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Die Medien kriegen’s nicht hin

Und der Journalist ist der Rechthaber im Nachhinein.

Es gibt wenige Ausnahmen, Arthur Rutishauser gehört dazu. Aber da Kompetenz (und Loyalität) im Hause Tx keinen besonders hohen Stellenwert geniesst, wurde er trotz seiner ständigen Warnrufe Richtung CS als Bauernopfer degradiert. Weil Pietro Supino auch die Kommunikation in der Affaire Roshani versemmelt hatte.

Die übrige Journaille tat das Gleiche, was sie nun dem Bundesrat und der Aufsichtsbehörde FINMA vorwirft: Sie schaute mehr oder minder tatenlos zu, wie die Credit Suisse gegen die Wand geklatscht wurde. Ringier versank in Lobhudeleien der Kurzzeit-Chefs, unvergesslich das Doppelinterview mit dem Alptraumpaar Gottstein Horta. Plisch und Plum waren ein Dreck dagegen.

Ansonsten zeigten weite Teile der Wirtschaftsjournalisten, was sie können. Nämlich nichts. Den Geschäftsbericht einer Bank lesen, das überfordert 90 Prozent von ihnen. Die Zusammensetzung des Eigenkapitals verstehen: Fehlanzeige. Erklären können, was ein CoCo ist: nur im Abschreibemodus. Die wichtigsten Indikatoren identifizieren, um den Zustand einer Bank messen zu können: hä?

Aber damit wissen sich die Mainstream-Medien mit ihrer Regierung einig: frei von Sachverstand kann man am besten vom Blatt lesen. Das war der Zustand bis kurz vor dem Exitus der Bank.

Währenddessen wurde weiterhin ab Blatt gelesen, ab der «Financial Times». Denn im fernen London war man besser über die Verhandlungen, den Inhalt und vor allem die heiklen Punkte informiert als die geballte Fachkraft der Schweizer Medien in Bern.

Auf welches Notrecht stützt sich der Bundesrat genau, was bedeutet der Abschreiber von 16 Milliarden Franken, wieso musste die UBS läppische 3 Milliarden Franken bezahlen, erhält ein Risikopolster von 9 Milliarden plus Liquidität bis zu 200 Milliarden? Kann man Aktionärsrechte so aushebeln? Riskiert der Bundesrat keine Staatsklagen, steht er eventuell in der Verantwortung für diese Entscheidungen – und ihre Kostenfolgen?

Und vor allem: war das mal wieder alternativlos? In welchem Schweizer Medium las man vor dem grossen Showdown vor einer Woche, wie Alternativen aussehen könnten? Dass die Bank schlecht geführt war, das war spätestens seit dem Amtsantritt von Urs Rohner offenkundig. Aber forderte je – ausser dem Autor dieser Zeilen – jemand seinen Rücktritt, mahnte Haftbarkeit an?

Aber nach dem Fall, da kommen nun alle Besserwisser aus den Löchern und überschlagen sich mit Kritiken, basteln grosse Zusammenstellungen von Fehlern und Flops, von dummen Sprüchen der Bankenlenker. Der Lobhudel-«Blick» räumt plötzlich dem alten Schlachtross Oswald Grübel die Spalten frei, der auch kräftig losgaloppiert – nachdem auch er zuvor mit Kritik gelinde gesagt sehr zurückhaltend war. Sicher, als ehemaliger CEO beider Banken, der CS und der UBS, musste er aufpassen, was er sagt.

Aber eigentlich gab es mal wieder nur einen Einzelkämpfer, der sogar so viel Gas gab, dass ihn die CS mit einer mehrhundertseitigen Klageschrift fertigmachen will. Denn Lukas Hässig fährt auf seinem Finanzblog «Inside Paradeplatz»* einen scharfen Reifen. Und lässt regelmässig die gesamte Konkurrenz alt aussehen. Er erlegte fast im Alleingang Pierin Vincenz und veröffentlichte ein Jahr lang eine Bombenstory nach der anderen über den einstmals strahlenden Banker – ohne dass jemand das Thema aufnahm.

Hässig steht auch auf der Shitlist von Daniel Vasella ganz, ganz oben, seit er verhinderte, dass der Pharma-Boss 72 Millionen hätte kassieren sollen – für süsses Nichtstun.

Irgendwie ist die «Blick»-Penisgeschichte symptomatisch für den aktuellen Zustand der Medien. Eigentlich möchte man gerne ein heikles Thema aufgreifen, das nun (fast) jeden Mann interessiert. Denn Nullwachstum in der Hose, das ist auch für Banker schlimmer als Nullzinsen.

Aber früher hätte der Fachmann höchstens als Feigenblatt dafür gedient, den Voyeurismus von weiblichen und männlichen Lesern zu befriedigen. Die Schlagzeile wäre auf der Hand gelegen: «Wenn Sie dieses Foto nicht erregt, sollten Sie zum Arzt». Welcher Art das Foto gewesen wäre, nun, wir breiten den Mantel des Schweigens darüber.

Aber wie löst das der «Blick» heute? Das einzige Boulevard-Organ mit einem Regenrohr im Logo zeigt doch tatsächlich einen Kaktus als Penissymbolbild. Wobei der Kaktus durchaus erigiert erscheint. Allerdings dürfte er weder bei Männern, noch bei Frauen erotische Empfindungen auslösen. Das gilt höchstwahrscheinlich auch für alle anderen Genderklassen, vielleicht mit Ausnahme von Masochisten.

«Der Penis ist die Antenne des Herzens», der Satz ist so blöd, der könnte glatt von diesem Kim irgendwas sein. Nein, so blöd ist er dann auch nicht.

Wieso nicht «Die UBS ist die Bank der Schmerzen», «von der Credit Suisse zur Debit Suisse zur Debil Suisse».  Oder gleich «Der Kontostand ist der Messfühler des Portemonnaies», «Die Kreditkarte ist die Windfahne der Begierde», «Der Zeigefinger ist das Instrument am Bankomat», «Die Credit Suisse ersetzt den Bankomat durch den Dankomat». Und nur echt mit dem Foto eines kompetent dreinblickenden Fachmanns.

Das kann man alles machen. Aber noch Geld dafür verlangen und behaupten, man sei unverzichtbar als Vierte Gewalt in der Demokratie – das ist nicht nur lachhaft, wenn es die «Republik» behauptet.

*Packungsbeilage: ZACKBUM-Redaktor René Zeyer schreibt gelegentlich auf IP.

Wer erträgt den Zweifel?

Zeichen und Wunder. Schwarzweiss kriegt Grautöne.

Richtig bunt und somit wirklichkeitsnah ist die Berichterstattung über den Ukrainekrieg noch nicht. Aber es gibt ein Heilmittel gegen Schwarzweiss, gegen das ewige Durch-die-Mühle-Drehen der gleichen Narrative. Die Autoren könnten noch wochenlang, aber das Publikum ermüdet langsam. Und wundert sich ab und an, wieso eine fast siegreiche ukrainische Armee immer mehr in die Defensive gerät.

So wie es sich wunderte, dass der Rubel nicht senkrecht in die Grube fuhr, sondern mit 40 Prozent Aufwertung gegenüber dem US-Dollar wieder Vorkriegsstände erreicht hat.

Also lässt auch der eine oder andere Journalist (ausser, er heisst Münger) etwas zu, was er sich ganz lange nicht traute: den Zweifel. Denn eine Fehleinschätzung aufgrund ungenügender Faktenlage oder wegen einer ideologischen Gesinnungsbrille, das ist das eine. Aber wenn der Spalt zwischen Rhetorik, Publizistik, veröffentlichter Meinung und Realität immer breiter wird, muss etwas geschehen.

Der erste Schritt zur Besserung besteht darin, nicht weiter wild Ratschläge zu geben, zu fordern, zu beschimpfen, der eigenen Regierung hinterherhöseln oder sie gar zu energischem Handeln zu drängen. Waffen her, möglichst schweres Gerät, so schaffen wir Putin, dröhnte es noch unlängst aus vielen Löchern, in die die Sonne der Erkenntnis nicht scheint.

Inzwischen beschleicht den einen oder anderen der Zweifel, ob das nicht einfach den Krieg verlängern könnte, noch mehr Opfer unter Soldaten und Zivilbevölkerung fordern würde, noch mehr Schäden an der Infrastruktur anrichte.

Das ist keine kleine Leistung für clevere Mitglieder der Journaille, und längst nicht alle haben die Zeitenwende in der öffentlichen Meinung mitgekriegt. Zeitvergessen wie japanische Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg reiten sie immer noch auf der Rosinante im fiktiven Schreibtäter-Feldzug gegen Putin.

All denen, und eigentlich auch allen anderen, sei ein wunderbares Gedicht von Bertolt Brecht (Nora Zukker, googeln!) gewidmet, so an einem nachdenklichen Sonntag:

Der Zweifler

Immer wenn uns
Die Antwort auf eine Frage gefunden schien
Löste einer von uns an der Wand die Schnur der alten
Aufgerollten chinesischen Leinwand, so daß sie herabfiele und
Sichtbar wurde der Mann auf der Bank, der
So sehr zweifelte.

Ich, sagte er uns
Bin der Zweifler, ich zweifle, ob
Die Arbeit gelungen ist, die eure Tage verschlungen hat.
Ob, was ihr gesagt, auch schlechter gesagt, noch für einige Wert hätte.
Ob ihr es aber gut gesagt und euch nicht etwa
Auf die Wahrheit verlassen habt dessen, was ihr gesagt habt.
Ob es nicht vieldeutig ist, für jeden möglichen Irrtum
Tragt ihr die Schuld. Es kann auch eindeutig sein
Und den Widerspruch aus den Dingen entfernen; ist es zu eindeutig?
Dann ist es unbrauchbar, was ihr sagt. Euer Ding ist dann leblos
Seid ihr wirklich im Fluß des Geschehens? Einverstanden mit
Allem, was wird? Werdet ihr noch? Wer seid ihr? Zu wem
Sprecht ihr? Wem nützt es, was ihr da sagt? Und nebenbei:
Läßt es auch nüchtern? Ist es am Morgen zu lesen?
Ist es auch angeknüpft an vorhandenes? Sind die Sätze, die
Vor euch gesagt sind, benutzt, wenigstens widerlegt? Ist alles belegbar?
Durch Erfahrung? Durch welche? Aber vor allem
Immer wieder vor allem anderen: Wie handelt man
Wenn man euch glaubt, was ihr sagt? Vor allem: Wie handelt man?

Nachdenklich betrachteten wir mit Neugier den zweifelnden
Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und
Begannen von vorne.

Die vielen Zweifellosen erreicht man damit nicht. Auch die Haltungsverbogenen nicht. Ebenso wenig die Einfachen im Geiste. Alle, die sich ernsthaft mit Genderfragen beschäftigen, fallen auch weg. Bauchnabelbeschauer und Erforscher der eigenen Befindlichkeit ebenfalls. Dann die vielen, die aus Unsicherheit zu Rechthabern geworden sind. Opportunisten, Konzernjournalisten, die ihre Haltung häufiger als die Unterhose wechseln: auch keine Chance. Bei Karrieristen gehen Zweifel gar nicht. Die alle abgezählt, da bleiben in der Schweiz noch, hm, also durchaus noch, hm, wie viele Journalisten übrig? Braucht man beide Hände zum Abzählen?