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Her mit dem Experten

Pech für den Leser: Da kommt Agota Lavoyer.

Eine Marklücke gefunden, mit Wissenslücken aufgefüllt, schon läuft das Geschäft. Agota Lavoyer ist selbsternannte «Expertin für sexualisierte Gewalt und Opferberatung». Was das ist? Alles ist sexualisierte Gewalt, also ist sie Expertin für alles. Oder für nichts.

Im Walliser Boten lässt sie sich zitieren: «Eine Verletzung der sexuellen Integrität eines Menschen ist eine Menschenrechtsverletzung.» Was ist «sexuelle Integrität»? Gute Frage. Was ist eine Verletzung? Zweite gute Frage. Was ist sexuelle Belästigung? Zum Beispiel «Catcalling». Hätten fast alle Frauen schon mal erlebt, dass man ihnen nachgepfiffen hat. Nicht selten muss das jahrelang therapiert werden, können diese Frauen erst zwanzig Jahre später darüber sprechen, dass man sie gar zu küssen versucht habe.

Männer, die «eher nicht zur Seite gehen, wenn ihnen jemand auf der Strasse entgegenkommt. Das sind alles Formen der Machtausübung.» Weiss Lavoyer. Es ist furchtbar, alles ist furchtbar, aber immerhin, Lavoyer weiss auch Rat. Sie ist zur Stelle, wenn sich der Journalist fragt, wie man eine Story noch weiterdrehen könnte. Wenn sie sonst nix mehr hergibt, hilft vielleicht das Interview mit dem Experten (generisches Maskulin, höchstwahrscheinlich männliche Sprachgewalt).

Nun wurde ein Lehrer verhaftet, den eine Kollegin bei einem angeblichen «grenzüberschreitenden Verhalten» gegenüber einem Schüler beobachtet habe. Was immer das sein mag. Theoretisch gilt die Unschuldsvermutung. Aber natürlich nicht für Lavoyer.

Die weiss, wie man ein Titelzitat für Tamedia absondert: «Wir sagen der Nase auch nicht «Rohr», und die Vulva ist nun man kein «Schlitz».» Hä? Was ist dann die Vulva? Und tatsächlich, niemand nennt eine Nase Rohr, was soll dieser Vergleich? Niemand nennt Lavoyer Kommode, na und? Auf gerüttelten und geschüttelten 11’659 A sondert Lavoyer gequirlten Unsinn ab, wenn man das als Mann sagen darf, ohne sich gleich gewalttätig sexualisierter Sprache schuldig zu machen.

Das liegt auch daran, dass die Interviewerin Angela Barandun der Pseudoexpertin den roten Teppich ausrollt. «Wir wissen noch nicht viel, aber klar ist: Für Eltern ist das ein Albtraum.» Wenn wir noch nicht viel wissen, wieso soll es dann ein Alptraum sein? Kein Problem für Lavoyer, loszugaloppieren: «Die Vorstellung, das eigene Kind könnte sexualisierte Gewalt erfahren, gehört für Eltern zu den grössten Ängsten.» Bislang war von grenzüberschreitendem Verhalten die Rede, nun ist es schon sexualisierte Gewalt?

Denn, schlimm: «Sexualisierte Gewalt geschieht meist im Geheimen, ist oft nicht erkennbar, erst recht, wenn das Kind nichts erzählt.» Wenn man sexualisierte Gewalt, was immer das sein mag, nicht erkennen kann, wie erkennt man sie dann? Oder ist das sexistische, männliche Logik?

Indem man jede Annäherung an ein Kind problematisiert, offensichtlich: «Wenn ich ein komisches Gefühl habe, weil mein Bekannter mein Kind immer auf den Schoss nimmt, muss ich das thematisieren.»

Und wie steht es bei Lehrern? «Als Eltern wünschen wir uns von einer Lehrperson, dass sie den Kindern zugewandt ist, dass sie präsent und empathisch ist. Dafür braucht es keine körperlichen Berührungen.»

Und was sollte man sonst noch so im Unterricht beachten?

«Mir hat eine Kollegin erzählt, sie hätten sich im Lehrerkollegium entschieden, sich nicht mehr von hinten über die Kinder zu beugen, wenn sie ihnen etwas erklären. Man kommt ihnen dabei unweigerlich sehr nahe. Das kann sehr unangenehm sein. Die Kinder würden sich kaum dagegen wehren. Darum hat das Kollegium entschieden, nur noch vor die Kinder zu stehen oder vor ihnen zu kauern, wenn sie etwas erklären. Das ist vielleicht ein wenig umständlicher und etwas unangenehmer für die Lehrpersonen.»

Wäre es denkbar, dass spätestens hier Barandun mal Einhalt gebietet? I wo.

Vielleicht darf man noch erwähnen, dass Lavoyer gerade ein neues Buch herausgebracht hat, dessen Verkauf sie gerne befördern möchte. Schliesslich ist ihre Mission «das Ende der Rape Culture». Was das wieder ist? Nun wenn der arglose ZACKBUM-Leser das noch nicht wusste: wir leben – so die Definition –«in sozialen Milieus oder Gesellschaften, in denen Vergewaltigungen und andere Formen sexualisierter Gewalt verbreitet sind und weitgehend toleriert oder geduldet werden».

Nun sind Vergewaltigungen in der Schweiz weder verbreitet (2023 wurde 839 Anzeigen erstattet, selbst wenn wir eine gewaltige Dunkelziffer dazuzählen, ist das im Promillbereich), und sie werden weder toleriert noch geduldet. Aber wieso soll sich Lavoyer durch solche sexistische Einwände ihr Geschäftsmodell vermiesen lassen?

Dass aber Tamedia ihr die Möglichkeit gibt, vor Millionenpublikum – ohne von einer einzigen kritischen Frage belästigt zu werden – unverständlichen Stuss zu erzählen, das ist zwar keine sexualisierte Gewalt, aber eine Art intellektuelle Vergewaltigung des armen Lesers. Der sich nun fragt, wenn sein Kind nach Hause kommt und erzählt, dass sich der (oder die) Lehrperson von hinten über es gebeugt habe, um eine Aufgabe zu erklären, ob das bereits ein «grenzüberschreitendes Verhalten» war.

Oder wenn der (oder die) Sportlehrer mit einem beherzten Griff an den Po den Absturz vom Barren verhinderte – steht der (oder die) dann auch schon mit einem Bein im Gefängnis? Oder ansonsten wegen unterlassener Hilfeleistung, wenn der (die/das) Schüler mit dem Kopf auf den Turnhallenboden knallt?

Gibt es denn, wir wiederholen verzweifelt die Frage, bei Tamedia überhaupt keine Qualitätskontrolle mehr? Ist Pietro Supinos volles Vertrauen in die Redaktionsleitung (Schreibverbot für Kritiker!) wirklich verblendet unerschütterlich?

 

 

Die Gewalt, die sexualisierte

Wenn die WoZ Journalismus über Bord wirft.

Ein Interview ist eine interessante Sache. Ein hoffentlich vorbereiteter Journalist fragt eine Person des öffentlichen Interesses dies und das. Durch die Gesprächssituation entsteht ein lebhafter Dialog, dem der Leser mit Interesse folgen kann.

Das wäre die Theorie.

In der Praxis wird im deutschen Sprachraum etwas getan, wo es jedem angelsächsischen Journalisten den Hut lüpfen würde. Das abgetippte Interview wird zum sogenannten Autorisieren dem Interviewten gegeben. Ursprünglich war die Idee, dass der offensichtliche Versprecher oder Falschaussagen in der Hitze des Gesprächs korrigieren kann.

Heute ist es so, dass das Interview glattgeföhnt wird, ganze Passagen umgeschrieben werden oder gestrichen. Falls nicht schon vorher abgemacht wurde, was ja nicht gefragt werden darf. Damit ist diese interessante Form des Journalismus eigentlich schon auf den Hund gekommen.

Schlimmer wird’s nur noch, wenn sich Interviewer und Interviewter sowieso in den Armen liegen. Also eigentlich nur Stichworte gegeben werden, worauf der Interviewte sich ungebremst aussprechen kann. Das ist dann die langweiligste Form eines Interviews: das Gesinnungsgespräch.

Erkenntnisgewinn für den Leser null; so ein Stück ist so peinlich langweilig, dass den Lesern (und Leserinnen und everybody beyond) zuerst das Gesicht, dann die Füsse und am Schluss das Gehirn einschläft.

Ein besonders abschreckendes Beispiel gelang vor Kurzem der WoZ. Die freie Journalistin Naomi Gregoris interviewte die selbsternannte «Expertin für sexualisierte Gewalt» Agota Lavoyer. Die lässt keine Gelegenheit aus, sich mit grenzwertigen Behauptungen ein paar Sekunden medialer Aufmerksamkeit zu ergattern. Und nun hat sie auch noch ein Buch geschrieben, mit dem Titel «Jede_ Frau. Über eine Gesellschaft, die sexualisierte Gewalt verharmlost und normalisiert».

Über die Gewalt, die der deutschen Sprache hier angetan wird, redet wieder niemand.

Darin hantiert Lavoyer mit den üblichen Worthülsen in diesem Genre. «Victim Blaming», «Täter» seien hauptsächlich «cis-Männer», «Rape Culture», «Dick Pic», und dann die grossen Zahlen, deren Behaftbarkeit niemals validiert wurde:  «Diesen Zahlen zufolge erlebt jede dritte Frau in ihrem Leben einen körperlichen, sexualisierten Übergriff. 97 Prozent der Frauen haben sexuelle Belästigung in Form von Nachrufen und Pfeifen («Catcalling») erlebt» entsetzt sich der Beitrag bei SRF Kultur.

Diesmal werde Lavoyer sogar persönlich, denn: «Aber auch sie sei «Jede_ Frau», der nachgepfiffen wurde, die gestalkt wurde, unangenehm berührt und vergewaltigt wurde.» Wobei nicht ganz klar wird, ob sie sich einfach die Opferrolle leiht oder tatsächlich solche Übergriffe erlebt hat.

Die WoZ geht allerdings noch einen Schritt weiter ins völlig Absurde. Das Interview ist über 10’000 A lang. Aber es gelingt keiner der beiden Beteiligten, zunächst einmal eine Definition des Gummibegriffs «sexualisierte Gewalt» zu geben. Sondern beide gehen davon aus, dass es diese «sexualisierte Gewalt» einfach gebe. Definition: all das, was wir als solche bezeichnen. Oder soll das sogenannte «Catcalling» tatsächlich schon sexualisierte Gewalt sein? Wäre das so, würde ganz Lateinamerika, würden die meisten südlichen Länder Europas, ja sogar einige mehr, vor «sexualisierter Gewalt» nur so brodeln.

Aber es geht noch weiter im Absurden. Das als Frage verkleidete Stichwort: «Ein «blöder» Spruch ist weniger gravierend als eine Vergewaltigung. Sie plädieren dennoch dafür, das Ganze nicht vertikal, sondern horizontal zu sehen: Alle Formen sexualisierter Gewalt seien Teil des gleichen Kontinuums.»

Darauf die Antwort: «Klar gibt es weitaus brutalere sexualisierte Übergriffe als sexistische Sprüche. Doch eine objektive Einordnung sagt nichts darüber aus, wie schlimm die Tat für die betroffene Person war. Eine Hierarchisierung der Taten wertet die Erfahrung der meisten Betroffenen ab, denn meistens war es in den Augen der Gesellschaft nicht «schlimm genug», was wiederum dazu führt, dass so viele schweigen. Es ist wichtig zu verstehen, dass alle Formen sexualisierter Gewalt Teil desselben Problems sind.»

Das Problem bestehe darin, dass Männer zum Beispiel

«eher nicht zur Seite gehen, wenn ihnen jemand auf der Strasse entgegenkommt. Das sind alles Formen der Machtausübung. Im Kleinen werden sie vielleicht als nicht so schlimm wahrgenommen, im Grossen sind sie aber gewaltfördernd.»

ZACKBUM fragt schüchtern zurück: und was ist, wenn eine Frau nicht zur Seite geht? Ist das dann auch Machtausübung? Oder Gegenmachtausübung? Und wenn das schon Machtausübung ist, wo fängt dann die sexualisierte Gewalt an? Wenn ein Mann zwar höflich beiseite tritt, um der Frau den Vortritt zu lassen, ihr dann aber anerkennend nachpfeift, ist das dann nur sexistisch oder schon sexualisierte Gewalt?

Die Absurdität liegt in der Behauptung, dass es auf «die Erfahrung der Betroffenen» ankomme, also auf das subjektive Empfinden. Das öffnet Willkür und Wahnsinn Tür und Tor. Wenn jemand, also natürlich ein cis-Mann, zu einer Frau sagt «elegantes Kleid», dann soll es schlichtweg dem Empfinden der Frau überlassen sein, ob sie das als nettes Kompliment oder als unverschämt-verletzende sexualisierte Gewalt auffasst?

Kann jemand, der einen anderen öffentlich bezichtigt, ihm den Geldbeutel aus der Hosentasche gestohlen zu haben, sich mangels Beweis darauf zurückziehen zu sagen: «Aber ich habe es so empfunden?»

Wenn ZACKBUM daran denkt, dass solche und ähnliche Fragen an Universitäten, an anderen Bildungsstätten und im Kulturbetrieb ernsthaft diskutiert werden, dann ist klar, dass unsere Gesellschaft an fortgeschrittener Dekadenz und Hirnerweichung leidet.