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Streubomben gegen die Wahrheit

Schamlos wird schöngeschrieben.

Die Wahrheit ist: Streubomben sind geächtet. Wie chemische oder biologische Waffen gehören sie zur schmutzigen Kriegsführung. Natürlich gibt es keine saubere, aber man bemüht sich, trotz aller Barbarei im Krieg gewisse Regeln aufzustellen – und einzuhalten.

Bei Streubomben sieht die Wahrheit so aus:

111 Staaten der Welt haben die Konvention über den Verzicht des Einsatzes von Streubomben unterzeichnet, dazu gibt es 12 Signatarstaaten. Nigeria trat als 111. Staat Ende Februar dieser Übereinkunft bei.

Sämtliche europäische Staaten darunter die Schweiz, Kanada, Japan und viele afrikanische Staaten sind Mitunterzeichner. Die USA, RusslandChina und die Ukraine nicht.

Die USA haben nicht nur als einziger Staat der Welt Atombomben eingesetzt, sie haben nicht nur in Vietnam chemische Kampfstoffe wie Agent Orange oder Napalm als Kriegsverbrecher benützt. Und natürlich überall auf der Welt Streubomben: «Nach Angaben der UN-Organisation Mine Action Programme (MAPA) ist Afghanistan eines der weltweit am schwersten von Landminen und nicht detonierter Streumunition betroffenen Länder», schreibt Wikipedia.

Streubomben sind nicht zuletzt deswegen verpönt, weil sie immer einen Anteil Blindgänger enthalten – die noch Jahre nach Abwurf schwere Verletzungen und Todesfälle unter der Zivilbevölkerung fordern.

Nun wollen die USA der Ukraine solche Streubomben zur Verfügung stellen, was vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj begrüsst wird. Wie eiern da die Schweizer Medien drum herum?

So säuselt der Tagi: «Wozu es führt, wenn die USA jetzt auch noch die international geächteten Streubomben an die Front liefern, will man lieber gar nicht wissen», stellt sich Arthur Rutishauser unwissend. Die NZZ? Winzmeldung am Sonntag, Kriegsgegurgel am Samstag: «Streumunition könnte sich für die ukrainischen Streitkräfte in der gegenwärtigen Lage als besonders nützlich erweisen, denn bei ihrer Gegenoffensive sind sie mit zahlenmässig starken und in Schützengräben verschanzten russischen Einheiten konfrontiert … Der militärische Effekt ist daher grösser als beim Einsatz von Granaten mit nur einem Sprengkörper.» Probleme dabei? Nun ja, ein paar kleine: «Wegen der Gefahr für Zivilisten haben 111 Staaten, eine knappe Mehrheit der Staatenwelt, die 2010 in Kraft getretene Konvention zum Verbot von Streumunition ratifiziert.»

Aber überhaupt: «Als Argument für deren Einsatz im Rahmen der laufenden Gegenoffensive lässt sich anführen, dass das Frontgebiet im Süden nur sehr dünn besiedelt ist. Weil es durch russische Minen völlig «verseucht» ist, muss es dereinst vor einer Rückkehr von Zivilisten ohnehin gründlich entmint werden.»

Dann wird’s richtig brüllend komisch bei der NZZ. Sie erwähnt zunächst: «Die USA haben selber in allen grösseren Kriegen Streumunition eingesetzt, zuletzt im Irak und in Afghanistan.» Das waren völkerrechtswidrige Angriffskriege in einem fremden Land, wie in Vietnam, Kambodscha und Laos. Aber: «Zudem lässt sich der Einsatz von Streumunition durch Russland und die Ukraine nicht auf dieselbe Stufe stellen: Moskau tut dies im Rahmen eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges in einem fremden Land.» Wie verbohrt muss man sein, um diesen schreienden Widerspruch nicht selbst beim Schreiben zu bemerken?

CH Media? Immerhin: «Unerwähnt blieb, dass das Weisse Haus den russischen Einsatz von Streumunition im vorigen Jahr noch als «potenzielles Kriegsverbrechen» bezeichnet hatte

«20 Minuten»? Ein neutraler Artikel, der die schreckliche Wirkung von Streubomben beschreibt, die Ächtung durch 111 Staaten erwähnt, darauf hinweist, dass weder die USA, noch die Ukraine noch Russland diese Konvention unterzeichnet haben und die USA nun diese Bomben liefern wollen.

SDA? Sommerpause. Ringier? Leider nicht. Was Camilla Alabor hier schreibt, sollte für ewige Zeiten am Schandmal journalistischer Fehlleistungen kleben:

«Die Schweiz hätte es in der Hand, die Notwendigkeit zur Verwendung von Streumunition zu vermindern: Indem sie westlichen Ländern endlich die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen und Munition erlaubt.»

Dass so etwas in einem Schweizer Massenmedium erscheinen darf, ohne dass eine Kontrollinstanz eingreift und diesen hanebüchenen Unsinn untersagt, unglaublich. Das macht fassungslos, und das will beim «Blick» und beim «SonntagsBlick» etwas heissen. Es stimmt in so vielen Aspekten nicht, dass nicht einmal das pure Gegenteil richtig wäre.

Mit den paar tausend Schuss Munition, die bislang von der Schweiz angefordert (und zu recht verweigert wurden), wäre weder der Munitionsbedarf der Ukraine gedeckt, noch die Lieferung der USA «vermindert» worden.

Statt solchen Schwachsinn zu schreiben, könnte sich der «Blick» vielleicht mal über die Verlogenheit aufregen, dass der russische Einsatz von Streumunition ein potenzielles Kriegsverbrechen sei, die Lieferung von US-Streumunition aber der Rettung von Freiheit und Demokratie dient – und daher, nun ja, nicht schön, aber eigentlich unvermeidlich ist.

So wie der Einsatz in Afghanistan, in Syrien, im Irak und in so viel weiteren Ländern der Welt, wo er selbst nach Abklingen der Kampfhandlungen bis heute Tote und Verletzte fordert.

Und wieso schreibt Alabor nicht, dass es die Schweiz als Mitglied des UN-Sicherheitsrats und als Mitunterzeichnerin der Ächtung dieser Waffen in der Hand hätte, eine Dringlichkeitssitzung dieses Gremiums einzuberufen, damit über diese kriegsverbrecherische Absicht der USA wenigstens debattiert wird? Alabor ist «Inlandredaktorin» beim «SonntagsBlick» und nicht erst seit gestern am Gerät. Also weiss sie, was sie schreibt.

Und müsste dafür zur Verantwortung gezogen werden. Wenn es so etwas wie Verantwortung noch gäbe im Journalismus, im Hause Ringier.

 

 

Hass und Courage im Netz

Twitter ist die Plattform für die korrekte Lebensart – oder für Schlammschlachten.

Der Vorfall ist zur Genüge beschrieben worden. Totgeschrieben, möchte man formulieren – wenn man nicht Bedenken hätte, dass das gegen einen verwendet werden könnte. Journalistin sagt was von sozialem Todesurteil, eine anonyme Redaktion nimmt’s beim Wort und veröffentlicht eine geschmacklose Karikatur.

Grosse Aufregung, Entschuldigung, Rechtfertigung, Nachtreten, Zurückmopsen, das Übliche auf Twitter, bis sich die nächste Erregungswelle aufbaut, zum Beispiel über das Wort Sternchen.

Aber jede Welle lässt Endmoränen zurück, die nachbearbeitet werden müssen. So ist es der Kämpferin gegen Hate Speech und alles Üble im Netz unterlaufen, diese Karikatur mit einem Like zu versehen. Bevor auch sie sich davon distanzierte. Von der Karikatur.

Nun ist Jolanda Spiess-Hegglin auch Geschäftsführerin von #Netzcourage. Laut Selbstdarstellung «kämpft sie mit ihrem Verein gegen Hass im Internet». Ebenfalls mit «NetzPigCock» oder mit «#Netzambulanz» hat sie sich diesen Zielen verschrieben. Die werden als durchaus förderungswürdig beurteilt – und daher mit Steuergeldern unterstützt.

Unübersehbar: Jolanda Spiess-Hegglin auf der Webseite von #Netzcourage.

Mit knapp 200’000 Franken unterstützt das «Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau» diese Aktivitäten. «Öffentlich finanzierte Doppelmoral», donnerte die NZZ, stellt und beantwortet gleich selbst eine Frage: «Soll der Bund eine Aktivistin gegen Hass im Netz finanzieren, die ihrerseits die Grenzen überschreitet? Eher nicht.»

Die Heerscharen von rechts galoppieren heran

Natürlich galoppierten auch alle Kämpfer für einen gesitteten Umgang in der Auseinandersetzung los, angeführt vom SVP-Amok Andreas Glarner. Der veröffentlicht schon mal auf Facebook die private Telefonnummer und E-Mail-Adresse einer Lehrerin mit dem Hinweis, man solle sie anrufen und ihr mitteilen, was man davon halte, dass sie – in Umsetzung der offiziellen Linie – muslimischen Kindern erlaubte, während des Fests des Fastenbrechens zu Hause zu bleiben.

Natürlich musste nun auch aus dem Departement Berset der Verein «Netzcourage» zu einer Stellungnahme aufgefordert werden, wie er es denn mit diesem Like seiner Geschäftsführerin halte.

Im Sinne von Offenheit und Transparenz hat #Netzcourage Fragen und Antworten ins Netz gestellt. Unter dem Hashtag #Tamediagate. Ob das eine gute Idee war?

Begriffsverluderung sollte auch bekämpft werden.

Eine Tessiner Nationalrätin der Grünen antwortet namens des Vorstands

Geantwortet hat Greta Gysin, Nationalrätin der Grünen. Offenbar um Eindruck zu schinden, verwendete sie ihre parlamentarische Mailadresse und auch den entsprechenden Briefkopf. Wir dokumentieren hier ihre Antwort.

Es ist verblüffend, wie sich Rechtfertigungen aus allen Lagern ähneln, wenn es um den Umgang mit unangenehmen Fragen geht:

«Wir haben etliche Vorwürfe analysiert und empfinden sie als völlig haltlos und nicht berechtigt. Auch im aktuellen Fall … kann nicht von Hassrede seitens unserer Geschäftsführerin gesprochen werden.»

Ob das der Vorstand auch so sehen würde, wenn jemand Spiess-Hegglin als erste Kandidatin im Wettbewerb «Arschloch des Monats» vorschlagen würde? Oder von «Karma» spräche, sollte ihr etwas zustossen?

Nun ja, neben routinierter Verteidigung gehört auch der Gegenangriff zum üblichen Arsenal; da «der Chefredaktor des grössten Medienkonzerns» Spiess-Hegglin «ohne Rückfrage» mit den «Nationalsozialisten» gleichstelle, sei das natürlich ein weiterer Beweis für die Existenzberechtigung von #Netzcourage.

Alles andere mag erlaubt sein, aber zu diesem demagogischen Untergriff muss – auch ohne Rücksprache – etwas gesagt werden. Zunächst ist es bei einem Kommentar nicht nötig, üblich oder Brauch, «Rückfrage» zu nehmen. Bei einem Like auch nicht, obwohl Spiess-Hegglin damit gut beraten wäre. Zweitens hat der Chefredaktor diese Passage umgehend gelöscht, was hier nicht der Erwähnung würdig ist – könnte stören. Drittens hat er die Geschäftsführerin keinesfalls mit Nationalsozialisten gleichgestellt, was jeder nachlesen kann – so er will.

Die Absichten von #Netzcourage sind sicherlich lobenswert – und auch die Unterstützung mit Steuergeldern wert. Ob aber dieses Personal dazu geeignet ist, sie umzusetzen – das muss angesichts dieser uneinsichtigen und verbohrten Reaktion stark bezweifelt werden.