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Eine Frage der Redlichkeit

Joelle Weil kritisiert die Anerkennung des palästinensischen Staates.

Das ist ihr gutes Recht, und CH Media gibt Weil eine grosse Plattform. Das ist auch erlaubt. Sie zieht gewaltig vom Leder:

«Es gehe bei der Anerkennung Palästinas um «Hoffnung», sagt der spanische Premierminister Pedro Sánchez. Was bedeutet: Hoffnung für ein Volk, das sich seit zwanzig Jahren auf seinem Territorium in Gaza selbst unterdrückt; wo auf Strassen gehängt wird oder gefoltert, wenn man für seine Freiheit gegen das eigene Hamas-Regime protestiert. Zwanzig Jahre lang gab es kaum internationale Forderungen gegen diese Diktatur zugunsten der Bevölkerung. Die Stille kam von allen Seiten. Man hatte bis heute genug Zeit, Palästina mit den Grenzen von 1967 anzuerkennen. Der aktuelle Zeitpunkt ist mehr als zynisch.»

«Zynisch», das ergänzt sie noch mit «schamlos», wer anerkenne, der «belohnt den Terror des 7. Oktobers», treibe die Unterdrückung des palästinensischen Volkes voran, sende ein «gefährliches Signal».

Schlimmer noch: «Wer sich jetzt nicht mit allen Kräften für ein Gaza ohne Hamas einsetzt, ist kein Freund, sondern füttert den Missstand und versucht, auf Kosten anderer sein eigenes Gewissen zu bereinigen.»

Und als krönender Höhepunkt am Schluss: Die Anerkennung zeige «ein Einknicken vor der Welt, die mit uns keine demokratischen und freien Werte teilt. Aber Einknicken gelingt ohne Rückgrat besonders gut».

Das ist starker Tobak. Der Redlichkeit wäre es vielleicht geschuldet zu erwähnen, dass Weil 9 Jahre lang in Tel Aviv lebte und von dort berichtete. Das könnte ihre Parteilichkeit und Einseitigkeit erklären. Wenn eine palästinensische Autorin die Meinung der Hamas verträte, wäre eine solche Einordnung auch hilfreich.

Dass der brutale Terroranschlag vom 7. Oktober ein barbarisches Verbrechen war, ist unbestreitbar. Zu behaupten, dass eine Anerkennung des palästinensischen Staates zynisch sei und gar diesen Terror «belohne», das ist schlichtweg unverschämt.

Es ist keine Belohnung dieser Barbarei, es ist eine Reaktion auf  das Wüten Israels im Gazastreifen. Vielen journalistischen Israel-Groupies wird es inzwischen klar, dass die fast vollständige Zerstörung der Infrastruktur dort, die Fortsetzung des Angriffs auf den angeblich sicheren Zufluchtsort Rafah, die Bombardierung eines Flüchtlingslagers, wo sich Palastinenser aufhalten, die auf Israels Zusicherung vertrauten, dort in Sicherheit zu sein – das alles nicht hilfreich ist, sondern der Sache Israels mehr schadet, als es die Hamas vermöchte.

Dass sich Hamaskämpfer feige in der Zivilbevölkerung verstecken, abscheulich. Dass Israel ohne Rücksicht auf Verluste fortfährt, ein unmögliches Ziel zu verfolgen – die Auslöschung der Hamas –, das ist ebenfalls abscheulich. Auf eine andere Art, aber das Gute kann nicht grenzenlos böse werden, um das Böse zu bekämpfen. Denn irgendwann verschwimmen die Unterschiede, und das ist das aktuelle Problem Israels.

Es ist nur am Rande Ausdruck einer antiisraelischen Haltung, wenn auch UNO-Gremien das Vorgehen des israelischen Militärs immer schärfer kritisieren.

Über dessen Führungspersonal man keine Worte mehr verlieren muss.

Weil hat eine ungute intellektuelle Entwicklung hinter sich, weg von journalistischer Neugier, hin zu Schwarzweissdenken. Dabei schrieb sie einmal:

«Diese Ratlosigkeit auf allen Seiten, die manchmal zur Verzweiflung wird. Nur eines habe ich mit Bestimmtheit gelernt: sich mit Urteilen zurückzuhalten. Lieber einmal mehr zuhören, als einmal zu oft zu reden.»

Das war 2018; sie lebte damals seit fünf Jahren als Schweizer Journalistin in Israel. Und bemühte sich noch, diese komplizierte, verkeilte, verkrampfte, komplexe Welt zu verstehen. Und gab offen zu, dass das schwierig bis unmöglich ist. Damals zeigte sie noch Einfühlungsvermögen und das Bedürfnis nach ausgewogenen Erklärungsversuchen, hatte mehr Fragen und Antworten.

Nun hat sie alle Antworten und keine Fragen mehr. Mehr noch, sie ist randvoll mit Urteilen, mit Verurteilungen. Damit will sie nicht mehr Verständnis schaffen, sondern ist auf dem Kriegspfad. Hat vergessen, dass man sich als ernstzunehmender Berichterstatter mit keiner Seite gemein machen sollte, nicht einmal mit der guten – oder welche man für die gute hält.

Dabei wäre es kinderleicht, eine banale Dialektik zu durchschauen. Viele Apologeten Israels verbitten sich jede Kritik an dessen Vorgehen; gehen ihnen andere Denunziationen aus, greifen sie zum Totschlagbegriff Antisemitismus. Wer die Israel idiotisch als «die Guten» bezeichnet und logischerweise «Hamas» als die Bösen, der schafft eine Dichotomie, die andere Verpeilte dazu motiviert, sich für die Bösen einzusetzen.

Dabei kann doch kein denkender Mensch etwas unterstützen, das mit fundamentalistischem Wahnsinn durchtränkt ist und eine Herrschaft ausübt, in der kein zivilisierter Mensch leben möchte, von Studenten in Europa oder den USA ganz zu schweigen.

Kein denkender Mensch kann die Politik der israelischen Regierung unterstützen, angeführt von einem gescheiterten und korrupten Regierungschef, der nicht nur gegen die Hamas kämpft, sondern auch gegen eine drohende Gefängnisstrafe. Eine Regierung, die die monatelangen Vorbereitungen auf den Terroranschlag vom 7. Oktober nicht bemerkt haben will, die am Anfang peinlich und schrecklich versagte, die eigene Bevölkerung zu schützen.

Darüber zu diskutieren, wo das noch erlaubt ist, würde sich lohnen. Was Weil betreibt, nützt nichts und schadet viel.