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Milei macht Ernst

Und hat dafür seinen Mann fürs Kleinklein. Don’t cry for me, Argentina, diesmal live.

Es wird mal wieder augenfällig: während Tamedia dummes Gewäffel übernimmt und das angeblich arme Argentinien bemitleidet, das noch drei Jahre unter dem neuen Präsidenten Milei aushalten müsse, der bekanntlich ein brutaler, neoliberaler Anarcho-Kapitalist sei, der die Bevölkerung in die Massenarmut schicke, analysiert die NZZ die Arbeit seiner Regierung genauer.

«Der rechtsliberale Staatschef ist kein Vorbild, sondern eine Gefahr», behauptet der SZ-Journalist Christoph Gurk, frei von jeglicher ökonomischer Sachkenntnis, natürlich auch in den Blättern von Tamedia. Ganz anders der NZZ-Korrespondent Alexander Busch. Man kann ihm höchstens vorwerfen, dass er zu einem etwas reisserischen Titel gegriffen hat. Aber der Inhalt seiner Analyse ist das, was Qualitätsjournalismus ausmacht:

Genauer hinschauen und erklären. In diesem Fall schaut Busch auf die Tätigkeit von Federico Sturzenegger, dem Chef Deregulierung von Milei, der offenkundig Schweizer Abstammung ist. Nun ist schon alleine Deregulierung für viele woke Journalisten ein rotes Tuch. Dabei bedeutet es in diesem Fall, dass Sturzenegger ganze 4200 Gesetze und 2000 internationale Abkommen Argentiniens daraufhin durchforstet hat, ob sie sinnvoll sind, abgeschafft oder geändert gehören.

Er kam schon vor der Präsidentschaft Mileis zum Schluss, dass 300 Gesetze ganz abgeschafft und viele hundert umgeschrieben werden müssen: «Alles müsse von Grund auf geändert werden, um die Privilegien abzuschaffen, die sich durch den Staat eingenistet hätten, sagt er.»

Busch zitiert einen engen Mitarbeiter Sturzeneggers, der selbst kaum Interviews gibt: «Für den Deregulierer sei der argentinische Staat von Partikularinteressen kooptiert. Unternehmer, Gewerkschafter und Politiker hätten sich Privilegien verschafft und saugten seit Jahrzehnten die Ressourcen des Staates ab. Wenn man sich die Liste der reichsten Argentinier anschaue, stünden an der Spitze dieselben Familien wie vor fünfzig Jahren. Damit wolle Sturzenegger Schluss machen.»

Während Oberflächenbetrachter sich am Bild von Milei mit der Kettensäge festhalten und unken, dass der den Staat zerstören wolle, stellt Busch richtig: «Tatsächlich ist aber wenig bekannt darüber, wie langfristig und akribisch die Deregulierung in Buenos Aires vorbereitet wurde und wie radikal und diszipliniert sie jetzt umgesetzt wird. Wie eine Maschine produziert Sturzeneggers Team täglich neue Gesetzesänderungen, die mit der Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft treten

Erste Erfolge sind unübersehbar:

«Es sei eine beachtliche politische Leistung Mileis, die Staatsausgaben um ein Viertel gekürzt zu haben, sagt der befragte Ökonom. Keine Regierung zuvor habe es gewagt, die zentrale Ursache des jahrzehntelangen Inflationsproblems so radikal anzugehen.»

Die Bürokratie ist auch in Lateinamerika ein Grundübel der Gesellschaft. Denn die einfache Tatsache wird gerne übersehen, dass kein Beamter in irgend einer Form Wertschöpfung betreibt, produktiv im ökonomischen Sinn ist. Daher die zweite Stufe der Staatsreform: «40 000 Beamte sollen in den nächsten drei Monaten Prüfungen ablegen, ob sie die Kriterien für ihren Job erfüllen. Geprüft werden Mathematik, Logik, Denk- und Lesefähigkeit sowie Kenntnisse im öffentlichen Recht. In drei Stufen, je nach Position.» Nachdem bereits 33’000 auf einen Schlag entlassen wurden. Ohne dass Anarchie und Chaos ausgebrochen wären.

Die Sondervollmachten Mileis und Sturzeneggers laufen am 8. Juli 2025 ab, da der Präsident im Parlament über keine Mehrheit verfügt, regiert er mit Dekreten.

Ob das Experiment einer Radikalkur nach Jahrzehnten des Niedergangs, der Vetternwirtschaft, der Korruption, in denen Argentinien, einstmals das reichste und produktivste Land der Welt, von Staatsbankrott zu Staatsbankrott taumelte, gelingen wird, ist absolut offen.

Aber zumindest die meisten Argentinier wissen, dass es so, wie es war, nicht weitergehen konnte und kann. Nur diverse Korrespondenten und ideologisch verblendete «Analysten» müssen das noch lernen. Statt mit Schlagworten um sich zu werfen, wäre ein genauer Blick auf die Wirklichkeit ein erster Schritt.

Das tägliche Morgengrauen

Was der Tagi dem Leser auf seiner Webseite zumutet.

Im Rahmen des Qualitätsjournalismus, wie ihn Simon Bärtschi unablässig predigt (apropos, wo ist der Mann eigentlich; mit Raphaela Birrer und Jessica Peppel-Schulz ihrem Avatar in Klausur?), macht der Tagi mit einem Interview auf:

Die letzten Befürworter einer engeren Anbindung an die EU machen inzwischen auf Pfeifen im Wald. Allerdings gnädig versteckt hinter der – momentan funktionierenden – Bezahlschranke.

Da muss der Tagi selbst gleich mitpfeifen:

Fürchtet Euch nicht, lieber Kinder und Tagileser, der schwarze Mann geht nicht mehr um, jetzt ist es ein blondgefärbter. Die Formulierung ist grossartig: «Donald Trump wirft seinen Schatten auf die bevorstehende Klimakonferenz.» Aber das ist doch genial, endlich ein Beitrag von ihm gegen die Klimaerwärmung.

Dann nimmt sich der Tagi eines lebensbedrohenden Problems an. Denn wer wusste das schon:

Wuff, sagt da der Chihuahua und guckt böse.

Aber jetzt kommt die Hammermeldung des Tages. Der Aufreger. ZACKBUM sagt nur «Trump«. Eben. Was macht der Bengel denn nun schon wieder? Er ist doch noch gar nicht im Amt, aber trotzdem stellt er schon Sachen an. Er telefoniert nämlich. Hallöchen, Trump kann telefonieren, Wahnsinn, und ohne, dass ihm dabei die Frisur verrutscht. Aber das ist noch nicht alles:

Er telefoniert nicht nur, sondern auch noch mit Präsident Putin. Das tut man doch nicht. Aber tut das Trump? Nun, das Telefonfräulein von der Vermittlung muss geplaudert haben. Denn diese Weltsensation schreibt das Weltblatt Tagi der «Washington Post» ab.

Genauer gesagt, das Tagi lässt abschreiben, denn er übernimmt einfach eine Meldung der DPA. Man kann ja auch nicht alles bei der «Süddeutschen Zeitung» kopieren, nicht wahr.

Nun noch eine Herzschmerz-Meldung:

Meine Güte. Rita weint. Öffentlich. Um Liam Payne. Schluchz. Das ist ein Lebenszeichen von Tagi «Kultur». Allerdings bleibt die scheintot, denn es ist auch von der DPA übernommen.

Nun ist die Schreckensbotschaft, dass Trump telefoniert, natürlich nicht die einzige aus dem bösen Wirken des Gottseibeiuns, den eine Mehrheit von völlig verpeilten Amis doch fahrlässig nochmal zum Präsidenten gewählt hat, obwohl die besten Kräfte von Tamedia streng davon abgeraten hatten. Und jetzt hat er auch noch den letzten der sieben Swing States für sich entschieden. Also peinlicher untergehen als die Demokraten mit ihrer Notlösung Harris kann man wirklich nicht.

Aber gut, dass der Tagi wachsam bleibt und eine neue Rubrik, gleich nach den Räbeliechtli, eingeführt hat:

«Der Kampf»? Was ist nur in den Tagi gefahren, dass er sich nicht entblödet, eine Assoziation zu «Mein Kampf» herzustellen?

Wieso beschränkt sich das Blatt nicht auf seine wohlfeilen Ratgeber?

Immerhin, Marc Brupbacher bleibt am Ball, bzw. am Virus. Das nennt man mal Durchhaltevermögen. Es ist für die Volksgesundheit zu hoffen, dass er nicht dem Rausschmeissen zwecks Qualitätssteigerung zum Opfer fällt.

Allerdings könnte man sich – so im Rahmen des Qualitätsmanagements – etwas mehr Koordination zwischen den verschiedenen Rubriken vorstellen. Denn einerseits haben wir ja «Trump zurück an der Macht». Aber dann haben wir noch «International», und unter der umsichtigen Leitung von Christof Münger fällt denen halt auch nix anderes als ein Ticker ein – und halt Trump, who else?

Da fehlt nur noch die Berufs-Unke, der Demagoge Peter Burghardt aus Washington, die Abrissbirne des seriösen Journalismus. Denn wenn es eigentlich nichts zu sagen gibt, dann muss er einen Kommentar schreiben. Wobei schon der Titel einen ankräht: ja nicht weiterlesen, Zeitverschwendung:

Denn auch der ungeübte Tagileser weiss: wenn ein Kommentar beginnt mit «Noch ist völlig offen …», dann muss man sofort abbrechen.

Nun aber die Rubrik für Euch, liebe Kinder und Nachwuchsleser, sorgfältig gestaltet von den Kindersoldaten im Newsroom:

Dass die meisten der hier angepriesenen Umzüge schon Vergangenheit sind, das kann einen Qualitätsjournalisten doch nicht erschüttern.

Apropos Qualitätsjournalismus, ein lobhudelndes Porträt über diese Windmacherin und Angeberin? Wie schrieb ZACKBUM in seinem Porträt über sie so richtig:

Grossmäulige Mimose, eine Schweizer Wunderwuzzi. Wenn das die Zukunft sein soll –jung, dynamisch, laut, erfolglos –, au weia. Das sieht Qualitätsjournalist Michael Marti entschieden anders.

Nun aber noch ZACKBUMs absolute Lieblingsgeschichte, ein richtiger Heuler, geht ans Herz, hat auch eine gesellschaftspolitische Komponente, denn sicherlich ist der Klimawandel auch daran schuld:

Besonders rührend ist die Beschreibung eines Augenzeugen, wie Gus den Sandstrand für Schnee hielt und versuchte, darauf auf dem Bauch zu rutschen, wie das Pinguine halt so tun. Hier ist der kühne Abenteurer im Bild:

Beruhigend zu wissen, dass Gus von der Vogelpflegerin Carol Bidulph liebevoll betreut und aufgepäppelt wird:

«Nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätte sie geglaubt, jemals einen Kaiserpinguin zu betreuen, sagte Biddulph. «Es ist einfach unglaublich. Es ist ein Privileg, Teil der Reise dieses Vogels zu sein.»»

Aber hallo. Eine solche liebevolle Betreuung würde sich auch so manches palästinensische Kind wünschen. Von sudanesischen, äthiopischen und eritreischen ganz zu schweigen. Aber die können halt nicht so süss auf dem Bauch durch Sand rutschen.

Was ist Qualitätsjournalismus?

Auch in ZACKBUM steckt ein Lehrer.

Dürfen wir darauf hinweisen, dass Redaktor René Zeyer das Diplom für das Höhere Lehramt hat und – im Gegensatz zu Chefredaktorinnen – auch schon an Gymnasien unterrichtete.

So viel Selbstbespieglung muss sein, denn wir wollen heute auch mal oberlehrerhaft dozieren. Also, liebe Schüler, Handys weggelegt und aufgepasst.

Eigentlich sind seine Voraussetzungen banal. Qualitätsjournalismus beinhaltet, dass der Leser (oder Hörer oder Zuschauer) darauf vertrauen kann, dass das ihm Dargebotene ein möglichst korrektes Abbild eines Wirklichkeitsausschnitts ist. Oder einfach ausgedrückt: das Gegenteil von dem, was Claas Relotius oder Tom Kummer betreiben.

Wenn die beschriebene Wand grau ist und bröckelt, wenn das Gegenüber einen Satz gesagt hat, dann muss der Empfänger der Nachricht darauf vertrauen können, dass es so ist. Denn er war ja nicht dabei. Kann er das nicht, ist’s Fiktion, aber das ist eine ganz andere Baustelle.

Die im Ernstfall überprüfbare Faktizität ist das Fundament von Qualitätsjournalismus. Nun besteht die Wirklichkeit nicht nur aus einer Wand und einem Satz. Also ist die Auswahl und die Gewichtung des Beschriebenen der nächste Eckstein des Gebäudes. Man kann jede Situation, jedes Gespräch, jede Wirklichkeit so zurechtschnitzen, dass sie dem Vorurteil des Beschreibers entspricht. Damit bestätigt er zwar seine eigene (und auch die seiner Empfänger) Weltsicht, zur Erklärung oder zum Verständnis der Welt hat er damit aber nicht wirklich beigetragen.

Der dritte Eckstein ist der intellektuell anspruchsvollste. Hier geht es um die Analyse, um die Verarbeitung der Wirklichkeit. Dazu gibt es ein grossartiges Gedicht von Bertolt (der mit t, liebe Tamedia-Kulturredaktion) Brecht, «Der Zweifler»:

Immer wenn uns
Die Antwort auf eine Frage gefunden schien
Löste einer von uns an der Wand die Schnur der alten
Aufgerollten chinesischen Leinwand, so daß sie herabfiele und
Sichtbar wurde der Mann auf der Bank, der
So sehr zweifelte.

Ich, sagte er uns
Bin der Zweifler, ich zweifle, ob
Die Arbeit gelungen ist, die eure Tage verschlungen hat.
Ob, was ihr gesagt, auch schlechter gesagt, noch für einige Wert hätte.
Ob ihr es aber gut gesagt und euch nicht etwa
Auf die Wahrheit verlassen habt dessen, was ihr gesagt habt.
Ob es nicht vieldeutig ist, für jeden möglichen Irrtum
Tragt ihr die Schuld. Es kann auch eindeutig sein
Und den Widerspruch aus den Dingen entfernen; ist es zu eindeutig?
Dann ist es unbrauchbar, was ihr sagt. Euer Ding ist dann leblos.
Seid ihr wirklich im Fluß des Geschehens? Einverstanden mit
Allem, was wird? Werdet ihr noch? Wer seid ihr? Zu wem
Sprecht ihr? Wem nützt es, was ihr da sagt? Und nebenbei:
Läßt es auch nüchtern? Ist es am Morgen zu lesen?
Ist es auch angeknüpft an vorhandenes? Sind die Sätze, die
Vor euch gesagt sind, benutzt, wenigstens widerlegt? Ist alles belegbar?
Durch Erfahrung? Durch welche? Aber vor allem
Immer wieder vor allem anderen: Wie handelt man
Wenn man euch glaubt, was ihr sagt? Vor allem: Wie handelt man?

Nachdenklich betrachteten wir mit Neugier den zweifelnden
Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und
Begannen von vorne.

Schliesslich, damit wären die Eckpunkte aufgezählt, gehört zum Qualitätsjournalismus auch obligatorisch «et audiatur et altera pars». Oder für die Nichtlateiner unter den Kindersoldaten des Journalismus: man höre auch die andere Seite. Feste und vermeintlich richtige Positionen müssen es aushalten, dass ihnen kräftig widersprochen wird.

Ein kräftiges Trump-Bashing macht im Qualitätsjournalismus nur Sinn, wenn es durch eine Würdigung konterkariert wird. Die Beschreibung von Putin als unverstandenen, friedfertigen Staatsmann ist nur dann vollständig, wenn es durch die Aufzählung seiner kapitalen Fehleinschätzungen und verbrecherischen Handlungen ergänzt wird.

Der Tod jedes Qualitätsjournalismus ist aber die Färbung. Die Einfärbung. Das Framing. Die Reduktion der Wirklichkeit auf immer wiederholte Schlagwörter. Der Ersatz der Komplexität und Widersprüchlichkeit der Realität durch binäre Systeme. Ja, nein, gut, böse, schlecht, richtig, falsch. Eigentlich sollten die Journalisten es besser wissen. Ein Mensch ist nicht nur schlecht und böse. Auch nicht gut und weise. Er handelt nicht nur und ausschliesslich aus niederen oder edlen Motiven.

Eigentlich, liebe Schüler – alle noch da und wach – ist das doch gar nicht so schwierig.

So, und als Hausaufgabe bekommt ihr die einfache Frage mit auf den Weg: welche Medienorgane erfüllen diese Kriterien? Bitte eine Liste, und es wird dann abgefragt.

Wie sorgt man richtig für Stimmung?

Führung heisst in erster Linie: motivieren und für gutes Betriebsklima sorgen.

Es ist nun beinahe zwei Wochen her, dass die Leitung von Tamedia es krachen liess. Die publizistische Leiter Simon Bärtschi sorgte für den Brüller des Monats: «Weichenstellung für unabhängigen Qualitätsjournalismus». Richtig wälzen vor Lachen konnten sich allerdings nur diejenigen, die von dieser Weichenstellung nicht betroffen sind.

Denn sie erfolgt, indem 90 Vollzeitstellen im Journalismus gestrichen werden (und 200 in Druckereien, was eine weitere Sauerei ist).

Nun ist es im Kapitalismus durchaus so, dass Firmen, denen es nicht gut geht, Mitarbeiter entlassen müssen. Nicht völlig egal ist dabei, aus welchen Gründen. Die Umstände, der Markt, die Weltgeschichte, der Chinese – oder brüllende Inkompetenz des eigenen Managements.

Besonders störend ist dabei, dass den Medienerzeugnissen des Hauses TX zuerst alle Werbeplattformen abgeschraubt wurden, die dank ihnen überhaupt gross wurden. Wohnungs-, Auto-, Stellen-, Kleinanzeigenmarkt, nicht zuletzt durch die Zusammenlegung mit Ringier eine Goldgrube, ein Mehrwert, Anlass zu einer Sonderdividende für den gierigen und grossen Coninx-Clan.

Auch ohne diese Einnahmequelle sollen die Medienerzeugnisse mindestens 8 Prozent Rendite abwerfen. Noch absurder: weil «20 Minuten» das in der Vergangenheit problemlos schaffte, wurde der Gratisanzeiger auch abgeschraubt und in der Holding TX in ein eigenes Profitcenter verwandelt. Übrig blieb der elende Rest.

All das ist ist durchaus Anlass für Unmut in der Redaktionsmannschaft. Dass Bärtschi mit seinem selten bescheuerten Kommentar noch Öl ins Feuer giesst, ist das eine.

Das andere, Schlimmere ist aber: wenn es schon zu schmerzlichen Entlassungen in diesem Ausmass kommt, muss so schnell wie möglich Klarheit geschaffen werden, wen es trifft. Angesichts der Rumpfredaktionen unter dem Dach von Tamedia handelt es sich bei 90 Vollzeitstellen um sicherlich mehr als 100 Gefeuerte, einen gewaltigen Aderlass. Nur: es ist bis heute nicht bekannt, wer. Dass es 90 Stellen sein müssen, die entsprechende Einsparung lässt sich leicht ausrechnen, das schafft selbst CEO Jessica Peppel-Schulz.

Wieso allerdings nicht 100, oder 80, oder 95,5? Oder he, wäre es nicht einfacher jeder Zweite? Oder statt über 50 leitende Nasen nur noch 10? Oder so feuern, dass endlich auf jeder Hierarchiestufe 50 Prozent Frauenanteil erreicht wird? Nein, sorry, Quoten für Nonbinäre, Hybride und Transen gibt es nicht. Aber gut, die Wege des oberen Managements sind unerforschlich.

Wen trifft es denn nun? Das erinnert unweigerlich an ein altes Soldatenlied von Ludwig Uhland:

«Eine Kugel kam geflogen,
Gilt’s mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den Füßen,
Als wär’s ein Stück von mir.»

Nun gibt es sicherlich Tagi-Redaktoren (irgendwie ist der Schweizer Plural passend), die sich sicher sind, dass sie unkaputtbar seien. Immer brav in jede Körperöffnung oberhalb der eigenen Gehaltsklasse gekrochen. Jeden Woke-Wahnsinn mitgemacht. Niemals auch nur leise Kritik an den vielen Häuptlingen geäussert. Bei jedem Kommentar von Raphaela Birrer, jedem Auftritt von Kerstin Hasse, jedem birreweichen Rempler von Loser, Tobler & Co. nur innerlich zusammengezuckt und ein freundliches Gesicht dazu gemacht.

Niemals bezweifelt, dass man mit immer weniger Nasen immer besseren und konzentrierteren Qualitätsjournalismus machen könne. Kein Wort dagegen gesagt, dass man in der Verrichtungsbox im Newsroom im Stundentakt Tickermeldungen zusammenschnetzeln und rauspusten muss. Begeistert begrüsst, dass die Verweildauer des Users und die Quantität der eigenen Werke das einzige Leistungskriterium ist.

Aber dennoch. In solchen Zeiten ist auf jeden Fall die Führung gefragt. Schliesslich gibt es bis hinunter zum stellvertretenden Irgendwas über 50 Nasen bei Tamedia, die irgend eine Führungsaufgabe haben. Da hätte man erwarten können, dass auf jeden Fall von der Chefredaktion aufmunternde, öffentliche Geräusche kommen. Dass der neugierigen Leserschaft mal ernsthaft erklärt wird, wie man zum gleichen Preis mit weniger Leuten mehr Qualität basteln kann.

Man hätte auch ein Wort dazu erwarten müssen, dass die Entlassung von über 100 Nasen ja bedeutet: ihr ward bloss Ballast, Bremser, habt nichts zum Qualitätsjournalismus beigetragen. Denn es geht doch problemlos auch ohne euch. Ohne euch sind wir «noch näher» beim Leser, fragen uns «noch mehr», was der eigentlich will, frönen bedingungslos dem relevanten, demokratiefördernden Journalismus, üben die Vierte Gewalt im Staate aus.

Schön, dass wir Euch los sind. Das ist doch die Message. Nur: wen trifft’s? ZACKBUM schlägt vor, dass jeden Morgen, vielleicht so gegen neun, über das interne Kommunikationssystem folgendes Lied abgespielt wird. Als Muntermacher, als Motivationsturbo, vielleicht gesungen von der Chefredaktion:

Falls dazu die stimmlichen Fähigkeiten nicht ausreichen – Wikipedia weiss: «Gesungen wird das Lied dabei nur im Ausnahmefall, sondern lediglich durch Intonation der allgemein bekannten Melodie mit einer Blaskapelle oder einer einzelnen Trompete angedeutet.»

Vielleicht kann ja jemand im weitverzweigten Coninx-Clan Trompete spielen …

Neues vom Qualitätsjournalismus

«Prawda»-Bärtschi ist unermüdlich.

Sein grauenhafter Kommentar «Weichenstellung für den unabhängigen Qualitätsjournalismus» hat gute Chancen, als schlimmste Fehlleistung des Jahres an das Schandmal der höchsten Peinlichkeit genagelt zu werden.

Darüber hat es der Oberchefredaktorin Raphaela Birrer offenbar die Sprache verschlagen. Der gröbste Kahlschlag aller Zeiten in ihrer Redaktion, der dummdreiste Kommentar von Bärtschi, wäre es nicht angebracht, dass die oberste Redaktionsleitung mal einen Ton sagt? Ihrer Rumpfmannschaft Mut zuspricht, vielleicht gar gelinde Kritik übt? Aber doch nicht Birrer; dazu bräuchte es Rückgrat …

Die von Bärtschi publizistisch geleiteten Frauen und Männer von Tamedia, durch seine träfen Worte zu höchster Leistung und grandioser Motivation angestachelt, beschäftigen sich vornehmlich mit der Frage: trifft es mich oder trifft es dich beim nächsten Rausschmeissen zur Steigerung der Qualität?

Nebenher blubbern sie noch so etwas wie Artikel raus. Dabei begeben sie sich auch mal ins Reich des Raunens, der Andeutungen, der Leserverwirrung:

Die beiden Recherchiercracks Catherine Boss und Oliver Zihlmann machen etwas Originelles. Sie gehen mit einer unvollendeten Story an die Öffentlichkeit. An der ETH gebe es Vorwürfe «gegen einen renommierten Professor». Worum es allerdings genau geht, das zu beschreiben «verbietet das Bezirksgericht Zürich auf Antrag des Professors hin», wie es in leicht holprigem Deutsch einleitend heisst.

Qualitätsjournalismus würde bedeuten, dass man halt noch solange wartet, bis dieses Hindernis aus dem Weg geräumt ist. Aber doch nicht im Qualitätsblatt Tagi. Da wird nur etwas von «unangemessenem Verhalten» gemurmelt.

Dafür wird gleich eine Kampagne draus gemacht:

Und noch einer:

Da darf natürlich die selbsternannte Feministin nicht fehlen, die zwecks Gleichberechtigung die Offenlegung der Löhne fordert, nur nicht des eigenen. Also plappert Kerstin Hasse:

Ausser dieser wohlfeilen Forderung hat sie eigentlich nichts zu bieten. Denn sie kritisiert, dass Personen, die einen Vorgesetzten anschuldigen, ihre Anonymität aufgeben müssen. Andererseits räumt sie ein: «Gleichzeitig muss sich ein kritisierter Vorgesetzter auch gegen Vorwürfe wehren können. Und das kann er nur, wenn er weiss, worum es geht.» Das war beim via Spiess-Hegglin an die Öffentlichkeit durchgestochenen Protestbrief von erregten Tagi-Frauen, zu denen allerdings Hasse nicht gehörte, anders. Sie unterzeichneten zwar mit Namen, aber alle angeführten Beispiele von angeblichen sexistischen Belästigungen erfolgten anonym, wodurch kein einziger verifiziert – oder falsifiziert werden konnte.

Wohlgemerkt: es handelt sich hier um bislang nicht bewiesene Anschuldigungen von anonymen Denunziantinnen, während der Beschuldigte sagt, dass nichts davon zutreffe. Theoretisch würde da die Unschuldsvermutung gelten, aber wenn man gerne endlich mal wieder «Skandal» quäken möchte, kann man sich um solchen Pipifax doch nicht kümmern.

Nutzwert, Ratgeber, Leserbedürfnis, hat wahrscheinlich die publizistische Leiter nach unten gemurmelt, voilà, sagt die Redaktion:

Allerdings übersteigen solche Höchstleistungen im Banalen ihre Leistungsfähigkeit (wahrscheinlich nicht herzhaft gefrühstückt, die Sparrunde ist auf den Magen geschlagen). Also muss Johanna Adorján ran, die ihr Frühstück bei der «Süddeutschen Zeitung» verdient.

Noch mehr Nutzwert? Aber bitte:

Das Beste an dieser Ansammlung von Banalitäten: sie ist hausgemacht, Matthias Schüssler ist (noch) auf der Payroll von Tamedia.

Aber auch auf höchster Ebene nimmt man sich eines brennend aktuellen Themas an, das die Mehrheit der LeserInnen* dort abholt, wo sie nicht sind:

Denn der Tagi wüsste ja nicht, was er ohne die «Tages-Anzeigerin» machen würde. Hier blödeln Annik Hosmann und Kerstin Hasse als «Host» (was immer das sein mag), während Sara Spreiter die Produzentin macht. Daraus entstehen über 31 Minuten Gequatsche, die man problemlos als Folterinstrument verwenden könnte. Da gesteht jeder alles, wenn man es nur abschaltet.

Der SZ-Journalist Martin Wittmann hat ebenfalls den Blick fürs Wesentliche:

Das ist eine Frage, die unbedingt einmal beantwortet werden musste. Sozusagen mit einem Griff ins Klo.

Einen neuen Gipfel des Bauchnabeljournalismus erklimmt Nadine Jürgensen:

Selten, aber möglich: TA-Korrespondent Fabian Fellmann schafft es sogar in die SZ, allerdings auch in den Tagi. Aber während die Münchner noch gedämpft den Titel setzen «Trump entweiht die Gräber», haut das Qualitätsorgan von der Werdstrasse einen raus:

Echt jetzt, so weit geht der schon? Hat er nun doch einen erschossen, was ihm nicht schaden würde, wie er mal sagte? Nicht ganz, Donald Trump hat sich bei einem Besuch des Soldatenfriedhofs Arlington filmen lassen, was dort nicht erlaubt ist. Aber Qualitätsjournalismus heisst dann, daraus einen richtigen Brüller als Titel zu zwirbeln.

Und dann gibt es noch die qualitativ herausragende Kolumne von Ronja Fankhauser: «Ich will nicht, dass Roboter Gedichte schreiben». Wenn kümmert’s, hört ja auch niemand auf die Tagi-Leser, die nicht wollen, dass Fankhauser Kolumnen schreibt. Aber deren Inhalt, ZACKBUM hat nach dieser Galerie des qualifizierten Grauens ein Einsehen, ersparen wir unseren Lesern. Auch die sind keine Übermenschen.

 

 

 

Peinlicher

Kann Bärtschi peinlich steigern? Oh ja.

Seine Münchhauseniade «Weichenstellung für den unabhängigen Qualitätsjournalismus» hat, Stand Mittwochvormittag, über 250 Kommentare ausgelöst. Angesichts der Zensurpolitik des Tagi im Kommentarbereich, wo selbst harmlose und höfliche Stellungnahmen abgebürstet werden, dürften weitere 750 im Orkus gelandet sein.

Hier haben wir das Problem, dass dennoch fast alle negativ sind. Wobei man sicher sein kann, dass alle positiven Wortmeldungen ungefiltert aufgeschaltet wurden. Vielleicht auch redaktionsnahe Kräfte dazu animiert wurden, mal was Nettes zu sagen. Zum Beispiel das hier, was ganz einsam herausragt:

«Die Massnahmen sind leider notwendig, aber richtig. Wir brauchen unbedingt weiter einen eigenständigen und kompetenten Qualitätsjournalismus!»

Allerdings ergibt eine Auswertung der Kommentare im Rahmen des Qualitätsjournalismus, dass sehr wohlwollend gezählt haargenau 8 positive und 9 neutrale darunter sind. Alle anderen regen sich in mehr oder minder harschen Worten über die Schönschreibübung von Bärtschi auf:

«Das Wort heisst nicht Qualitätsjounalismus, sondern Konzernjournalismus. Und dieser hat über die letzten 30 Jahre die Qualität im Journalimus sukzessive abgebaut.»
«Tamedia will seinen Lesern das Verhältnis von Qualitätsjournalismus zur Anzahl Journalistenstellen als umgekehrten Dreisatz verkaufen?»
«Bei diesen Sparmassnahmen geht es alleine darum, das prallgefüllte Portemonnaie der Aktionäre noch weiter zu füllen.»
«Ein Stellenabbau in den Redaktionen führt zwangsläufig zu einem Rückgang des Angebots und der vielbeschworenen Qualität. Verständlich, dass immer weniger Leute bereit sind dafür zu bezahlen. Ich gehöre bald auch dazu.»

Wenn man versucht, den Leser zu verarschen, und dann von ihm dermassen eins über die Rübe kriegt, dann muss sich ein «publizistischer Leiter» schon fragen, ob er an der richtigen Stelle ist. Und ob so ein kontraproduktives Geschwurbel karrierefördernd ist.

Qualität à la Tagi

Nehmen wir «Prawda»-Bärtschi beim Wort und überprüfen das Niveau online.

Fokus, Synergie, Strategie, Stärkung, schwafel, schwurbel. So hört sich die schöne, neue Welt des angeblichen «Leiter Publizistik» bei Tamedia an. Machen wir doch einen kleinen Faktencheck; lassen wir Simon Bärtschis Wortblasen an der Realität zerplatzen.

Nehmen wir einige Müsterchen des Qualitätsjournalismus des Hauses Tamedia:

Das ist nun selbst für Leser mit Alzheimer etwas starker Tobak. Gleich zweimal nebeneinander stellt sich für Wawrinka die Sinnfrage. Und für den Leser die Frage, wieso er für solchen Schrott etwas bezahlen sollte.

Das gilt auch für die gesamte Auslandberichterstattung:

Nein, lieber Leser, da ist nichts von der «Süddeutschen Zeitung» übernommen, ätsch. Aber alles von der deutschen Nachrichtenagentur DPA. Denn es zeichnet doch eine «präzise Einordnung der politischen Aktualität» aus, dass eine Auslandredaktion fast alles aus München übernimmt, falls sie es nicht per copy/paste von Nachrichtentickern abschreibt.

Ganz anders sieht es im Kompetenzzentrum «Wirtschaft» aus, das sich zwar um Pipifax kümmert, aber den abrupten Wechsel auf dem Chefsessel von Nestlé ungerührt als Meldung verkauft. Dazu passt:

Nein, lieber Leser, auch hier ist kein Artikel aus der SZ. Auch nicht alle von der DPA. Sondern nur einer, ätsch. Die anderen sind von der SDA. Eigenleistung auf höchster journalistischer Ebene: null.

Dann probieren wir’s doch beim «Panorama», das ist eigentlich der Spielplatz jeder Redaktion, die sich dem Schlachtruf verschrieben hat: «Die Qualität steht für uns zuoberst.»

Hier, lieber Leser, zeigt sich, wie sich Tamedia «in den Redaktionen auch noch mehr Gedanken dazu macht, welche Art von Journalismus Sie von uns eigentlich erwarten». Resultat: zwei Meldungen von der DPA, eine von der SDA und (endlich) ein Gurken-Beitrag aus der SZ. Eigenleistung null.

Jetzt aber, wenn es einen Ort gibt für höchste Ansprüche, wo geistige Hochspannung und tiefes Denken geballt auftreten, dann bei der Kultur.

Tatsächlich, der Zusammenschrieb über das Zusammengehen der Oasis-Brüder stammt vom Urgestein Peter Nonnenmacher aus London. Heureka, die erste Eigenleistung. Aber schon das Interview mit Kevin Costner ist ein Fremdbeitrag von Stefan Aust und Martin Scholz. Dafür sind die «Streaming-Tipps im August», immer aktuell, sogar gegen Ende August, die Kollaboration von vielen starken Kräften:

ZACKBUM möchte nicht verabsäumen, auf die Qualitätsserie «Elif x Tagi» hinzuweisen, wo der Leser in die Geheimnisse eines knusprigen «Su Börek» eingeweiht wird. Und als Absackerchen gibt es noch die «aufwühlende Geschichte von Flo-Jo», die nun wirklich niemanden interessiert, und die deshalb ganz zuunterst auf der Homepage verstaut ist..

Tja, da bleibt der Leser doch leicht ernüchtert zurück und fragt sich, ob er eine ganz falsche Vorstellung von Qualitätsjournalismus hat. Er kann aber beruhigt werden: nein, hat er nicht. Er wird bloss von Bärtschi und Tamedia gründlich verarscht. Ein sehr nachhaltiges Geschäftsmodell, eine überzeugende neue Strategie. Mach deine Kunden so richtig sauer, dann kaufen sie dir dein Produkt ab.

Wumms: Pietro Supino

Der Mann spart ein. Leider nicht sich selbst.

Supino ist der Mann der grossen Töne und der kleinen Taten. Er singt das hohe Lied der Verantwortung der Medien, des Qualitätsjournalismus, Wächter- und Kontrollfunktion, Blabla.

Damit sorgt er regelmässig dafür, dass die Medien im Allgemeinen, Tamedia im Speziellen, an Glaubwürdigkeit und an Lesern verlieren. Das soll ihm mal einer nachmachen: die geballte Medienmacht des Verlegerverbandes gegen ein kleines Häuflein von Unerschrockenen, die gegen die Subventionsmilliarde für reiche Verlegerclans das Referendum ergriffen hatten. Und auf die Schnauze gekriegt.

Was fällt Supino im eigenen Haus so ein, um der Misere abzuhelfen? Einen Dampfplauderer als Vorreiter für das Digitale einsetzen. Beförderungen nach Geschlecht, nicht nach Kompetenz durchsetzen.

Und vor allem und immer wieder: sparen. Sparen. Sparen und sparen. Sparen, begleitet vom immer gleichen Gelaber. In der Romandie werden wohl zehn Prozent aller Mitarbeiter rausgehauen.

Warum? Geschäftsmodell unter Druck, Werbemarkt, Umsatzrückgang, Blabla. Und die guten Nachrichten? Prozesse vereinfachen, Marken stärken und – der ewige Brüller – die Nähe zum Leser erhöhen.

Nun will Tamedia schon seit der ersten Sparrunde immer näher an den Leser, das will auch der Dampfplauderer im Digitalen, das wollen alle. Da erhebt sich doch die Frage, wie nahe man denn nun beim Leser sei. Kriecht man ihm schon unters Hemd? Steckt man in seinem Rachen? Im Gehörgang? Unter den Augenlidern?

Es ist eigentlich verwunderlich, dass bei dieser Wiederholung des Ewiggleichen noch kein Gefeuerter einen Blutrausch bekommen hat. Mehr sparen, aber mehr Qualität? Weniger Geld, aber mehr Synergie? Mehr Inkompetenz, denn in erster Linie bleiben ja die Duckmäuser, aber mehr Content? Mehr zahlende Leser durch mehr Bauchnabelbetrachtungen und seichte Analysen und dummes Gerüpel aus der Gesinnungsblase? Mehr Oktoberfest, weniger Schwingfest?

Es ist erbärmlich. Es ist ärmlich. Es ist eine Bankrotterklärung des leitenden und wohlbezahlten Managements, das sich und den Besitzern gerne mal eine Sonderdividende ausschüttet.

Das sorgt dann unheimlich für Stimmung in der Mannschaft, wo immer weniger mit gleichviel Rudern die Galeere durch die Wellen treiben sollen. Nach der Devise: rudert schneller, der Käpt’n will Wasserski fahren.

Beziehungsweise mit seiner Yacht in der Karibik schippern. Oder im Mittelmeer. Heute werden dann noch die Entlassungen in der Deutschschweiz bekanntgegeben. Mit dem gleichen Blabla.

Aber mal Hand aufs Herz, Herr Supino: fällt Ihnen wirklich keine sinnvolle Sparmassnahme ein? Nein, nicht im Maschinenraum. Oben, ganz oben, zuoberst oben. Oder schützt Familie vor allem?

Hilfe, mein Papagei onaniert!

Diesmal zum Thema: Schon wieder tritt ein VR-Präsident der Credit Suisse ab. Ho, ho, Horta.

Die SDA formuliert mit der Zurückhaltung, die sich für eine Newsagentur gehört. Daher übernehmen viele Medienorgane (Pluralismus, Vielfalt) den SDA-Ticker und ergänzen da und dort.

Daher kann zum Beispiel das Fachblatt «Handelszeitung» die Meldung mit «sda/mbü» zeichnen. Sieht doch gleich viel kompetenter aus.

Etwas geheimnisvoller lautet der Autorenname bei der Meldung von srf.ch: «srf/lin;harm». Ähnlichkeiten mit der SDA-Meldung sind sicherlich rein zufällig und nicht beabsichtigt. Das gilt auch für watson.ch, wo eine Salome Woerlen in die Tassen gegriffen hat. Philipp Löpfe ist auch immer unpässlich, wenn’s wo kracht.

«Cash» online vertraut hingegen auf den Wirtschaftsticker AWP, ebenfalls nicht auf eigene Kräfte. CH Media beschallt via seine 21 Blätter die Deutschschweiz einheitlich mit einem Artikel von André Bisseger, der sich seinerseits auf «Material von der DPA» stützt.

Tick, tick, Ticker

Bluewin.ch, das zu den einschaltstärksten News-Plattformen in der Schweiz gehört, lässt es bei der abgespeckten SDA-Version bewenden. «nau.ch» vertraut ausgewogen auf DPA und SDA.

Der «Blick» hingegen bietet immerhin drei eigene Kräfte auf. Den Noch-Wirtschaftschef Guido Schetti, Daniel Kestenholz und Ulrich Rotzinger hauen fast 5000 A ins Netz.

Und der zweite Grosskonzern der gepflegten Eigenleistungen und des Qualitätsjournalismus? Tamedia braucht zunächst mal eine Schrecksekunde, bis dann – gekonnt ist gekonnt – der SDA-Ticker von «chk» verwedelt, Pardon, veredelt wird. Leider ist das Kürzel im Impressum nicht ausgewiesen.

Natürlich lässt die NZZ einen Redaktor ans Gerät, der aber auch nicht viel mehr als die SDA zur Erkenntnis beitragen kann. Wie immer erfrischend ist hingegen Lukas Hässig auf «Inside Paradeplatz»*, da wird die gesamte CS-Führung, insbesondere der für die Personalpolitik zuständige Severin Schwan, kräftig abgewatscht.

Prioritäten setzen

Nun ist es vielleicht ein wenig bedeutender für die Schweiz, was mit ihrer zweitgrössten Bank, «too big to fail», also notfalls dem Steuerzahler aufs Portemonnaie fallend, passiert. Im ersten Anlauf bis Montagmittag haben die vielfältigen Medien – ohne alle Kopien extra hinauszuzählen – rund 75 Artikel zum Thema publiziert. Die meisten stützen sich dabei auf die Gerüste von Nachrichtenagenturen im Abonnement.

Am gleichen Tag erschienen fast doppelt so viele Meldungen – 141 – zu Novak Djokovic. Obwohl der bereits abgereist ist und die Affäre weitgehend beendet. Nimmt man die Zeit seit Beginn des Schlamassels, gibt es fast 3000 Treffer zu ihm in der Mediendatenbank SMD.

1347 beschäftigen sich im weitesten Sinn – inklusive Börsenmeldungen – mit der CS. Das nennt man eine glasklare, kompetente Prioritätensetzung.

Einordnung, Analyse, Auswahl, die wenigen verbleibenden Kräfte werden dafür benützt, wichtige Themen schwergewichtig zu behandeln. Die CS ist ein sehr schwergewichtiges Thema.

Kleines Problem: ausser, es wird richtig saftig, ziehen Wirtschaftsthema viel weniger als knallige Skandalstorys. Und auch bei Tamedia sitzen die Journalisten in ihren Verrichtungsboxen und werden an der Anzahl Klicks gemessen, die ihr Online-Ausstoss generiert. An nicht viel mehr.

Schlampiges als Qualität verkauft

Das hat mit Anpassung an moderne Zeiten viel, mit Qualitätsjournalismus wenig zu tun. Abnehmende Bedeutung und mangelnde Kompetenz wird mit Meinung, mit Kommentar ersetzt. Am liebsten in den gegendarstellungsfreien Raum hinein, und da bieten sich die Probleme eines serbischen Tennisspielers in Australien ideal an.

Die Probleme einer ehemaligen Schweizer Traditionsbank mit einem portugiesischen Tennisfan eher weniger. Bei seinem schlampigen Umgang mit Quarantäne- und Corona-Regeln wurde zwar auch gemotzt und sogar sein Rücktritt gefordert. Aber dann ging man wieder zur Tagesordnung über, die gesamte Dimension des Problems der CS zeichnet höchstens der Einzelkämpfer Hässig ab und an nach.

Denn, merke: auch die grossen Medienclans müssen ihren Finanzhaushalt bei einer Bank regeln. Kleines Geheimnis, die Alternative Bank ist’s nicht …

*Packungsbeilage: René Zeyer publiziert gelegentlich auf «Inside Paradeplatz».

 

 

 

Von Ameisen und Journalisten

Wenn ich Djokovic sage, geht sicher ein leises Stöhnen durch die Reihen der Leser.

Ich verspreche aber, weder zu langweilen noch Längstbekanntes zu wiederholen.

Kriegt ein Visum. Kriegt das Visum weggenommen. Kriegt das Visum vom Richter wieder zugesprochen. Kriegt das Visum vom Minister weggenommen. Australien verabschiedet sich als Rechtsstaat. Und keinem Schweizer Journalisten fällt das auf.

Denn zu den eisernen Prinzipien gehört die Trennung zwischen Exekutive und Judikative. Kein Minister dürfte einen Gerichtsentscheid umstossen. Australien tut das. Bye, bye, Rechtsstaat.

Wenn Qualitätsmedien berichten.

Inzwischen ist zum Fall Djokovic von allen alles auf alle Arten gesagt worden. Es hat sich sogar eine Ameisenmühle gebildet. Unter diesem Phänomen leiden die Ameisen genauso wie auch die Journalisten.

Bei den Ameisen ist es so: da die Tiere blind sind, folgen Wanderameisen den Botenstoffen ihrer vorangehenden Artgenossen. Das ist gut und sinnvoll – ausser, der Ameisenzug kreuzt seine eigene Spur. Dann kann es passieren, dass die Insekten anfangen, im Kreis zu laufen. Damit verstärkt sich natürlich der Botenstoff, also kommen sie aus der Nummer nicht mehr raus.

Tödlich für Ameisen – und für Qualitätsjournalismus.

Normalerweise endet so eine Ameisenmühle mit dem Tod durch Erschöpfung. Bei Journalisten ist es nicht so dramatisch. Wenn sie in einen solchen Strudel geraten – zum Beispiel zum Thema, ob ein Tennisspieler in Australien Tennis spielen darf oder nicht –, dann nehmen auch immer mehr Schreiberlinge Witterung auf, schreiben mit, schreiben ab und schreiben vor allem in die gleiche Richtung.

Dann schreiben sie noch ein wenig übers Schreiben, geben Ratschläge, verteilen Betragensnoten, fordern mit wackelndem Zeigefinger Moral, Ethik und Anstand ein – und irgendwann sind sie es leid und suchen nach einer neuen Mühle.

Ameisen sind entschuldigt, Journalisten nicht

Die Ameisen können ja nichts dafür, aber bei Journalisten ist es beelendend, wie alle uniform in die gleiche Richtung schreiben und laufen. Dabei gäbe es doch bei jedem solchen Kampagnenthema interessante Aspekte, die beleuchtet werden könnten.

Zum Beispiel? Zum Beispiel die grausame australische Flüchtlingspolitik. Zum Teil über Jahre hinweg sitzen arme Schweine, die sich keine Anwälte leisten können, in Abschiebeknästen fest. Tausende von Asylsuchenden vegetieren in Internierungslagern «offshore», also beispielsweise auf Papua-Neuguinea.

Kritisiert von der UNO: australisches Flüchtlingscamp.

Diese Lager werden von Privatfirmen betrieben, die ein Minimalangebot mit maximalem Profit verbinden. Abschiebeknast in einem Hotel, wie es dem Tennisspieler widerfuhr, ist schon die Luxusvariante. Das wäre doch ein interessantes Thema. Aber dazu müsste man die Ameisenmühle verlassen.

Interessante Themen noch und noch

Ein zweites interessantes Thema ist die Absurdität, dass zwar die einzelnen Bundesländer ein Visum ausstellen können, das aber jederzeit von der Zentralregierung für ungültig erklärt werden kann. Genau ein solches Visum besass der Tennisspieler, der ja nicht einfach auf gut Glück nach Australien reiste.

Wie auch schon mancher Schweizer bei einem Einreiseversuch in die USA erleben musste: mit oder ohne Visum, es gibt im angelsächsischen Raum keine Einreisegarantie. Es ist dem Ermessen – oder der Willkür – des Beamten überlassen, ob er den Daumen hebt oder senkt.

Ich war mal zu faul, die dämliche Frage auf dem Einreiseformular in die USA zu beantworten, wo genau man abzusteigen gedenke. Ich schrieb einfach «Hotel» auf die entsprechende Linie. Das wurde dann moniert, und als ich noch den Fehler machte, «come on» zu sagen, entging ich der sofortigen Rückreise nur durch mehrfache, zerknirschte Entschuldigungen.

Nach ein paar schweisstreibenden Momenten entschied der Beamte, dass ich das Formular neu und vollständig auszufüllen habe, nochmal zuhinterst in seiner Schlange mich anstellen müsse und mich beim zweiten Vorstellen anständig zu benehmen habe.

Jeder, absolut jeder ist hier einer ziemlich weitgefassten Willkür ausgeliefert. Wer zum Beispiel nur ein Touristenvisum besitzt und so blöd ist, bei der Einreise anzugeben, dass er ein Interview zu führen gedenke oder anderweitig journalistisch tätig sein möchte, hat ebenfalls eine grosse Chance, stattdessen im gleichen Flieger wieder nach Hause geschickt zu werden.

Wäre auch ein Thema, aber eben, Ameisenmühle.

Wenn Willkür, Populismus und Entscheidung für Wahlen herrschen

Damit nicht genug. Es ist offenbar so, dass es der willkürlichen Entscheidung eines Ministers vorbehalten ist, ob ein gerichtlich festgestellter Tatbestand – der Tennisspieler darf einreisen – anerkannt wird oder nicht. Das ist rechtsstaatlich ungeheuerlich.

Man stelle sich vor: In der Schweiz kommt ein Gericht zu einem Urteil.

Anschliessend sagt ein Bundesrat: wisst Ihr was, das passt mir nicht, overruled. Ich entscheide das Gegenteil.

Das ist ein eklatanter Verstoss gegen ein heiliges Grundprinzip der Gewaltentrennung.

Gesetze werden im Parlament gemacht, die Regierung hat sich daran zu halten, und die Judikative kontrolliert deren Einhaltung. Staatskunde, erste Lektion. Existiert diese Gewaltenteilung nicht, spricht man gerne und schnell von autoritären Regierungsformen, von Willkür, vom Fehlen grundlegender Prinzipien. Wie sieht das im Fall Australiens aus?

Auch zumindest ein interessanter Aspekt. Aber, genau, nichts für journalistische Ameisen.

Mit welchen Gründen entschied der Minister?

Noch ein Thema: Kann man nun annehmen, dass der zuständige Minister seine Entscheidung ausschliesslich aufgrund der möglichen Gefährdung der öffentlichen Gesundheit durch den Tennisspieler treffen wird? Wer an den Weihnachtsmann, Wunder und Geister glaubt, mag das annehmen. Angesichts bevorstehender Wahlen, der internationalen Aufmerksamkeit für den Fall, angesichts der Frage, mit welcher Entscheidung die Partei des Ministers genügend Stimmen erhält, damit er weiterhin im Amt bleibt, spielt das wohl eine sehr, aber sehr untergeordnete Rolle.

Zuerst tagelang abgetaucht: Minister Hawke.

Genau solche fragwürdigen Konstellationen entstehen, wenn die saubere Trennung zwischen Judikative und Exekutive durchlöchert wird. Das sind doch alles interessante Aspekte, die es wert wären, vertieft durchleuchtet und publizistisch aufbereitet zu werden.

Aber im Spar- und Elendsjournalismus der grossen Medienhäuser haben solche Ausflüge aus der Ameisenmühle keinen Platz. Lieber darf noch der allerletzte Redaktor seinen Senf dazugeben, was er von der Person, der Nationalität und dem Verhalten des Tennisspielers so hält. Als ob das noch irgend jemanden interessieren würde.