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Der BBC-Skandal

Wie Gesinnungsjournalismus eine Institution beschädigt.

Gegründet 1922, ist die BBC die älteste nationale Rundfunkanstalt der Welt. Mit Diensten wie dem BBC World Service erreicht sie Hunderte Millionen Menschen in über 40 Sprachen. Sie gilt international als Vorbild für seriösen Journalismus, Qualitätsstandards und Unparteilichkeit.

Im Zweiten Weltkrieg war BBC nicht zuletzt für Deutsche eine unbestechliche Informationsquelle und kein Propagandasender der Alliierten.

Wie man dieses grossartige und einmalige Image kaputtmachen kann, das zeigen die aktuellen Chefs dieser ehemaligen Kathedrale des seriösen, unbestechlichen, so objektiv wie möglich berichtenden Journalismus.

Nicht zum ersten Mal in den letzten Jahren ist die BBC im Kreuzfeuer der Kritik. Diesmal hat sie sich aber einen wirklich bedrückenden Schnitzer geleistet. Zu befürchten ist: nicht aus handwerklicher Unfähigkeit, sondern mit Absicht.

Der Skandal betrifft eine Ausgabe der Sendung «Panorama», in der ein Ausschnitt einer Rede des US-Präsidenten Donald Trump zusammengeschnitten wurde, sodass sie den Eindruck erweckte, er habe direkt zum Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 aufgerufen. Nachdem er die damaligen Präsidentschaftswahlen gegen Joe Biden verloren hatte.

Eine Niederlage, die Trump bis heute nicht wahrhaben will, man habe ihm damals den Wahlsieg gestohlen, behauptet er wahrheitswidrig.

In dieser Sendung der BBC wurden nicht nur zwei Teile seiner damaligen Rede zusammengespleisst, die in Wirklichkeit 54 Minuten auseinanderliegen. Der erste Teil des Satzes lautet in der Fassung der BBC «wir gehen zum Kapitol», gefolgt von «und kämpfen dort wie die Hölle». In Wirklichkeit rief Trump nach der Einleitung dazu auf, friedlich und «patriotisch» zu demonstrieren.

Ausserdem wurde in diese Rede Material hineingespielt, das zeigt, wie Demonstranten sich Richtung Kapitol aufmachen. Damit wird insinuiert, sie folgten dieser Aufforderung Trumps. In Wirklichkeit entstand das Video vor Trumps Rede.

Das hat der englische «Telegraph» sauber aufgearbeitet, nachdem ihm ein internes Memo zugespielt worden war, das diese Vorgänge kritisiert.

In Folge des Skandals traten wichtige Führungskräfte der BBC zurück, darunter der Generaldirektor Tim Davie und die Chefin der Nachrichtenabteilung Deborah Turness.

Damit haben sie immerhin die Verantwortung für diese Entgleisung übernommen. Allerdings geht das Problem doch tiefer. Denn die BBC beschäftigt rund 22’000 Mitarbeiter. Und bei besonders sensiblen Themen gibt es ganze Hierarchien von Richtlinien, die beachtet werden müssen:

Die «Editorial Guidelines» decken unter anderem ab:

  • Themen wie Genauigkeit, Fairness, Unparteilichkeit, Quellenprüfung, Schnitt und Kontext.

  • Jede Sendung muss nachweisen können, dass sie den Vorgaben entspricht.

  • Bei sensiblen oder politisch brisanten Inhalten ist die Pflicht zur Gegenprüfung («Right of Reply») und Quellenbelegung besonders streng.

Bei der Sendung «Panorama» gibt es eine mehrstufige Kontrolle:

  • Reporter / Produzententeam – recherchiert, schreibt und schneidet die erste Fassung.

  • Senior Editor – überprüft journalistische Integrität, Quellen, Fakten und rechtliche Risiken.

  • Executive Producer / Head of Current Affairs – gibt finale redaktionelle Freigabe.

  • BBC Legal & Editorial Policy Unit – prüft rechtlich heikle Fälle, etwa Verleumdungs- oder Datenschutzrisiken.

  • Commissioning Editor oder Controller BBC News – kann bei politisch sensiblen Themen zusätzliche Prüfungen verlangen.

Schliesslich gibt es noch das Editorial Policy & Compliance Team.

  • Diese unabhängige interne Abteilung kontrolliert, ob Beiträge die BBC-Standards für Unparteilichkeit und Genauigkeit erfüllen.

  • Sie kann Änderungen verlangen oder die Ausstrahlung stoppen, falls Verstösse drohen.

  • Alle freigegebenen Programme erhalten ein «Editorial Policy Approval Record» als Dokumentation.

In diesem Fall haben offensichtlich all diese Kontrollmechanismen versagt. Auch das kann nicht mit Inkompetenz erklärt werden. Sondern ist Beleg dafür, dass die Ablehnung Trumps in der gesamten Redaktion stärker war und ist als das Bedürfnis, all diese journalistischen Goldstandards einzuhalten.

Der Schaden, der durch diese manipulierte Sendung für Trump entstanden ist, ist überschaubar.

Der Schaden für die BBC ist zurzeit noch nicht abzuschätzen.

Die Verallgemeinerung drängt sich auf: wenn selbst diese Institution des fairen angelsächsischen Journalismus dermassen schwächelt, wie steht es dann wohl um die deutschsprachigen Medien?

Von ZDF und ARD weiss man zum Beispiel, dass eine externe NGO damit beauftragt wurde, den Journalisten das richtige Wording bei Migrationsthemen näherzubringen. Der Fall Relotius beim «Spiegel» ist in unguter Erinnerung.

Auch in der Schweiz gibt es nicht nur bei der SRG ellenlange Vorgaben, wie richtig berichtet werden soll. Auch die grossen Printmedienverlage verwandeln sich immer mehr in Echokammern, wo vorgefasste Meinungen vorgegebenen Weltbildern entsprechen. Und Abweichungen nicht toleriert werden.

So beerdigen nicht die Umstände, das Internet, die abwandernde Werbung und die flüchtenden Leser diese Art von Journalismus. Sondern er erledigt sich selbst, macht sich überflüssig, versinkt im Gesinnungssumpf der angeblich einzig korrekten Meinung und Weltsicht.

Medien-Meute

Nichts Schlimmeres, als nicht recht zu haben.

Es war der Höhepunkt der #metoo-Hysterie. Reihenweise wurden Stars und Sternchen angeblicher sexueller Übergriffe beschuldigt, die oftmals Jahrzehnte zurücklagen.

Kevin Spacey, der geniale Schauspieler («House of Cards»), wehrte sich erfolgreich dagegen. Freispruch auf ganzer Linie – aber finanziell ruiniert und ohne Aufträge.

Ein weiterer Fall war der Rammstein-Sänger Till Lindemann. An ihm arbeitete sich sogar der «Spiegel» mit einer Titelgeschichte ab:

Der NZZ-Autor Ueli Bernays verlor völlig die Orientierung und titelte: «Till Lindemann und Rammstein: Aus dem Künstler ist ein Täter geworden». Selten ist auf die Unschuldsvermutung so laut gepfiffen worden. Auch der «Blick» japste los, musste dann aber schnell den Schwanz einziehen.

Nach einem Artikel voller unbelegter Vermutungen, was der Rammstein-Sänger wohl mit Fans anstellen würde, die kreischend in der Row Zero stehen und es als höchstes Glück empfinden, anschliessend zur After-Party eingeladen zu werden, musste er den Artikel schnell löschen, und Ringier gab «nach Abmahnung gegenüber unserem Mandanten eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab», vermeldeten die Anwälte des Sängers triumphierend.

Den Vogel schoss wie meist Tamedias Amok-Redaktor Andreas Tobler ab. Der machte sich zur Witznummer, indem er einerseits die Unschuldsvermutung beschwor. Andererseits aber forderte:

«Die Rammstein-Konzerte sollten abgesagt werden».

Schnee von gestern. Auch in diesem angeblichen Fall endete alles im freien Fall, im Nichts. Keine Anschuldigung hielt der genaueren Überprüfung stand, anonyme Heckenschützinnen kamen davon, verschwanden oder wurden sogar verurteilt.

Nun verträgt die Journaille aber nichts schlechter als öffentlich vorgeführt zu werden. Wenn aus der mit Füssen getretenen Unschuldsvermutung erwiesene Unschuld wird, könnte man wenigstens erwarten, dass die Füsse stillgehalten werden und peinlich berührtes Schweigen herrscht.

Aber nein. «Scharfer Protest gegen Einladung von Till Lindemann zu Opernball», tritt der «Spiegel» nach. Denn Leipzig wagt es doch tatsächlich, an seiner Einladung von 40 VIPs festzuhalten, darunter der Sänger.

Triumphierend vermeldet das Blatt: «Ein Leipziger Bündnis namens »Gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch« kritisierte die Entscheidung der Veranstalter in einem offenen Brief scharf. Eine juristische Entlastung könne keine moralische sein, heißt es darin. Die Einladung Lindemanns sende »ein fatales Signal« an Betroffene sexualisierter Gewalt. Nach Angaben des Bündnisses haben bereits mehr als 180 Leipziger Kulturinstitutionen, Vereine und Einzelpersonen das Schreiben unterzeichnet.»

Es soll eine Demonstration unter dem Motto «Kein Ball für Täter» geben, Sachsens Vizeministerpräsidentin hat ihre Teilnahme am Ball bereits abgesagt.

Wenn der woke Rechthabermob tobt, dann sind ihm Tatsachen völlig egal. Juristisch unschuldig? Na und, vor deren selbstherrlichem Moraltribunal ist er schuldig und gehört ausgeladen. Mindestens.

Angebliche Opfer werden zu Tätern, der vermeintliche Täter zum Opfer. Eine solche peinliche Niederlage kann die Journaille nicht auf sich beruhen lassen. Ganz am Schluss geht der «Spiegel» noch knirschend seiner Berichterstatterpflicht nach:

«Der Musiker Till Lindemann war 2023 in die Schlagzeilen geraten, nachdem mehrere Frauen ihm sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch vorgeworfen hatten. Die Berliner Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen im August 2023 mangels hinreichenden Tatverdachts ein. Lindemann hat die Anschuldigungen stets entschieden bestritten

Dass nicht nur «Blick», sondern auch der «Spiegel» selbst in schweres juristisches Sperrfeuer der Anwälte von Lindemann geraten war – wieso das erwähnen. Dass diese Titelgeschichte wohl der absolute Tiefpunkt in Relotius-Liga war – kein Wort darüber. Dass sämtliche Ermittlungen eingestellt und es nicht mal zu einer Anklage kam – das kann man bösartig so darstellen, wie es der «Spiegel» formuliert.

Till Lindemann, Luke Mockridge, Finn Canonica, Till Schweiger, Kevin Spacey. Die Liste liesse sich beliebig verlängern. Nach Corona erreichte hier die Sittenverluderung der Medien einen neuen Tiefpunkt.

 

Wenn Journalisten über Journalisten schreiben …

… wird der «umstrittene Journalist» Lukas Hässig unfreundlich abgewatscht.

«Tim Wirth schreibt oft Portraits und Hintergründe. Für den «Züritipp» interviewt er zudem internationale und nationale Musikerinnen und Musiker.»

Also geradezu prädestiniert dafür, ein Porträt über den Finanzblog «Inside Paradeplatz» und seinen Herausgeber Lukas Hässig zu schreiben. Ist es das Geld wert, hinter der Bezahlschranke?

Erste Zweifel kommen schon bei der Spitzmarke auf: «Umstrittener Zürcher Journalist». Wer streitet denn um ihn; das ist ein unscharf-wolkiges Adjektiv, das insinuieren soll: zweifelhaft. Unflat bereits im ersten Wort. Es geht so weiter:

«Kontroverser Blog, 150’000 Klicks will der 60-Jährige pro Tag erreichen, der Ton ist dramatisch und gehetzt, er publiziert auch Halbgares und Verletzendes und wurde deshalb schon mehrmals eingeklagt und auch verurteilt. Er musste Entschädigungen bezahlen, Artikel oder Textstellen löschen und Gegendarstellungen publizieren. Wie oft, bleibt unklar, schwammige Trennung von Fakten und Meinungen auf «Inside Paradeplatz», auch männliche Politiker sagen, dass Hässig sie faktenfrei angegriffen habe.»

Eine hübsche Portion Häme, auch mit anonymen Quellen, dazu zitiert er Hässigs ehemaligen SoZ-Chefredaktor AndreasDuschdas») Durisch, der längst in die Beratung gewechselt hat. Oder entblödet sich nicht, ungeeignete Zeugen wie Jolanda Spiess-Hegglin oder das Mitglied ihres Beirats Martin Steiger zu zitieren, ohne dessen Interessensbindung auszuweisen.

Natürlich gibt es auch eine Portion Lob: «Seine investigativen Recherchen deckten bedeutende Skandale im Schweizer Finanzsektor auf.» Gleich abtemperiert: «Kritiker werfen dem Portal mangelnde Faktentreue sowie diskriminierende Berichterstattung vor

Dass angebliche weibliche Opfer weitgehend vor Gericht krachende Niederlagen erlitten, erwähnt er hingegen nicht.

Einen zentralen Punkt umfährt er geflissentlich: wie ist es möglich, dass Hässig als One-man-Show den Vincenz– Skandal aufdeckte, die Millionenentschädigung für den Ex-Novartis-Chef Daniel Vasella, um nur zwei Beispiele zu nennen?

Das hat zwei Gründe. Erstens schnarcht die Wirtschaftsredaktion von Tamedia vor sich hin, trotz des unermüdlichen Arthur Rutishauser. Zweitens wendet man sich zuerst an Hässig, wenn man Interna zu enthüllen hat. Weil man weiss, dass der Mann sich traut, die auch rauszuhauen. Obwohl er damit immer wieder existenzgefährdende Rechtshändel riskiert.

So wie beim Anlass des Artikels. Der rachsüchtige Kompagnon von Pierin Vincenz hat als Privatkläger die Staatsanwaltschaft mehrfach dazu gezwungen, eine absurde Ermittlung wegen einer angeblichen Verletzung des Bankgeheimnis wieder aufzunehmen. Das führte zu einer Razzia bei Hässig. Ein Schlag ins Wasser, denn sein Antrag auf Versiegelung des abtransportierten Materials hatte Erfolg.Auf den Kosten, wie auch in seinem epischen Streit mit der UBS, bleibt er jeweils sitzen. Wie sagt Hässig so richtig:

«Wenn ich eingeklagt werde, kann ich anfangen, 1000er-Noten rauszuschmeissen

Dass er allerdings in Überdehnung des Rechts auf freie Meinung seine Kommentarschreiber an der ganz langen Leine hält, was ihm schon schmerzliche Verluste bescherte, das sollte er besser in den Griff kriegen.

Ein Porträt ist immer seine subjektive Sache. Ein guter Porträtschreiber versucht, für den Leser ein möglichst realitätsnahes Bild des Porträtierten zu schreiben.

Da er Herr der Beispiele zur Charakterisierung und der ausgewählten Zitate ist, kann er dem Bild einen Spin geben, eine Färbung. Wenn er ein schlechter Porträtschreiber wie Tim Wirth ist. Ein Lohnschreiber, der nie im Leben auf die Idee käme, ein kritisches Porträt über seinen Big Boss Pietro Supino oder über den geldgierigen Coninx-Clan zu schreiben.

Und seitdem der bei ZACKBUM auf der Shitlist stehende besinnungslose Gesinnungsschreiber Philipp Loser mit einer unsäglichen Rempelei gegen den Konkurrenten Hanspeter LebrumentDer Alte auf dem Berg») baden ging, er sich dafür entschuldigen musste und der Artikel gelöscht wurde, traut man sich auch nicht mehr an die Konkurrenz heran.

Ausser, sie heisst Hässig. Was bleibt da als Framing? Wilder Typ, frauenfeindlich, haut oft Halbgares und News aus der Gerüchteküche raus, hat’s nicht so mit den Fakten. Obwohl er da und dort einen Primeur landet.

Man könnte genauso unfundiert eine Lobeshymne auf Hässig anstimmen. Journalismus als Jahrmarkt der Beliebigkeit. Wie man ein gutes Porträt schreibt, das lernt man heute offenbar weder am MAZ noch bei einem «Kompaktkurs der Henri-Nannen-Schule». Die immerhin noch so heisst, während der Henri-Nannen-Preis (den auch der «Spiegel»-Fälscher Relotius gewann), inzwischen in «Stern»-Preis umbenannt wurde.

Aber das wäre eine andere Geschichte.

Packungsbeilage: ZACKBUM-Redaktor René Zeyer publiziert regelmässig auf IP.

Neuer Kummer-Fall?

Clint Eastwood schiesst scharf: Interview sei «komplett erfunden».

Die Ansichten und Einsichten der Berühmten sind begehrte Handelsware. Mit solchen Interviews ging schon Tom Kummer hausieren. Bis sich herausstellte: hatten nie stattgefunden, waren aber gut erfunden.

Das Absurde am Fall Kummer ist, dass es bis heute Redaktionen gibt, die Stücke von ihm nehmen. Obwohl schwer zu entscheiden ist, ob es sich um Dichtung oder Wahrheit handelt.

Dann gab es den Fall Relotius, der mit seinen erfundenen, aber genau der Gesinnungslage der Redaktion entsprechenden Reportagen den «Spiegel» schwer ins Wanken brachte.

Nun gibt es die österreichische Journalistin Elisabeth Sereda. Sie ist in Hollywood zuhause und gut vernetzt. Daher interviewt sie Personen wie Jude Law, Cate Blanchett oder Pamela Anderson. Die normalweise nicht für ihre Auskunftslaune bekannt sind.

Anlässlich seines 95. Geburtstag erschien im Wiener «Kurier» ein Interview mit dem ansonsten wie in seinen frühen Filmen äusserst schweigsamen Clint Eastwood.

Der zog aber blitzschnell seinen Colt und feuerte zurück:

«Ich will ein paar Dinge richtigstellen: Ich kann bestätigen, dass ich 95 Jahre alt geworden bin. Ich kann auch bestätigen, dass ich weder dem österreichischen ›Kurier‹ noch irgendjemandem sonst in den vergangenen Wochen ein Interview gegeben habe und dass das Interview komplett gefälscht ist.»

Hoppla.

Nun geht alles seinen gewohnten Gang. Der «Kurier» untersucht, die Autorin geht auf Tauchstation und alle Beteiligten hoffen, dass andere Themen wie Trump, Ukraine oder der Gazastreifen wichtiger sind und daher die flüchtige Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit hier bald nachlässt.

Es scheint allerdings ein paar Indizien zu geben, dass das Interview schon letztes Jahr stattgefunden haben könnte und von der Autorin bis zum 95. Wiegenfest Eastwoods zurückgehalten wurde. Und der ehemalige Revolverheld, der in seiner zweiten Karriere grossartige Filme drehte, es schlichtweg vergessen hat.

Allerdings beweisen diese Fälle, und es gibt noch einige mehr, dass die Überprüfung der Authentizität schwer nachgelassen hat.

Insbesondere im Fall Relotius war es für den «Spiegel» äusserst peinlich, dass sein Faktencheckerteam nicht mal offensichtlich falsche geographische oder Distanzangaben überprüfte. Die Macht der Gesinnungsblase. Relotius lieferte genau das ab, was der Meinung der Redaktionsleitung entsprach. Plus Scoops, nach denen sich alle die Finger abschleckten und sich fragten, wie der denn das immer wieder schafft, woran andere gescheitert sind.

Sein angeblicher Besuch bei einer US-Bürgerwehr, die an der Grenze zu Mexico auf die Pirsch nach illegalen Einwanderern geht, war dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Bei Kummer war es so, dass er wahre Dichtungen feilbot, in denen die interviewten Schauspieler und Berühmtheiten bedenkenswerte und überraschende Sachen sagten. Das über längere Zeit hinweg keine Redaktion auf die Idee kam, mal nachzufragen, ob das Interview tatsächlich stattgefunden hatte, kostet dann der Leitung des Magazins der «Süddeutschen Zeitung» den Kopf.

Völlig irr wird es dadurch, dass die «Weltwoche» dem Dichter der Wahrheit immer wieder Gelegenheit bot, seine Grenzgänge dem Leser zu servieren. Wenn etwas als Reportage daherkommt, der Leser aber nicht sicher sein kann, ob bei dem Autor hier nur real Erlebtes und Gesehenes vorkommt, löst sich Journalismus auf.

Im neusten Fall handelt es sich auch um eine seit einigen Jahren tätige Autorin, die bislang noch nie unangenehm aufgefallen wäre. Welche Redaktion würde nicht zugreifen, wenn ihr ein Exklusivinterview mit dem grossen Schweiger zu dessen 95. Geburtstag angeboten wird. Wieso er allerdings, ohne Schwarzenegger zu heissen, ausgerechnet dem Wiener «Kurier» oder der Autorin Sereda ein Interview gegeben haben soll – und sonst niemandem –, das müsste eigentlich zu Nachfragen führen.

Was nicht sonderlich schwierig ist, weil heutzutage jeder Star sehr darauf achtet, wie er öffentlich wahrgenommen wird. Eastwood soll in den Interview gesagt haben, dass er ab einem gewissen Zeitpunkt immer älter als seine Partnerinnen gewesen sei.

Es ist eher merkwürdig, dass er sich in ein solches Licht setzen möchte.

Und eine Anfrage bei seinem Presseagenten hätte eigentlich genügt, um die Authentizität zu überprüfen. Aber es hätte sich um ein Ferngespräch gehandelt …

Inzwischen hat die Autorin eingeräumt, dass es sich angeblich um den Zusammenschrieb verschiedener Interviews mit Eastwood gehandelt habe. Und der «Kurier» hat die Zusammenarbeit mit ihr beendet.

 

Musk, der neue Monsterman

Erratisch, jünger, reicher. Der neue Medienzombie an der Seite Trumps.

Wenn George Soros sich mit Think Tanks, Multimillionen und Propagandaplattformen in innere Angelegenheiten osteuropäischer Staaten einmischt, dann tut er das im Namen von Freiheit und Demokratie. Also ist das lobens- und bewundernswert; Massnahmen dagegen sind ein typischer Fall von Zensur und Repression autokratischer Regimes.

Wenn Elon Musk auf seiner Plattform X ein paar Sprüche gegen deutsche Politiker raushaut, dann ist im wahrsten Sinne des Wortes der Teufel los. «Pöbel-Attacke», japst die Presse über den neuen Gottseibeiuns, der glücklose deutsche Gesundheitsminister Lauterbach behauptet, Musk mache «Profit mit Hass und Hetze». Der noch glücklosere deutsche Kinderbuchautor und Wirtschaftsminister Habeck (bitte nicht einklagen) keift sogar, das sei ein «Frontalangriff auf die deutsche Demokratie», doppelt nach: «Finger weg von unserer Demokratie, Herr Musk!» Und will Muskeln gegen Musk zeigen: «Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie autoritäre Gesinnung hoffähig gemacht wird.»

Furchtbar, aber was hatte Musk denn Fürchterliches getan? Er hatte den unfähigen deutschen Bundeskanzler (der klagt wenigstens nicht so schnell) Olaf Scholz als «unfähigen Narr» betitelt und den Bundespräsidenten Steinmeier als «antidemokratischen Tyrann».

Ausserdem hatte Musk auf Einladung der «Welt» ein Essay geschrieben, in dem er die AfD lobte und ihr einen grandiosen Wahlsieg prognostizierte. Obwohl in der gleichen Ausgabe eine scharfe Entgegnung des designierten neuen Chefredaktors der «Welt» erschien, kündigte daraufhin die Chefin der Meinungsseite fristlos. Damit setzte sie sicherlich ein Zeichen für eine offene Debattenkultur.

Noch kreischiger reagierten die Medien, als Musk das deutsche Magazin «Der Spiegel» als «korrupt» beschimpfte. Das seien «Verschwörungstheorien», wurde zurückgeholzt; der «Spiegel» selbst hatte zuvor schon ausgeteilt: «Wer Deutschland regieren will, muss Elon Musk in die Schranken weisen».

Da sich das abgedriftete und schwindsüchtige Organ bei Trump nicht mehr steigern kann, arbeitet es sich nun an Musk ab:

Links ein Monster, rechts ein Monster im Zerrspiegel.

Staatstragend wurde zudem bemängelt, das seien alles unerwünschte, unverschämte, eigentlich unerlaubte «Einflussnahmen auf den deutschen Wahlkampf», wie die deutsche Regierung zu formulieren pflegte.

Eher im Kleingedruckten wurde dann wiedergegeben, wie Musk seinen Vorwurf begründete: «Interessant, dass Gates Geld an den ‹Spiegel› schickt, der dann attackierende Schlagzeilen über mich schreibt».

Was, lässt sich etwa das Sturmgeschütz der Demokratie von einem anderen Multimilliardär finanziell aushalten? Eine bösartige Unterstellung, eine typische Verschwörungstheorie dieser Fake-News-rechten Spinner. Oder auch nicht. Über mehrere Jahre hinweg zahlte die Stiftung von Gates rund 6 Millionen Dollar an den «Spiegel».

Natürlich ging und geht der allen seinen journalistischen «Projekten ohne jeden Einfluss der Stiftung» nach, wie das Magazin schon vor Jahren bei der Offenlegung dieser Spenden schrieb. Dabei handle es sich feinsinnig auch nicht um Spenden, sondern um eine «Unterstützung», da das Magazin mit einem Umsatz von immerhin einer Viertelmilliarde sonst nicht in der Lage wäre, ihm am Herzen liegende Reportagen zu unternehmen.

Zu dementieren, dass durch ein paar Millionen auf den Inhalt direkt Einfluss genommen werden wolle oder könne, das ist nun das übliche Buebetrickli aller Medienorgane. Nur Blödis vermuten oder meinen, dass solche Sachen so laufen, dass Gates den Chefredaktor des «Spiegel» anruft und sagt, ich hätte dann mal gerne eine positive Story über meine Stiftung und eine Hinrichtung von Musk.

Dass ein paar Millionen keinen Einfluss kaufen, ist allerdings auch eine Meinung von Blödis. So wie Reisereportagen, eine Auswahl von Kosmetika, ein Fahrbericht über ein neues Auto selbstverständlich in aller Objektivität geschrieben werden (Scherz lass nach), gibt es unzählige Beweise dafür, wie Einfluss in den Medien gekauft wird, ein gewisser Spin hergestellt wird, Journalisten bearbeitet werden, zu «Informationsreisen» und «Hintergrundgesprächen» an verführerisch schöne Orte mit luxuriösen Hotels eingeladen werden. Manchmal reicht auch schon ein alkoholgetränktes Abendessen, notfalls mit Escort-Service als Zugabe.

Und Hand aufs Herz; obwohl die Information öffentlich erhältlich ist, wie viele ZACKBUM-Leser wussten bislang, dass Bill Gates ein paar Millionen in den «Spiegel» gesteckt hat?

Und nochmal Hand aufs Herz, wer hat dieses Buch gelesen, das weder von einem Spinner, noch von einem Verschwörungstheoretiker geschrieben wurde?

Ist das die einzige Spende, Pardon, Unterstützung für den «Spiegel»? Vielleicht müsste da mal Claas Relotius eine gnadenlose Recherche durchführen. Oder, noch besser, das könnte ein Fall für «correctiv» sein. Oder eher nicht, die werden ja selbst bis über die Ohren «unterstützt». Oder vielleicht sollte das «Organized Crime and Corruption Reporting Project» (OCCRP) nach dem Rechten schauen. Oh, das hiesse ja auch, den Bock zum Gärtner zu machen. Aus dieser Quelle bediente sich übrigens (neben SoZ, SZ und vielen anderen) auch der «Spiegel».

Das neue Jahr fängt so an, wie das alte aufgehört hat: mit journalistischem Trauerspiel auf allen Medienbühnen. Mit verschnupften Politikern, die sonst allen Ländern der Welt gerne und ungefragt Ratschläge geben, was die zu tun und zu lassen hätten (aktuell gerade mal wieder die deutsche Aussenministerin Baerbock in Syrien, die einen langen Katalog von Forderungen verliest, deren Erfüllung die Voraussetzung für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit seien).

Aber das ist etwas ganz, ganz anderes.

Bleibt noch die Frage, wieso sich Musk gerade jetzt so intensiv um Deutschland kümmert. Beantwortet auch kein japsendes Medium, dabei ist die Frage so interessant wie berechtigt.

Die einfache Antwort: in Deutschland laufen Musks Geschäfte gerade nicht so super, eher mies, eher sehr mies.

Das wird auch so bleiben, denn aktuell räumt China seinen Vorsprung mit Tesla ab und übernimmt die Marktführerschaft. Und das ist für einen Egomanen mit autistischen Tendenzen (eingestanden) unerträglich.

Also dürfen wir uns wahrlich auf ein spannendes Jahr mit dem Dreamteam Trump-Musk freuen. Jeder, der meint, die beiden würden nun endlich mal durchgreifen und aufräumen, wird sich noch schwer wundern, was für eine Amokfahrt das werden wird.

Wie es in Deutschland ludert

Relotius ist nur eine Ausprägung des linken Schreibens in die Bedeutungslosigkeit und Unglaubwürdigkeit.

Zwischen «#metoo»-Erregungswellen und angebliche Enthüllungen über rechtsradikale Schweinereien gibt es nur graduelle Unterschiede – und grosse Ähnlichkeiten.

Ähnlich ist vor allem, dass am Anfang ein Riesengeschrei steht. Kevin Spacey, Rammstein, Copperfield, furchtbar. Irgend einer «enthüllt» den Skandal, die Meute hechelt los und bauscht weiter auf. Bis ein völlig Entgleister sogar forderte – mit Hinweis auf die Unschuldsvermutung –, dass die Konzerte von Rammstein in der Schweiz präventiv abgesagt werden sollten.

Phase zwei ist dann jeweils verkniffenes Schweigen, wenn sich die Anschuldigungen in Luft auflösen – und Organe mit rechtlichen Schritten dazu gezwungen werden müssen, Falschbehauptungen richtigzustellen.

Sehr ähnlich verhält es sich mit dem «Geheimplan gegen Deutschland» der Plattform «Correctiv» oder dem Versuch der «Süddeutschen Zeitung», im Wahlkampf dem Chef der Freien Wähler in Bayern zu diskreditieren. Beides startete bombastisch – und verröchelte winselnd.

Dabei wäre es so schön gewesen. Finstere Rechtsradikale aus AfD und CDU treffen sich insgeheim in der Nähe von Potsdam, um ungeniert «Deportationspläne» von Migranten, sogar solchen mit deutschem Pass, zu besprechen und voranzutreiben. Knallharten Recherchierjournalisten sei es dabei gelungen, an diesem «Geheimtreffen» teilzunehmen, das gar nicht so geheim war.

Inzwischen musste «Correctiv» gezwungenermassen einige Behauptungen korrigieren und zurücknehmen. Sehr dünnhäutig werden sie, wenn ihnen in der medienkritischen Plattform «Übermedien» (sozusagen das deutsche ZACKBUM) vorgeworfen wird, sie hätten nach dem «Prinzip Nichtbeleg und Grossdeutung» angeschwärzt. Die seien «von Neid zerfressen», japste der Geschäftsführer von «Correctiv» zurück. Auch die «Tagesschau» musste in zweiter Instanz dazu gezwungen werden, eine haltlose Behauptung zu löschen. Das Gericht schrieb ihr (und  dem «Spiegel» und vielen anderen Medien) ins Stammbuch: «Prozessual ist von der Unwahrheit der Behauptung der Antragsgegnerin, es sei bei dem Treffen in Potsdam die Ausweisung deutscher Staatsangehöriger diskutiert worden, auszugehen.»

Eine Riesenklatsche. Damit endet vorläufig eine «Enthüllung», die ungeheuerliche Wirkung hatte; Hunderttausende gingen auf die Strasse, um «gegen rechts» zu demonstrieren; Politiker überschlugen sich dabei, diese furchtbaren Pläne zu verurteilen.

Wie demagogisch abgefeimt, suggestiv und ungenau der Text von «Correctiv» ist, dafür nur ein Beispiel: «Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel (wo das für alle per Anmeldung zugängliche Treffen stattfand, Red.) steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.» Diese üble Assoziation wurde im «Spiegel» nicht etwa kritisiert, sondern als «nicht nur legitim, sondern geboten» gelobt.

Der Treppenwitz dabei ist, dass zum Thema Remigration nur gesagt wurde, was die AfD schon lange öffentlich vertritt: nicht-assimilierte Staatsbürger sollten durch «Anpassungsdruck» zur Rückwanderung gedrängt werden. Während die SPD – natürlich unkritisiert – fordert, Antisemiten auch nachträglich den deutschen Pass wegzunehmen.

Im Fall des bayerischen Politikers Aiwanger wurde ihm von der SZ unterstellt, er habe vor vielen Jahren als Jugendlicher ein abstossendes Flugblatt verfasst, das sich über den Holocaust amüsierte. Als sich herausstellte, dass seine Urheberschaft – von ihm bestritten – in keiner Form belegbar war, entblödete sich der Chefredaktor der SZ (das war noch vor der Plagiatsaffäre) nicht, sich mit diesem Satz von allen journalistischen Prinzipien zu verabschieden: «Auf die Urheberschaft kommt es nicht mehr an, der Rest ist schon schrecklich genug.» Damit meinte er aber nicht das Vorgehen seiner Zeitung.

Seither herrscht verkniffenes Schweigen, alleine die NZZ getraut sich, Klartext zu schreiben: «Die Redaktion musste den Text «Geheimplan gegen Deutschland» korrigieren – viele deutsche Medien scheuen bis heute die Aufarbeitung.» Autorin Beatrice Achterberg führt noch ein weiteres Beispiel der abgrundtiefen Heuchelei der «Correctiv»-Macher an. Einerseits empören die sich über angebliche Deportationspläne der Rechten. Andererseits schreibt einer ihrer Reporter und Mitautor des «Geheimplan»-Schmierenstücks angesichts des starken Zuspruchs für AfD, BSW und Linke in Ostdeutschland, dass es doch nicht angehe, dass «eine Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger, die nur 1/6 der Gesamtbevölkerung stellen, mit der Westbindung das Erfolgsmodell der Bundesrepublik zerstören.»

Sein Lösungsvorschlag: man müsse über eine «Trennung» der neuen Bundesländer, der Ex-DDR, von der BRD nachdenken. Also sozusagen die Zwangsausbürgerung von Millionen von Deutschen.

All das ist dermassen hanebüchen und wirft ein grelles Licht darauf, was ZACKBUM schon lange sagt. Nicht die Arglist der Zeiten oder die Umstände haben die Medien in die Krise geführt. Ein wenig auch, aber in erster Linie ist es dieses Versagen, diese Einäugigkeit, diese Unfähigkeit zur Selbstkritik, diese voreingenommene und angeblich belehrende Schmiere, die Leser und zahlende Konsumenten in Scharen davontreibt.

Denn wer will denn – unabhängig von seiner eigenen politischen Überzeugung – Geld für solch journalistisches Desaster, für Offenbarungseide am Laufmeter, für mit ideologischer Brille geschriebene Propagandamachwerke ausgeben.

Wieso der «Spiegel» abserbelt

Zerrspiegel, Hohlspiegel, Rückspiegel.

Claas Relotius, der Storyfälscher, war eigentlich nur die Spitze des Eisbergs. Denn er kam jahrelang mit seinen erfundenen Storys durch, weil er genau das Narrativ, das Framing, die Gesinnungswolke des «Spiegel» bediente.

Der andere Sündenfall des «Spiegel» war und ist Donald Trump. Statt sich Gedanken darüber zu machen, wieso all die wohlbezahlten USA-Spezialisten dessen Wahlsieg gegen Hilary Clinton nicht vorhersahen, erklärte der «Spiegel» zu seiner vornehmsten Aufgabe (im Ernst), den Präsidenten «wegschreiben» zu müssen.

Darin sind zwei weitere Gründe für den Niedergang enthalten. Arroganz, Überschätzung der eigenen Bedeutung und mangelnder Realitätskontakt. Es gibt viele Gründe, Trump für einen gefährliche Amok zu halten. Aber von einem «Nachrichtenmagazin» darf man erwarten, dass es zu erklären versucht, wieso die Hälfte der US-Stimmberechtigten diesen Mann wählen. Sie alle für Idioten, Hinterwäldler und Wahnsinnige zu erklären, das greift dann doch etwas zu kurz.

Was in den USA Trump ist, ist in Deutschland die AfD. Auch hier gibt es genügend Gründe, sie wegen einiger angebräunter Exponenten für unwählbar zu halten. Aber wieso die Partei – trotz aller Häutungen und einem beachtlichen Verschleiss an Führungspersonal – in Umfragen sogar Mehrheiten erreicht, das bedürfte der Erklärung. Alle AfD-Wähler als Gescheiterte, Fremdenhasser, Neonazis oder Prekariatsmitglieder zu verhöhnen, das kann’s ja auch nicht sein.

Die Quittung: Umsatzrückgang (2023 waren es 8 Prozent weniger als 2022), Print minus 25 Prozent Einnahmen durch Werbung, digital minus 18 Prozent. Der Jahresüberschuss brach gar um 43,5 Prozent ein, von 42,8 Millionen auf 24,2, beinahe eine Halbierung.

Einerseits verunsichert das, was sich durch die häufigen Wechsel in der Chefredaktion ausdrückt. Erst vor einem Jahr wurde Steffen Klusmann gefeuert und durch Dirk Kurbjuweit ersetzt. Der wohl fähigste Schreiber Ullrich Fichtner, der schon als neuer Chefredaktor gesetzt war, stolperte über den Relotius-Skandal. Den er dann aber in einer geradezu genialischen Titelgeschichte schönschrieb, in einer Art, wie sie kein zweiter deutscher Journalist hinkriegen würde.

Verkaufte der «Spiegel» von 1995 bis 2009 regelmässig über 1 Million Exemplare, sank die Zahl 2010 das erste Mal unter die Millionengrenze. 2023 waren es dann noch 695’000 Stück, ein weiterer Rückgang von 30’000 im Vergleich zum Vorjahr. Im Vergleich zu 1995 hat er damit mehr als ein Drittel der Auflage verloren.

Digital hat er sich allerdings auf 295’000 Abos gesteigert, was aber den deutlichen Rückgang der Gesamtauflage nicht stoppen kann. Woran liegt das?

Sicherlich, allgemeines Gejammer der Newsmedien. Zu viel Gratis-Konkurrenz, rückläufige Werbeeinnahmen, Konkurrenz durch Verkaufsplattformen, und überhaupt.

Aber auch beim «Spiegel» (wie bei vielen anderen Medien, bspw. «Blick») ist vieles hausgemacht. Wer werthaltige Berichterstattung durch mehr oder minder gut geschriebene Rechthaberei ersetzt, wer die Farbe aus der Wirklichkeit nimmt und mit Schwarzweiss simplifiziert, wer nicht mehr informiert, sondern vorhersehbar kommentiert, der verliert halt Leser.

Das setzt einen Teufelskreis in Bewegung. Umso mehr die Bedeutung des Organs (und seiner Schreiber) schwindet, desto verkniffener wird krakeelt. Desto mehr greift Rechthaberei, das Erteilen guter Ratschläge und das Aufstellen von Forderungen um sich.

Der Leser fragt sich dann zunehmend, wieso er für diese kaum verkleidete Bauchnabelschau leidender Schreibkräfte etwas bezahlen soll. Und lässt es dann auch. Sind das die allgemeinen Zeitläufte? Nein, nicht wirklich, denn in der gleichen Zeitspanne hat «Die Zeit» auflagemässig fast zum «Spiegel» aufgeschlossen. Auch wenn das Blatt selbst nicht frei von ideologischer Rechthaberei ist, pflegt es dennoch einen umaufgeregteren und viel offeneren Ton als der «Spiegel», lässt auch ein breiteres Meinungsspektrum zu.

Das «Sturmgeschütz der Demokratie», wie es der Gründer Rudolf Augstein mal in leichter Selbstüberschätzung nannte, hat zunehmend Ladehemmung und produziert auch den einen oder anderen Rohrkrepierer. Mit welcher Verve sich das Magazin beispielsweise in die Debatte um Anschuldigungen gegen Prominente warf, da hat Augstein sicherlich im Grab rotiert. Eine Titelgeschichte über den Sänger von Rammstein mitsamt anonymen Aussagen von Denunziantinnen? Einer verbitterten Redaktorin des Zürcher «Magazin» eine Plattform bieten, um üble Anschuldigungen gegen ihren ehemaligen Chefredaktor zu erheben – ohne zu erwähnen, dass die Autorin dessen Posten wollte, nicht bekam und stattdessen gefeuert wurde –, das sind nach Relotius weitere Tiefpunkte.

Schade eigentlich, aber auch für den «Spiegel» gilt: was zerbrochen ist, muss weg.

Journalismus schafft sich ab

Das kann kein Geschäftsmodell mehr sein.

Journalisten opinieren, räsonieren, analysieren, schätzen ein, meinen, fordern, wissen es besser. Das ist zwar manchmal mühsam, aber erlaubt.

Journalisten spielen sich als als Genderpäpstinnen wie Andreas Tobler, als Konzernbüttel wie Philipp Loser, als Kriegsgurgeln wie Georg Häsler, als Panikkreischen wie Marc Brupbacher oder als Stimme der Gutmenschen wie Reza Rafi auf. Das ist manchmal unerträglich, aber Ausschuss wird überall produziert.

Journalisten kreieren Narrative und Framings. Sie bestehen darauf, dass Donald Trumps Konkurrenten durchaus noch intakte Chancen hätten, genügend Delegiertenstimmen zu sammeln, um Kandidat der Republikaner in den Präsidentschaftswahlen zu werden. Damit wiederholen sie ihre Fehler bei den vorletzten Wahlen: am Schluss erklären zu müssen, wieso sie krachend danebenlagen. Journalisten sind nicht sehr lernfähig. Das ist extrem dumm. Dummheit existiert überall und ist bekanntlich lernbar.

Aber es gibt einen heiligen Gral im Journalismus, an dem man sich nur dann vergreift, wenn man sich abschaffen will. Es handelt sich um ein Einverständnis zwischen Journalist und Leser, das nicht mutwillig oder fahrlässig missbraucht werden darf.

Die einstmals auflagemässig grösste Zeitung der Welt hat dieses Prinzip sogar zu ihrem Titel gemacht. «Prawda», Wahrheit. Sie hatte versprochen, ihren Lesern nur die Wahrheit zu erzählen. Lenin und Trotzki kamen unabhängig voneinander auf die Idee, eine solche Zeitung zu publizieren. Ihr Herausgeber war der spätere langjährige Aussenminister der Sowjetunion Molotow. Er agierte im Hintergrund, offiziell gab es rund 40 Herausgeber, die von der zaristischen Zensur regelmässig verhaftet und zu drei Monaten Gefängnis verurteilt wurden. Sie waren sogenannte Sitzredakteure, dazu bereit, für anderen Strafen abzusitzen, die sie sich mit dem Verbreiten der Wahrheit einhandelten.

In ihren besten Zeiten hatte sie eine Auflage von über 10 Millionen Exemplaren. Allerdings verbreitete sie immer weniger die Wahrheit, immer mehr Lügen. Damit entkernte sie sich.

Nun kann man zu Recht fragen, was denn eigentlich die Wahrheit ist und wer zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden darf und die Autorität dafür hat. Niemand und jeder. Niemand ist im Besitz einer objektiven, einzig wahrhaftigen Wahrheit. Jeder glaubt an seine Wahrheiten, viele wollen wissen, dass sie die Wahrheit kennen.

Also ist alles relativ, alles erlaubt? Nein, eben nicht.

Denn es gibt eine unausgesprochene Vereinbarung zwischen Berichterstatter und Konsument. Der Konsument bezahlt normalerweise dafür (sei es entweder mit Geld oder seiner Aufmerksamkeit oder seinen Daten), dass er sich darauf verlassen kann, dass ihm in Berichten über Gegenden oder Ereignisse, die er nicht kennt, kein Bären aufgebunden wird.

Wird diese Geschäftsgrundlage aufgehoben, ist der Journalismus am Ende. Sein Tod tritt nicht sofort, aber auf Raten ein. Deshalb beschäftigten viele Redaktionen früher Mitarbeiter, die sich der sogenannten Dokumentation widmeten. Also alle Fakten und Tatsachenbehauptungen checkten, die in einem Artikel vorkamen. Sie taten das zum Schutz des Redaktors vor Irrtümern und zum Schutz des Konsumenten vor Falschinformationen.

Sie sind als eine der ersten Abteilungen den Sparmassnahmen zum Opfer gefallen. In der Schweiz existieren sie nicht mehr. Gelegentlich werden mit grossem Brimborium Journalisten beauftragt, einen sogenannten Faktencheck durchzuführen. Das ist aber nicht mehr das gleiche.

Im deutschen Sprachraum leistet sich der «Spiegel» noch die grösste Dokumentarabteilung. Darauf ist er besonders stolz und wird nicht müde, die vielen Stationen aufzuzählen, die ein Manuskript durchlaufen muss, bis es publiziert wird. Der Grossfälscher Class Relotius sprengte diese Reputation in die Luft. Ihm gelang es jahrelang unentdeckt, frei erfundene Reportagen zu publizieren, bei denen sogar nachprüfbare Angaben wie Distanzen oder örtliche Beschaffenheiten erschwindelt waren, um dem Spin der Story zu dienen. Nicht einmal das fiel den Faktencheckern des «Spiegel» auf.

Sie waren, mitsamt allen anderen Kontrollinstanzen, voreingenommen. Sie hatten das Interesse verloren, zu schreiben, was ist. Sie wollten beschreiben, wie es sein sollte. Wie es ihrer Meinung nach zu sein hatte. Sie machten den alten erkenntnistheoretischen Zirkelschluss: wenn ich mit einer vorgefassten Meinung an die Wirklichkeit herangehe, finde ich in der Wirklichkeit das, was ich zuvor hineingetragen habe. Oder noch schlimmer: wenn ich es nicht finde, erfinde ich es.

Das ist keine lässliche Sünde, sondern eine Todsünde. Dafür gibt es leider im Schweizer Journalismus immer mehr kleine und grosse Beispiele. Eine Aufzählung wäre endlos, aber es sind zwei Tendenzen zu erkennen. Am häufigsten betroffen davon ist Tamedia. Dort hat eine wahrhaftige Verluderung der Sitten stattgefunden.

Die Leser belehren und mit absurdem Genderwahn quälen zu wollen, das ist verkaufsschädigend, aber noch nicht tödlich. Den Lesern keine Reportagen, sondern die Wiedergabe vorgefasster Meinungen zu servieren, das ist dumm, aber noch nicht tödlich.

Sich immer wieder dabei ertappen zu lassen, dass die vorgefassten Meinungen so stark sind, dass die Wirklichkeit, wenn sie nicht passt, passend gemacht wird, das ist tödlich. Wenn ein Präsident eine Meinung vertritt, die dem Berichterstatter nicht passt, dann ist es dennoch seine Pflicht, sie dem Leser wiederzugeben. Denn dafür bezahlt er, weil er selbst weder am WEF anwesend ist, noch Zeit oder Lust hat, die ganze Rede im Wortlaut anzuhören.

Wenn aber schon im ersten und auch im letzten Satz des Berichts die Wirklichkeit, höflich ausgedrückt, umgebogen wird, dann fühlt sich der Leser zu recht verarscht, wenn er das entdeckt. Und glücklicherweise gibt es in der Schweiz noch so etwas wie eine Pressefreiheit, wo solche Verbiegungen aufgedeckt und denunziert werden können. Das unterscheidet die Schweiz von Russland und der Ukraine.

Berichterstattung, wenn sie etwas wert ist, sollte dazu dienen, dem Käufer und Konsumenten dabei zu helfen, die grosse, weite Welt und auch seine nähere Umgebung besser zu verstehen. Oder zu begreifen, dass vieles, was sich abspielt, komplex, widersprüchlich, unübersichtlich, nicht fassbar ist. Die beiden aktuellen Beispiele dafür sind der Ukrainekrieg oder der Krieg im Gazastreifen. Noch nie verfügten wir über dermassen viele Informationsquellen, noch nie waren wir so ungenügend informiert.

Daraus entstehen Verschwörungstheorien, das sei Absicht, Manipulation, Bevormundung, von finsteren Mächten orchestriert, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinn zu beeinflussen. Aber die Wahrheit ist hier viel banaler. Natürlich gibt es Heerscharen von Spin Doctors, die sich diesen Versuchen widmen. Natürlich wird Selenskyj – im Gegensatz zu Putin – hochkarätig und sorgfältig beraten, wie er öffentlich aufzutreten hat. Vom gedrechselten Inhalt seiner Reden bis zu seiner Kleidung, seinem Gesichtsausdruck.

Aber das wäre durchschaubar, wenn man sich die Mühe machte. Wenn sich der 100. Todestag eines Welterschütterers wie Lenin jährt, um das zweite aktuelle Beispiel zu nehmen, dann wäre eine Würdigung, eine Auseinandersetzung auf Niveau mit seinen Taten geboten, vor allem in einem Intelligenz-Blatt wie der NZZ. Wenn stattdessen übelwollend die Krankheitsgeschichte seiner letzten Jahre ausgebreitet wird, ist das zwar kein Verstoss gegen das Wahrheitsgebot, aber so jämmerlich, dass der Leser sich auch fragt, wieso er dafür einen Haufen Geld zahlt.

Fazit: Journalismus, der die Übereinkunft mit seinen Konsumenten einseitig aufkündigt, schafft sich damit ab. Das ist nicht den Umständen geschuldet. Sondern selbstverschuldet. In der Schweiz steht Tamedia am nächsten vor diesem Abgrund, gefolgt vom «Blick».

Ist der «Spiegel» die neue «Bunte»?

Als die «Bunte» People-Magazin wurde, war das noch originell.

Ein merkwürdiger Name muss nicht bedeuten, dass das Blatt erfolglos sei. Die «Bunte Illustrierte» (aus Zeiten, als bunt Gedrucktes noch wow war) ist nach wie vor eines der erfolgreichsten Magazine Deutschlands. Trotz Auflagenrückgang um über 50 Prozent seit 1998 verkauft die «Bunte» immer noch über 320’000 Exemplare.

Ihre Stärke ist Klatsch und Tratsch, aber auf durchaus höherem Niveau. Mit «Bunte» und «Focus», an dessen Erfolg zunächst niemand glaubte, ist dem Burda-Verlag ein erfolgreiches Duo gelungen, das jahrelang vom Ehepaar Markwort/Riekel geführt wurde.

Eine echte Konkurrenz für «Stern» und «Spiegel», die beiden Bertelsmann-Blätter. Der «Stern» verkauft noch 314’000 Exemplare, ein Minus von 71,4 Prozent seit 1998. Der «Spiegel» hält sich vergleichsweise gut mit etwas über 700’000 verkauften Exemplaren, ein Rückgang von lediglich 33,5 Prozent seit 1998.

Während aber «Bunte» und «Focus» von den ganz grossen Skandalen verschont blieben, machte sich der «Stern» mit den «Hitler-Tagebüchern» im Jahr 1983 unsterblich lächerlich. Hinter dem Rücken der Redaktion war die Chefetage auf eher billige Fälschungen eines Konrad Kujau reingefallen. So hatte der bei einem Tagebuch gerade kein A in Frakturschrift zur Hand und ersetzte es kurzerhand durch ein F.

Wer den Schaden hat, brauchte für den Spott nicht zu sorgen, zum Beispiel für die Frage, ob das nicht die Tagebücher von Fritzli Hitler seien.

Der «Spiegel» hat sich bis heute nicht vom Fall Relotius erholt. Der mit Preisen überschüttete Star-Schreiber, dem ein Scoop nach dem anderen gelungen sein sollte, der Reportagen möglich machte, an denen andere scheiterten, musste schliesslich einräumen, dass er das Meiste erfunden, gefälscht, geflunkert, geschönt hatte. Weil er aber das Narrativ der Redaktion bediente, die sich immer mehr darauf verlegte, Thesen-Journalismus zu betreiben, die sogar im Grössenwahn ernsthaft ankündigte, Donald Trump »wegschreiben» zu wollen, kam er lange Zeit damit durch.

Edelfeder Ullrich Fichtner musste seine ganze Schreibkraft aufwenden, um diesen Skandal schönzuschreiben, der ihn die schon auf sicher geglaubte Stelle des Chefredaktors kostete. Wie an einem Mantra klammerte sich der «Spiegel» an der Aussage seines Gründers Rudolf Augstein fest, «schreiben, was ist».

Dabei ist das sowieso nicht möglich, weil Beschreiben immer eine der möglichen Perspektiven auf die Wirklichkeit eröffnet. Beim «Spiegel» wurde das immer mehr zu «schreiben, was sein soll», oder gar «herbeischreiben, wie es sein sollte». Die Wahl Trumps war für den «Spiegel» schlichtweg «Das Ende der Welt», nur notdürftig abfedert mit der Unterzeile «wie wir sie kennen». Der «Spiegel» kannte sich dann selbst nicht mehr, und seither eiert er in einer Art herum, die beelendet.

Noch schlimmer ist aber, dass sich der «Spiegel» in die Gefilde des Boulevards, des Promi-Schnickschnacks begibt. Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Serie undenkbar gewesen. Der «Spiegel» denunzierte den deutschen Comedian Luke Mockridge als mutmasslichen Vergewaltiger. Die Story basierte lediglich auf den Aussagen dessen geschiedener Frau. Der Komiker überlebte diesen Rufmord nur knapp, der «Spiegel» wurde gerichtlich gezwungen, grosse Teile seiner Behauptungen zurückzunehmen.

Es folgte eine «Enthüllung» über den «Bild»-Chef Julian Reichelt. Dem schloss sich eine Breitseite gegen Mathias Döpfner an, den Chef des Springer-Verlags. Der auf billigen Medienhype angelegte «Enthüllungsroman» des PR-Genies Benjamin Stuckrad-Barre war dem «Spiegel» eine Titelstory wert.

Dann gab das Nachrichtenmagazin seiner Ex-Mitarbeiterin Anushka Roshani ungeprüft die Möglichkeit, einen Rufmord zu begehen, ihren ehemaligen «Magazin»-Chef als üblen Mobber und sexistischen Quälgeist zu beschimpfen, sich über mangelhaften Schutz des Tamedia-Verlags zu beschweren. Die Rache einer Frau, die es selbst mit Mobbing und Denunziationen nicht geschafft hatte, ihren Chef vom Sessel zu lupfen, den sie selbst gerne erklettert hätte. Stattdessen wurde sie gefeuert, der «Spiegel» war nicht in der Lage, dieses offenkundige Motiv für eine Abrechnung zu durchschauen.

Diverse Prozesse laufen. Aktuell ist der deutsche Schauspieler Til Schweiger dran; wie immer gespeist aus anonymen Quellen wird ihm ein gröberes Alkoholproblem vorgeworfen. Und bereits wird ein Drei-Sterne-Koch auf die Rampe geschoben, der sich in seiner Küche ungebührlich benommen haben soll.

Das alles bedient das Narrativ von toxischer Männlichkeit, von Frauendiskriminierung im Nachhall der «#me too»-Bewegung, deren erste Exponentin später selbst sexueller Übergriffe beschuldigt wurde.

Nicht nur ältere «Spiegel»-Mitarbeiter sind sich einig: das wäre in früheren Zeiten, unter dem letzten beeindruckenden Chefredaktor Stefan Aust nicht möglich gewesen. Inzwischen gilt:

Wenn Würstchen an die Macht kommen, wird der Senf rationiert.

Statt beeindruckender Enthüllungen wie früher, Stichwort Neue Heimat, Stichwort Parteispenden, folgt nun eine billige Fertigmacher-Story ad personam nach der anderen. Aus Schweizer Sicht ist der Fall Roshani besonders peinlich. Denn spätestens seit dem akkurat recherchierten Buch von Roger Schawinski ist klar, was auch ZACKBUM als eines der ganz wenigen Organe schon von Anfang an kritisierte: Canonica ist hier nicht der Täter, sondern das Opfer, und die Medien machten sich allesamt zu willigen Helfershelfern einer Frau auf dem Rachetrip. Sie übernahmen ungeprüft ihre Behauptungen, schmückten sie sogar mit weiteren, erfundenen anonymen Aussagen aus, schwiegen dann verkniffen, als sich immer mehr offenkundige Widersprüchlichkeiten und gar grobe Erfindungen herausstellten.

Besonders peinlich dabei das Verhalten der «Magazin»-Redaktion, eine Versammlung von Gutmenschen, darunter der Lebensgefährte der Kampffeministin Franziska Schutzbach, die jahrelang mit höchster Sensibilität Missbrauch und alles, was gegen Gutmenschentum verstiess, aufs schärfste verurteilten. Aber in eigener Sache Zeugnis abzulegen, Zivilcourage zu beweisen, dazu Stellung zu nehmen, dass sie von Roshani als Zeugen für angeblich öffentliche Ausfälligkeiten von Canonica aufgeführt wurden – da verordneten sie sich feiges Schweigen, tiefer als die Omertà der Mafia.

Aber all das wird unterboten vom Niedergang des «Spiegel», der nicht einmal mehr schreibt, was sein soll. Sondern sogar, was gar nicht ist.

 

Spieglein an der Wand

Hat das Nachrichtenmagazin immer noch ein Kontrollproblem?

Man greift sich an den Kopf. Im August hatte der «Spiegel» seinen Lesern die erschütternde Geschichte erzählt, dass auf einer Insel im Grenzfluss zwischen Griechenland und der Türkei ein 5-jähriges syrisches Flüchtlingsmädchen an einem Skorpionstich gestorben sei. Hätten die griechischen Behörden nicht jede Hilfe verweigert, hätte es gerettet werden können.

«Todesfalle EU-Grenze», so lautet der anklagende Titel. Nur: Wie die NZZ wiederholt berichtet, gibt es erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt. Und diverse Indizien dafür. Also hat das Magazin diese und drei weitere Storys des Autors vom Netz genommen und will sie eingehend überprüfen.

Das bedeutet nicht, dass das Hamburger Magazin schon wieder mit einem Fall Relotius konfrontiert ist. Es bedeutet aber, dass der berühmte Faktencheck immer noch nicht wirklich und überall funktioniert. Sonst wären schnell Belege zur Hand gewesen, mit denen das Nachrichtenmagazin jegliche Zweifel an der Story hätte ausräumen können. Was es aber nicht kann.

So resümiert die NZZ die Folgen des Relotius-Skandals: «Nach der Enttarnung bemühte man sich bei «Spiegel» zwar, Strukturen zu schaffen, die einen notorischen Lügner wie Relotius künftig unmöglich machen sollten. Das weltanschauliche Umfeld, das ihn erst ermöglichte, blieb so aber unausgeleuchtet. Das könnte sich jetzt rächen.»