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So trennt man sauber den Müll

Pardon, redaktionellen Inhalt und bezahlte Werbung. Eine Obduktion.

Wir hätten auch «watson», «nau.ch» oder «20 Minuten» nehmen können. Oder ein Beispiel von CH Media oder Tamedia. Aber keiner tanzt den Inserate-Rap so neckisch unbekleidet wie der «Blick».

Das machen wir doch am besten in Form eines Wettbewerbs. Zehn Beispiele vom Online-Auftritt des «Blick». Nicht vollständig, aber alle zum gleichen Zeitpunkt genommen. Wettbewerbsfrage: Wer findet alle bezahlte Werbung? Oder vielleicht, könnte einfacher sein, wer findet alle Eigenleistungen?

Ein Ratespiel für die ganze Familie. Selbstverständlich dürfen auch Schimpansen, Papageien oder Hunde teilnehmen. Es gibt keine Beschränkung durch IQ.

Frage 1:

Okay, das ist nur zum Aufwärmen …

Frage 2:

Schon schwieriger, gell?

Frage 3:

Der Schwierigkeitsgrad steigt …

Frage 4:

Wie viele bezahlte Inhalte? Einer, zwei oder drei?

 

Frage 5:

Eine Erholungsfrage …

Frage 6:

Es wird wieder schwieriger.

Frage 7:

Kein Stress, kann man rauskriegen.

Frage 8:

Nichts für Warmduscher.

Frage 9:

Tipp: rechts wird’s wärmer.

Frage 10:

Noch ein Dreierrätsel.

Frage 11:

Bonusfrage, denn Frage 10 ist verteufelt schwierig.

 

Auf dem Strich

Bezahlter und redaktioneller Inhalt: immer strikt getrennt. Pustekuchen.

Wenn ein Medium den Schwurfinger erhebt und den treuen Augenaufschlag probt, dann bei diesen beiden Versprechen: Niemals beeinflusst der Inserent den redaktionellen Inhalt. Redaktionelle Unabhängigkeit über alles.

Wenn das neue Modell von Grossinserent VW Schrott ist, dann darf das auch so geschrieben werden. Wenn die neue und sackteure Anti-Wrinkle-Creme des Kosmetik-Multis die Falten nicht wegbügelt, dann wird darüber die Stirne gerunzelt. Wenn die neue Feriendestination voller Ärgernisse steckt und das Hotel eine Touristenfalle ist: das schreibt der Journalist so, obwohl er vom Touroperator eingeladen wurde.

Das gilt selbstverständlich auch für die letzten Grossinserenten aus dem Detailhandel; der neue Wackelpudding wackelt nicht richtig, das darf dann doch wohl noch gesagt und kritisiert werden.

Wir wischen uns die Lachtränen aus den Augen und machen ein ernstes Gesicht beim zweiten Schwur: Bezahlter Inhalt und redaktioneller sind für den Leser deutliche erkennbar getrennt. Durch einen Strich, durch den Titel «Inserat», durch eine grafisch und typografisch deutlich andere Aufmachung.

Mit der «Publi Reportage» fing’s an

Lange Jahre gab es den redaktionellen Inhalt. Drum herum, daneben die Inserate. Nicht verwechselbar. Dann erfand man die «Publi Reportage». Das heisst: ein bezahlter Inhalt kommt so täuschend ähnlich wie möglich im Gewand eines redaktionellen Beitrags daher.

Beispiel «watson».

Mit zunehmender Verzweiflung hat sich ein ganzer Begriffszoo von Euphemismen entwickelt. Irgendwo steht «Paid Post», «Sponsored», «Branded Content» oder «Präsentiert von …» Sauber ausgewiesen, sagen die Medienmanager. Das gilt natürlich auch für die neuste Erfindung, die «Native Ad» oder den «Native Content». Daran ist nichts bodenständig oder heimisch, schon gar nichts naiv.

Auch all diese Bezeichnungen bedeuten schlicht und einfach: jemand hat für diesen Inhalt bezahlt. Nicht die Redaktion, sondern der Auftraggeber hat die Aussage bestimmt. Wunderbar ist auch die Formulierung: «Diese Reportage über sinnvolle Brandrodung in der Dritten Welt ist eine Zusammenarbeit mit Ihrem Palmölproduzenten.»

Beispiel «Blick».

All diese Werbeformen unterscheiden sich vom klassischen Inserat («kauft’s, raucht’s, sauft’s») durch zwei Eigenschaften: meistens wird es vom Medium selber produziert, nicht vom Inserenten, und nicht nur deswegen ist es viel lukrativer als ein angeliefertes Normalinserat.

Aber, wir brauchen schon wieder das Taschentuch, all diese Spielformen sind deutlich gekennzeichnet und vom Konsumenten klar erkennbar. Niemals würde er einen Paid Post mit einem redaktionellen Beitrag verwechseln. Ehrenwort.

Studie zeigt hohe Verwechslungsgefahr

In einer Studie ist die ZHAW dieser Frage nachgegangen.

Überraschung: Im Schnitt erkannte gut ein Drittel der Teilnehmer am Experiment diese Werbeformen nicht als bezahlten Inhalt.

«Je nach Plattform und Art der Kennzeichnung, bemerkten sogar bis zu 60 Prozent der Teilnehmenden nicht, dass es sich bei einem Beitrag um gesponserten Inhalt handelt»,

erläutert Guido Keel, Studienleiter und Professor für Media Literacy am Institut für Angewandte Medienwissenschaft der Zürcher Hochschule ZHAW.

Beispiel «20 Minuten».

Bezeichnungen wie «Native Content» war für die Hälfte der Teilnehmer nicht verständlich. «Zwischen fünf und zehn Prozent der Befragten nahmen zudem an, dass bei diesen Bezeichnungen der Auftraggeber keinen Einfluss auf den Beitrag hat, weder in Bezug auf das Thema noch auf die konkreten Inhalte.»

Mit Eye-Tracking wurde bei einer kleineren Gruppe belegt, «dass Hinweise auf das Sponsoring, die nicht direkt als Lauftext eines Beitrags aufscheinen, kaum zur Kenntnis genommen, sondern routiniert ignoriert werden». Keel ergänzt: «Selbst Teilnehmende, die den Hinweis auf das Sponsoring betrachteten, konnten sich in der anschliessenden Befragung nicht daran erinnern, einen Hinweis gesehen zu haben».

Also kann man einerseits sagen: voller Erfolg. Bezahlte Inhalte sind so täuschend ähnlich an redaktionelle Beiträge angepasst, dass viele den Unterschied gar nicht bemerken. Oder wenn doch, davon ausgehen, dass der Inserent doch wohl keinen Einfluss auf den Inhalt habe.

Beispiel CH Media.

Andererseits ist das natürlich ein weiterer Sargnagel für die gebetsmühlenartigen Schwüre der Medien. Denn nur durch eine glasklare Trennung sei ja die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen gewährleistet. Pustekuchen.

Es gibt noch eine viel wirksamere Form der Einflussnahme

Dabei haben wir die wirksamste Form der Einflussnahme noch gar nicht erwähnt. Die äussert sich weder in einer Native Ad oder gar einem Inserateboykott. Sondern in einem diskreten Anruf beim CEO oder gleich beim privaten Besitzer des Medienkonzerns.

Man habe gehört, dass da irgendwelche angeblich anrüchige Handlungen recherchiert würden. Sei natürlich nichts dran, aber der mögliche Reputationsschaden. Da müsste man dann allenfalls rechtliche Schritte einleiten, und was das alles wieder kostet. Wäre doch viel besser, das Thema sein zu lassen, interessiere doch sowieso keinen.

Beispiel NZZ.

Wunderbar, sagst das dem zuständigen Chefredaktor im Vorbeilaufen, danke. Und wie geht’s der Gattin, wollen wir mal wieder in meinem Privatjet nach Tokio?

Läuft das so? Natürlich läuft das so. Nur: beweisen kann man’s sehr, sehr selten. Selbst dann nicht, wenn es einem schon mehrfach passierte, dass eine anfängliche Begeisterung über die Beschreibung eines saftigen Skandals urplötzlich abkühlte, ein Vorwand nach dem anderen erfunden wurde, um dann zu einem abschliessenden : «Ist wohl doch kein Thema für uns» zu gelangen.