Mehr Qualität
Im Sinne von «Prawda»-Bärtschi steigert der Tagi stetig seine Qualität.
Es ist eine tägliche Freude, zusehen zu dürfen, wie die Zeitung das Geschwurbel ihrer publizistischen Leiter nach unten tagtäglich befolgt und umsetzt: «Die Qualität steht für uns zuoberst.»
Aber nicht nur das. «Glaubwürdigkeit, Relevanz, Wahrhaftigkeit und Fairness sind die Pfeiler unserer Publizistik.» Zu dieser verlangten und eingelösten Relevanz gehört sicher dieser Artikel, für den sich Angela Barandum zu höchster Qualität aufschwang:
«Mia erzählt», verspricht der Lead. Allerdings: «Mia möchte Mutter werden. Weil sie fürchtet, in der Kulturbranche keine Stelle mehr zu finden, sobald ihr Kinderwunsch bekannt wird, bleibt sie anonym.» Und dafür musste der Fotograf Jonathan Labusch (hohe Qualität eben) ran, um ein verschwommenes Porträt zu machen, auf dem man die Dame mit wenigen Handgriffen im Photoshop kenntlich machen könnte.
Auch die Tagi-Kultur gibt alles, denn genauso wie die Kampagne über sich in der Frauenbadi Zürich begafft fühlende Frauen (4 in den letzten 11 Jahren) bleibt Qualitätsjournalist Andreas Tobler einem kulturellen Randphänomen, um es sehr höflich auszudrücken, gnadenlos auf der Spur:
Wobei er zu erwähnen vergisst, dass er selbst seinen Beitrag zu dieser «Reality-Doku» geleistet hat, indem er schon mal darüber berichtete. Und so etwas läuft unter «TA Kultur». Da gackern die Hühner und der Hahn wälzt sich vor Lachen.
Da geht noch einer drüber, sagt sich Qualitätsjournalistin Alexandra Kedves mit ihrem kulturell hochstehenden Beitrag:
Vielleicht für die Leser, die sich nicht auf dieser kulturellen Hochebene bewegen: Ralf Schumacher war vor vielen Jahren mal Formel-1-Fahrer. Und hat sich vor vielen Jahren vom Erotik-Model Cora Schumacher getrennt. Er machte in der Yellow Press etwas Schlagzeilen, indem er sich als homosexuell outete. Daraus machte Cora Schumacher (berühmt aus «Promi Big Brother 2018» und Ähnlichem) auch Schlagzeilen.
Bis vor Kurzem konnte man freizügige Fotos des «Erotik-Models» auf «Only Fans» gegen Bezahlung anschauen. Aber durch ihr Gejammer hat sie es sogar zu einem Interview im auch qualitativ hochstehenden «Spiegel» geschafft.
Kann man aus dieser trüben Boulevardkiste aus der untersten Schublade noch etwas herausmelken, was selbst die Klatschblätter inzwischen aufgegeben haben, weil das Publikum immer lautere Gähngeräusche von sich gab? Natürlich, mit dem qualitativ urältesten Nachzugs-Trick: «Paartherapeutin Monika Röder erklärt, wie belastend ein Coming-out des Ex-Partners sein kann. Und gibt einen Tipp.»
Das ist natürlich wunderbar für die Paartherapeutin, dass sie so zu Gratiswerbung und einem eigenen Kästchen im Artikel kommt:
Allerdings hat es hier, im Gegensatz zum verschwommenen Foto von Mia, nicht für den Einsatz eines Fotografen gereicht, das Bild ist von Xing kopiert.
Welche tiefschürfenden und qualitativ hochstehenden Erklärungen teilt Röder mit dem Leser? «Auch das Vertrauen in Beziehungen, in Menschen dieses Geschlechts oder ins Leben kann dadurch tief erschüttert werden.» Wow, schön, dass wir das nun wissen. Und was ist denn der versprochene Tipp? «Mit welcher Entscheidung könnte ich im Rückblick auf mein Leben, etwa mit 80 Jahren, am besten leben?»
Also, abwarten, Tee trinken und sich dann vor einem Outing überlegen, mit welcher Entscheidung man mit 80 leben könnte. Hört sich realistisch und praktikabel an.
Aber: haben diese drei aktuellen Artikel irgend etwas mit dem Geschwurbel von Bärtschi zu tun? Wenn nein, wieso hat er als journalistischer Leiter nicht eingegriffen? Wieso taten das vor ihm nicht die beiden leitenden Damen in der Redaktion? Oder wollen Raphaela Birrer und die fürs digitale Storytelling zuständige Kerstin Hasse etwa sagen, dass das drei herausragende Qualitätsartikel seien?
Gut, Hasse kümmert sich um Fragen wie die, ob Frauen oben ohne herumlaufen sollten oder nicht. Und Birrer schreibt Kommentare, mit denen sie mindestens die Hälfte der Leserschaft stocksauer macht. Da kann man sich dann auch nicht um alles kümmern, in diesem Saftladen, der einstmals eine ernstzunehmende und qualitativ hochstehende Zeitung war.