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Unrat vom Presserat

Ein Gremium schafft sich ab. Mehr und mehr.

Eigentlich ist der Presserat eine gute Sache. Er soll es Medienopfern ermöglichen, zumindest moralisch Recht zu bekommen. Sie können ihren Fall dem Presserat vorlegen, der sich gratis darüber beugt und zu einem Urteil gelangt.

Fast wie ein echtes Gericht, mit Kammern, Erwägungen und Urteilen. Das schärfste Schwert ist dabei die Rüge. Die wird ausgesprochen, wenn gegen den Journalistenkodex verstossen wurde. Das ist sozusagen das Gesetzbuch, auf dem die Rechtsprechung des Presserats basiert.

Die Medien sind gehalten, solche «Stellungnahmen» zu publizieren. Woran sie sich immer weniger halten. Nicht, weil sie nicht kritikfähig wären. Sondern weil der Presserat immer realitätsferner urteilt.

Schon einer der ersten Artikel auf ZACKBUM befasste sich mit dem «Patient Presserat».  Seither ist er nicht wirklich gesünder geworden.

Zwischendurch als Packungsbeilage: der Autor wurde noch nie gerügt; einmal gelangte er an den Presserat mit dem Anliegen, ein Mitglied des erlauchten Gremiums zu rügen, das sich ungehörig öffentlich geäussert hatte. Überraschungsfrei wurde auf die Beschwerde mit gewundener Begründung nicht eingetreten.

Aktuelle Beschwerde gegen den «Tages-Anzeiger»

Aber zurück in die Aktualität. Mit Entscheidung 70/2021 heisst der Presserat eine Beschwerde gegen den «Tages-Anzeiger» gut:

«Die Tamedia-Publikationen (Online und gedruckte Versionen) haben mit dem Artikel «Kesb-Gutachten: Umstrittener Gutachter in Bedrängnis» respektive «Verstoss gegen die Berufsordnung» gegen die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Anhören bei schweren Vorwürfen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verstossen.»

In seiner Begründung macht das Gremium einen Spagat, den nur von der journalistischen Praxis losgelöste Elfenbeinturmbewohner hinkriegen. In dem inkriminierten Artikel sei ein Vorwurf zwar mit Verweis auf einen früheren Artikel belegt worden. Ist die Kritik also nicht neu, reiche «nach der Praxis des Presserates eine Zusammenfassung aus». Aber: «In diesem Fall liegen aber die Informationen, auf die sich der Artikel bezieht, viel zu weit zurück.»

Weit ist durchaus relativ; der Artikel Anfang Dezember 2020 bezog sich auf einen Vorgänger vom April 2019. Ganz abgesehen davon, dass der Vorwurf «überrissene Rechnungsstellung» inhaltlich richtig ist.

Weiter wurde dem Beschwerdeführer im Artikel vorgehalten, er biete «psychiatrische» Dienstleistungen an, ohne über die entsprechende Qualifikation zu verfügen. Auch dieser Vorwurf ist richtig, aber der Presserat hat zu bemängeln, dass dem KESB-Gutachter nicht explizit Gelegenheit gegeben wurde, dazu Stellung zu nehmen.

Also sei sowohl gegen die Wahrheitspflicht wie gegen die Pflicht zum Anhören bei schweren Vorwürfen verstossen worden. Dass im Artikel eine ganze Latte weiterer mit Zeugenaussagen unterlegter Vorwürfe erhoben wird, die ein gelinde gesagt problematisches Bild von der Persönlichkeit und dem Verhalten des Gutachters malen, also eine Gesamtbeurteilung zulassen, ist dem Presserat schnurz.

Die gemassregelte Autorin streut Asche auf ihr Haupt: «Ich nehme diese Kritik des Presserats ernst und habe den gerügten Satz im Online-Artikel angepasst.»

Presserat Richtung «Fairmedia» unterwegs

Leider geht der Presserat immer mehr den gleichen Weg wie «Fairmedia». Anstatt schwachen Medienopfern gratis zu helfen, macht sich dieser Verein zum Sprachrohr einer umstrittenen Persönlichkeit, die ihr eigenes Schicksal zum Geschäftsmodell weiterentwickelt hat. Seine bedauerliche Verirrung mussten wir schon mehrfach rügen.

Solche Urteile, Gegendarstellungen, Kritiken am manchmal über die Stränge schlagenden Rüpel-Journalismus sind dringend nötig und wertvoll. Damit sie aber ihre Bedeutung und Wirkung behalten, müssen die Richter darauf achten, ihren eigenen Ruf nicht zu verspielen. Denn nur daraus beziehen sie eine gewisse Autorität. Daher sind solche Stellungnahmen sehr bedauerlich.