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Wumms: Reise-Molina

Das Schönste am Parlamentarierleben ist das Reisli.

Sein vorsitzender Genosse Cédric Wermuth glüht schon mal für ein unscharfes Foto mit Olaf Scholz nach Berlin – obwohl der SP-Genosse alle Kurzstreckenflüge in Europa verbieten will. Theorie und Praxis, muss man dialektisch sehen.

Einen weiten Hopser gönnt sich sein Parteikollege Fabian Molina. Denn etwas über 9600 km ist Bern von Taipeh entfernt, der taiwanesischen Hauptstadt. Will man die Distanz klimaneutraler mit dem Auto zurücklegen, braucht man für die dann 12’000 km rund 210 Stunden. Aber so viel Zeit hat ein eiliger Nationalrat natürlich nicht, also wird Molina fliegen.

Mit an Bord sind Nicolas Walder (Grüne/GE), sowie Mustafa Atici (SP/BS), Léonore Porchet (Grüne/VD) und Yves Nidegger (SVP/GE). Das gibt dann ganz schön Flugmeilen, die selbstverständlich abgegeben und nicht etwa privat verwendet werden. Oder?

Molina ist einer der vielen Co-Präsidenten der parlamentarischen Gruppe Schweiz – Taiwan. Nun ist es bekanntlich so, dass Taiwan-Besuche von China nicht gerne gesehen werden, weil der Festland-Riese den Insel-Zwerg zu seinem Staatsterritorium zählt. Heikle Situation also, genau das Richtige für den Spitzendiplomaten Molina, der auch gerne schwarzbekleidet in vermummten Demonstrantengruppen posiert, wenn er gegen den Faschismus in Zürich kämpft.

Aber sicherlich hat diese Reise einen wohlerwogenen Sinn. Molina: es handle sich um ein «Zeichen der Unterstützung für die Demokratie in Taiwan». Aha. Und wie wird sich das konkret äussern? Na, natürlich durch Treffen mit Politikern, Regierungs- und Parlamentsmitgliedern. Die werden sich über dieses Zeichen aus der fernen Schweiz sicher freuen.

Leider stehe es noch nicht fest, ob es auch für ein Treffen mit der taiwanesischen Präsidentin reiche, bedauert Molina. Dabei bräuchte auch die nichts mehr als ein Zeichen from Switzerland.

Aber immerhin, wenn’s denn wahr ist, den Flug und die Hotelkosten bezahlen alle selber. Woher der Berufspolitiker Molina nur das Geld hat; Multistop-Flüge Zürich – Taipeh sind hin und zurück kaum unter 2000 Franken zu haben. Economy, versteht sich.

Wer auch immer zahlt: rausgeschmissenes Geld ist es auf jeden Fall, und wir sind gespannt, in welcher Form die Kompensation für den unnötigen CO2-Ausstoss erfolgen wird.

 

Zwei starke Stücke

Einsame Lichtlein im Meer der Mediokrität.

«Die Schweizer Renten-Debatte ist verlogen.» NZZ-Redaktor Hansueli Schöchli wagt offen auszusprechen, was in der Debatte über das Rentenalter von allen Politikern tunlichst vermieden wird.

Denn hier gibt es ein fundamentales demokratisches Problem. Ü-64 sind ein bedeutendes Wählersegment. Wer gewählt werden will, sagt dieser Zielgruppe sicher nicht, dass sie den Gürtel enger schnallen muss. Länger arbeiten. Weniger AHV beziehen. Von der Pensionskasse ganz zu schweigen.

Alleine die Erhöhung des Rentenalters für Frauen um ein einziges Jahr löst grosses Gebrüll und erbitterten Widerstand aus. Dagegen ruft Schöchli die banalen Tatsachen ins Bewusstsein:

«Bei der Einführung der AHV 1948 lebten 65-Jährige im Mittel noch knapp 14 Jahre lang. Heute sind es über 23 Jahre. Doch noch immer liegt das Rentenalter bei den Männern gleich hoch wie 1948, und bei den Frauen ist es sogar ein Jahr tiefer.»

Bitteres Fazit: «Die Rentenalter-Debatte ist geprägt von Verlogenheit.» Denn die Gegner argumentieren damit, dass längere Arbeitszeiten zur Folge hätten, dass Alte den Jungen Stellen wegnehmen. Was aber – nachgewiesen in Studien – nicht der Fall ist. Und wie soll denn sonst das Loch in der AHV-Finanzierung gestopft werden? «Deshalb sollen im Drehbuch der Gegner zusätzliche Subventionen und Lohnbeiträge die AHV sanieren. Dass dies vor allem zulasten der Jüngeren geht, muss man ja nicht laut sagen.» Genauso leise muss man sagen, dass die bereits in Milliardenhöhe die Pensionskassen füttern. Ein mutiger Aufschrei, für NZZ-Verhältnisse scharf geschrieben. Bravo.

Cum grano salis ist überhaupt nichts am sauberen Recherchierstück, mit dem der «Tages-Anzeiger» aufwartet: «Fünfsternhotel und Helikopterflug: Politiker reisen auf Kosten des Staatsunternehmens Schweizer Salinen AG regelmässig ins Ausland – und das ziemlich komfortabel.» Mit Schmackes untersucht Markus Häfliger die Luxusreisen, die sich amtierende und ehemalige Verwaltungsräte der Schweizer Salinen AG gönnen.

Der Staatsmonopolist führt seine Geschichte ins Mittelalter zurück und darf bis heute exklusiv jedes Salzkorn in die Speisen und auf die Strassen liefern. Importe sind lediglich mit seiner huldvollen Bewilligung gestattet. Kein Wunder: «2018 kritisierte die Eidgenössische Finanzkontrolle, wegen des Monopols sei das Streusalz in der Schweiz zwei- bis viermal so teuer wie im Ausland.»

Beruhigend zu lesen, dass diese Extraprofite sinnvoll ausgegeben werden. Ein Ausflug nach Südfrankreich wurde nach der Anreise im TGV mit der stilgerechten Unterbringung im 5-Sterne-Hotel «L’Arlatan» gefeiert: «Von dieser sehr komfortablen Basis aus startete die Reisegruppe zu Ausflügen in die Camargue. Der Höhepunkt zumindest in vertikaler Hinsicht: ein Helikopterflug über die riesige Meersalzsaline bei Aigues-Mortes.»

Bis zu 27 Verwaltungsräte haben das Recht, an solchen alle zwei Jahre stattfindenden «Studienreisen» teilzunehmen. Ibiza, Barcelona, Salzburg, Berchdesgaden und dann die Camargue, es gibt ja so viel zu studieren auf der Welt. Immerhin, nachdem der Tagi-Redaktor entsprechende Anfragen an die Salinen AG stellte, ruft ihn der Zuger Finanzdirektor Heinz Tännler an, von Amtes wegen im VR des Salzmonopolisten. Er stellt klar: «Ich habe an diesen Reisen – die Salinen nennen sie Bildungsreisen – nie teilgenommen.»

Launiger Kommentar von Häfliger: «Man muss sagen: Heinz Tännler hat etwas verpasst.» Entschieden weniger Unrechtsbewusstsein zeigt der Geschäftsführer der Salinen: «Die Reisen adressieren jeweils ein Thema, welches in engem Zusammenhang mit anstehenden strategischen Entscheiden des Verwaltungsrats steht

Konkret sieht das dann so aus: «Neben der Besichtigung der südfranzösischen Saline blieb viel Zeit für sehr viel Kultur, Natur und Kulinarik. Die Politikerinnen und Politiker genossen einen Stadtrundgang durch Aigues-Mortes, besuchten in Arles die Fondation Vincent Van Gogh und das Kulturzentrum Luma. Sie erlebten eine halbtägige ornithologische Führung in der Camargue. Und sie verbrachten einen Abend in einer Manade, wo die berühmten Camargue-Stiere gezüchtet werden. Aus- und Weiterbildung auch in südfranzösischem Stierkampf also.»

Jede Reise, schätzt Häfliger, dürfte rund 100’000 Franken gekostet haben. Es ist zu bezweifeln, dass sie in diesem Rahmen weitergeführt werden, dank diesem Stück, das die Wächterfunktion der Medien aufs beste illustriert. Bravo.

Sogar die Karikatur ist gut …

 

 

Irène P. (wie peinlich) Kälin

Ein Tiefpunkt des Schweizer Parlamentarismus.

Dass ZACKBUM einmal mit Philipp Loser einverstanden ist – das schafft nur unsere peinliche NR-Präsidentin:

«Wir sehen Kälin vor dem Bundeshaus. Wir sehen Kälin auf dem Flugplatz Bern-Belp. Wir sehen Kälin vor dem Bundesratsjet. Wir sehen Kälin im Bundesratsjet. Wir sehen Kälin auf einem polnischen Bahnhof. Wir sehen Kälin auf einem ukrainischen Bahnhof. Wir sehen Kälin in einem Zug bei Nacht. Wir sehen Kälin in einem Zug bei Tag. Ein diplomatischer Ausflug als Fotoroman.»

Darunter leiden müssen wir wegen einer Medienpartnerschaft von einmaligen Dimensionen. Der «Blick», sonst vielleicht nicht das Leibblatt der grünen Kälin, durfte jeden Blick, jeden Spruch, jeden Moment dokumentieren. Denn es war ein weltbewegendes Ereignis. Der Besuch. Kriegsentscheidend. Mutig, Beeindruckend. Friedensfördernd. Solidarisch, selten wurde so ein Zeichen gesetzt.

Allerdings fällt einem spontan nur das Adjektiv peinlich ein. Oberpeinlich. Schmerzlich peinlich. Was mögen die Ukrainer nur von uns denken, nach diesem Besuch? Manchmal sagt ein Bild allerdings mehr als tausend solidarische Worte:

Links: wo bin ich eigentlich? Rechts: was steht Wichtiges an?

Hoffentlich reisst das nicht ein, aber ZACKBUM muss nochmals Loser recht geben und das Wort erteilen:

«Kälin erhielt viele Ab- und nur wenige Zusagen. Am Schluss begleiteten sie Roger Nordmann (SP), Yves Nidegger (SVP), Nik Gugger (Mitte) und Claude Wild, der Schweizer Botschafter in der Ukraine, nach Kiew. Es ist also eine offizielle Reise des Schweizer Parlaments, und doch fühlt es sich an wie ein privater Ausflug von Irène Kälin.»

Reisle machen, betroffen in Kameras schauen, ernst in Kameras schauen, fragend in Kameras schauen. Krieg schauen. In sich selber schauen. Sätze für die Ewigkeit sagen: «Er ist trotz allem ein einfacher Mensch. – Ich reise mit einem wahnsinnig schönen Gefühl ab.» Dann hielt sie noch eine Rede im Parlament, bei der die Zuhörer offensichtlich Mühe hatten, wach zu bleiben.

Wieso konnte niemand die oberste Schweizerin davon abhalten, ein oberpeinliches Bild von der Schweiz abzugeben? Es soll Ukrainer geben, die sich bis heute fragen: wer war denn das? Heidi? Und weshalb genau war die hier? Und was hat die schon wieder gesagt?

Wumms: Irène Kälin

Was hat die Aargauer Grüne in der Ukraine verloren?

Sie machte ihren Master zum Thema «Religionskulturen». Sie studierte diverse Fächer an diversen Unis. Dann war sie mal Gewerkschaftssekretärin bei der Unia. Lange Jahre Grosser Rat des Kantons Aargau, 2015 kandidierte Kälin gleichzeitig als Nationalrätin und als Ständerätin. Für den NR reichte es. Im November 2021 wurde sie zur NR-Präsidentin gewählt. Sie setzt sich für «die Stärkung der Geschäftsprüfungskommission» ein, fordert eine Erhöhung des Strafmasses bei «sexuellen Handlungen mit Kindern».

Zwar unter Sexismusverdacht, aber: bad hair day?

Beste Voraussetzungen, um mal einen Ausflug nach Kiew zu machen, Krieg schauen. Was fällt der Dame mit merkwürdigen Frisuren als Begründung für das Reisli ein? Natürlich, der Klassiker: «Zeichen der Solidarität.» Was noch? «Bedingungsloses Eintreten fürs Völkerrecht.» Sonst noch was? «Was es mit einem als Menschen macht, wenn man in ein Kriegsgebiet kommt.» Wunderbar. Währenddessen darf der einsame Lebenspartner in Oberflachs den gemeinsamen Sohn hüten.

Den beiden gegenüber mangelt es ihr leider an Zeichen der Solidarität. Ist ihre Reise und damit Parteinahme mit ihrer Position und der Schweizer Neutralität vereinbar? «Es wäre nicht neutral, wenn man nicht gehen würde.» Ist das alles peinlich.