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Ein «Blick» ins tägliche Grauen

So sieht «qualitativ hochwertiger Journalismus» aus.

Dazu bekannte sich Ringier-CEO Marc Walder. Der ewige Kronprinz von VR-Präsident Michael RingierWir sehen einen steigenden Bedarf an gutem Journalismus als Chance»), sozusagen der Prinz Charles von der Dufourstrasse, sieht dabei vor allem KI als grosse Chance.

Und übersieht, dass doch kein Leser etwas dafür zahlen will, was er sich gratis aus dem Internet holt. Nach diesen vollmundigen Ankündigungen hat ZACKBUM mal wieder die Qual auf sich genommen, einen Blick in den «Blick» zu werfen.

Die wollen wir mit unseren Lesern gerne teilen.

Zunächst die Meldung über einen weiteren schweren Rückschlag für Elon Musk:

Und tragen sicher den Kleber: Ich habe meinen Tesla gekauft, bevor Musk verrückt wurde.

Dann die Nummer «Experten warnen». Kann man immer mal wieder machen, weder die Leser, noch die Experten werden sich an solche Prognosen erinnern. Und schön, dass eine adäquate Reaktion im Bild festgehalten wird.

Es folgt ein Bericht zum Thema: was die Welt nicht wissen will und wonach sie auch nicht gefragt hat:

Und zwei Rennreifen waren Trauzeugen …

Wenn ein Kommentar mit einem so bescheuerten Sprachbild und einer so beknackten Frage beginnt, könnte man auch schreiben: bitte nicht lesen.

Nun kommen wir zur Abteilung knallharter Recherchierjournalismus:

Es ist zu hoffen, dass ihnen so die gut abgehangenen Scherze zum Fremdschämen von Giacobbo/Müllerdas Seebecken zubetonieren, dann ist das Parkplatzproblem gelöst») erspart bleiben.

Und fällt dir gar nix ein, lass es ein Ratgeber sein:

Besser wäre: Häufigste Fehler beim Entsorgen von Journalisten-Flaschen.

Als Steigerung gibt es noch den angetäuschten Ratgeber in Frageform:

Oder besser: Kann die Airbag-Jacke «Blick»-Leser retten?

Ein «Blick» vor die Kulissen des ESC:

Das wäre dem «Blick»-Leser sonst nicht aufgefallen.

Ein Höhenflug in die grosse weite Welt der Luftfahrt:

Ein echter Beitrag zur Völkerfreundschaft.

Natürlich darf auch ein Beitrag über tragische Schicksale nicht fehlen:

Kilos weg, gut. Lebenslust weg, schlecht. Leselust auch weg. Vielleicht kann die Dame sie sich wieder anfuttern.

Wenn das nicht Altersdiskriminierung ist:

Aber ätsch, nur für die kümmerlichen 25’000 Leser von «Blick+». Und ganz im Gegensatz zu alten schwarzen (Pardon, pigmentös herausgeforderten) Potentaten in Afrika.

Nutzwert, Nutzwert, Nutzwert:

Allerdings bezahlt von einer fusionierten Versicherung, die von der Baloise geschluckt wurde.

Zum Schluss das, was von «sex sells» übrigblieb:

Entweder sagt sich der Milliardär «pfeif drauf», oder das kann noch teuer werden.

Angesichts dieses Elends ist man versucht zu sagen, dass KI tatsächlich helfen könnte. Sie trägt immerhin das Wort Intelligenz im Namen. Bloss: jeder kann ihr die Frage stellen: Zeige mir eine Ansammlung von völlig überflüssigen Meldungen vom heutigen Tage. Dafür muss er weder den «Blick» lesen noch ein «Blick+»-Abo lösen …

Gesinnungs-Journalismus

Was ist nur aus Nick Lüthi geworden?

Der war früher mal ein unabhängiger Journalist, der die «Medienwoche» herausgab. Sie wurde dann ein weiteres Opfer der aussterbenden Spezies Medienkritik.

Seither verdingt er sich auf persoenlich.com als Redaktor. Hier wird meistens mit Wattebäuschen geworfen. Hier aber nicht. Der leicht unrasierte Herr mit gebleckten Zähnen ist «Martin Steiger, Anwalt und Medienrechtler». Also im Prinzip eine valable Figur, um etwas zum Zuger Skandal-Urteil zu sagen, dass Jolanda Spiess-Hegglin für 4 ehrverletzende Artikel eine Gewinnherausgabe von über 300’000 Franken zusprach.

Der Mann sagt für einen Juristen erstaunliche Dinge. Wieso sei Ringier mit seiner Argumentation nicht durchgekommen?

«Das lag aber auch daran, dass das Gericht auf dem Bundesgerichtsurteil zur Gewinnherausgabe in Sachen Willy Schnyder, dem Vater der Tennisspielerin Patty Schnyder, von 2006 aufbaute und auf die rechtliche Lehre verweisen konnte

Damit wäre er bei der Anwaltsprüfung durchgerasselt. Das Bundesgericht hat lediglich den grundsätzlichen Anspruch – im Gegensatz zur Vorinstanz – bestätigt. Es wurde damals, hinter die Ohren schreiben, keine Gewinnberechnung durchgeführt, weil man sich in einem Vergleich einigte.

Dann sollte der Jurist vielleicht die Finger von Finanzrechnungen lassen, denn er hat eine Meinung, aber keine Ahnung:

«Mir erscheint mit Blick auf den begründeten Entscheid plausibel, dass Jolanda Spiess mit ihren finanziellen Forderungen deutlich näher an der Wahrheit lag als Ringier.»

Und was ist mit der abschreckenden Wirkung dieses Fehlurteils? «Nein, ich teile diese Befürchtung nicht.» Dass Verlage damit bedroht sind, dass aufgrund von aberwitzigen Berechnungen Zahlungen in der Region Hunderttausende fällig werden könnten und kritische Berichterstattung unter diesem Damoklesschwert eingeschränkt wäre – nichts Abschreckendes. Da lachen selbst juristisch nicht ausgebildete Hühner.

Aber der Anwalt kann noch mehr, auch inhaltslose Sätze: «Die Medienfreiheit ist kein Freipass für Persönlichkeitsverletzungen.» Hat auch niemand behauptet …

Und dann noch zwei Brüller zum Schluss: «Das Kantonsgericht Zug hat mit seinem Entscheid erst einmal ein bemerkenswertes und lange erwartetes medienrechtliches Präjudiz geschaffen.» Es hat tatsächlich ein Präjudiz geschaffen, das aber so schnell wie möglich korrigiert werden muss, da es auf Luftberechnungen ruht.

Und: «Wenn es alles in allem bei dieser Rechtsprechung bleibt, wird jener Journalismus in der Schweiz, der auf Qualität setzt, erheblich gestärkt.»

Nach diesem juristischen Geplapper kommt allerdings noch eine Fussnote, die genau das Gegenteil beweist. Zum einen, dass Lüthi nicht auf Qualität, sondern auf Gesinnung setzt. Zum zweiten, dass es völlig unter jeder Kanone ist, jemanden als Fachmann zu präsentieren, der mit einer der beiden Parteien verbandelt ist. Es gäbe nun wahrlich genügend Medienanwälte in der Schweiz, die zumindest eine nur fachlich motivierte Meinung abgeben könnten. Aber so?

«Martin Steiger sitzt im Beirat von #NetzCourage, einer Organisation, die Jolanda Spiess-Hegglin gegründet hatte.»  Als die Hassleaks nachwiesen, auf welch üble Art JSH gegen ihre Feindin Michèle Binswanger vorging («Drecksarbeit», die Autorin so fertigmachen, dass sie am besten «auswandern» sollte), gingen die tapferen Beiräte auf Tauchstation.

Die NZZ schrieb damals: «Die zitierten Chat-Wortmeldungen sind teilweise krass und lassen sich mitnichten mit Spiess-Hegglins Ansinnen vereinbaren, Hass im Netz zu bekämpfen

Nur Steiger verstieg sich auf Anfrage zur Antwort: «Als Beiratsmitglied stehe ich dem Vorstand von #NetzCourage weiterhin mit meinem Fachwissen zur Verfügung: Der Vorstand fragt, ich gebe Rat. Meine Beiratstätigkeit erfolgt ausschliesslich gegenüber dem Vorstand und nicht gegenüber der Öffentlichkeit.»

Nun geht er aber an die Öffentlichkeit, und wie …

 

Neues von Langstrecken-Luisa

Die Vielfliegerin findet Zeit für ein Lobhudel-Interview.

Wenn der Qualitätsjournalist Andreas Tobler was nicht mag, dann arbeitet er mit dem Zweihänder und dem Holzhammer. Bei Roger Köppel oder der Bührle-Sammlung zum Beispiel.

Wenn er etwas mag – wie den Genderstern – dann gibt er strenge Anweisungen, was zu tun ist.

Und dann gibt es noch den kuschelig-sanften Tobler, wenn er mit einer Gesinnungsgenossin im Interviewbett liegt. Schön, dass Langstrecken-Luisa Neubauer, «Deutschlands bekannteste Umweltaktivistin», neben ihren Fernreisen im Kampf gegen den Klimawandel Zeit für ihn gefunden hat.

Denn vor Kurzem war sie noch in Pennsylvania, um (vergeblich) Wahlkampf für Kamala Harris zu machen. Und schwups, ist sie schon 9500 Kilometer weiter im Osten, Welt-Klima-Gipfel in Baku, das geht natürlich nicht ohne sie. Berühmt ist auch ihr Selbstbespiegelungs-Video aus einem wohlklimatisierten Hotelzimmer (ganz furchtbar fand sie das) in Dubai.

Aber immerhin, ihre Selfies aus Rundreisen durch Afrika hat sie inzwischen gelöscht. Da gäbe es also durchaus Anlass für die eine oder andere kritische Frage, so im Rahmen des Qualitätsjournalismus, wie ihn Simon (wo ist er denn?) Bärtschi unablässig fordert.

Aber oh Schreck, oh Graus, Tobler genügt diesen Kriterien mal wieder überhaupt nicht. Muss man sich Sorgen um seine Zukunft machen? Wackelt sein Stuhl? Ach was, die richtige Gesinnung betoniert ihn im woken Tagi ein.

Also liefert er Neubauer die Steilvorlagen, um ihr Geseier abzulassen: «Ich glaube, man kann nicht überschätzen, welche desaströsen Konsequenzen diese Wahl hat. Ich habe in den Tagen und Wochen zuvor an zahlreichen Formaten in den USA teilgenommen, Podien veranstaltet, Seminare gegeben, Gespräche mit Aktivisten geführt.»

Die Dame kam wirklich rum in den USA:

«Ich habe an der Ostküste, im Mittleren Westen und in Texas mit Menschen gesprochen, für die eine Wahl von Trump lebensbedrohliche Folgen haben kann.»

In erster Linie wohl die von Neubauer mitverschuldete Klimaerwärmung bedroht diese Menschen. Da wäre möglicherweise Gelegenheit gewesen, nachzufragen, was genau denn diese lebensgefährlichen Folgen seien. Aber doch nicht Tobler.

Und was hatte Neubauer eigentlich dort zu suchen, abgesehen davon, dass ihr Einsatz vergeblich war? «Ich bin in die USA gereist, um herauszufinden, wie dort Aktivismus funktioniert. Meine Annahme war: Wenn aktivistische Ansätze in den USA funktionieren, dann sind sie bulletproof.»

Tobler unterbricht Neubauers Redefluss nur gelegentlich mit einem «Ja?»; so führt ein Qualitätsjournalist ein Interview. Während die Dame eine Sottise nach der anderen zum Besten gibt: «Dabei umfasst eine gute und gerechte Klimapolitik alles, was Faschisten hassen.»

Er lässt ihr sogar durchgehen, dass sie seine Frage, ob Neubauer nochmal mit Greta Thunberg öffentlich auftreten würde, weiträumig umfährt: «Ich glaube, die Klimabewegung wird zukünftig mehr und mehr arbeitsteilig vorgehen und verschiedene Geschichten erzählen … mit Spannungen und Widersprüchlichkeiten umzugehen … den Blick nach vorne zu lenken». Jeder Journalist, der etwas auf sich hält, hätte hier nachgefragt. Aber doch nicht Tobler.

Der liest die nächste Frage von seinem Spickzettel; wie hält es Neubauer mit Klimaklebern und mit Farbanschlägen in Museen? «Zunächst einmal würde ich hier wahnsinnig mit der Sprache aufpassen und die Aktionen in den Museen nicht in einem Nebensatz mit Terrorismus gleichsetzen. Kein einziges Bild wurde beschädigt, als es mit Suppe beworfen wurde.»

Aber es geht noch absurder. Neubauer sei in Baku, «es gibt die Kritik, die Konferenz sei ein Greenwashing des Gastgeberlandes Aserbaidschan, also einer Erdöl fördernden Autokratie», fragt Tobler streng.

Die lustige Antwort: «Ich finde diese Kritik total berechtigt. Die Menschenrechtsverletzungen in Aserbaidschan sind eine Katastrophe. Viele Aktivistinnen sind deshalb überhaupt nicht hier. Zu denen gehört unter anderem Greta Thunberg.»

Tobler will ihr noch mehr Gelegenheit zum Greenwashing in eigener Sache geben und legt nochmals eine Schleimspur aus, auf die Neubauer furchtlos tritt: «Das ist hier keine Happy-Family-Veranstaltung. Aber diese Klimakonferenzen sind bis heute der einzige Ort, wo fast alle Staaten der Welt zusammenkommen und eine Augenhöhe herzustellen versuchen … vernetzen uns … hier machen wir Druck … besser werden könnte», Blabla, Blüblü.

Ist das ein Qualität-Interview? Nein, das ist eine peinliche, unkritische, schlecht vorbereitete Veranstaltung, wo einer eitlen Selbstdarstellerin eine Plattform gegeben wird, mit ihrem Gedöns die Umwelt zu verschmutzen. Dabei ist der Stern der «bekanntesten Umweltaktivistin» nach dermassen vielen Fehltritten und Lustreisen schwer am Sinken, ihre Glaubwürdigkeit beschädigt.

Aber das alles ist Tobler egal, wenn es um das Zelebrieren von Einverständigkeit geht. Auf Kosten des Lesers, der sich schon wieder fragt, wieso er für diesen Stuss bezahlen muss – statt Schmerzensgeld zu bekommen.

Was ist Qualitätsjournalismus?

Auch in ZACKBUM steckt ein Lehrer.

Dürfen wir darauf hinweisen, dass Redaktor René Zeyer das Diplom für das Höhere Lehramt hat und – im Gegensatz zu Chefredaktorinnen – auch schon an Gymnasien unterrichtete.

So viel Selbstbespieglung muss sein, denn wir wollen heute auch mal oberlehrerhaft dozieren. Also, liebe Schüler, Handys weggelegt und aufgepasst.

Eigentlich sind seine Voraussetzungen banal. Qualitätsjournalismus beinhaltet, dass der Leser (oder Hörer oder Zuschauer) darauf vertrauen kann, dass das ihm Dargebotene ein möglichst korrektes Abbild eines Wirklichkeitsausschnitts ist. Oder einfach ausgedrückt: das Gegenteil von dem, was Claas Relotius oder Tom Kummer betreiben.

Wenn die beschriebene Wand grau ist und bröckelt, wenn das Gegenüber einen Satz gesagt hat, dann muss der Empfänger der Nachricht darauf vertrauen können, dass es so ist. Denn er war ja nicht dabei. Kann er das nicht, ist’s Fiktion, aber das ist eine ganz andere Baustelle.

Die im Ernstfall überprüfbare Faktizität ist das Fundament von Qualitätsjournalismus. Nun besteht die Wirklichkeit nicht nur aus einer Wand und einem Satz. Also ist die Auswahl und die Gewichtung des Beschriebenen der nächste Eckstein des Gebäudes. Man kann jede Situation, jedes Gespräch, jede Wirklichkeit so zurechtschnitzen, dass sie dem Vorurteil des Beschreibers entspricht. Damit bestätigt er zwar seine eigene (und auch die seiner Empfänger) Weltsicht, zur Erklärung oder zum Verständnis der Welt hat er damit aber nicht wirklich beigetragen.

Der dritte Eckstein ist der intellektuell anspruchsvollste. Hier geht es um die Analyse, um die Verarbeitung der Wirklichkeit. Dazu gibt es ein grossartiges Gedicht von Bertolt (der mit t, liebe Tamedia-Kulturredaktion) Brecht, «Der Zweifler»:

Immer wenn uns
Die Antwort auf eine Frage gefunden schien
Löste einer von uns an der Wand die Schnur der alten
Aufgerollten chinesischen Leinwand, so daß sie herabfiele und
Sichtbar wurde der Mann auf der Bank, der
So sehr zweifelte.

Ich, sagte er uns
Bin der Zweifler, ich zweifle, ob
Die Arbeit gelungen ist, die eure Tage verschlungen hat.
Ob, was ihr gesagt, auch schlechter gesagt, noch für einige Wert hätte.
Ob ihr es aber gut gesagt und euch nicht etwa
Auf die Wahrheit verlassen habt dessen, was ihr gesagt habt.
Ob es nicht vieldeutig ist, für jeden möglichen Irrtum
Tragt ihr die Schuld. Es kann auch eindeutig sein
Und den Widerspruch aus den Dingen entfernen; ist es zu eindeutig?
Dann ist es unbrauchbar, was ihr sagt. Euer Ding ist dann leblos.
Seid ihr wirklich im Fluß des Geschehens? Einverstanden mit
Allem, was wird? Werdet ihr noch? Wer seid ihr? Zu wem
Sprecht ihr? Wem nützt es, was ihr da sagt? Und nebenbei:
Läßt es auch nüchtern? Ist es am Morgen zu lesen?
Ist es auch angeknüpft an vorhandenes? Sind die Sätze, die
Vor euch gesagt sind, benutzt, wenigstens widerlegt? Ist alles belegbar?
Durch Erfahrung? Durch welche? Aber vor allem
Immer wieder vor allem anderen: Wie handelt man
Wenn man euch glaubt, was ihr sagt? Vor allem: Wie handelt man?

Nachdenklich betrachteten wir mit Neugier den zweifelnden
Blauen Mann auf der Leinwand, sahen uns an und
Begannen von vorne.

Schliesslich, damit wären die Eckpunkte aufgezählt, gehört zum Qualitätsjournalismus auch obligatorisch «et audiatur et altera pars». Oder für die Nichtlateiner unter den Kindersoldaten des Journalismus: man höre auch die andere Seite. Feste und vermeintlich richtige Positionen müssen es aushalten, dass ihnen kräftig widersprochen wird.

Ein kräftiges Trump-Bashing macht im Qualitätsjournalismus nur Sinn, wenn es durch eine Würdigung konterkariert wird. Die Beschreibung von Putin als unverstandenen, friedfertigen Staatsmann ist nur dann vollständig, wenn es durch die Aufzählung seiner kapitalen Fehleinschätzungen und verbrecherischen Handlungen ergänzt wird.

Der Tod jedes Qualitätsjournalismus ist aber die Färbung. Die Einfärbung. Das Framing. Die Reduktion der Wirklichkeit auf immer wiederholte Schlagwörter. Der Ersatz der Komplexität und Widersprüchlichkeit der Realität durch binäre Systeme. Ja, nein, gut, böse, schlecht, richtig, falsch. Eigentlich sollten die Journalisten es besser wissen. Ein Mensch ist nicht nur schlecht und böse. Auch nicht gut und weise. Er handelt nicht nur und ausschliesslich aus niederen oder edlen Motiven.

Eigentlich, liebe Schüler – alle noch da und wach – ist das doch gar nicht so schwierig.

So, und als Hausaufgabe bekommt ihr die einfache Frage mit auf den Weg: welche Medienorgane erfüllen diese Kriterien? Bitte eine Liste, und es wird dann abgefragt.

Qualität Zero

Ungleich Cola Zero ist das eine Bankrotterklärung.

«Philippe Zweifel leitet zusammen mit Denise Jeitziner das Ressort Leben», belehrt einen das Impressum des Qualitätsorgans «Tages-Anzeiger».

Dieser Leiter ist der journalistischen Leiter nach unten, dem Qualitätsquäler Simon Bärtschi, nicht unähnlich. Denn wer schon im Titel «Bertold Brecht» schreibt, hat sich als Kulturbanause geoutet. Und dass es all den Qualitätskontrollen dieses Schrottblatts nicht auffiel, dass der berühmte Stückeschreiber Bertolt hiess, ist ein weiteres Armutszeugnis.

Auch den Anfang hat Zweifel vergeigt: «Vor einigen Jahren las ich die Biografie von Bud Spencer. Das war der schwergewichtige italienische Schauspieler, der in seinen Filmen per Faustschlag Dutzende Gegner durch die Luft segeln liess.» Nein, dessen Spezialität war die Kopfnuss, aber was soll’s.

Das ganze, wie sollen wir’s nennen, das Wort Essay würde es schütteln, verwendeten wir es, also das ganze Machwerk strotzt nur so von Banalitäten: «Tennis-Ass Serena Williams erwähnte in Interviews, dass sie sich in schwierigen Momenten auf dem Platz immer wieder sagte: «You can do this.»» Wahnsinn, das erklärt alles.

Auch im Text vergreift er sich nochmal am Namen: «Es gibt Bertold Brechts «Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren»».

Auch das ist allerdings Quatsch; das Zitat wird zwar Brecht zugeschrieben (dem Bertolt), stammt aber nicht von ihm. Der hingegen hat eine ähnliche Idee in einer hübschen Kantate (was das ist, erklären wir Zweifel ein andermal) formuliert:

«Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt
Und läßt andere kämpfen für seine Sache
Der muß sich vorsehen: denn
Wer den Kampf nicht geteilt hat
Der wird teilen die Niederlage.
Nicht einmal den Kampf vermeidet
Wer den Kampf vermeiden will: denn
Es wird kämpfen für die Sache des Feinds
Wer für seine eigene Sache nicht gekämpft hat.»

Lustig dann die Verwurstung online:

Weg ist der Brecht, der Bertold. Und im Lauftext wurde auch geschönt: «Ich schwankte zwischen Brechts «Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren» und Homer Simpsons» Geht doch; wenn man nicht weiss, wie man den Vornamen schreibt, lässt man ihn einfach weg. Homer ist hingegen richtig.

Nach so vielen Irrungen und Wirrungen muss der Versager ja noch zu einem Schluss kommen. Der gelingt ihm grandios:

«Ich muss wohl mottolos durchs Leben gehen. Aber: scheiss drauf.»

Darunter kommt dann noch ein wahrer Brüller: «In dieser Kolumne denken unsere Autorinnen und Autoren jede Woche über das gute Leben nach.»

Da hätte ZACKBUM doch glatt ein Lebensmotto, das nicht nur für Zweifel, sondern für viele Tamedia-Journalisten geeignet ist:

«Wer schlecht schreibt, lebt nicht gut.»

Oder noch besser, allerdings weder von Brecht, noch von ZACKBUM: «Ein Plan ist die Ersetzung des Zufalls durch den Irrtum.» Und nein, das hat nicht Albert (oder Alberd, wie Zweifel schreiben würde) Einstein gesagt.

 

 

Zensur bei Tamedia

Unbedingte Qualität auch beim Umgang mit Kommentaren.

Es geht doch nichts über eine kontradiktorische Auseinandersetzung über ein Thema. Das macht Qualitätsjournalismus im Sinne Bärtschis aus.

Gut, unliebsame Autoren wie René Zeyer haben Schreibverbot, weil die Oberchefredaktorin keine Kritik verträgt und ausrichten lässt, es sei von ihm mehrfach diffamiert worden. Auf die Aufforderung, das mit ein paar Beispielen zu belegen, reagiert sie nicht.

Aber immerhin, der Leser hat doch das freie Wort in den Kommentarspalten, solange er sich an Recht und Ordnung hält. Könnte man meinen. Wird mal gelöscht, weist das die Redaktion transparent aus: «Dieser Kommentar wurde von der Redaktion entfernt.»

Soviel zur schönen Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Viele Leser von ZACKBUM schickten Beispiele von Kommentaren, die zwei Dinge auszeichnen: sie sind absolut anständig und publizierbar – wurden aber allesamt zensiert.

Die Autoren kriegten eine immer gleichlaufende Mitteilung, die übrigen Leser kriegten nicht mit, dass hier fleissig die Aktion «saubere Kommentargesinnungsblase» durchexerziert wurde.

Aber offensichtlich werden auch viele Kommentare einfach stillschweigend gelöscht. Dafür lässt sich ein indirekter Beweis führen. Unter dem Schmierenartikel «Die Gefahr besteht, dass Frauen zu Tode gehetzt werden», reihen sich über 130 Kommentare. Ganz abgesehen davon, dass das Machwerk vom Titel über den Inhalt bis zu den Schlussfolgerungen unter jeder Sau ist: hier spielt sich bei den Kommentaren eine lustige, demaskierte Zensur ab.

Das ist so, wie wenn bei frühen Versuchen der Bildretusche ein Arm oder ein Bein einer missliebigen und gelöschten Person stehenblieb. Hier wurden offensichtlich massenhaft ungelittene Kommentare gelöscht. Aber Kommentare, die sich über sie beschwerten, blieben stehen. Denn mehrere Leser kritisieren sie, dazu drei Beispiele:

«Unter den Kommentierenden scheinen lauter Rechte Sellner Jünger, mit Incel Vibe zu sein zu sein. Erschreckend sowas.»
«Wenn ich hier im Tagi die Kommentarspalte unter gewissen Artikeln lese frage ich mich ab und zu auch, ob die Flut an misogynen und Ausländerfeindlichen Kommentaren koordiniert ist.»
«Die bisherigen wenige Kommentare hier lesen sich grad wieder wie eine konzertierte Aktion rechtsradikaler Natur. Hass- und Bedrohungsposts werden als legitim und harmlos positioniert, indem diese als völlig gerecht und verdient dargestellt werden.»

Lustig nur: solche Kommentare gibt es gar nicht (mehr). Nun geböte es anständiger Journalismus, den beiden Autoren Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Allerdings geruhten die beiden nicht – im steten Betreben des Tagi nach Qualität und Anstand – auf einen kleinen Fragenkatalog zu antworten. Also lassen wir das zukünftig.

Da wollte ZACKBUM unter anderem wissen:

Sie zitieren das «Handbuch für Medienguerilla», das Ihnen vorliege. Wieso erwähnen Sie nicht, dass es bereits seit 2017 öffentlich einsehbar ist und lediglich einige dürre Plattitüden enthält?
Sie behaupten, Sanija Ameti stehe unter Polizeischutz. Wieso weiss die Polizei nichts davon?
Sie schreiben, dass Ameti auch Morddrohungen erhalten habe. Konnten Sie entsprechende Belege einsehen?

Ein weiterer Schenkelklopfer ist, dass nicht alle Kopfsalat-Blätter das absurde Titelzitat vom Tagi übernahmen. Einigen schien diese abwegige Behauptung, dass in der Schweiz Frauen zu Tode gehetzt werden könnten, doch zu bescheuert. Sie titelten daher neutraler: «Als wäre die ganze Welt gegen sie».

Hier ist wie in einem Mikrokosmos all das versammelt, was letztlich zum Untergang von Tamedia führen wird. Inkompetente Schreiber. Niveaulose Zitate von einseitig ausgewählten und fachlich zweifelhaften sogenannten Expertinnen. Das Präsentieren eines «Handbuchs für Medienguerilla», das «dieser Redaktion vorliegt». Ohne zu erwähnen, dass es uralt ist, nur Flachheiten enthält und seit 2017 im Netz öffentlich einsehbar ist.

Die Veröffentlichung von Räuberpistolen, die eine gescheiterte Bachelorette der Politik präsentiert – ohne den geringsten Faktencheck. ZACKBUM versuchte bereits vergeblich, sie dazu zu bewegen, Belege für ihre wilden Behauptungen über angebliche Hassmails vorzulegen. Schliesslich die Weigerung, auf eine höfliche Medienanfrage zu reagieren. Und dann die unsichtbare Zensur von Leserkommentaren, wobei die Zensoren so blöd sind, nicht alle Spuren zu verwischen.

Die nachträgliche Stilisierung einer dummen Provokateurin zur Märtyrerin, die von einem rechten Hetzmob verfolgt wird und in Gefahr stehe, «zu Tode gehetzt» zu werden – wieso wanderte das nicht in den Papierkorb?

Da bleiben nur zwei Fragen:

Gibt es im Journalismus irgend ein Qualitätskriterium, gegen das hier nicht verstossen wurde?

Gibt es irgend einen Grund, wieso jemand für den hinter der Bezahlschranke versteckten Schrott etwas löhnen sollte?

Wer länger als eine Zehntelsekunde über die Antworten nachdenken muss, hat ein Tagi-Abo redlich verdient.

Chefredaktor sucht Zeitung

Wie geht’s dem Qualitäts-Irgendwas am Sonntag?

Was macht Arthur Rutishauser, ein Chefredaktor ohne Redaktion, mit seiner SoZ? Er erfüllt tapfer eine Mission impossible. Denn er muss ja sein Blatt mit dem Angebot füllen, das eine demotivierte und vor der nächsten Entlassungswelle (wen’s trifft, ist immer noch nicht bekannt) zitternden Redaktion herstellt. Also Artikel von der Restenrampe. Wo alle, die noch Marktwert haben und etwas können, die meiste Zeit damit verbringen, Fühler auszustrecken und Bewerbungen zu schreiben.

Oder wie Simon Bärtschi das nennen würde: die Weichen für mehr Qualität stellen.

Also gibt’s halt eine «Liebeserklärung an die Kartoffel», ein Skistar rede «so offen wie noch nie», rasend originell sei man in London «unterwegs mit den Locals», weil das vom Touristen überhaupt nicht touristisch ist.

Immerhin, ein respektvolles Interview mit Kurt Aeschbacher über sein Politik-Engagement, dann aber aufgewärmter kalter Kaffee über einen russischen Spion, weil Thomas Knellwolf sein neustes Werk promoten möchte und darf. Immerhin, nach seinem erschütternden Enthüllungsroman «Die Akte Kachelmann» nun ein ewiges Thema, Spionage.

Dann auch, da schäumt die woke Gutmenschenredaktion beim Tagi sicher wieder, «Flüchtlingsfrauen sind sechsmal häufiger von Missbrauch betroffen als Schweizerinnen». Ausser, Schweizerinnen sind mit Menschen mit Migrationshintergrund aus arabisch-fundamentalistischen Ländern verheiratet, mag man hinzufügen.

Aber das ist natürlich eindeutig unsensibel. Schürt Vorurteile. Berücksichtigt den sozio-kulturellen Hintergrund und die Traumatisierung durch Flucht nicht genügend, ist überhaupt diskriminierend und gibt rechtspopulistischen Hetzern Munition in die Hand.

Von einem kläglichen Füller auf «Blick»-Niveau muss man hier sprechen:

Echt jetzt, eine SDA-Meldung, basierend auf einem Polizeibericht? Das soll Qualität sein? Was sagt Bärtschi dazu?

Ähnlich verstörend ist dieser Ganzseiter:

Ist das nicht ein klarer Fall, dass Journalisten Menschen vor sich selbst schützen, statt öffentlich zur Schau stellen sollten? Aber Chris Winteler kennt offenbar solche Hemmungen nicht, und Rutishauser war wohl froh, dass wieder eine Seite gefüllt ist. Aber auch hier hat Bärtschi als publizistische Leiter nicht eingegriffen. War er immer noch ausgelastet, die neuen Werbemöglichkeiten beim Tagi schmackhaft zu machen? Was ja ungemein viel mit publizistischer Qualität zu tun hat.

Auch einem gewichtigen Thema widmet sich die «Wirtschaft»-Neuredaktorin Edith Hollenstein:

Echt jetzt? Geworden? Werbung war doch immer «noch besser und billiger», abgesehen von ein paar wenigen Highlights. Werbung war immer «kauf das, und du hast Freunde, scharfe Frauen und bist glücklich». Naheliegender wäre doch eine andere Frage gewesen: Warum sind die Medien so trivial geworden? Vielleicht, weil die Redaktionen zu Tode gespart werden und dann solche Artikel auf die Front des Wirtschaftsbunds kommen, der mal eine Reputation hatte.

Da helfen selbst die Fleissarbeiten eines Rutishausers nicht, der sich an seinen Lieblingsthemen Vincenz und Ermotti abarbeitet.

Danach hat der Leser wirklich nicht verdient, dass sich Nina Kobelt («sie bildet sich derzeit in Kräuterkunde weiter») der Kartoffel widmet. «Sie kann alles – wirklich alles». Wenn man das von Tamedia-Journalisten nur auch sagen könnte.

Aber es gibt auch Lichtblicke. Echt. Zunächst einmal für Liebhaber fliegender Tiere:

Offenbar war gerade auf keinem Luxus-Liner und in keinem Luxus-Ressort oder -Zug ein Plätzchen frei. Aber nun noch der Höhepunkt der Ausgabe; etwas, was ZACKBUM schon gar nicht mehr erwartet hätte. Etwas Bezahlbares und Volkstümliches auf der Autoseite:

Gut, für die SoZ war das auch kostengünstig; schön im Lead verpackt: «Wir waren mit Chef Klaus Zellner in einem Vorserienmodell auf Probetour.» Auf Deutsch; Skoda übernahm gerne die gesamten Spesen, und der Autor Dave Schneider hätte selbstverständlich auch einen kritischen Bericht schreiben dürfen. Kicher. Nur wäre er dann niemals mehr eingeladen worden.

Mehr Qualität

Im Sinne von «Prawda»-Bärtschi steigert der Tagi stetig seine Qualität.

Es ist eine tägliche Freude, zusehen zu dürfen, wie die Zeitung das Geschwurbel ihrer publizistischen Leiter nach unten  tagtäglich befolgt und umsetzt: «Die Qualität steht für uns zuoberst.»

Aber nicht nur das. «Glaubwürdigkeit, Relevanz, Wahrhaftigkeit und Fairness sind die Pfeiler unserer Publizistik.» Zu dieser verlangten und eingelösten Relevanz gehört sicher dieser Artikel, für den sich Angela Barandum zu höchster Qualität aufschwang:

«Mia erzählt», verspricht der Lead. Allerdings: «Mia möchte Mutter werden. Weil sie fürchtet, in der Kulturbranche keine Stelle mehr zu finden, sobald ihr Kinderwunsch bekannt wird, bleibt sie anonym.» Und dafür musste der Fotograf Jonathan Labusch (hohe Qualität eben) ran, um ein verschwommenes Porträt zu machen, auf dem man die Dame mit wenigen Handgriffen im Photoshop kenntlich machen könnte.

Auch die Tagi-Kultur gibt alles, denn genauso wie die Kampagne über sich in der Frauenbadi Zürich begafft fühlende Frauen (4 in den letzten 11 Jahren) bleibt Qualitätsjournalist Andreas Tobler einem kulturellen Randphänomen, um es sehr höflich auszudrücken, gnadenlos auf der Spur:

Wobei er zu erwähnen vergisst, dass er selbst seinen Beitrag zu dieser «Reality-Doku» geleistet hat, indem er schon mal darüber berichtete. Und so etwas läuft unter «TA Kultur». Da gackern die Hühner und der Hahn wälzt sich vor Lachen.

Da geht noch einer drüber, sagt sich Qualitätsjournalistin Alexandra Kedves mit ihrem kulturell hochstehenden Beitrag:

Vielleicht für die Leser, die sich nicht auf dieser kulturellen Hochebene bewegen: Ralf Schumacher war vor vielen Jahren mal Formel-1-Fahrer. Und hat sich vor vielen Jahren vom Erotik-Model Cora Schumacher getrennt. Er machte in der Yellow Press etwas Schlagzeilen, indem er sich als homosexuell outete. Daraus machte Cora Schumacher (berühmt aus «Promi Big Brother 2018» und Ähnlichem) auch Schlagzeilen.

Bis vor Kurzem konnte man freizügige Fotos des «Erotik-Models» auf «Only Fans» gegen Bezahlung anschauen. Aber durch ihr Gejammer hat sie es sogar zu einem Interview im auch qualitativ hochstehenden «Spiegel» geschafft.

Kann man aus dieser trüben Boulevardkiste aus der untersten Schublade noch etwas herausmelken, was selbst die Klatschblätter inzwischen aufgegeben haben, weil das Publikum immer lautere Gähngeräusche von sich gab? Natürlich, mit dem qualitativ urältesten Nachzugs-Trick: «Paartherapeutin Monika Röder erklärt, wie belastend ein Coming-out des Ex-Partners sein kann. Und gibt einen Tipp

Das ist natürlich wunderbar für die Paartherapeutin, dass sie so zu Gratiswerbung und einem eigenen Kästchen im Artikel kommt:

Allerdings hat es hier, im Gegensatz zum verschwommenen Foto von Mia, nicht für den Einsatz eines Fotografen gereicht, das Bild ist von Xing kopiert.

Welche tiefschürfenden und qualitativ hochstehenden Erklärungen teilt Röder mit dem Leser? «Auch das Vertrauen in Beziehungen, in Menschen dieses Geschlechts oder ins Leben kann dadurch tief erschüttert werden.» Wow, schön, dass wir das nun wissen. Und was ist denn der versprochene Tipp? «Mit welcher Entscheidung könnte ich im Rückblick auf mein Leben, etwa mit 80 Jahren, am besten leben

Also, abwarten, Tee trinken und sich dann vor einem Outing überlegen, mit welcher Entscheidung man mit 80 leben könnte. Hört sich realistisch und praktikabel an.

Aber: haben diese drei aktuellen Artikel irgend etwas mit dem Geschwurbel von Bärtschi zu tun? Wenn nein, wieso hat er als journalistischer Leiter nicht eingegriffen? Wieso taten das vor ihm nicht die beiden leitenden Damen in der Redaktion? Oder wollen Raphaela Birrer und die fürs digitale Storytelling zuständige Kerstin Hasse etwa sagen, dass das drei herausragende Qualitätsartikel seien?

Gut, Hasse kümmert sich um Fragen wie die, ob Frauen oben ohne herumlaufen sollten oder nicht. Und Birrer schreibt Kommentare, mit denen sie mindestens die Hälfte der Leserschaft stocksauer macht. Da kann man sich dann auch nicht um alles kümmern, in diesem Saftladen, der einstmals eine ernstzunehmende und qualitativ hochstehende Zeitung war.

 

Wie im hölzigen Himmel

Die NZZ ist neben der Spur.

Man könnte meinen, dass bei einem staatstragenden Ereignis wie auf dem Birkenstock die weltläufige NZZ zur Höchstform aufläuft und Halt sowie Orientierung, von tiefdurchdachter Analyse ganz zu schweigen, abliefert. Aber leider hätte man sich selten so getäuscht, wäre das die Erwartung gewesen.

Wer einen Militärkopf in Militäruniform Kriegsgegurgel faseln lässt, von dem kann man leider beim Thema Ukrainekrieg nichts gut Ausgebackenes erwarten.

Auch Andreas Rüesch erfüllt mal wieder alle Erwartungen, die man in einen Kommentar von ihm setzen muss. Da kommt nichts Gescheites bei raus, wie schon der Titel seines neusten Ergusses zeigt: «Wenn die Ukraine auf dem Bürgenstock nicht gestärkt wird, haben alle verloren, auch die Schweiz».

Dann wirft er allen anderen einen Denkfehler vor, indem er selbst einen begeht: «Sicherheit in Europa entsteht nicht mit, sondern gegen Russland.» Das ist wirklich glorios. Bislang dachte man, dass ein Krieg durch eine Friedenskonferenz unter Beteiligung der Kriegsparteien beendet wird. Ganz falsch, meint Rüesch. Dass er mit diesem Denkfehler ziemlich alleine dasteht, kümmert ihn nicht. Dass Sicherheit in Europa, ob einem das passt oder nicht, immer nur mit Russland entstehen kann, das zum Teil ein Teil Europas ist, das ist eine historische Konstante und banal, dass man sich wundert, dass das jemand mal wieder in Frage stellt.

Rüesch denkt wie der Geisterfahrer, der die Warnmeldung im Autoradio hört und sich sagt: ein Geisterfahrer? Hunderte!

Bei ihm gilt: ein einziger Denkfehler? Nein, einer nach dem anderen: «Die Schweiz ist unter Druck geraten wegen ihrer international unverständlichen Neutralitätspolitik und ihren als schäbig empfundenen Hilfeleistungen an die Ukraine.» Was soll an der Einhaltung der Neutralität unverständlich sein, so ausserhalb des Denkapparats von Rüesch? Und was soll an Schweizer Hilfsleistungen schäbig sein? Weil die keine Waffen enthalten, wie es die Neutralität gebietet? Weil die Schweiz nicht grossmäulige Ankündigungen wie Frankreich oder Schweden macht – die dann nichts oder kaum was liefern, im Gegensatz zur Schweiz?

Aber zurück zur grossen Weltpolitik gestern, heute und morgen. Da muss Rüesch nun allen Fehldenkenden eine Lektion erteilen: «Der Bundesrat hat denn auch immer wieder durchblicken lassen, dass er Russland gerne mit am Tisch sähe, wenn nicht jetzt, so spätestens beim nächsten Mal. Diese Sichtweise zeugt von einer erschütternden Weltfremdheit und Geschichtsvergessenheit

Wie ist es denn, wenn man so wenig weltfremd und geschichtsvergessen wie Rüesch ist? «Grosse Kriege enden aus ganz anderen Gründen – in aller Regel, weil eine Seite militärisch niedergerungen wurde oder keine Perspektiven für militärischen Erfolg mehr sieht.» Der Irrwisch meint also ernsthaft, man könne Russland – auf Kosten der Ukraine, versteht sich – militärisch niederringen? Das ist erschütternd.

Auch wenn er mit dem ehemaligen deutschen SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel einig geht. Der faselt auch davon, erst noch als Deutscher, dass man Russland «niederringen» sollte. Der letzte Versuch endete mit 25 Millionen toten Russen und einem völlig zerstörten Deutschland.

Aber wer wie Rüesch im vollen Galopp in Parallelwelten abschwirrt, macht auch vor den absurdesten Schlussfolgerungen nicht Halt:

«Dass Moskau nicht vertreten ist auf dem Bürgenstock, ist daher kein Mangel, sondern ein Vorteil.»

Der Leser fragt sich allerdings erschüttert, geschüttelt und unangenehm berührt, ob die Qualitäts-, Denk- und Logikkontrolle der NZZ dorthin abgeschwirrt ist, wo sich die von Tamedia schon längst befindet: ins Nirwana …

Aber immerhin, in den letzten sieben Tagen ergibt das Stichwort Bürgenstock 1627 Treffer für die NZZ im Medienarchiv SMD. Da bleibt die leise Hoffnung, dass einige Artikel vielleicht ein gehobeneres Niveau versprühen. Da sich ZACKBUM dieser Illusion nicht berauben will, schauen wir aber nicht nach.

Es bleibt aber für alle Zeiten festzuhalten: wer in einem Jahr das gesammelte Geschreibsel der grossen Medienkonzerne der Schweiz liest, der wird erschüttert sein. Und entweder in schallendes Gelächter ausbrechen – oder sich in Grund und Boden fremdschämen.

Tamedia gaga

Wie tief kann der Konzern der Qualitätsmedien eigentlich noch sinken?

Autorin Anna Böhler ist kürzlich von «watson» zum Qualitätstitel «Tages-Anzeiger» gestossen. Sie hat bereits einen Artikel über eine Haiattacke auf einen Schwimmer geschrieben. Das interessiert nun in der Schweiz eher mässig, ausser vielleicht in Kalifornien den Hai und den Schwimmer.

Und am Donnerstag wurde ein Artikel über Jeanne Córdova publiziert. Er informiert in der Bildlegende darüber, dass die Aktivistin im Alter von 67 Jahren gestorben ist.

Aha, denkt da der Leser, habe zwar noch nie von ihr gehört, aber ein Nachruf im woken Tagi, wo ungefähr 90 Prozent aller Leser nicht ganz sicher sind, was die LGBTQ-Bewegung eigentlich ist, nun ja, kann man machen, muss man nicht machen. Aber wenn sonst nix los ist …

Also quält man sich durch den Text bis zum unseligen Ende, wo verkündet wird: «2013, als die gleichgeschlechtliche Ehe in Kalifornien legalisiert wurde, heiratete Córdova ihre langjährige Partnerin Lynn Harris Ballen. Nur zwei Jahre später macht sie ihre Krebsdiagnose öffentlich: «Ich habe seit 2008 Krebs. Darmkrebs»».

Das ist tragisch für Córdova, und man denkt, dass sie offenbar tapfer dem Krebs getrotzt hat, bis sie nun mit 67 Jahren verstarb.

Da denkt man allerdings falsch, denn ihr Todesdatum ist der 10. Januar. Januar 2016. Hä?

Gibt es denn im Namen aller lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender und queeren Menschen irgend einen Anlass, mehr als acht Jahre danach darauf hinzuweisen? Ist inzwischen wirklich alles erlaubt, um den Tagi-Leser zu quälen und in Scharen davonzujagen?

Womit wurden denn all die Kontrollinstanzen überzeugt, die laut Chefredaktorin Birrer dafür sorgen, dass «wir den Geschichten nachgehen, die sonst nicht erzählt werden.»? Als das vor Kurzem zur allgemeinen Erheiterung als Selbstbeweihräucherung und als Bettelei für mehr zahlende Gäste veröffentlicht wurde, wusste man noch nicht, dass es eine echte Drohung enthält.

Denn dieser Córdova-Text ist tatsächlich eine Geschichte, die sonst nicht erzählt wird. Ganz zu recht, denn ausser einem harten und winzigen Kern von Córdova-Fans interessiert das wirklich keinen. Genauso wie viele andere Geschichten über in der Vergangenheit verstorbene Menschen, bei denen sich weder der Geburts- noch der Todestag irgendwie rund jährt.

Aber man kann ja immer einen Anlass herbeiprügeln:

Was das ist? Also bitte, ihr Nicht-Netz-Natives, das ist ein Doodle. Von Google. Wow. Stimmt also doch, «don’t be evil» soll ja deren Motto sein, mit dem Google zu einem der wertvollsten Konzerne der Welt geworden ist, ein Monopolist, eine Datenkrake, die sich willfährig über all dort selbst zensuriert, wo es diktatorische Regimes verlangen, wie zum Beispiel in China.

Darüber könnte man vielleicht mal einen Artikel schreiben; der würde dann auch mehr als drei Leser interessieren.