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Gähn: Ein Nicht-Ereignis

Die «Weltwoche» unter scharfer Beobachtung.

Für die Verschwörungstheoretiker von der «Republik» gehört die WeWo zu einem Netzwerk rechter «Info-Krieger». Das kann man nicht ernst nehmen. Aber das Blatt kann stolz darauf sein, dass es unter scharfer Beobachtung der Kollegen steht.

Normalerweise ist es denen eine Notiz wert, wenn ein neuer Autor anheuert. Das wird dann gerne dem staunenden Publikum mitgeteilt. In der irrigen Annahme, dass den Leser auch interessiert, was den Journalisten brennend beschäftigt. Aber leider ist es in Wirklichkeit so, dass es dem Konsumenten schwer an einem gewissen Körperteil vorbeigeht. Genauso wie Beschreibungen der inneren Befindlichkeiten von Schreibern. Genauso wie deren ordnende Ansichten und Meinungen zu den Weltläufen. Genauso wie deren Ratschläge, wie die Welt besser werden könnte, würde man nur auf den Schreiberling hören.

Die WeWo-Beobachtung hat gerade einen neuen Höhepunkt erreicht. Sie kann berichten, dass ein Autor nicht mehr für das Magazin schreibt. Für einmal sind sich «Blick» und NZZ ganz nahe. Das Boulevardblatt vermeldet:

Und das Blatt für die gehobenen Stände echot:

Nun werden von beiden Gazetten die Wortmeldungen des deutschen Kolumnisten Henryk M. Broder prinzipiell mit Missachtung gestraft. Schliesslich gehört er zu den Mitbegründern von «achgut.de», der ironisch so genannten Achse des Guten. Hier schreibt eine bunte Truppe gegen den Strom, angeführt von Dirk Maxeiner und eben Broder. Die meisten dieser Autoren würden von der «Republik» ohne zu zögern der grossen, rechten Medienverschwörung zugeschlagen werden. Ja, es gibt auch ein paar Beitrage von René Zeyer hier, wie in der WeWo.

Nun hat aber der langjährige WeWo-Kolumnist Broder mitgeteilt, dass er nicht mehr für die WeWo schreiben wird. Dafür holt er auf zwei Seiten aus – in der WeWo, notabene:

Sein Einstieg ist recht eigen, um nicht zu sagen merkwürdig. Alle, die es wagen, darauf hinzuweisen, dass der Ukrainekrieg wie eigentlich alles eine Vorgeschichte habe, «rechtfertigen die russische Intervention unausgesprochen, aber unüberhörbar». Auch ZACKBUM hat sich schon zur Vorgeschichte und weiteren Umständen geäussert, was aber niemals eine Rechtfertigung des russischen Überfalls ist. Wenn Broder fordert, man dürfe darüber nur ahistorisch schreiben, der Jetztzeit verhaftet, dann begibt er sich damit ausserhalb des vernünftigen Diskurses.

Zusätzlich störend an dieser Position ist, dass er selbst keine Gelegenheit auslässt, aktuelle Ereignisse mit der braunen deutschen Vergangenheit zu verbinden und unermüdlich an Judenverfolgung und Holocaust erinnert. Das ist sein gutes Recht, das aber gleichzeitig im Fall der Ukraine denunzieren?

Nach längeren Ausführungen, die mehr mit Deutschland und an ihn gerichteten Zuschriften als mit der WeWo zu tun haben, kommt er im letzten Absatz ansatzlos zu folgendem Fazit:

Putin-Versteher ist ein böses Wort, das normalerweise als Kampfbegriff allen entgegengeschleudert wird, die nicht in den Chor der Putin-Verdammnis einstimmen. Es gibt zwar tatsächlich Autoren mit zu grosser Putin-Nähe, und Köppel hat es mit der unreflektierten «Gegen den Strom»-Titelgeschichte «Der Missverstandene» punktgenau zum Kriegsausbruch mal wieder geschafft, mit beiden Füssen in den Fettnapf zu springen.

Dieser Abgang Broders ist nun der NZZ und dem «Blick» je einen länglichen Artikel wert. Die widerspiegeln mehr die Befindlichkeit der Autoren, den Hass, vielleicht auch den Neid auf die WeWo – als dass sie einem Informationsbedürfnis des Lesers nachkämen. Wenn bei der NZZaS die halbe Mannschaft des «Hintergrund» von Bord geht, die unablässigen Abgänge beim «Blick», das ist den Gazetten natürlich keine Zeile wert. Aber wenn ein einziger Kolumnist bei der WeWo aus Protest hinschmeisst, dann wird berichtet.

Was die Kritikaster in erster Linie dabei übersehen: niemals könnte das in ihren eigenen Blättern geschehen. Ein Kolumnist des «Blick», der im «Blick» erklärt, wieso er wegen diesem oder jenem nicht mehr für das Blatt schreiben wird? Undenkbar. Ein Mitarbeiter der NZZ, dem man eine Seite einräumt, um seine Motive darzulegen, wieso er unter Gujer nicht länger schreiben will? Unvorstellbar.

So ist der Abgang Broders kein Armutszeugnis für die WeWo. Aber die Berichterstattung darüber schon.

 

Hilfe, mein Papagei onaniert: Putin-Versteher

Die Sonntagspresse arbeitet sich weiter am Thema ab.

«Dirk Baier ist Professor und Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.» Selten hat sich einProfessor so hemmungslos um Kopf und Kragen geredet wie Baier in einem Interview der SoZ.

Schon der Titel-Quote ist von seltener Dümmlichkeit: «Putin-Versteher können gefährlich sein.» Das mag ja sein, gilt aber verschärft auch für Nicht-Versteher. «Linksextremismus» und «Anti-Amerikanismus» seien «Anknüpfungspunkte» fürs Putin-Verstehen, weiss der Professor. Sollte man als Erwachsener die nun einfach in Ruhe lassen? «Niemals: Krieg, Mord und Totschlag – das geht überhaupt nicht!», also müsse man denen gut zureden. Noch schlimmer: «Es gibt auch Putin-Versteher mit einem Hang zu Verschwörungstheorien.» Die können dann durch Grossereignisse «enthemmt» werden, was sich in «Anschlagsplänen» auf den deutschen Gesundheitsminister und der «Entführung des Schweizer Impfchefs Christoph Berger» sowie allgemeiner Gewaltbereitschaft zeige.

Man muss leider mal wieder sagen, dass ein Professorentitel keinesfalls automatisch Logik und sinnvolle Aussagen ermöglicht. Die Schweizer Entführung hatte nach heutigem Wissensstand überhaupt nichts mit Verschwörungstheoretikern zu tun, dass die enthemmt würden, ist genauso unbelegte Behauptung wie die Verknüpfung mit Linksradikalismus. Das ist alles unwissenschaftliches Geschwurbel. Stattdessen fehlt eine griffige Definition, was denn nun für den Professor ein «Putin-Versteher» genau ist.

Bekäme der Herr so etwas als Seminararbeit oder Vortrag abgeliefert, er würde es seinem Studenten (hoffentlich) um die Ohren hauen. Aber um einen schönen Auftritt in der SoZ mit Riesenfoto zu kriegen, da bedient er alle Klischees, Vorurteile und Behauptungen, die man in der SoZ gerne hören möchte.

Für SoZ-Verhältnisse erstaunlich neutral wird das hier gemeldet:

Es wird immerhin berichtet, dass die Schweiz etwas in den heutigen Zeiten Ausserordentliches macht: sie hält sich an ihre Gesetze, in diesem Fall ihre Waffenexportgesetze.

Aber irgendwie war es der SoZ damit nicht so wohl, also gab sie dem alten GSoA-Aktivisten Jo Lang ausführlich Gelegenheit, zwischen Pazifismus, Waffenlieferungen ja oder nein und ähnliche Fragen herumzurudern. Unwidersprochen bleibt auch hier seine Aussage:

Auch hier fällt es keinem der Interviewer ein, zurückzufragen, ob sich die Schweiz dann nicht mehr an ihre eigenen Gesetze halten sollte. Das kommt halt davon, wenn Interviewten und Interviewer ein gewisser Konsens eint.

Wenn Reza Rafi im «SonntagsBlick» das Editorial schreiben darf, weiss man, dass der Schweizer Rechtsstaat nicht unbeschädigt bleibt. Diesmal regt er sich darüber auf, dass ein Sicherheitsexperte und ehemaliger Oberst der Schweizer Armee sowie Ex-Mitarbeiter des Nachrichtendiensts gern gesehener und gehörter Experte im Zusammenhang mit der Ukraine ist.

Dabei wagt aber Jacques Baud, nicht die gleiche Meinung wie Rafi zu vertreten. Oder in den Worten des strikten Verteidigers der Meinungsfreiheit Rafi: «Baud argumentiert streckenweise ziemlich genau auf der Linie des Massenmörders Wladimir Putin». Unerhört, was sagt denn «Viola Amherds Verteidigungsministerium»? Unerhörtes: «Es steht jedem Schweizer frei, seine eigene Meinung zu äussern und eine frühere Arbeitsbeziehung zu erwähnen.»

Da muss Rafi den Kopf schütteln: «Mit anderen Worten: dem Staat sind die Hände gebunden.» Offenkundig findet Rafi das ziemlich blöd, denn mit ungebundenen Händen könnte der Staat doch dafür sorgen, dass alle frei ihre Meinung sagen dürfen – solange sie mit der von Rafi übereinstimmt. Aber leider, leider: «Hierzulande darf jeder einstige Uniformträger gegen die Obrigkeit opponieren, indem er etwa die Sichtweise des Kreml verbreitet.»

Kleine Staatsbürgerkunde für den stv. Chefredaktor des SoBli: genau so ist es. Und das ist gut so. Schliesslich darf auch Rafi seinen Unsinn verzapfen, und dem Staats sind die Hände gebunden. Obwohl der Journalist offenbar meint, Meinungsfreiheit bedeute, frei seine Meinung zu äussern. Rafis seine, wohlgemerkt. Aber der ist nun, trotz anderer Selbstwahrnehmung, keinesfalls die «Obrigkeit».

Selbst wenn man Lust hat, nach diesem Schocker noch weiter im SoBli zu blättern, spätestens auf Seite 9 ist’s dann endgültig fertig:

Da zitiert Frank A. Meyer doch tatsächlich Ludwig Uhland, um seine ewig gleiche Leier von der Abhängigkeit der Schweiz von der EU und der NATO mal mit einem Dichterwort zu verbrämen.

Dagegen stellen wir doch ein Wort von Karl Kraus: «Keinen Gedanken haben und ihn ausdrücken können, das macht den Journalisten aus

Fehlt noch die NZZaS? Stimmt, allerdings: der Chefredaktor ist (hoffentlich) in den Ferien. Aline Wanner schreibt eine «Medienkritik», die eigentlich eine Kritik an der SVP ist. Rafaela Roth hat ein längeres Stück im «Hintergrund».  Und im Kultur-Teil wird die deutsche Grossintellektuelle Nena interviewt, mit der stolzgeschwellten Einleitung: «Seit Beginn der Pandemie gab sie keine Interviews mehr. Für uns machte sie am Zermatt Unplugged Festival eine Ausnahme.»

Der NZZaS-Leser dürfte darüber nicht wirklich begeistert sein, denn er darf Flachheiten lesen wie: «Ich bin trotzdem voller Zuversicht. Dass wir bald in Frieden leben werden. Und zwar diesmal richtig, auch wenn das jetzt naiv klingt und viele es anders sehen.» Noch nicht übel geworden? Dann noch das:

«Wir können uns jetzt für die Liebe entscheiden. Daran glaube ich.»

Die NZZaS auf den Spuren von «Bravo». Dass wir das noch erleben müssen …

Schweizer Jugend versteht Putin

Kann weisses Papier schreckensbleich werden? Der Tagi probiert’s aus.

Nun bemühen sich die Medien seit Wochen, den Kreml-Herrscher als Amok, Wahnsinnigen, Kriegsverbrecher, Diktator, Verderber seines Landes, Zerstörer der Ukraine zu brandmarken. Wieder und wieder. Und nun das.

«Neue Auswertungen der repräsentativen Tamedia-Umfrage von Ende März zeigen nämlich, dass nahezu jeder Dritte in der Alterskategorie der 18- bis 34-Jährigen den Krieg zwar verurteilt, trotzdem aber «Verständnis für die Motive Putins hat».»

Die heutige Jugend, das ist ja schrecklich. Woran liegt das nur? Dafür hat die Allzweckwaffe der Welterklärung natürlich eine Antwort. Nein, Schwurbler Kovic hat mal Pause, hier muss der «Politologe» Michael Hermann ran. Durch seine Kolumne im Tamedia-Reich kann man bei ihm sicher sein, dass er das sagt, was Tamedia hören möchte: «Jugendliche hingegen informieren sich vor allem in den sozialen Medien. So sind sie vielen unterschiedlichen Einflüssen ausgesetzt – eben auch den Lügen der gut funktionierenden russischen Propaganda.»

Dass Hermanns Propaganda im Sinne seiner staatlichen Auftraggeber auch prima funktioniert – ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Zwei Opfer dieser Propaganda hat Tagi-Redaktor Dominik Balmer aufgespürt. Der eine sagt deshalb Dummheiten wie: «Die Nato bezeichnet er als «imperial» und den Interessen der USA dienend. Das Militärbündnis habe Russland mit seiner ständigen Expansion «provoziert». Es hätte nach dem Zerfall der Sowjetunion aufgelöst werden müssen. Insofern könne er Russlands Reaktion «verstehen, wenn auch nicht gutheissen»

Der zweite Putin-Versteher ist, das musste ja so kommen, natürlich Mitglied der SVP. Der sagt: ««Ich verurteile den Krieg, das ist nie eine Lösung.» Die Schuld liege aber nicht nur bei den Russen. «Beide, die Nato und Russland, sind schuld.»»

Auch hier zeigt sich, was im Kopf passiert, wenn man sich in sozialen Medien informiert und sich sogar «bei den in der EU blockierten russischen Propagandasendern RT DE (früher Russia Today) und Sputnik informiert. Bei Medien also, die nachweislich Falschinformationen verbreiten.»

Auch die Umfrageleiterin ist erschüttert: für sie «können die sozialen Medien eine «extreme Gefahr für die freie Meinungsbildung und damit die Demokratie» sein, zumindest solange nicht klar sei, wie verlässlich Informationen auf diesen Plattformen seien».

Glücklicherweise, atmet Tamedia auf, «sind ältere Menschen gemäss Hermann grundsätzlich besser informiert – und daher in ihrem Urteil weniger wankelmütig. In fast allen Umfragen zum Russland-Krieg ist der Anteil der «Weiss nicht»- Antworten bei den Jungen hoch. Ein Indiz für ihre Unentschlossenheit.»

Also können wir wenigstens auf die Alten bauen, die sind für strikte Sanktionen und eindeutig gegen Putin. Ob sie allerdings seine Motive oder überhaupt die Situation verstehen, das ist dann schon die Frage.

Aber immerhin plappern sie nicht solchen Unsinn wie der SVP-Jüngling: «Es ist sehr wichtig, sich eine eigene Meinung zu bilden. Und zwar gerade dann, wenn alle Medien einer Meinung sind wie jetzt im Krieg in der Ukraine.»

Wo kämen wir da hin, wenn jeder versuchen würde, sich eine eigene Meinung zu bilden. Oder sich nicht nur in den Mainstream-Medien zu informieren. Der wäre dann eventuell sogar für die bewaffnete Neutralität und zweifelte an der willfährigen Übernahme aller EU-Sanktionen. Dabei ist es doch viel besser, ein Putin-Nichtversteher zu sein. Denn wer etwas (oder jemanden) nicht versteht, dem kann man leicht erklären, wie er es verstehen sollte. Und das ist ja die vornehmste Aufgabe der Auslandberichterstattung von Tamedia. Dass die zudem noch aus dem Ausland kommt, je nun, für ein paar hundert Franken Abokosten kann man doch nicht erwarten, dass Tamedia sich noch eine eigene Auslandredaktion leistet.

Oh, das tut der Konzern? Aber gut, es braucht ja jemanden, der das ß in ein anständiges ss verwandelt, parken und grillen sagt man auch nicht in der Schweiz, und für Fans der EU ist es doch völlig egal, ob der Leser Artikel serviert bekommt, die aus EU-Perspektive geschrieben sind. Das einfach zu schlucken, das ist doch viel besser als zum Putin-Versteher zu werden.

Es ist halt schon so, diese Erfahrung muss jede Generation machen: die heutige Jugend ist nicht mehr so, wie die Alten früher mal waren. Alles wird schlimmer, wo soll das nur enden?

Hoch lebe die Denunziation

Philippe Reichen klagt an. Seine Journalistenkollegen der Westschweiz.

Tamedia-Redaktor Reichen warf sich schon in die Schlacht, als es um Sexismusvorwürfe in der Romandie ging. «Die Mauer des Schweigens bricht», verkündete er mit dramatischem Tremolo.  Das dann alle Vorwürfe gegen einen ehemalige Star des Westschweizer Fernsehens zusammenbrachen, was soll’s, dann stellt man halt das Getrommel ein und kümmert sich um andere Sachen.

Zum Beispiel um einen neuen Skandal: «Einflussreiche Westschweizer Journalisten distanzieren sich kaum vom russischen Präsidenten.» Das ist unerhört:

«Trotz Krieg zeigen sie Verständnis für Putin».

Wen nagelt Reichen denn da an den öffentlichen Schandpfahl? Da wäre mal «Eric Hoesli, Ex-Chefredaktor von «Le Temps» und amtierender Verwaltungsratspräsident derselben Zeitung». Was macht denn dieser Putin-Versteher? Er sagt doch tatsächlich: «Er verurteile den Krieg, aber es gebe nach wie vor «eine Form von Rationalität im Kopf von Wladimir Putin», stellte Eric Hoesli fest.»

Mais ça va pas, merde alors, Hoesli erklärt Putin nicht für verrückt? Nicht mal für krank? Aber der ist ja nicht der Einzige: «Guy Mettan, ehemaliger Chefredaktor der «Tribune de Genève», setzte noch einen drauf, er «bezeichnete die Ukraine am Abend nach Kriegsbeginn gar als «das korrupteste Land Europas»». Wie kann der nur so etwas sagen. Stimmt zwar, aber doch nicht zum Kriegsausbruch.

Aller schlechten Beispiele sind drei: «Myret Zaki, Ex-Chefredaktorin des Wirtschaftsmagazins «Bilan», stellte den russischen Feldzug in ihrer Westschweizer «Blick»-Kolumne wiederum in einen Zusammenhang mit einer angeblichen amerikanischen Politik der «Derussifizierung» in Osteuropa.»

Reichen schüttelt es und schüttelt es

Aber der Schlimmste ist schon Hoesli, den bewirft Reichen ausdauernd mit faulen Eiern. Der habe zwar auch in einer TV-Diskussion eine «extrem schwere Verletzung des internationalen Rechts» konstatiert, muss der anklagende Schreiber einräumen. Aber gleichzeitig habe Hoesli doch «Kritik an den Sanktionen angedeutet», ja die Neutralität der Schweiz bezweifelt. Was trauen sich der Herr, unglaublich. Denn Hoesli ist nicht nur Putin-, nein, er ist auch Russland-Versteher und erzählt doch was von einer Desillusionierung über den Westen in der russischen Bevölkerung. Das bringt ihm aber eine scharfe Rüge von Reichen ein:

«Doch sind die von Hoesli beschriebenen Gefühle keine Folge der gezielten Desinformationskampagne der vom Kreml kontrollierten Medien, zu denen der TV-Sender Russia Today gehört? Was sagt Hoesli angesichts der staatlichen Desinformation zur Tatsache, dass er und das russische Honorarkonsulat 2018 die stellvertretende Chefredaktorin von Russia Today für eine Konferenz an den Genfersee nach Coppet einluden und sie ihr Konzept des «disruptiven Journalismus» präsentieren liess?»

Nimm, das Hoesli, und antworte, bereue, gehe in dich, erzähl nicht solchen Putin-Quatsch. Aber der Frechdachs habe doch nicht auf «Anfragen dieser Zeitung reagiert». Typisch für einen Putin-Versteher.

Der Höhepunkt kommt am Schluss

Geht’s noch schlimmer? Allerdings, den Höhepunkt hat sich Reichen für den Schluss aufgehoben, ein selten niederträchtiges, dem Kreml-Herrscher kriecherisch ergebenes Stück Versagen: «Die Freiburger Zeitung «La Liberté» hatte entschieden, Putins Rechtfertigungsrede für den Einmarsch in die Ukraine als Inserat abzudrucken. In der Rede sprach Russlands Präsident unter anderem davon, die Ukraine entnazifizieren zu wollen. Bezahlt wurde das Inserat von einem Freiburger Anwalt.»

Wie rechtfertigt sich denn der verantwortungslose Verantwortungsträger der Zeitung? «François Mauron, Chefredaktor von «La Liberté», rechtfertigte die Publikation des Inserats mit dem Argument der freien Meinungsäusserung, die auch für Putin gelte. Putins Monolog lasse einen zwar «sprachlos» zurück, aber verstosse nicht gegen Schweizer Recht, so Mauron.»

Das macht nun auch Reichen sprachlos. Wie kann man es nur wagen, einen Text dieses wahnsinnigen Unmenschen abzudrucken, aus schnöder Gewinnsucht, und dann noch behaupten, das sei legal? Eigentlich sollte man mit der «Liberté» das Gleiche machen wie mit «Russia Today»: verbieten. So viel Freiheit muss doch mal sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Vokabular  wird rezykliert

Wer meint, die Vergangenheit sei tot: sie ist nicht mal vergangen.

Mit Abscheu blickt der moderne, aufgeklärte Zeitgenossen auf die Medienlandschaft zurück, die den Ersten Weltkrieg mit herbeischrieb und anschliessend mit Hurra-Patriotismus befeuerte.

Einige Begriffe wie Patriotismus, Feld der Ehre, Defätist, Volksverräter oder Vaterlandsverräter sind etwas aus der Mode gekommen. Der Hitler-Faschismus ergänzte zudem das Wörterbuch des Unmenschen um einige Begriffe, die bis heute dermassen angebräunt sind, dass es niemand wagt, von einem Endsieg oder einem totalen Krieg zu schwafeln.

Aber es bleiben noch genügend Möglichkeiten, die damaligen Dümmlichkeiten in die Jetztzeit zu transportieren.

Wie in jeder Schwarzweiss-Szenerie braucht es einen Helden. Also eigentlich viele Helden, überstrahlt von einem Superhelden. Dafür ist der ehemalige Komiker und Schauspieler Wolodymyr Selenskyj prädestiniert. Politische Unerfahrenheit, ohne Programm gewählt worden, Abhängigkeit vom Oligarchen Ihor Kolomojskyj; Briefkastenfirma auf einer Steueroase – was soll’s.

Held gegen Schurke, das ewige Narrativ

Nun ist Selenskyj der Held, der tapfere Widerstandskämpfer, von Putin unterschätzt, der im telegenen militärgrünen Shirt auftretende Anführer, der weiss, wie man knackige One-Liner präsentiert. So sagte er aufs Angebot, ihn sicher ausser Landes zu transportieren, dass er keine Mitfahrgelegenheit brauche, sondern Waffen.

Dagegen wirkt natürlich der humorlose, wenig charismatische, herrische und zu Monologen neigende Präsident Putin wie der geborene Verlierer.

Einen Helden, einen Schurken hat das Stück. Aber das Publikum darf natürlich nicht einfach stumm im Saal das Geschehen auf der Weltbühne verfolgen. Es ist zum aktiven Eingreifen aufgefordert. Wie das? Nun, die englische Verteidigungsministerin empfiehlt zum Beispiel, sich bewaffnet dem Widerstand gegen die Invasion anzuschliessen. Ist zwar illegal und gefährlich, aber ein Beispiel dafür, was zu Zeiten des Ersten Weltkriegs noch nicht so im Schwang war: ein Zeichen setzen.

Zeichen setzen ist ganz wichtig geworden.

Noch besser ist nur, andere dazu aufzufordern. Das ist das Geschäft der Politiker.

Neben dem unablässigen Zeichensetzen und dem unverbrüchlich Solidarischsein ist ein gnadenloser Boykott von allem Russischen gefordert. Sportler? Ausschliessen. Künstler? Boykottieren. Lebensmittel? Nicht mehr kaufen. Russische Literatur, Kunst, Musik? Nur dann erlaubt, wenn sie putin-kritisch ist.

Drittes Ingredienz in diesem Gebräu: klare Kante gegen Putin-Versteher. Die sind noch schlimmer als zuvor die Corona-Leugner. Gar nicht beachten. Ausgrenzen. Verachten. Differenzierung und Verständnis und Analyse, das war gestern. Heute ist Bekenntnis gefragt. Klare Verurteilung. Distanzierung. Beschreibung von Abscheu, bedingungslose Verurteilung.

Jeder, der ein nachdenkliches Wort wagt, weder billigen, noch verurteilen, sondern verstehen will: Putins Helfershelfer, Fünfte Kolonne, Moskau einfach, wieder mal.

Gibt es heute mehr Dummheit als vor 100 Jahren?

Schwappt das unendliche Meer der Dummheit heutzutage höher als vor 100 Jahren? Es könnte einem so vorkommen, aber das ist auch eine Fehlanalyse. Der Meerespegel ist wohl immer noch gleichhoch wie damals. Nur schwappt einem dieser Schlamm in die eigene Wohnung, ergiesst sich aus allen elektronischen und digitalen Medien, quillt aus dem Bildschirm des Computers oder des Smartphones. Verstärkt sich, gischtet auf in den Echokammern der sozialen Medien.

Wenn man sieht, liest, hört, bekommt man häufig das dringende Bedürfnis, sich länger unter die Dusche zu stellen.

Wenn die Vergangenheit nicht mal vergangen ist, wiederholt sie sich dann auch? Erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gab es Atomwaffen. Sie wurden eingesetzt. Das stimmt nicht fürchterlich optimistisch heute.

Glücklicherweise ist Krieg

Nur Corona-Kreische Brupbacher hat’s noch nicht gemerkt: neues Oberthema.

Pandemie? War da was? Krisenbank Credit Suisse? Ist da was? Gendersternchen, Diskriminierung und Ausgrenzung: was sollen das für Probleme sein?

Die Medien atmen hörbar auf und durch. Helm auf, es ist Krieg. Endlich nicht mehr «die Lage spitzt sich dramatisch zu». Noch eingeschränkt durch «offenbar» («Spiegel») oder gleich direkt: «Russland hat mit Invasion begonnen» (Tamedia). «Die Invasion der russischen Armee hat begonnen» (CH Media), «Russland hat mit der Invasion in der Ukraine begonnen, und Putin droht dem Westen mit «schrecklichen» Konsequenzen» (NZZ). «Ukraine-Invasion», der «Blick» bringt’s auf den Punkt, allerdings nicht sehr boulevardesk. Aber selbst «Bild» fällt im ersten Moment nur «INVASION» ein.

«20 Minuten» sorgt immerhin für einen komischen Brüller:

Das nennt man Lebenshilfe à la «20min».

Allgemein ist eine Begeisterung in den Medien zu spüren. Die artet gelegentlich in Kriegsbegeisterung aus; vor allem deutsche Berichterstatter haben manchmal einen Ton drauf, als würden sie immer noch für die «Wochenschau» produzieren. Aber zuvorderst steht die Dankbarkeit, dass genau rechtzeitig zum Ende der Pandemie ein neues Überthema entstanden ist, das diese Lücke füllt.

Vom Virologen zum Sandkastengeneral

Beachtlich ist dabei, dass die Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt nicht viel kompetenter ist als diejenige über Corona. Die meisten Journalisten – tragische Ausnahmen wie Marc Brupbacher beiseite – ziehen den Laborkittel des Virologen und Epidemiologen aus und schusssichere Weste plus Helm an.

Wer sich vorher noch in der Nahbetrachtung eines Virus verlor, Corona-Skeptiker und Impfgegner beschimpfte, spielt nun im Sandkasten Operettengeneral, beschimpft Präsident Putin und alle, die die militärische Eskalation nicht aus vollem Hals und uneingeschränkt verurteilen.

Es zeigt sich aber schnell wieder das gleiche Phänomen wie bei der Berichterstattung über die Pandemie. Die oberflächlichen Tatsachen sind schnell erzählt. Eine neue Riege von «Spezialisten, Kennern, Koryphäen» bringt sich in Stellung und wird fleissig interviewt. Es ist aber noch nicht klar, wer wie einstmals Marcel Salathé die Lufthoheit im Erklärbusiness erobern wird.

Wer wird der neue Salathé?

Erste Nahkämpfe zeichnen sich bereits ab. «Blick TV» probiert es mit Bidu ZauggTunnelblick»), Tamedia versucht es vorläufig mit eigenen Kräften («Das Ende der alten Welt hat begonnen»), Zita Affentranger, («Die Schweiz sollte sich den internationalen Sanktionen gegen Russland anschliessen»), Raphaela Birrer. «20 Minuten» setzt auf einen Marc Lindt, der aber wohl nur Aussenseiterchancen hat.

Ob’s so und hier anfing? Anscheinend ein flüchtender ukrainischer Soldat an der Grenze.

Natürlich warten wir alle auf erste Worte des letzten grossen Welterklärers der Schweiz, Erich Gysling. Aber er war vor drei Tagen das letzte Mal auf Sendung, kommt aber sicherlich demnächst wieder hinten hoch.

Zu einer ebenfalls lustigen Volte hat sich CH Media verstiegen. Dort hat man die «Schweizer Putin-Versteher» zusammengestellt. Zwar noch vor Ausbruch des Krieges, aber sozusagen als Kollektion von Mitbürgern, die man bei Gelegenheit dem Volkszorn aussetzen kann. Falls die Schweizer Bevölkerung tatsächlich den extrem putin-feindlichen Kurs der Massenmedien goutiert.

Allerdings: Hintergründe, Analysen, Food for Thought, Beigemüse zu den ausgetrampelten Pfaden des Mainstreams? Da kann man höchstens ein wenig auf die NZZ hoffen, wobei es beim Hintergrund des Auslandchefs eher fraglich ist, dass sich das letzte Weltblatt der Schweiz allzu weit auf eine differenzierte Berichterstattung einlässt.

Warum nicht zwischen allen Stühlen?

Sozusagen schon vor Spielbeginn hat sich leider die «Weltwoche» disqualifiziert. Wenn man die ungefilterte russische Regierungssicht sich zu Gemüte führen will, kann man (zumindest in der Schweiz) gleich «Russia Today» lesen oder schauen. Ob eine Titelgeschichte von Thomas Fasbender sozusagen die Gegenleistung für diverse Auftritte von Roger Köppel dort ist, man weiss es nicht. Leider verliert sich die WeWo wieder viel zu sehr im verkrampften «gegen den Strom», statt sich mutig zwischen alle Stühle und Bänke zu setzen.

So wie wir das auf ZACKBUM praktizieren. Keine Putin-Versteher, aber scharfe Kritiker der ins Hysterische kippenden westlichen Berichterstattung. Garniert mit kleinen Ausflügen in die Geschichte, Mentalität und Verfassung der Ukraine. Während klar ist und bleibt: mit einem Angriff auf die territoriale Integrität der Ukraine verletzt Russland zum zweiten mal heilig beschworene Verträge, Versprechungen und Vereinbarungen. Um sich möglicherweise die milliardenteure Renovation einer Ruine aufzuhalsen.