese sich, was häufig geschieht, verschliesst. Sie schildert diese Szenen fast ebenso genüsslich wie ihre erotischen Rollenspiele, wenn sie in Strapsen in einer Bar auf ihn wartet, bis er als humpelnder alter Mann mit Stock erscheint, ihr ein Halsband umlegt und sie an der Leine wegführt.»

Geht da noch was? Aber sicher: «Allerdings findet sie für jede peinliche Selbstentblössung eine noch peinigendere Blossstellung für ihren Liebhaber. Als sie ihn zum Festakt für die Verleihung der Ehrendoktorwürde in Basel begleitet, muss sie seine Kleidung kontrollieren, bevor sie das Haus verlassen. Er will nicht wissen, ob der Kragen sitzt, sie soll prüfen, «ob man wirklich nichts von der Windelhose sah, die er unter dem Anzug trug»

Vollends peinlich wird das Werk (und die Autorin) durch die souveräne Reaktion Hürlimanns. Offensichtlich hatte der Ullstein-Verlag, der langsam auch keinen Ruf mehr zu verlieren hat, Schiss, dass es vielleicht juristischen Ärger mit dem hier Entblössten geben könnte. Aber der reagierte sehr souverän:

«Er freue sich, schrieb er in seiner Mail, «dass ich mitspielen darf». Er betrachtet die Literatur als ein Ergebnis der Imaginationskraft, sie ist ihm keine verbissene Wirklichkeitsabschreiberei. Mag das Buch auch von ihm handeln, so ist es doch nicht er selber, der darin abgebildet wird

Bucheli lässt am Schluss das Fallbeil fallen und mokiert sich über den Titel des Romans, bzw. er verwendet Hürlimanns souveräne Reaktion für die Vollendung der Hinrichtung:

«Damit pariert er ganz nebenbei auch den infam anmutenden Romantitel «Die vorletzte Frau». Das entspreche einem Muster in ihrem Leben, erklärt die Ich-Erzählerin. Schon einmal folgte nach der Trennung von einem Geliebten auf sie eine weitere, die letzte Frau, ehe der Mann starb. Mit anderen Worten: Tosch steht in ihren Augen mit einem Bein im Grab. Auch diese Hybris der Erzählerin zerlegt Hürlimann im Handstreich: Es ist ein Spiel. Was er, nobel, wie er ist, nicht sagt, aber vielleicht denkt: Es ist ein schlechtes Spiel. Man kann getrost sagen: ein übles.»

«Ich war die Geliebte von», ein uraltes Romangenre, in dem sich unangenehm viele Adabeis tummeln. Manche berichten aufgeregt von einer einzigen Nacht, andere von einem Verhältnis, wieder andere von einer Nebenbeziehung eines berühmten Mannes (seltener einer berühmten Frau). Fast immer ist es peinlich, sorgt allenfalls für flüchtigen Ruhm.

Neuen Schub hat dieses Genre durch die «#metoo»-Bewegung bekommen. Neben völlig zu recht angeprangerten sexuellen Übergriffen wimmelt es auch hier inzwischen von Dichtungen, die kaum etwas mit Wahrheit, dafür viel mit dem Bedürfnis, ins Scheinwerferlicht zu treten, zu tun haben.

Häufig bleiben zwei Opfer zurück. Der Beschuldigte und die Beschuldigerin. Hier ist es ausnahmsweise so, wenn Hürlimann diese öffentlich gemachten Einblicke in sein Intimleben nicht genieren, dass es nur ein Opfer gibt: die Autorin selbst.

 

AC/DC

Auf der Suche nach Positivem sind wir schon mit wenig zufrieden.

Die beiden Jungs sind unkapputbar. Gut, die Bandkollegen von Sänger Brian Johnson (76) und Gitarrero Angus Young (69) nicht. Aber AC/DC versucht seit 1976, die edle Kunst der Vereinfachung, der Reduzierung auf das Notwenige, zur Perfektion zu treiben. Gelungen.

Da laufen immerhin auch die Rezensenten zu Höchstformen auf. «Es ist, als wären sie nie weg gewesen», schwärmt Michael Marti in Tamedia. Dann wird er echt witzig: «Das Hardrock-Business ist wohl eine der letzten Branchen, in der alten Menschen nicht diskriminiert werden.»

Und wirbelt Vergangenheit und Gegenwart ineinander: «Schon als zweiter Song ein Hammer-Hit, «Back in Black» (1980), mit einem der bekanntesten Gitarrenriffs der Rockgeschichte. Veröffentlicht damals nur einige Monate nach dem Tod von Frontmann Bon Scott; der Mann starb, Berufsrisiko!, an einer Alkoholvergiftung.»

Ziemlich gut auch die Beschreibung der Musik: «Schnell, direkt, mitreissend. Killerriffs und Powerfills. Das ist die Essenz des AC/DC-Sounds, so perfekt verlässlich, wie von einem Tiktok-Algorithmus angerührt.» Gut, das mit TikTok ist vielleicht etwas gesucht.

Dafür aber ein hübscher Schluss: «Womöglich ist die Hölle ein viel angenehmerer Ort, als man es sich bisher vorstellte – wenn dort unten tatsächlich AC/DC  den Soundtrack liefert.»

Auch CH Media lässt es krachen: «Der alterslose Gitarrist, 69, mit der roten Schulbubenuniform und der grossen Liebe zum Blues bleibt der optische und akustische Dreh- und Angelpunkt des Quintetts. Johnson hingegen ist der Strippenzieher, der den Draht zum Publikum aufbaut, während Young in der Musik zu versinken scheint.»

Stefan Strittmatter kann auch witzig sein: «Die Gitarren sägen, schnarren, schmatzen. Zuweilen scheppert es, und man weiss nicht, ob es die Wand an Marshalls ist, die die Stromgitarren so klingen lässt oder doch das eigene Innenohr, das unter den Druckwellen einknickt.»

Der «SonntagsBlick» setzt es hingegen in den Sand, indem er das Trachtenfest in Zürich und AC/DC zusammenmixt. Bringt für beide Events nix.

Nur Florian Bissig von der NZZ muss mäkeln, das gehört sich bei dem Blatt wohl so: «Brian geht unter, Angus liefert», titelt er. Aber auch er kommt in Stimmung: «Die Hörer bekamen offensichtlich, was sie begehrten: grelle Gitarrenriffs, stampfende Basslinien, ekstatische Solos und natürlich die eingängigen Refrains der Hits dieser Rockband der Superlative.»

Allerdings geht ihm dann zum Schluss, im Gegensatz zur Band, die voller Dampf alles durchspielt, etwas der Strom aus, da reicht’s nur zu einem müden Ende: «Es ist Rock’n’Roll unter Starkstrom, es ist «High Voltage»-Rock’n’Roll.»

Eigentlich sollte man den Mainstreammedien zurufen: nehmt euch ein Beispiel. Denn auch Journalismus ist Rock’n’Roll. Ein Ereignis, einer geht hin, schreibt auf, kommt zurück, bringt seine Notizen in Form, einfach, aber mit Wucht und Dampf, und unterhält damit den Leser aufs Beste. Könnte gar nicht so schwer sein. Man muss nicht mal so virtuos wie Angus Young auf der Gitarre sein.

Aber das Handwerk müsste man schon beherrschen, nicht sich selbst und seine Ingroup bespassen wollen, sondern den Leser. Ach, und Intelligenz kann auch nicht schaden. Da wird’s dann aber ganz, ganz dünn, nicht nur bei den Kindersoldaten in der Produktionshölle des Newsrooms.

 

Dunkle Worte

Nora Zukker rezensiert Martin Suter. Kann nicht gutgehen.

Martin Suter ist der genderkompatible, fluffige Gebrauchsliterat der Schweiz. Die Texte des PR-Genies flutschen so wie eine feuchte Seife in der Hand. Kantenlos, glatt, gepflegt, unangenehm parfümiert, langweilig.

Der Literaturhäuptling (wieso gibt es davon keine weibliche Form, verdammte Diskriminierung) ohne Indianer von Tamedia, Nora Zukker, ist sonst eher für Abseitiges und Unterirdisches wie Simone Meier zuständig.

Nun versucht sie sich also mal am Schweizer Erfolgsautor, der zwecks Promotion nicht davor zurückschreckt, Privatestes wie den Tod seiner Frau larmoyant auszubreiten, wenn man ihm Gelegenheit dazu gibt.

Aber zur Sache. Schon der Titel der Rezension ist so dunkel wie holprig, Wie kann man zwischen Oliven und einem Drink die Geduld verlieren? Wo bleibt die dann ab? Findet man sie dann hinter einer Olive wieder?

Aber das soll ja den Leser nur vorwarnen, dass es anschliessend noch holpriger, dunkler und unverständlicher wird:

«Allmen bietet ihm seine Hilfe bei der Suche nach dem verschwundenen Kunstwerk an – und hofft, nicht schon wieder seine Kreditwürdigkeit improvisieren zu müssen. Es könnte für den «Pleitendandy» eine Zeit ohne den Duft schwarzer Bohnen kommen, denn er gehört nun ein bisschen dazu, zum Kreis der illustren Kunstfreunde von Weynfeldt.»

Wie improvisiert man seine Kreditwürdigkeit? Und was ist eine Zeit ohne den Duft schwarzer Bohnen? Meint sie damit Frijoles (würde zu den Margaritas passen) oder schlichtweg Kaffee?

Aber weiter im Geholper: «… der Adelstitel Johann von Allmen führt irrtümlicherweise zum Adel, ist aber bäuerlicher Herkunft. Carlos (ein Bediensteter, Red.) kann auch nicht zu oft die Mansarde hochsteigen und ein Bündel Banknoten holen und sie dem Johann Friedrich leihen». Hä?

«Allmen ist nämlich gut darin, die Wirklichkeit auszublenden. Das hat er in seiner Kindheit gelernt, als er die Augen schloss und sein Vater mit einem Stück Holz das Kaninchen Mimi vom kleinen Johann erschlug. Aber dann muss er die Augen aufschlagen, als es hupt und eine Bahre mit grauem Deckel geholt wird. Karin Winter ist tot.» Hä?

Wer’s bis zum Schluss durchsteht, wird hiermit bestraft:

«Da sind keine schnellen Schnitte, keine Spannung, die einem den Atem nimmt, aber Suters Dialogtalent bleibt konkurrenzlos. Mit «Allmen und Herr Weynfeldt» gewährt uns Suter wieder Einblicke in die Welt der Reichen. Und irgendwann trinkt Weynfeldt dann doch noch den Martini zur Olive. Aus Gründen.»

Hä?

Eigentlich sollte eine Rezension dem Leser Gründe an die Hand geben, einen Martini zu trinken. Nein, ein Buch lesen zu wollen oder nicht.

Hier sind die Fragen, ob man das Buch trotz dieser Rezension lesen sollte. Oder sich sinnlos besaufen. Ob es noch schlechter oder eventuell besser ist. Im Zweifelsfall ist aber die beste Entscheidung: weder Suter noch Zukker lesen. Das Leben ist zu kurz für solche Abschweifungen.

Ach, herrje

Nora Zukker rezensiert ein Buch. Volle Deckung!

Der neuste Lewinsky ist glücklicherweise noch nicht ganz ausgelesen und verschafft dringend nötige Labsal. Und gibt die nötige Stärke, die es braucht, wenn wir im Bruchpilotenblatt «Tages-Anzeiger» herumschmökern. Zuerst dachten wir, das hier sei der Gipfel der Dummheit:

Isabelle Jacobi sei immerhin «Chefredaktorin von «Der Bund» und Mitglied der Chefredaktion Bund/BZ». Zudem spreche sie mit «klugen Köpfen unterschiedlicher Couleur». Schon da hat man ein paar Fragen. Wozu braucht der «Bund» eine Chefredaktorin? Und wieso ist sie dann auch noch in der Chefredaktion Bund/BZ? Und wozu braucht die, aber lassen wir das. Dann die verschiedenfarbigen Köpfe. Soll das heissen, sie spricht auch mit Schwarzen oder Rothäuten oder Asiaten?

Aber gut, wer so einen Titel setzt, bei dem hat das Kluge dieser Köpfe garantiert nicht abgefärbt. Aber das ist noch nicht die Höchstleistung von Tamedia. Sondern die:

Das Gipfeltreffen Zukker/Meier. Aber immerhin, diesmal betüteln sich die beiden nicht auf einem Friedhof. Sondern anscheinend nüchtern versucht Zukker, das neuste Machwerk von «Juden canceln»-Simone Meier zu besprechen.

Dabei setzt Zukker einen Anfang ab, von dem sie dann selbst schreibt: «Klar, da sagen Sie jetzt: Nein danke, das muss ich nicht lesen.» Ein weiser Ratschlag, den ZACKBUM aber (leider) in den Wind geschlagen hat. Seither ist unserem Sprachgefühl sterbenselend, müssen wir viele Körpertreffer verarzten, die uns die Lektüre zugefügt hat.

Der Leser halte seine Erste-Hilfe-Apotheke parat und stürze sich ins Gemetzel:

«Randbemerkung: Je mehr die Autorin ihre Figuren leiden lässt, umso leichtfüssiger liest es sich. Schön! … Das berühmteste Ohr der Geschichte wird in «Die Entflammten» bereits auf Seite 42 abgeschnitten … Jo heiratet einen Mann und bekommt zwei dafür … Während Jo noch einmal heiratet, ihr der zweite Mann ebenfalls davonstirbt, ein loser Liebhaber die Lücke füllt, kümmert sie sich darum … Jo, die im Alter – «ihre blossen Arme gleichen welken Blumenstielen» – weniger von Männern wissen will … Es macht übrigens nicht glücklich, die Fiktion arg faktenzuchecken. Aber das Personal und deren Lebensdaten stimmen mit der Wirklichkeit überein … Jo erscheint Gina öfter, die Leben der Frauen zwischen Kunst und Familie verschwimmen zunehmend ins Luzide … «Meine Seele weinte so sehr, dass ihre Tränen fruchtbares Ackerland wegschwemmten, Bäume entwurzelten und eine überflutete Welt zurückliessen», das ist melodramatisch, aber nicht bemüht altertümlich …»

Atmet noch jemand hier? Nun, dann nehmt das: «Der gewisse meiersche Schalk, den man in den vorherigen Büchern, aber auch in ihren journalistischen Texten antrifft, funktioniert auch in dieser Geschichte um 1900. «Der Sarg und ich setzten uns in den Zug nach Paris, nicht nebeneinander natürlich», man stellt es sich trotzdem vor und muss lachen.» Der Sarg setzt sich in den Zug? Darüber muss man lachen? Nicht über die sprachliche Unfähigkeit von Meier?

Aber wer all das vertragen hat, muss sich spätestens hier mit Grausen abwenden; wir verabschieden uns zuvor von den ganz, ganz unerschrockenen ZACKBUM-Lesern (und hoffen, sie morgen erholt wieder begrüssen zu dürfen). Aber zunächst dieser Versuch, widerwärtig und abstossend zu steigern:

«Ihr gegenüber eine Frau, die auf der abgestorbenen Zunge kaut, die Augenlider vom Eiter aufgelöst. Und dann «greift Ninette mit den Fingern in ihren Schädel hinein und streckt Jo einen Klumpen ihres Gehirns entgegen, das unter der Krankheit zu einer sülzeartigen Masse geworden ist, erst verflüssigt, dann wieder eingedickt» und schlürft genüsslich das eigene Hirn. Das ist so gruselig wie medizinhistorisch und sozialgeschichtlich interessant.»

Man reiche zunächst das Riechsalz, anschliessend den Kotzbeutel.

Sprachverbrechen

Nora Zukker rezensiert ein Buch. Hilfe.

«Ein Wurf von einem Buch», behauptet die Literaturchefin von Tamedia. Aber eigentlich sollte man aufhören, über diesen Wurf zu lesen, wenn man zu diesem Satz kommt: «Aber die Unterhose schlägt Alarm

Hä? Will man sich das vorstellen? Will man nicht. Oder wie die Autorin Sarah Elena Müller formuliert: «Man wird nie dazu gedrängt, etwas realisieren zu müssen.» Hä?

Es gehe anscheinend um Kindsmissbrauch. «Spät, zu spät, als ihn die Mutter der inzwischen jungen Frau fragt, was er mit ihrer Tochter über die letzten zehn Jahre gemacht habe, sagt Ege nur: «Je nachdem. Je nach Lust und Laune.» Aber: «Tempi passati.» Damit schliesst er jeden Gedanken», stolpert Zukker durch eine Art Inhaltsangabe.

Falls der Leser das einigermassen verstehen sollte, weiss Zukker sofort wieder Abhilfe: «Während eines Lehrauftrags in Berlin hatte ihm eine Studentin einen Sohn abgenötigt.» Abgenötigt? Hä? Und was macht denn nun dieser Sohn, wo es doch scheint’s um den Missbrauch eines Mädchens aus der Nachbarschaft geht?

Aber weiter im Geholper: «Was Ege tut, ist sein Lebenswerk. Auch wenn die Videos nie jemand anschaut, muss er seine Kunst mit Kinderkörpern vollenden.» Hä?

Der Leser hangelt sich verzweifelt zum nächsten Hä: «Wenn der Täter aber erbärmlich wirke, sei das eine implizite Form der Vergeltung, dass ihm dasselbe geschehe wie den Opfern: dem eigenen Erinnern nicht mehr zu trauen.» Eben, hä?

Dann endet Zukker mit einer echten Drohung: «Sarah Elena Müller leuchtet den toten Winkel aus. Dort, wo man vermeintlich nicht hinsehen kann. «Es wird ständig exzessiv ausgewichen», sagt die Autorin über alle Figuren im Roman. Diesem Debüt darf hingegen nicht ausgewichen werden. «Bild ohne Mädchen» gehört auf die Shortlist für den Schweizer Buchpreis 2023

Nun ja, das Schlimmste muss befürchtet werden, wenn man an den aktuellen Buchpreisträger denkt. Da will man vermeintlich gar nicht hinsehen. Wobei man sich gleichzeitig fragt, wie das funktionieren soll. Oder einfach: hä?

Mal wieder im Ernst, lieber Tagi: es gäbe doch durchaus so viele interessante, gut geschrieben Bücher zu rezensieren. Auf eine Art und Weise, dass der Leser sowohl das Buch wie die Rezension versteht. Ist das wirklich zu viel verlangt?

Ostereier? Ach was, Gedanken ausbrüten!

Zwei freie Tage. Ohne Abstecher nach Paris, Berlin oder New York. Was tun? Wie wär’s mit etwas Originellem?

 

Resilienz gegen Blasenvokabular

Je nach Reaktion könnte auch das zu einer neuen Rubrik werden. Buchempfehlungen von Zeit zu Zeit und Fall zu Fall. Lyrik eher weniger, modernes, Schweizer Romanschaffen nur in Ausnahmefällen. Wir wollen den Leser ja nicht von der Lektüre abschrecken.

Fangen wir also mit Lebenshilfe an. Genau, 10 einfache Schritte, damit Sie glücklich werden, einen tollen Body bekommen und Ihnen das Geld zu den Ohren rauswächst. Angefixt? Ja, das hätten wir alle gerne.

Aber zunächst eine Nummer kleiner. Von Jens Bergmann stammt die verdienstvolle Sammlung «Business Bullshit. Managerdeutsch in 100 Phrasen und Blasen»*.

Das ist eine gut aufbereitete Horrorfahrt auf der Phrasendreschmaschine durch den modernen Geschäftsalltag.

Bergmann ist stv. Chefredaktor bei der Wirtschaftszeitschrift «brand eins» und muss sich tagtäglich damit abmühen, diesen Bullshit auf Deutsch zu übersetzen. Aus Leidensdruck entstehen oft die besten Bücher.

Das ist hier der Fall. Liebevoll, aber auch voller Abscheu führt uns Bergmann durch die Welt des «Addressierens», wo man «ganz bei Ihnen ist», natürlich immer auf «Augenhöhe», «agil» im «Teambuilding» steckt, Produkte «ausgerollt» werden, «Potenziale» unablässig entdeckt, «Synergien» ohne Unterlass geschaffen werden.

In handliche und amüsant geschriebene Kapitel aufgeteilt

«Am Ende des Tages» ist man immer «gut aufgestellt» denkt aber auch an die «Work-Life-Balance». Und so weiter und so endlos. Je nach Betätigungsfeld werden dem Leser die meisten, viele oder eher wenige Ausdrücke bekannt vorkommen. Vielleicht ertappt man sich sogar selbst dabei, dass man bereits von diesem Business Bullshit angesteckt wurde und ihn selbst absondert.

Übrigens gibt es wirklich keine adäquate Übersetzung des Worts Bullshit auf Deutsch, daher sei ein Anglizismus – was ansonsten auch die Geschäftswelt verpestet – gestattet.

Hilfreich ist, dass Bergmann nicht einfach aufzählt, sondern auch erklärt und den Bullshit in handliche Themenkapital unterteilt, so in «Gutfirmensprech», «Euphemismen», «Imponiervokabular» oder «Psychotalk». Insgesamt sechs solcher Häufchen handelt er ab. Mit Textbelegen und einem Bullshit-Register.

Neben den naheliegenden Zitaten von Karl Kraus und Ludwig Wittgenstein hat er noch eins von Konfuzius ausgegraben, das auch nicht schlecht ist:

«Wenn die Begriffe nicht stimmen, ist das, was gesagt wird, nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht das Gemeinte ist, gedeihen die Werke nicht.»

*Jens Bergmann, Business Bullshit. Dudenverlag, Berlin, 2021, 207 Seiten.

Wieso die Opferfalle immer lieber benützt wird

Das zweite Buch ist zu Unrecht im deutschen Sprachraum weitgehend unbeachtet geblieben. Der italienische Dozent Daniele Giglioli veröffentlichte schon 2014 das Buch: «Die Opferfalle. Wie die Vergangenheit die Zukunft fesselt.»* Es wurde auch schon 2015 auf Deutsch übersetzt, aber erschien erst kürzlich durch den Ratschlag eines Freundes auf dem Radarschirm.

Aber das ist schon mal das erste, stärkste Argument für das Werk. Es hat überhaupt nichts an Aktualität verloren, im Gegenteil. Das Thema dieses Essays, der mit 126 Seiten auch eine überschaubare Länge hat, ist der Opferkult; die Selbstdefiniton durch Opfersein, die vielfache Opferempfindung.

Welche Auswirkungen hat das auf die Debatte, wie überlagt die Dialektik zwischen Opfer und Täter die Auseinandersetzung um politische und andere Themen? Wieso wird das Opfer damit mächtiger als der Täter, wieso gerät es dennoch in eine Opferfalle, die nicht nützt, sondern schadet, plus: «Doch wie konnte es dazu kommen, dass solche grotesken Phänomene wie Opferstolz, Opferkonkurrenz und gar Opferneid um sich greifen?»

Dieses Buch reift wie guter Wein

Giglioli argumentiert auf hohem intellektuellen Niveau und nicht ohne Rückgriffe in Philosophiegeschichte oder wissenschaftliche Untersuchungen. Aber da er das nicht angeberisch tut, immer um möglichst grosse Verständlichkeit bemüht ist, sollte das Leser, die nicht mit den Grundlagen der Philosophie oder Erkenntnistheorie auf du und du stehen, nicht abschrecken. Im Gegenteil, das scheint ein Werk zu sein, das in der Distanz zur Publikation an Qualität gewinnt.

Wenn man das über ein Essay sagen kann, das heutzutage normalerweise eine Halbwertszeit von Publikation in einem Feuilleton bis zur abendlichen Zeitungsablage hat, muss es sich um etwa Reifes handeln, das sogar noch nachreift.

Als letzte Anregung: Es ist so souverän geschrieben, dass sich der Leser nur schwerlich verlaufen kann oder im Unterholz des Nichtverstehens steckenbleibt. Sicher, es ist mit einer etwas grösseren intellektuellen Anstrengung als die Lektüre eines Leitartikels verbunden. Aber: das lohnt sich hier unbedingt.

Gut investierte 13 Franken in das E-Book, eigentlich sollte man das Buch an einem schönen Ostertag durchhaben, und für den Rest der Zeit gibt es genügend Anregung für interessante Gespräche.

*Daniele Giglioli: Die Opferfalle. Matthes & Seitz, Berlin, 2015, 126 Seiten.