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Ausgrenzen ist faschistisch

Campax, WoZ, Jusos. Welche Bagage.

Unliebsame Musiker, Redner, Veranstaltungen, sogar eine Schweizer Folkloretruppe: wer es wagt, nicht gleicher Meinung wie linke Grossinquisitoren zu sein, die meinen, die Fähigkeit mit Löffeln gefressen zu haben, unfehlbar zwischen Gut und Böse zu unterscheiden: weg damit.

Da werden Petitionen gestartet, Forderungen aufgestellt, gegen das Zürcher Volkshaus gehetzt, die Wegnahme eines Postfinance-Kontos gefordert, der verstorbenen englischen Premierministerin nachgerufen «rest in piss, witch». Ein Ganser, ein Rima, ein Thiel, wer sich nicht im schlauchähnlichen Meinungskorridor dieser Dummschwätzer bewegt, soll gecancelt werden. Gleichzeitig behaupten andere Dumpfbacken, dass es eine solche Cancel Culture gar nicht gäbe, wer sich darüber beschwere, sei ein rechtskonservativer Schwurbler.

Das alles sei nötig im Kampf gegen Rassismus, Diskriminierung, oder wie Oberschwurbel Constantin Seibt so schön sagt: «Es geht um alles.» Es geht vor allem gegen Faschismus. Diese Bezeichnung einer historischen Ideologie ist zum Allerweltsschimpfwort geworden, sozusagen die politische Version von «Arschloch». Russland? Faschistisch. Trump? Faschist. SVP? Faschistoid. Das Adjektiv lässt sich beliebig an jede unliebsame Person oder Partei kleben.

Ist es nicht faschistisch, so ist es mindestens rassistisch, diskriminierend, ausgrenzend, sexistisch, populistischer Ausdruck einer männerdominierten Gesellschaft, Sprache, usw.

Unabhängig davon, ob diese Etikettierungen argumentativ hergeleitet (selten) oder einfach behauptet (meistens) werden: diese Art der Ausgrenzung des anderen, des Andersartigen – ist eindeutig und zutiefst faschistisch. Die Wesensverwandtschaft zeigt sich schon in dieser eschatologischen Endzeit-Anrufung. Es geht nicht einfach um eine politische oder gesellschaftliche Auseinandersetzung. Nein, es gehe um «alles».

Darauf hat bereits Adolf Muschg völlig zu recht hingewiesen: «Die Canceling Culture, die wir heute haben (…) das ist im Grunde eine Form von Auschwitz.»

Dafür bezog Muschg natürlich von den Betroffenen kräftig Prügel. Stellvertretend sei der Westentaschen-Geschichtsprofessor Philipp Sarasin zitiert: «Herr Muschg sollte sich in Grund und Boden schämen.» Hier ist prototypisch abgeliefert, woran diese Art von linker Kritik tödlich krankt: sie ist völlig argumentationsfrei. Sie behauptet einfach etwas, regt sich über etwas auf. Auch das ist ein Wesensmerkmal faschistischer Ideologie.

Die ist nämlich auch begründungsfrei, postuliert und behauptet, was ihr gerade in den Kram passt.

Aber das deutlichste Zeichen dafür, dass dieses Verhalten faschistisch ist, steckt in einem gern verwendeten Wort. Wer dies und das sage, sei ein «Unmensch». Ein verdächtig angebräunter Ausdruck, mit dem diese Frettchen jede inhaltliche Auseinandersetzung mit einer These wie der von Muschg vermeiden wollen. Ohne zu merken, wie nahe «Unmensch» beim Wort «Untermensch» ist.

Nun kann man, was diese Kleingeister natürlich sehr bedauern, einen Muschg und seine Aussage nicht einfach canceln. Aber am liebsten wäre diesen Protofaschisten, diesen in einem neuen Juste Milieu miefenden Kleingeistern schon, dass Auftritte gecancelt werden, und sei es auch nur wegen des Tragens von Rastalocken. Von unbotmässigen Ansichten ganz zu schweigen. Da sollten Säle verweigert, Auftritte in den Massenmedien vermieden, überhaupt Auftritte sabotiert werden. Veranstaltungen müssen unter Polizeischutz stattfinden, damit es randalierenden Chaoten  nicht gelingt, den Vortrag eines Menschen, der schlichtweg eine ihnen nicht passende Meinung vertritt, zu canceln.

Raul Hilberg, der sicherlich den wenigsten dieser geschichtsvergessenen Kläffer bekannt ist, fasste in seiner «Gesamtgeschichte des Holocaust», das wohl beeindruckendste Buch über «Die Vernichtung der europäischen Juden», diese Art von faschistischer Ideologie so einfach wie prägnant und richtig zusammen.

Die Vernichtungslogik der Nazis gegen die Juden war: Zuerst «Ihr dürft nicht so sein, wie ihr seid.» Dann: «Ihr dürft nicht unter uns sein.» Schliesslich: «Ihr dürft nicht sein.»

Auf genau diese Ähnlichkeit bei den Vertretern der fanatischen Rechthaberei und der inquisitorischen Anmassung, zwischen Gut und Böse, richtig und falsch unterscheiden zu können, hatte Muschg hingewiesen.

Angesichts aktueller Ereignisse, Boykottaufrufen, der Forderung, einer Bewegung ihr Bankkonto wegzunehmen, Rednern oder Künstlern Säle zu verweigern, muss neuerlich auf diese bedrückenden Ähnlichkeiten hingewiesen werden.

Denn es geht wirklich «um alles», wie Constantin Seibt nicht müde wird zu betonen. Es geht tatsächlich um den Kampf gegen moderne Formen des Faschismus. Die aber allzu häufig bei denen zu Hause sind, die am lautesten den angeblich aufkommenden Faschismus in Gestalt eines Putin oder eines Trump oder gar einer SVP denunzieren.

In der Umwertung vieler Werte ist neuerlich etwas entstanden, was schon 1968 der grosse deutsche Soziologe Jürgen Habermas als «linken Faschismus» kritisierte. Wie bei seinem brauner Bruder, der rechtsradikale Faschismus, ist auch hier der Schoss fruchtbar noch, aus dem das kroch.

 

Ein (vorläufig) letztes Mal Auschwitz

Wenn man ernsthaft über die Frage nachdenkt, ob und wie man das Wort verwenden darf.

Was immer mehr um sich greift: das geliehene Leiden, die geklaute Empörung. Die Stellvertretergefühle, weil innen drin alles aus Plastik ist und stumpf. Es gibt Menschen, die ritzen sich. Um sich zu spüren, um sich wenigstens durch Schmerz zu spüren.

Das ist bedauerlich und man wünscht Heilung. Aber es gibt immer mehr Rumkrakeeler, deren Geist, deren Wissen, deren Fähigkeit zur erkenntnisfördernden Debatte voller Löcher ist. Zerfranst, in Fetzen von ihren unschönen Leibern hängt.

Die sich nur über erfundene, nicht empfundene Leiden mitteilen können. Sich nur als Opfer sehen möchten. Sehr selten von Leiden, das ihnen tatsächlich zugefügt wird. Meistens von Leiden, das sie behändigt haben. Gestohlen. So wie es immer wieder traurige Gestalten gibt, die sich eine jüdische Familiengeschichte mit der Holocaust-Tragödie erfinden.

Das ist auch krank. Schwer heilbar, löst keinerlei Mitgefühl aus. Womit wir mitten im Thema wären. «Tanz den Adolf Hitler», titelte Jahre zurück mal einer in der deutschen taz, der täglichen Ausgabe der WoZ. Provokation, Aufschrei, Ziel erreicht. «Ich liebe den Geruch von frischem Napalm am Morgen», das zweitbeste Zitat aus «Apocalypse now». «Der Führer war ein armes Schwein, er hatte keinen Führerschein.» Darf man das witzig finden?

Wer darf was, und wer entscheidet das?

Durfte Charlie Chaplin «The great Dictator» machen? Er selbst sagte doch, dass er den Film vielleicht nicht gedreht hätte, hätte er um alle Greuel und Verbrechen der Nazis gewusst. Hätte dann auch Lubitsch «To be or not to be» nicht machen dürfen? Gibt es eine Banalität des Bösen, gibt es Worte, die in so dunkle Zonen führen, dass sie gemieden werden sollten? Hat Claude Lanzmann seine gewaltige Dokumentation «Shoa» umsonst gefilmt? Raul Hilberg sein Lebenswerk über die Vernichtung der europäischen Juden vergebens geschrieben? Kogon seinen SS-Staat, wurden alle Braunbücher umsonst verfasst? Das Tagebuch der Anne Frank? «Erfolg» von Feuchtwanger, die wohl präziseste Darstellung der Gesellschaft, aus der die braune Pest entsprang?

Haben sich alle vergeblich geopfert (oder sind geopfert worden), weht nur der Wind über die Gräber der 98-Prozent-Generation? Das ist der Jahrgang sowjetischer Soldaten und Helden, von dem nur zwei Prozent überlebten? Darf eine dumme Kuh wie Simone Meier schreiben, dass die Juden unter Hitler «gecancelt» wurden?

Ja, das darf sie. Unbedingt. Das verstösst gegen kein Gesetz, und das muss der einzige Massstab sein, um Worte zu verbieten. Sie darf sich unsterblich blamieren, lächerlich machen, Abscheu erregen mit ihrer Indolenz und Unfähigkeit zur Selbstreflexion. Sie darf auch entsprechend niedergemacht werden. Das gehört alles zur Debatte in einer freien Gesellschaft.

Wer gefährdet das freie Wort, die Debatte?

Davon gibt es nur kleine Inseln auf der Welt. Einige in Europa. Die USA. Englische Ex-Kolonien, denn dort überlebte Demokratie. In spanischen, portugiesischen oder holländischen wurde sie nicht einmal versucht. Auf diesen Inseln gilt das freie Wort. Noch. Das macht sie so erfolgreich. Deswegen werden sie von finsteren Gottesstaaten so beneidet. Die ihr mittelalterliches Dunkel wieder über Europa bringen wollen.

Mit Terror, Zerstörung und dem Appell an unsere Toleranz. Dass wir ihnen erlauben, ihr Werk zu verrichten und den Tschador des Grauens auch über die Schweiz zu legen. Dabei haben sie dumme Helfershelfer, die Religionsfreiheit krähen, die Toleranz fordern, Respekt auch, keine postkoloniale Arroganz. Das Annehmen, Tolerieren fremder Sitten und Gebräuche. Gut, Klitorisbeschneidung vielleicht nicht, auf jeden Fall nicht in der Schweiz. Aber sonst? Seid umarmt, finstere Gestalten des Mittelalters.

Wer solchen Brei im Hirn hat, spielt sich auch gerne als Grossinquisitor in vermeintlich eigener Sache auf. Gibt es etwas Lächerlicheres als weisse, verwöhnte Kids, deren grösste Erfahrung von Diskriminierung darin bestand, dass sie einmal nicht sofort das neue iPhone kaufen konnten? Gibt es etwas Lachhafteres, als wenn die niederknien, schuldbeladen das Haupt beugen und «Black Lives matter» grölen? Gestohlenes Leiden, unterfüttert mit einer erfundenen Geschichte der Beteiligung am Sklavenhandel der Schweiz.

Das ist ekelerregend. Die Gleichen, Arm in Arm mit vielen anderen, hören das Wort Auschwitz. Wie pavlovsche Hunde fangen sie an zu sabbern, zu winseln, zu bellen. Anlass, Umfeld, Zusammenhang, Absicht? Völlig egal, viel zu kompliziert. Der Autor des Wortes ist weder als rechtsradikaler Flachdenker, noch als skrupelloser Haudrauf bekannt? Na und? Der Autor hat mehr Kultur und Kenntnisse unter seinem linken Fingernagel als die meisten dieser Schreihälse im Kopf? Na und?

Glocke, Fresschen, sabber. So einfach muss das sein. Adolf Muschg, Vergleich mit Auschwitz, laber. Dem aufdringlichen Hund wird mit einem «pfui» begegnet. Ebenso dem Verwender des Wortes Auschwitz.

Die Kritik an der Ausgrenzung ist berechtigt

Wobei sich seine Kritiker nicht mal einig sind, ob man dieses Wort überhaupt nicht verwenden sollte, immer als Symbol für eine unvorstellbare Steigerung des Grauens, oder nur nicht als Vergleich zu irgendwas. Die Killing Fields der Roten Khmer in Kambodscha? Kein Auschwitz. Stalins Gulags? Kein Auschwitz. Die Massaker in Afrika der Kolonialherren? Kein Auschwitz. Die weitgehende Ausrottung der Urbevölkerung in Nord- und Südamerika? Kein Auschwitz.

Die völlig berechtigte, analytisch hergeleitete Kritik an der Abstemplung, Ausgrenzung durch diese fanatischen Rechthaber, im Besitz der Wahrheit und der Entscheidungskompetenz? Verbunden mit dem Wort Auschwitz? Niemals. Da sind diese Schreihälse sogar zu blöd, um zu merken, dass sie sich genauso verhalten, wie Muschg zu Recht kritisiert. Selten ist eine philosophische Betrachtung so direkt und brutal in der Realität bestätigt worden.

Ist Muschg Dialektiker?

Oder kennt er die Strategeme von General Tan Daoji? Wenn ja, ist seine Verwendung des Worts Auschwitz genial.

Die SRF-Sendung «Sternstunde Philosophie» strahlt normalerweise eine Ruhe aus, die ebenfalls entsteht, wenn man der Farbe an der Wand beim Trocknen zuschaut. Da wird bedeutungsschwanger Schwulst geschwätzt, der Dialog schleppt sich dahin, bis das Ende den verbliebenen Zuschauern die Augendeckel lupft und sie mit letzter Kraft die Fernbedienung betätigen.

Ganz anders in der letzten Sendung. Da war der letzte lebende Schweizer Grossschriftsteller Adolf Muschg zu Gast. Der entwickelte einen interessanten Gedankengang.

Er dachte laut darüber nach, wohin das Ausschliessen von Menschen aus dem allgemeinen Diskurs führe. Was eine radikale Stigmatisierung von Anderen bedeute. Er dachte dabei über die Cancel Culture nach:

«Dass man abgeschrieben wird, wenn man bestimmte Zeichen von sich gibt. Das sehen wir bei feministischen Diskursen ebenso wie bei anti-rassistischen.»

Er geht noch weiter; nicht das Inhumane daran sei schrecklich: «Es ist das Interessenlose an den eigenen Widersprüchen.» Also an der Tatsache, dass unvereinbare Dinge zusammengehen. Dem wird mit «schrecklichen Vereinfachungen» begegnet. Dann kommt Muschg zu seiner vorläufigen Synthese: «Man will Leute disqualifizieren, die Schwarze disqualifizieren. Das ist sehr ehrenwert. Aber diese Disqualifikation gerät ins genau gleiche faschistoide Fahrwasser des Ausschliessens der Anderen. Nur sind es jetzt andere Andere.»

Ein bestechender, richtiger und nicht einmal sonderlich neuer Gedankengang. Das hätte höchstens an abgelegenen Lagerfeuern intellektueller Abschmecker und Abwäger für ein paar Kriegstänze gesorgt, nach denen man sich aber wieder abgeregt hätte. Nun stellte Muschg aber auch diesen Satz in den Raum:

«Die Canceling Culture, die wir heute haben (…) das ist im Grunde eine Form von Auschwitz.»

Nun kann der inzwischen 86-jährige Literaturprofessor, der sich mit dem Thema Auschwitz ausgiebig beschäftigte, sicher nicht behaupten, dass ihm die Verwendung dieses Wortes einfach so rausgerutscht sei.

Auschwitz ist immer ein Trigger für Aufmerksamkeit und Entrüstung

Natürlich wusste er, was dann passieren wird. Nämlich das übliche absurde Theater genau dieser Canceling Culture. Zunächst bedauerten SRF und der Moderator der Sendung «sehr». Was denn? Er hätte «einhaken müssen», den «problematischen Vergleich kritisieren».  Doppelt genäht hält besser, dachte sich der Moderator, und entschuldigte sich gleich nochmal persönlich dafür, dass er es «verpasst» habe, «den absurden Vergleich zu thematisieren».

Man weiss eigentlich sofort, welches die richtige und welches die falsche Seite in einer Debatte ist, wenn sich der Westentaschen-Geschichtsprofessor Philipp Sarasin ungefragt zu Wort meldet. Seine Tonlage ist nicht professorale Gelassenheit: «Das ist ja echt nicht zu fassen. Was für eine Schande.» So keifte er aus Anlass einer Karikatur im neuen «Nebelspalter». Und auch hier ist er sofort zur Stelle, macht Männchen und kläfft los:

«Herr Muschg sollte sich in Grund und Boden schämen – und es ist absolut unverständlich, warum der Moderator das unwidersprochen einfach stehenlässt

Nein, Herr Professor, einzig unverständlich ist hier, wieso man Sie üppig bezahlt auf arme Studenten loslässt, die eigentlich einen reflektierten und auf wissenschaftlichen Methoden beruhenden Umgang mit der Geschichte lernen sollten. Das können Sie ihnen offensichtlich nicht beibringen.

Aber das waren natürlich nur die ersten Schaumkronen auf der üblichen Gischt der Verurteilung, der Entrüstung, der Indignation, der Erschütterung. Die sich natürlich noch steigerte, als Muschg keinen Grund sah, sich seinerseits zu entschuldigen. Wofür auch?

Eine Übertragung eines Gedankens von Raul Hilberg

Er hat ja lediglich den Gedanken von Raul Hilberg anders formuliert. Hilberg? Alle Frettchen von Sarasin abwärts sollten sich vielleicht kundig machen, wer das war und welches Werk Hilberg hinterlassen hat. Der fasste die Vernichtungslogik der Nazis gegen die Juden so zusammen: Zuerst war: «Ihr dürft nicht so sein, wie ihr seid.» Dann war: «Ihr dürft nicht unter uns sein.» Und schliesslich: «Ihr dürft nicht sein.»

Auf genau diese Ähnlichkeit bei den Vertretern der fanatischen Rechthaberei und der inquistorischen Anmassung, zwischen Gut und Böse, richtig und falsch unterscheiden zu können, hat Muschg hingewiesen. Dass viele dieser Kämpfer für das Gute und gegen das Böse genau die gleichen Methoden verwenden, die sie den «Unmenschen» vorwerfen.

Selbst der Ausdruck «Unmensch» verbreitet schon einen leicht angebräunten Geruch. Aber zu solchen Differenzierungen sind weder ein Professor Unrat, noch andere Tiefflieger fähig. Sie machen also genau das, was Muschg ihnen vorwirft. Anstatt sich mit ihm auseinanderzusetzen, besser noch: mit seinen Überlegungen, verwechseln sie Mensch und Meinung.

Eine Meinungsdebatte wäre: Muschg hat das gesagt; das ist falsch, weil. Muschg hat einen Vergleich mit Auschwitz gezogen. Das geht nicht, weil. So würde, theoretisch, eine intellektuell anspruchsvolle Debatte laufen.

Bereue, Mensch, schäm dich, fordern die modernen Inquisitoren

Aber stattdessen soll sich Muschg in Grund und Boden schämen, hat der Moderator versagt, weil er dem Denker nicht sofort übers Maul gefahren ist, müssen alle sofort das Haupt senken und um Verzeihung bitten. So wie der arme Sünder, wenn ihm die Instrumente gezeigt wurden, sofort alles einräumte. Und bereute.

Nun ist – zum grossen Ingrimm all dieser Kläffer – Muschg nicht irgendwer. Sarasin ist nicht mal ein Irgendwer, er ist einfach ein Titelträger, so wie der Kleiderbügel einen Anzug trägt, aber deswegen nicht zum Herrn wird. Also was tun? Im Gegensatz zu sonstigen Pfeiforgien wird in diesem Fall sehr schnell Ruhe einkehren.

Und wenn es, was ich doch sehr vermute, Muschgs Absicht war, seinen in der kurzatmigen Presse nicht vermittelbaren längeren Gedankengang mit einem Reizwort in die aufgeregte Stratosphäre der sozialen Medien zu schiessen, dann kann man nur gratulieren. So macht man das. Anstatt schon während des Lichterlöschens in der «Sternstunde Philosophie» selbst zu erlöschen – und kein Mensch erinnert sich an irgendwas –, hat der Dichter etwas Bleibendes geschaffen. Gut, nicht für die Ewigkeit, aber bei einer durchschnittlichen Aufmerksamkeitsspanne von 12 bis 30 Sekunden sind 24, eventuell sogar 48 Stunden Präsenz eine grosse Leistung.