Recht für Reiche
Die Schweizer Rechtspflege ist am Verludern.
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«Die Entscheidgebühr wird auf Fr. 4375.- festgelegt. Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.» Die dahinterstehende Mühewaltung der Gerichtsschreiberin des Bezirksgerichts Winterthur: per copy and paste nochmals die Klageschrift wiedergeben. Dann die Vereinbarung einkopieren, mit der sich die beteiligten Parteien auf einen Vergleich geeinigt hatten und beantragten, das Verfahren abzuschreiben.
Gefolgt vom Stehsatz der Rechtsbelehrung und der Feststellung, dass nicht einmal eine Instruktionsverhandlung stattfinden werde, geschweige denn eine ordentliche Gerichtsverhandlung. Das alles unter der theoretischen Mitwirkung von zwei Bezirksrichtern.
Der Arbeitsaufwand für das Ausfertigen dieses Schriebs dürfte, selbst wenn die Gerichtsschreiberin einen schlechten Tag gehabt hätte, bei nicht mehr als einer Stunde gelegen haben.
Damit sich die Mühlen der Justiz überhaupt in Bewegung setzten, wird der klagenden Partei schon zuvor die Leistung eines Kostenvorschusses abverlangt. Ohne ist es inzwischen in einem Zivilverfahren unmöglich, auch nur den Versuch zu unternehmen, zu seinem Recht zu kommen.
Das Bezirksgericht Winterthur war dabei noch so menschenfreundlich, nur «die Hälfte der ordentlichen Gebühr» in Anschlag zu bringen. Die bemisst sich schlichtweg nach dem sogenannten Streitwert. Das ist eine fiktive Zahl, die vom Kläger recht willkürlich in den Raum gestellt werden kann.
Die Absicht dabei ist, den Beklagten – auch wenn der Prozess gar nicht stattfindet – empfindlich zur Ader zu lassen. Vorteil für den klagenden Anwalt – oder die Anwältin – ist ebenfalls, dass sich seine oder ihre Honorarnote nicht zuletzt nach dem Streitwert bemisst. Zusätzlich Geld schinden kann der Anwalt – die Anwältin –, indem sie eine ellenlange Klageschrift einreicht. Die umfasst schnell einmal 23 Seiten oder mehr (ohne Beilagen), für einen Pipifax.
Ein Anwalt verrechnet normalerweise pro Seite Schriftstück mindestens eine Stunde; mal 600 bis 800 Franken. Man rechne. Und dabei ist Aktenstudium, Mandantengespräch, Duplik und weitere Handlungen gar nicht inbegriffen. Alleine hier, obwohl es zu keinerlei ernsthaften Kampfhandlungen kam, dürfte die beteiligte Anwältin locker rund 50’000 Franken kassiert haben.
Sollte der Beklagte dann auch nur zum Teil eine Niederlage einstecken müssen, wird er nicht nur an den Gerichtskosten, sondern auch an den Anwaltskosten der Gegenseite beteiligt. Ganz abgesehen von dem Geld, das er für seinen eigenen Anwalt ausgeben muss. So kann sich ein Pipifax-Prozess ohne Weiteres zu einem finanziellen Totalschaden in der Höhe von Zehntausenden von Franken entwickeln.
In einem viel grösseren Ausmass ist gerade Lukas Hässig vom Finanzblog «Inside Paradeplatz» mit diesem Problem konfrontiert. Bei ihm umfasst die Klageschrift sagenhafte 265 Seiten. Alleine, was ihn die Antwort seines eigenen Anwalts kostet, der zu jedem einzelnen Punkt Stellung nehmen muss …
Ob damit der Rechtsprechung, der Durchsetzung des Rechts, dem Rechtsstaat gedient ist? Diese Kosten beruhen auf einem Beschluss des Zürcher Obergerichts vom September 2010, in dem es nach freiem Ermessen, also willkürlich, eine Gebührentabelle aufstellte. Die richtet sich nicht etwa nach dem Aufwand des Gerichts, sondern schlicht und einfach nach dem Streitwert. Ein vermögender Kläger kann also schon hier den Hebel ansetzen, um seinen Gegner auf jeden Fall finanziell zu schädigen:
Wenn der Kläger den Streitwert auf 100’000 Franken hochschraubt, ergibt sich laut Gebührenordnung ein Betrag von 7950 Franken, plus 800 Franken, macht 8750 Franken.
Das ist noch gar nichts. Bei einem Streitwert von über einer Million, was beispielsweise im Immobilienbereich schnell einmal erreicht ist, beträgt die Gebühr bereits 30’750 Franken. Sollte es auch hier zu einer Einigung kommen, sollte ein Vergleich abgeschlossen werden, bevor das Gericht überhaupt tätig werden muss, kassiert es für sein Nichtstun dennoch 15’375 Franken.
Das ist keine Rechtsprechung mehr, sondern ein Skandal. Gegen diese Willkür ist jede Gegenwehr sinnlos. Selbstverständlich könnte man gegen eine solche Zumutung vorgehen. Das einzige Resultat wäre aber, dass man noch mehr Geld ausgegeben hätte, ohne dass sich an der gesalzenen Rechnung etwas geändert hätte. Denn solche Gebührenordnungen sind sakrosankt und wie die Zehn Gebote in Stein gemeisselt.
Recht kann nie vollständige Gerechtigkeit herstellen. Aber eine Rechtspflege, die aus Überlastung exorbitante und durch nichts zu rechtfertigende Gebühren erhebt, pervertiert das Recht.