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Unfair-Media

Neues Altes von der Gurkentruppe.

«Fairmedia» war angetreten, als durchsickerte, dass Gottseibeiuns Christoph Blocher die «Basler Zeitung» gepostet hatte. Unter der Leitung von Markus Somm verwandelte sich das Blatt in eine muntere Plattform für verschiedene, aber lautstarke Meinungen und wurde als SVP-Postille geschmäht. Dabei war die Haltung viel liberaler als die von Tamedia. Beweis: in der BaZ durfte René Zeyer ungeniert und unzensiert publizieren, sehr zum Missfallen der damals noch mächtigen Credit Suisse und des Fürstenhofs zu Liechtenstein.

Tempi passati, die BaZ ist nun Teil der Einheitssauce aus dem Hause Tamedia, Zeyer durfte seinen allerletzten Artikel noch knapp vor Torschluss publizieren, seither niemals mehr in der BaZ.

Die «TagesWoche» ist inzwischen kläglich eingegangen, «Fairmedia» existiert kläglich weiter und war schon mehrfach im Fokus der Kritik von ZACKBUM. Denn «Fairmedia» hält sich selbst nicht an seine eigenen, grossspurig vorgetragenen Regeln.

Das «Kompetenzzentrum in Medienrecht und Medienethik» gibt von ihm Angerempelten nicht mal Gelegenheit zur Stellungnahme, schweigt auf Anfragen von ZACKBUM verkniffen und unethisch. Ergreift zudem einseitig Partei für eine ewig um ihr Verschwinden in den Schlagzeilen schlagzeilenträchtig kämpfende ehemalige Zuger Politikerin und sammelt sogar Geld für deren endlose Prozessorgien, wobei über die Verwendung nur «gegenüber unseren Spender:innen transparent kommuniziert» werde.

Das ist alles miefig und übel. Natürlich ist «Fairmedia» auch fest in den linken Kuchen eingebettet, wo man sich gegenseitig Posten und Pöstchen zuhält. Und genau das wird nun zu einem lustigen Problem. Denn der erste Präsident von «Fairmedia» hiess – Beat Jans. Genau, der frischgebackene SP-Bundesrat und Justizminister Jans.

Zudem ist «Fairmedia» personell und inhaltlich mit der ewig klagenden und ewig verlierenden Ex-Politikerin verbandelt. Die hat inzwischen, nachdem sie bis zum Bundesgericht hinauf verlor und sogar einen Rekurs gegen das Bundesgericht beim Bundesgericht einreichte (natürlich verloren), beim Europäischen Gerichtshof in Strassburg Klage eingereicht. Gegen die ganze Schweiz, notabene. Und die wird vom zuständigen Bundesrat und Justizminister vertreten.

Also darf Jans gegen die Kanzleipartnerin seines ersten Co-Geschäftsführers von «Fairmedia» antreten. Mit dem Bertschi-Clan ist Jans auch anderweitig verbandelt. Vater Bertschi sitzt im Vorstand von «Fairmedia», Tochter Bertschi ist Generalsekretärin – im Justizdepartement.

Da werden lustige Hintergrundgespräche stattfinden, bei denen Jans sich winden wird und betonen, dass er halt qua Amt leider, leider gegen seine eigenen Leute – und Ansichten – vorgehen müsse. Er wird das sicherlich mit letzter Kraft tun. Selbstverständlich wird bei lustigen Treffen von Jans mit dem Bertschi-Clan kein Wort zu diesem Thema verloren. Chinese Wall, Firewall, völlig klar. Schwester Bertschi wird weder Vater noch Bruder auch nur ein Sterbenswörtchen verraten. Man wird übers Wetter und die Langsamkeit der Berner sprechen. Da lachen ja die Hühner.

Im anständigen Bereich der Politik gäbe es die Möglichkeit, sich wegen Befangenheit herauszunehmen und die Chose seinem Stellvertreter im Bundesrat zu überlassen. Aber doch nicht ein Sozialdemokrat.

Es gilt die Antisemitismus-Vermutung

Ein Prozess als Symbol für die allgemeine Verirrung.

Was Antisemitismus sei, was antisemitisch, das wird in immer absurdere Höhen,Weiten und Grössen ausgedehnt. Wahrscheinlich ist bereits dieser Anfang antisemitisch. Irgendwie.

Werden solche Kampfbegriffe überdehnt, dann werden sie gleichzeitig sinnentleert, werden sie auf alles angewendet, bedeuten sie nichts. Werden als verbale Waffe stumpf, obwohl sie durchaus ihre Berechtigung haben, denn natürlich gibt es Antisemitismus und Judenhass.

Aber wer «Antisemit» wie Konfetti auf alles niederregnen lässt, was seiner eigenen Meinung widerspricht, entwertet den Begriff, so wie es bereits dem Schimpfwort «Nazi» ergangen ist. «Nazi» ist eigentlich inzwischen gleichbedeutend mit Arschloch und immer weniger Benutzer wissen überhaupt noch, wofür das Wort einstmals stand.

Dass es Israelhass gibt,  macht jegliche Solidarität mit den Palästinensern so schwierig. Denn sie haben im Gazastreifen ein Regime gewählt, das einem mittelalterlichen, fundamentalistischen Islamismus anhängt, mit dem kein vernünftiger Mensch einig gehen kann. Unter keinen Umständen. Weder das Ziel der Vernichtung Israels noch die Methoden zu seiner Erreichung können gebilligt, verteidigt, rechtfertigt werden.

Wo ist dann noch Platz, um gegen Kriegsverbrechen und Verstösse gegen das Völkerrecht seitens Israel zu protestieren? Zwischen allen Stühlen, also beispielsweise hier.

Lange Einleitung zu einem kurzen Prozess. Es ist ein Lehrstück über Missbrauch. Der mehr als Sohn von Abi denn als selbständiger Sänger bekannte Gil Ofarim machte vor zwei Jahren weltweit Schlagzeilen. Nicht mit seiner Sangeskunst, sondern mit einem Handyvideo, das er auf dem Boden sitzend vor einem Leipziger Hotel von sich aufgenommen hatte.

Der Rezeptionist des Hotels hinter ihm habe ihn aufgefordert, seine Halskette mit Davidstern abzulegen, wenn er einchecken wolle, berichtete ein aufgelöster Ofarim. Damit löste er einen Skandal aus. Vor dem Hotel gab es Demonstrationen, Politiker überschlugen sich in Vorverurteilungen, der Rezeptionist wurde suspendiert. Das sei ein unerträgliches Beispiel für alltäglichen Antisemitismus, behauptete der damalige Aussenminister Heiko Maas. Es wurde mit «Schande», «unerträglich», «Boykott» um sich geworfen.

Jetzt beginnt der Prozess gegen Ofarim vor dem Leipziger Landgericht. Der Verdacht: falsche Verdächtigung, Verleumdung, Betrug und falsche eidesstattliche Versicherung.

Denn nach der ersten grossen Aufregung kamen schnell Zweifel an der Darstellung Ofarims auf. Den angeblichen Streit um seinen Davidstern konnte keiner der fünf  Zeugen bestätigen, die das Wortgefecht an der Rezeption mitbekamen. Zudem ist auf Videoaufnahmen der Stern gar nicht zu sehen, von weiteren 31 Zeugen hat ihn – ausser einem, der sich laut Staatsanwaltschaft aber täuschen dürfte – keiner gesehen, also gibt es Zweifel, ob Ofarim ihn überhaupt sichtbar trug.

Der Vorfall ist von der Staatsanwaltschaft und von einer durch das Hotel beauftragten Kanzlei aufwendig und minutiös untersucht worden. Natürlich gilt auch hier die Unschuldsvermutung, aber die Behauptung Ofarims auch vor dem Prozess, dass es sich so zugetragen habe, wie er behauptet, wird durch nichts gestützt.

Natürlich ist  die Motivforschung schwierig, wieso der Sänger gelogen haben könnte. Um Aufmerksamkeit auf seine mediokre Karriere zu lenken? Rache am Hotelmitarbeiter, der ihn seiner Meinung nach nicht seinem Status als Promi gemäss behandelt hatte? Zeugen wollen gehört haben, dass er am Schluss der Auseinandersetzung dem Rezeptionisten damit drohte, dass er gleich ein Video aufnehmen werde; «das werden Sie noch bereuen», soll er laut diesen Zeugen gesagt haben.

Ofarim beklagt sich im Vorfeld des Prozesses darüber, dass er sich seit seiner Jugend ständig antisemitische Beleidigungen anhören müsse und sogar attackiert worden sei. Das ist in Deutschland durchaus denkbar. Sollte sich in diesem Prozess allerdings herausstellen, dass es über jeden vernünftigen Zweifel erwiesen wäre, dass dieser antisemitische Vorfall von Ofarim erfunden wurde, hat er damit den Antisemitismus kräftig befördert.

Genau wie all die Kreischen, die jeder Kritik an Israel sofort das Etikett «Antisemit, Israelhasser, Judenhasser» ankleben. Leider vermehren sie sich täglich. In ihrer strotzende Selbstherrlichkeit merken sie nicht, wie sehr sie der Sache Israels schaden. Sie werden zu geistigen Terroristen, zu ideologischen Taliban, zu verblendeten Inquisitoren, die null und nichts zu einer möglichen Lösung beitragen, indem sie beispielsweise die Israelis als die schlichtweg «Guten» stilisieren.

Sie sind grösstenteils nicht mal in der Lage, eine Antwort auf eine naheliegende, einfache Frage zu geben: angenommen, Israel gelingt es, die Hamas zu liquidieren, was das erklärte Kriegsziel ist. Und dann?

Kriminaltango

Das Sommerloch gähnt bereits vernehmlich.

Ein Todesfall. Nicht restlos aufgeklärt. Ein Mörder sitzt im Gefängnis, aber wurde er angestiftet? Auf der Front ist’s glasklar. Denn auch die NZZaS pfeift inzwischen auf die Unschuldsvermutung. Trommelwirbel, schneidende Geigen, blutrote Illustrationen:

Der arme Dürrenmatt.

Denn wir bewegen uns hier auf einem angeblich hochstehenden literarischen Niveau. Die als «erfolgreichste Krimiautorin der Schweiz» geltende Christine Brand kehrte «für diese Reportage zu ihren Wurzeln als Journalistin zurück». Zudem arbeitete sie früher im Ressort «Hintergrund» der NZZaS.

Im Eigenmarketing ist die Dame grossartig:

Im Nacherzählen einer eher banalen Story weniger. Eigentlich sollte der Lektor blutrot anlaufen, wenn eine Kriminalgeschichte so beginnt:

«Noch denkt niemand etwas Schlimmes

Dann stolpert Brand durch ein Potpourri, aus dem man (auch frau) etwas Anständiges hätte machen können, obwohl – oder gerade weil – es «alle Klischees bedient». Alte, wohlhabende Ärztin stirbt in ihrer Villa an der Zürcher Goldküste. Wird erst zwei Tage später gefunden, zu spät obduziert. Natürlicher Tod oder nicht?

Der Verdacht fällt schnell auf ihre Tochter. Drogenabhängig, in Gefahr, das Erbe zu verlieren. Deren Freund, Bauarbeiter, Rotlichtmilieu, Drogenkarriere, wird verurteilt. Und schweigt eisern bis heute. Die Tochter kann sich an nichts mehr erinnern. Kein Wunder, sie soll bis zu «120 Pillen Ritalin» genommen haben – täglich. Dabei sollte eine Höchstdosis von 8 Tabletten nicht überschritten werden. Heisst’s. Also müsste die Tochter eigentlich schwer hirngeschädigt oder tot sein. Aber was soll’s.

Medizinische und andere Ungereimtheiten sind Brand ziemlich egal. Neues hat sie auch nicht zu bieten, das Urteil des Obergerichts aufgrund von Berufungen gegen das erstinstanzliche Verdikt wird erst am 4. Juli erwartet. Also bleibt nichts anderes als der vage Schluss:

«Wollte Beatrice K. (die Tochter, Red.) den Tod ihrer Mutter oder war sie ahnungslos? Entweder wird Beatrice K. für Jahre ins Gefängnis gehen oder eine freie, reiche Frau sein. Doch die Wahrheit, warum Veronika T. sterben musste, wird wohl verborgen bleiben.»

Nun, da ein verurteilter Mörder im Knast sitzt, scheint diese Wahrheit eher offenkundig zu sein. Da in seinem Besitz Wertgegenstände der Toten gefunden wurden, könnte der gewiefte Krimiautor, wenn er mal in überschwengliche Kombinierlaune gerät, eine gewagte These zum Warum aufstellen. Stichwort Habgier, Stichwort Sicherung des Erbes  …

Trommelwirbel, Fade out, ein Aktendeckel schliesst sich gewichtig. Vorhang zu, alle Fragen offen. Das Hazy Osterwald Sextett stimmt den «Kriminaltango» an. Das Publikum flüchtet.

Walder will Kleinholz machen

Ein Artikel, drei Klagen. Da ist einer ziemlich sauer.

«Goliath gegen David: Gleich mit einer dreifachen Klage gehen der Ringier-CEO und die Medienkonzerne Ringier sowie Ringier Axel Springer Schweiz gegen die Branchenplattform vor. Sie monieren eine Persönlichkeitsverletzung und unlauteren Wettbewerb.» Philipp Gut berichtete als Erster von einem frisch entbrannten Rechtsstreit.

Marc Walder, CEO Ringier, die Ringier AG in Zofingen und Ringier Axel Springer Schweiz klagen gegen Ursula Klein und gegen die Press Media AG, die den «Klein Report» herausgibt. Der «Mediendienst der Schweizer Kommunikationsbranche» publiziert normalerweise eher unauffällig vor sich hin.

Nun hat er aber mit dem Artikel «Ringier streicht Bootsausflug und verärgert einmal mehr die Pensionierten» höchsten Zorn beim Medienkonzern ausgelöst. Nicht etwa durch diesen Titel und die Meldung, mit der Streichung hatte CEO Walder eigentlich nichts zu tun. Aber Klein nahm das Thema zum Anlass, einige spitze Bemerkungen über Walders Privatleben zu machen. Daher wird wegen Persönlichkeitsverletzung und unlauterem Wettbewerb geklagt, die Löschung der Passagen über sein Intimleben und eine Genugtuung in der Höhe von 5000 Franken verlangt.

Gut referiert in seinem Artikel (hinter Bezahlschranke) ausführlich die Behauptungen Kleins. Das wollen wir wohlweislich unterlassen, denn auch eine Wiederholung oder ein Zitat schützt nicht davor, auch noch gleich eingeklagt zu werden, wenn der Zorn des Khans noch nicht verraucht ist. Im Original lässt sich der Artikel vom 27. Mai immer noch nachlesen. Das sei ihr in ihrer 35-jährigen Karriere noch nie passiert, lässt sich Klein zitieren: «Brennt bei denen die Hütte

Die Antwort darauf liegt wohl eher in einem anderen Kriegsschauplatz begraben. Denn Klein hatte mit Anlauf gegen das Medienarchiv SMD und Swissdox geklagt, an denen Ringier beteiligt ist – zusammen mit der TX Group und der SRG. Dabei behauptete Klein, dass dort ihre Artikel unter Verletzung ihres Copyrights gespeichert seien. Und da sie tatsächlich eine 35-jährige Karriere hinter sich hat, läpperte sich das gewaltig, sie wollte mal kurz so eine Million erstreiten.

Entsprechend teuer wurde der Prozess vor dem Handels- und dann auch noch vor dem Bundesgericht. Allerdings endete das zweimal mit einer empfindlichen Niederlage für Klein, die keine Million kassieren konnte und stattdessen auf happigen Anwalts- und Gerichtskosten sitzen blieb. Das mag ihren Furor gegen das Haus Ringier erklären. In einem Artikel, der eigentlich mit dem Privatleben von Walder nicht das geringste zu tun hat, ein paar saftige Anekdoten aus seiner Ehe zu erzählen, das war wohl auch nicht sehr geschickt.

Man sieht sich vor dem Friedensrichter, und dann wird wohl auch dieser Prozess seinen Gang durch die Instanzen antreten. Allerdings sieht es auch hier nicht wirklich gut aus für Klein.

 

Vincenz. Vincenz?

Es war mal der wichtigste Wirtschaftsprozess der Schweiz.

Aus jedem «kein Kommentar» bastelte man einen Artikel. Die Anzahl der geöffneten Hemdknöpfe von Pierin Vincenz war tiefschürfende Betrachtungen des Konzernjournalisten Philipp Loser wert.

Nun fand die Fortsetzung des Prozesses gegen den gefallenen Bankstar und einige Mitangeklagte statt. Wieder im Bezirksgericht; das grosse Theater ist vorbei, deshalb braucht es auch nicht mehr den Theatersaal im Volkshaus Zürich.

Ein knappes Dutzend Journalisten verfolgten diesmal den Prozesstag. Da Tamedia die Berichterstattung aus eigenen Kräften und ohne Hilfe aus München stemmen muss, machte man einen «Ticker». Früher einmal waren das die Notizen, die sich ein Journalist während der Verhandlung machte. Anschliessend, denn wofür verlangt man Geld, machte er dann einen durchkomponierten Artikel draus. Also Einleitung, Gewichtung, Abfolge, vielleicht sogar noch eine Schlusspointe.

Das war früher; heute ist: das Geticker wird einfach ins Netz gestellt. Das ist so, wie wenn der Metzger die Schweinehälfte auf die Theke legen würde und sagte: schneidet Euch doch davon ab, was Ihr wollt; ich wieg’s dann noch und kassiere.

Wenn der Metzger tickern würde.

Immerhin macht selbst der «Blick» eine Kurzstory draus, und die NZZ wirft gleich mehrere Kräfte in die Prozessschlacht, das ist man einem gewissen Niveau schuldig. Die akkurate NZZ-Berichterstattung liefert einen weiteren Beweis dafür, dass die Betrugs- und Vorteilsnahmethese der Staatsanwaltschaft auf sehr wackeligen Beinen steht. Nicht nur, dass es allgemein sehr schwierig ist, den dafür nötigen Vorsatz, also die beweisbare Absicht, zu belegen.

Erinnert sich noch jemand an Details?

Insbesondere bei der Beteiligung an Investnet, bei der zwei Mitangeklagten Beihilfe zum Betrug und Bestechung vorgeworfen wird, zerlegte deren Verteidiger das wackelige Konstrukt der Staatsanwaltschaft. Überschattet wird dieser Teil der Anklage durch eine menschliche Tragödie. Einer der beiden hier Angeklagten ist inzwischen dement geworden und kann weder aussagen, noch an der Verhandlung teilnehmen.

Der Hauptangeklagte Vincenz glänzte durch Abwesenheit. Auch hier ein eher erstaunlicher Vorgang. Da das Gericht am Anfang viel zu wenig Verhandlungstage vorgesehen hatte, wurden zusätzliche in aller Eile dazugeklebt. Nun ist es dem Hauptverteidiger aber nicht möglich, diese Termine wahrzunehmen. Worauf das Gericht gleich das ganze Team samt Angeklagten dispensierte. Als wolle es schon möglichst viele Anhaltspunkte für eine mögliche Revision anbieten.

Umso länger der Prozess dauert, desto deutlicher wird, dass eine 368 Seiten umfassende Anklageschrift kein Ausdruck geballter staatsanwaltlicher Durchdringung eines hochkomplizierten, aber kriminellen Verhaltens der Angeklagten ist. Sondern Ausdruck eines überforderten Staatsanwalts, der jahrelang dem selbstverschuldeten Problem nachrannte, durch eine drakonische U-Haft Tatsachen geschaffen zu haben, die eine milde Anklage gar nicht zuliessen.

Ein Staatsanwalt bei der Arbeit.

Es kommt sowieso selten in einer Strafuntersuchung vor, dass ein Staatsanwalt mittendrin kehrtum marsch macht. Als er bemerkte, dass die ungetreue Geschäftsführung – mangels beweisbarem Vorsatz und beweisbarer Schädigung des Arbeitgebers – nicht haltbar war, schwenkte er auf Spesenbetrug um und zwirbelte den dann zu schwerem Betrug um, damit er auf wiederum drakonische 6 Jahre Gefängnis plädieren konnte.

Ein endgültiges Urteil ist erst in Jahren zu erwarten

Wann das Urteil verkündet wird, ist weiterhin unklar; sicherlich nicht schon am letzten vorgesehenen Prozesstag Ende März. Man kann allerdings davon ausgehen, dass weite Teile der Urteilsbegründung bereits geschrieben sind. Man kann auch davon ausgehen, dass das Gericht, wenn überhaupt, nur bedingte Strafen aussprechen wird.

Man kann sicher sein, dass das Urteil – wie auch immer es ausfällt – von mindestens einer Seite weitergezogen wird. Worauf das Ganze dann in ein paar Jahren vom Bundesgericht abschliessend beurteilt wird. Was dann noch eine SDA-Kurzmeldung ergeben wird.

Unabhängig davon, ob hier Gesetzesverstösse begangen wurden. Unabhängig davon, was man von Ausflügen ins Rotlichtmilieu auf Geschäftsspesen halten mag. Unabhängig davon, wie man moralisch das geschäftliche Verhalten der beiden Hauptangeklagten beurteilen mag: selbst ein Freispruch würde nicht wiedergutmachen, was hier angerichtet wurde.

Intimste Details aus dem Privatleben, Geschäftsgeheimnisse, strikt vertrauliche Untersuchungsakten, gar Banküberweisungen wurden öffentlich durch den Kakao gezogen. Der Ruf zweier Geschäftsleute unrettbar ruiniert. Die zudem nicht nur – einmalig in solchen Zusammenhängen – über hundert Tage in U-Haft schmorten, wobei auch eine schwere körperliche Behinderung eines der beiden keinerlei Gnade in Form einer Verschonung fand. Sondern die letzten vier Jahre damit verbringen durften, sich gegen diese Anschuldigungen zu wehren.

Es gilt die Unschuldsvermutung …

Gleichzeitig sind sie, auch so ein weitgehend unbekanntes Instrument zum Mürbemachen, weitgehend von ihren finanziellen Ressourcen abgeschnitten. Die sind nämlich, falls es zu Regressforderungen kommen sollte, präventiv arretiert. Ja, genau wie im Fall Russlands. Nur sind weder der Hauptangeklagte noch sein Kompagnon kleine Putins.

Ihre Verteidigung konnten die beiden nur dank entsprechender Versicherungen und höchstwahrscheinlich auch durch Schuldenaufnahme finanzieren. Was selbstverständlich die Reichweite, vor allem das Erstellen von Gegengutachten, deutlich begrenzte.

Die Angeklagten im Schaufenster der Medien.

Das muss man so verstehen, wie wenn ein Ringkämpfer antreten muss – mit einer Hand auf den Rücken gebunden. Während die Staatsanwaltschaft über alle Zeit der Welt und über alle finanziellen Mittel verfügt. Nur begrenzt durch Verjährungsfristen, die durch die sich jahrelang hinschleppende Untersuchung teilweise demnächst eintreten.

Was vielleicht dem Staatsanwalt in seinem letzten grossen Prozess (den er wohl wie alle vorher verlieren wird) durchaus zu pass kommt. Dann kann er nämlich behaupten, dass es sicherlich zu einer Verurteilung gekommen wäre – hätte das die Verjährung nicht verhindert.

Wo bleiben Augenmass und Verhältnismässigkeit?

Das Führen des schärfsten Schwerts, über das ein Rechtsstaat verfügt, braucht Augenmass und Verhältnismässigkeit. Ein Staatsanwalt ist mit Machtmitteln wie kein Zweiter ausgestattet. Er kann auf Verdacht drakonische Massnahmen ergreifen. Freiheitsentzug, Mittelentzug, Beschlagnahmungen, Einvernahmen unter Eid. Es ist ihm weitgehend freigestellt, wie schnell oder wie langsam er seine Untersuchung zur Anklageschrift reifen lässt.

Blick in den Maschinenraum einer modernen Redaktion.

Für ihn ist eine Niederlage vor Gericht zudem folgenlos. Er ist in keiner Form haftbar; allerhöchstens der von ihm vertretene Staat. Amtsmissbrauch, offenkundige Kunstfehler, Willkür, unverhältnismässiges Handeln, all solche Vorwürfe perlen an ihm ab. Der Staatsanwalt wird sich demnächst in die Pension verabschieden. Seine Rente ist völlig unabhängig davon, ob er jemals als Staatsanwalt Erfolg hatte – oder nicht. Und welche materiellen oder immateriellen Schäden er angerichtet hat.

Blöd, blöder, «Blick»

Der Ticker, die Fotos, die «Fachleute», das atemlose Japsen.

So sah’s am Dienstagmorgen bei «Blick» aus. Gibt es etwas Älteres, Unwichtigeres am Donnerstagmorgen?

Kein Kommentar …

Wie aus Kübeln

Aburteilung vor dem Prozess: armer Vincenz.

Sicherlich ist der tief gefallene Bankerstar von Raiffeisen persönlich nicht gerade ein Sympathieträger. Obwohl er perfekt den jovialen, volksnahen Banker spielte, dafür auch extra die letzten hundert Meter zu Versammlungen im sportlichen Berglerschritt zurücklegte: privat liess er es gewaltig krachen. Und die Anfahrt legte Pierin Vincenz im Audi A8 mit Chauffeur zurück, gerne auch mal im Helikopter.

Dabei hatte er offenbar eine unselige Vorliebe für drittklassige Striplokale und auch ihre weiblichen Angestellten. Eine Terminkollision führte nicht nur zu einem demolierten Hotelzimmer, sondern auch zu dringendem Finanzbedarf, um eines der beteiligten Girls ruhigzustellen.

Bankfiliale à la Vincenz.

Nicht mal das gelang ihm wirklich, zudem scheint er einer der schlechtesten Aktienspekulanten der jüngeren Zeit zu sein. Das ist das eine.

Dass er aus einer verschnarchten Versammlung von Bauern- und Ofenbänklein, eifersüchtig kontrolliert von Lokalfürsten, die Nummer drei im Schweizer Banking machte, ist das andere.

Letzte Welle vor dem Beginn des Prozesses

Beides ändert nichts daran, dass er eine Anklage am Füdli hat, die von ungetreuer Geschäftsführung über Spesenbetrug zu qualifiziertem Betrug umgemöpselt wurde. Es ändert nichts daran, dass fast drei Jahre lang intime Details aus der Untersuchung an die Öffentlichkeit durchgestochen wurden, inklusive vollständige Anklagschrift. Ein Skandal.

Es ändert nichts daran, dass wohl selten bis nie die Unschuldsvermutung dermassen ins Absurde geführt wurde, ins Lächerliche gezogen.

Am Dienstag beginnt nun der Prozess; vier Jahre nach Beginn der Affäre. Im Vorfeld legen die Medien noch Sonderschichten ein. Herausragend der «Blick».

Mit gleich vier Artikel als Online-Aufmacher heizt er die Stimmung an:

Vorverurteilung mit Sozialneid.

Dabei kündigt er an, dass das erst mal der Anfang sei, die Vorspeise sozusagen. Nachdem ein serbischer Tennisspieler mit seinen Einreiseproblemen in Australien abgetischt ist, wird die nächste Sau durchs Dorf getrieben. Im Sinne des zurückhaltenden und ausgewogenen Journalismus, dem sich die «Blick»-Familie angeblich verschrieben hat.

Dass «Inside Paradeplatz» gleich mit sechs Artikeln zum Thema vertreten ist, kann man hingegen verstehen. Denn Lukas Hässig war der Erste – und lange Zeit der Einzige –, der auf Merkwürdigkeiten im Finanzhaushalt von Vincenz aufmerksam machte.

«watson» erklärt’s für Dummies.

Vom gefeierten Star zum Watschenmann

Aber damals war der Bündner Naturbursche noch der gefeierte Star, der Banker zum Anfassen, schlagfertig und witzig bei den Staatskomikern Giacobbo und Müller, gerne gesehen an öffentlichen Promi-Anlässen, eng mit Ringiers Marc Walder. Damals erschienen noch Lobhudel-Artikel en masse, konnte gar nicht dick genug aufgetragen werden, was für ein toller Hecht Vincenz doch sei – und dabei Mensch geblieben, dem Einfachen zugetan.

Aber es ist eine alte Boulevard-Regel, dass Hochgeschriebene tief fallen. Wohl allerdings nicht ohne Rücksprache mit den Bossen des Verlags …

Bei allem Spass an saftigen und den Sozialneid fördernden Spesenritterdetails: fände es Marc Walder komisch, wenn die Öffentlichkeit Einblick in seine Spesenabrechnungen nehmen könnte? Würde es Pietro Supino gefallen, wenn unablässig Details aus seinem Privat- und Geschäftsleben an die Medien durchgestochen würden?

Fände es der Coninx-Clan komisch, wenn auch ausserhalb der «Weltwoche» seine Kunstsammlung kritisch unter die Lupe genommen würde? Wäre die NZZ amüsiert, wenn das Ferienverhalten des Ehepaars Gujer ausserhalb von ZACKBUM gewürdigt würde?

Auf Jahrmärkten beliebt: der Watschenmann.

Vincenz und Beat Stocker haben zudem den Fehler gemacht, eisern zu schweigen. Vincenz wendete sich in all den Jahren ein einziges Mal an die Öffentlichkeit, als er aus der über dreimonatigen U-Haft entlassen wurde. Diese Erfahrung wünsche er niemandem, teilte er offenbar angeschlagen mit, und dass er sich mit allen Mitteln gegen die Anschuldigungen wehren werde.

Falsch beraten und Pech gehabt

Sein Kompagnon schwieg ebenfalls, liess sich unwidersprochen von der «Bilanz» als «Schattenmann» und Strippenzieher und Mastermind vorführen. Bis er dann Anfang Jahr der NZZaS ein Interview gab, das bewies, dass er sehr, sehr schlecht beraten ist und hoffentlich bessere Anwälte als PR-Menschen um sich hat.

Beide haben offenbar dreifaches Pech. Sie sind einem Staatsanwalt in die Hände gefallen, der gegen Ende seiner nicht gerade erfolgreichen Karriere noch einen Treffer landen will. Sie stehen vor einem Gericht, das zuerst über ein Jahr über der Anklage brütete, um dann kurz vor Beginn des Prozesses rumzueiern. Auch hier ist wohl zum letzten Mal Richter Aeppli vor seiner Pensionierung am Gerät; und wie.

Hämisch berichtet Hässig:

«Schon jetzt ist klar, dass Aepplis Verhandlungs-Planung ein Desaster ist. Der erfahrene Richter hat viel zu wenig Sitzungstage einberechnet. Nun sucht er verzweifelt Zusatztage im März – über Doodle machte er gestern 10 Vorschläge.
Damit droht ein Scherbenhaufen: Die Zeit läuft dem Gericht und der Anklage davon. Im April verjährt einer der vier geheimen Vorab-Investments von Pierin Vincenz und Co.»

Ruf restlos ruiniert, jahrelang in den Medien durchs Schlammbad gezogen, Unschuldsvermutung der Lächerlichkeit preisgegeben – und das eigentliche Kampffeld verschwindet hinter diesem Nebel.

Bei einer vertraulichen Einvernahmen abgeschossen …

Denn eigentlich geht es um über 100 Millionen Franken, um die sich Raiffeisen auf der einen Seite, Vincenz und Stocker auf der anderen streiten. Aber das interessiert kein Qualitätsmedium.

 

Vincenz-Prozess: ein Monster

Auf die nächste Woche freut sich Raiffeisen Schweiz sicherlich.

Von Dienstag bis Freitag findet der Prozess gegen Pierin Vincenz und sechs Mitangeklagte statt. Es wird eine Monsterveranstaltung.

Die «Abba Story» und «Marco Rima» sind abgesagt im Volkshaus Zürich. «Der Nussknacker» und «Schwanensee» werden aber gegeben.

Gleichzeitig findet im grossen Theatersaal dank grosser Nachfrage der Monsterprozess gegen den gefallenen Starbanker von Raiffeisen statt.

Theatersaal: Normalerweise geht’s so zu …

Schon die Vorgeschichte sprengt jede Dimension. Im Dezember 2017 wurde eine Strafanzeige gegen Vincenz eingereicht, im Februar 2018 wurden er und ein Mitangeschuldigter verhaftet und schmorten 106 Tage in U-Haft. Das ist noch keinem anderen Schweizer Bankführer widerfahren, obwohl es genügend gäbe, die es verdient hätten.

Ein Staatsanwalt unter Druck

Damit wurde die Affäre zum Skandal. Mit dieser drakonischen Massnahme setzte sich ein zuvor mehrfach gescheiterter Staatsanwalt unter Erfolgsdruck. Er begann, wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung zu ermitteln. Vincenz und sein Kompagnon sollen zum Schaden von Raiffeisen in den eigenen Sack gewirtschaftet haben.

Schwierig zu beweisen, vor allem braucht es den Nachweis des Vorsatzes. Also eierte der Staatsanwalt rum und wechselte plötzlich auf Spesenbetrug. Ebenfalls ein Straftatbestand, leichter zu beweisen – aber kein Grund für diese U-Haft. Nun versucht er, das zu einem gewerbsmässigen Betrug hochzuzwirbeln, damit er nochmals drakonische 6 Jahre Gefängnis für die beiden Hauptangeklagten fordern kann.

Von der Ermittlung an dauerte es bis November 2020, bis die Strafanklage fertig war. Drei Jahre. Diverse Vergehen sind bereits verjährt oder in Gefahr, zu verjähren. Im Verlauf der Untersuchung wurden unzählige Einvernahmen durchgeführt, Hausdurchsuchungen, Unterlagen im Gigabyte-Bereich beschlagnahmt und ausgewertet.

Die Öffentlichkeit war immer informiert

Viel skandalöser war allerdings, dass im Verlauf der Untersuchung ständig interne Unterlagen an die Medien durchgestochen wurden. Konkret an den Oberchefredaktor von Tamedia. Arthur Rutishauser konnte Mal um Mal mit saftigen Details über Spesenabrechnungen, Ausflüge ins Rotlichtviertel von Zürich und andere anrüchige Verhaltensweisen von Vincenz berichten.

Zugang zu all diesen dem Amtsgeheimnis unterliegenden Dokumenten hatten nur drei Beteiligte. Die Staatsanwaltschaft, die Angeschuldigten – und der Privatkläger Raiffeisen. Man überlege.

Als Höhe- oder eher Tiefpunkt der Affäre wurde die 368-seitige Anklageschrift schneller den Medien zugespielt als dass sie per Paketpost bei den Angeschuldigten landete. Mit all diesen Schmankerln wurde Reputation und Image des ehemaligen Starbankers rettungslos zerstört.

Die Floskel «es gilt die Unschuldsvermutung» wurde zur Lachnummer. Aber die Mainstream-Medien hatten Nachholbedarf, nachdem der Einzelkämpfer Lukas Hässig als Erster auf mögliche Unregelmässigkeiten im Finanzhaushalt von Vincenz hingewiesen hatte. Was lange Zeit niemand aufnahm.

Natürlich darf man auf keinen Fall von Vorverurteilung sprechen, denn es gilt eben die Unschuldsvermutung. Selten so gelacht.

Reden und reden und reden

Nun hat sich die 9. Abteilung des Bezirksgerichts Zürich vorsorglich erkundigt, mit welchem Zeitraum sie für die Plädoyers rechnen müsse. Denn in der Schweiz gilt das schöne Prinzip, dass während der Verhandlung nicht Stunden und Tage Akten gewälzt werden. Deshalb dauern hier solche Prozesse entschieden kürzer als beispielsweise in Deutschland.

Allerdings lupfte es dem vorsitzenden Richter Sebastian Aeppli Hut und Robe, als er anfing, die Angaben zusammenzuzählen. Alleine der Staatsanwalt träumt von einem Plädoyer von sieben Stunden. Insgesamt, wenn auch alle Verteidiger das Wort ergreifen und lange nicht mehr loslassen, ergäbe das einen Sprechmarathon von 39 Stunden.

Theatersaal, neues Stück.

Laut «Inside Paradeplatz» hat daher der Richter die Parteien gebeten, ihre Ausführungen zu «verdichten». Auf max. 4,5 Stunden pro Nase und Mund. Das machte dann, der Privatkläger Raiffeisen ist in den 39 Stunden noch nicht inbegriffen, das machte also für sieben Angeklagte, einen Staatsanwalt und einen Privatkläger «nur» noch 40,5 Stunden. Es geht bei dem Prozess ja um Zahlen, aber das scheint nicht wirklich die Kernkompetenz des Richters zu sein.

Theater im Theatersaal

Die zahlreich erwarteten Zuschauer müssen sich auf jeden Fall auf harte Zeiten einrichten. Es gibt aber einen Lichtblick. Da der Theatersaal einige Male für anderes Theater gebucht ist, muss jeweils so gegen 17 Uhr abgebrochen werden.

Ganz harte Teilnehmer können sich anschliessend «Dornröschen» oder «Schwanensee» reinziehen. Aufgeführt vom «Russian Classical Ballett». Ausser, das würde zur Truppenbespassung an der ukrainischen Grenze abkommandiert.

Gerichtsszene. Pardon, «Schwanensee».

Dort geht es allerdings um Krieg und Frieden, hier nur um eine skandalöse öffentliche Hinrichtung. Apropos, das grosse Werk Tolstois dauert in der Hörbuchfassung lediglich 28 Stunden

Es geht nur ums Geld

Liebeleien, Rotlichtspesen, öffentliche Schlammschlachten? Bei Raiffeisen wirken triebstarke Männer.

Über Jahre hinweg konnten gut angefütterte Journalisten eine Sottise nach der anderen aus dem Triebleben des gefallenen Raiffeisenstars Pierin Vincenz veröffentlichen. Spesenabrechnungen, die nur aus diesem Wort, einer fünfstelligen Zahl und einer Unterschrift bestanden. Durchgewinkt. Ein durch eine Terminkollision von zwei Damen des damaligen Oberbosses beschädigtes Hotelzimmer in Zürich: Reparatur auf Firmenkosten.

Als krönender Höhepunkt kommentierten die Medien die 368 Seiten umfassende Anklageschrift, bevor sie per Post die Angeschuldigten erreichte. Das Publikum fühlte sich gut unterhalten – und niemand fragte sich, wo denn die nie versiegende Quelle von Indiskretionen und Verletzungen des Amtsgeheimnisses sprudelte.

Dabei hätte ein einfacher Dreisatz geholfen. Diese Unterlagen kannten die Staatsanwaltschaft, die Angeschuldigten – und der Privatkläger Raiffeisen. Wer von diesen Drei hatte wohl ein Interesse daran, die letzten Reste von Reputation des Mannes zu zerstören, der aus einer verschnarchten Ansammlung von Bauernbanken die Nummer drei auf dem Finanzplatz Schweiz gemacht hatte?

Noch lange nicht das Ende einer Affäre.

Worin besteht denn dieses Interesse genau? Auf einem sowieso schon am Boden liegenden Vincenz weiter rumzutrampeln, das kann es ja nicht sein. Eine auf sehr wackeligen Füssen stehende Anklage wegen angeblicher ungetreuer Geschäftsbesorgung befördern: schon eher. Denn ein vorbestrafter Vincenz hat einen schwächeren Stand in einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung, wo es wirklich um Kohle geht.

Es geht nicht um Spesenbetrug. Es geht um viel Geld

Genauer gesagt um rund 125 Millionen Franken. Dagegen sind Spesen, an beiden Seiten des Verhandlungstisches sitzen und Champagnerkorken im «Red Lips» knallen lassen, wahrlich Peanuts.

In Wirklichkeit ist die Öffentlichkeit mit all diesen Nebelpetarden und Blendgranaten getäuscht worden. In Wirklichkeit geht es darum, zwei Unternehmer um ihren Anteil an profitablen Geschäften zu prellen. Nämlich Vincenz und seinen Kompagnon.

Es ist in der Kriegsführung und in juristischen Schlachten nicht völlig entscheidend, aber entscheidend wichtig, mit seinem Narrativ die öffentliche Meinung zu beherrschen. Das ist Raiffeisen mitsamt ihren juristischen und publizistischen Hilfstruppen gelungen. Stellen wir dagegen eine Darstellung, die faktengestützt ist.

These: Raiffeisen ficht sogar feste Vereinbarungen und Verträge an, will sie wegen Grundlagenirrtum für nichtig erklären lassen. Einziger Zweck: Vincenz und seinem Kompagnon zustehende Millionenbeträge sollen ihnen vorenthalten werden.

Die Time Line der Ereignisse beweist eindeutig, wie planvoll und diabolisch dieses Vorgehen war. Von der Einreichung einer ersten Strafanzeige über eine weitere, die Provokation der U-Haft von über drei Monaten, um genügend Zeit zu haben, das Vorhaben ungestört auf den Weg zu bringen, bis hin zur öffentlichen Diskreditierung.

Im Januar 2018 nahm die Sache Fahrt auf

Am 22. Januar 2018 nahm die Staatsanwaltschaft (StA) zum ersten Mal Einsicht in die Untersuchungsakten der FINMA in Sachen Commtrain und Investnet. Die Ausweitung der Strafuntersuchung am 8. Februar 2018 erfolgte unverständlich schnell, da in dieser kurzen Zeit nicht nur FINMA-Dokumente, sondern zwei externe Gutachten von Deloitte und Prager Dreifuss gesichtet worden sein sollen, alleine hier schon 507 Seiten plus Tausende Seiten Beilagen.

Mit bedenklicher Geschwindigkeit kondensierte die StA ihre Strafthese: «Makro-Frontrunning von PV und BS mit verschiedenen Gehilfen. In der Dimension von volkswirtschaftlich schädlichen Auswirkungen».

Das ermöglichte der StA, ab Februar 2018 die Mobiltelefone der Beschuldigten rund um die Uhr zu überwachen. Offiziell informierte die StA Raiffeisen erst Ende Februar, dass gegen vier Beschuldigte ein Strafverfahren wegen mutmasslich ungetreuer Geschäftsbesorgung eröffnet worden sei.

Hier wird die eigentliche Absicht deutlich erkennbar: Das Gutachten der Kanzlei Prager Dreifuss im Auftrag von Raiffeisen brachte zwar keine strafrechtlich relevanten Erkenntnisse, aber in ihm musste auch abgeklärt werden, ob die Möglichkeit bestünde, einen Aktionärsbindungsvertrag u.a. mit Vincenz im Nachhinein aus wichtigem Grund für nichtig erklären zu lassen.

Gewaltiger Schaden – wofür?

In ihrer Untersuchungswut hinterliess die StA eine Schneise der Zerstörung. 12 Hausdurchsuchungen, Vermögensbeschlagnahmungen in Millionenhöhe, rund 145 GB elektronische Datensicherung, Abführen in Handschellen, Verwahrung im Polizeigefängnis Zürich, Kontaktverbote unter bis zu 80 Personen, mehr als 200 ganztägige Einvernahmen.

Aus all diesen Windungen und Wendungen entstand eine dreijährige Ermittlung, 9 Beschuldigte, 50 weiter Auskunftspersonen und Zeugen, über 85 GB Beweismaterial mit rund 25 Millionen PDF-Dokumenten, sieben verschiedene Sachverhalte und einer Betretung von Neuland mit dem Betrugsvorwurf, basierend auf nicht korrekt abgerechneten Spesen.

Mit allen Weiterzügen könnte das Verfahren locker bis 2025 dauern. Dabei hofft die StA wohl in erster Linie darauf, dass einer der Beschuldigten, angesichts von dann 7 Jahre gesperrten Vermögenswerten, das Handtuch wirft.

Und Raiffeisen hofft darauf, dass zwei verurteilte Straftäter, oder zumindest durch das jahrelange Verfahren zermürbte Menschen, deren Ruf, Reputation und Lebenswerk unabhängig vom Ausgang ruiniert wurden, keine nennenswerte Gegenwehr gegen die Entwendung von Gewinnbeteiligungen entfalten würden, durch die Nichtigerklärung von verbindlichen Verträgen.

Dass zwei Anwaltskanzleien dabei Millionen verdienten, weitere Millionen in vergleichbaren Prozessen in Aussicht haben, ist ein weiteres hässliche Ergebnis.

Oder wie schreibt der ermittelnde Staatsanwalt in einem anderen Zusammenhang so richtig:

Wenn genügend Empörung geschürt worden ist, wird die strafrechtliche Aufarbeitung davon beeinflusst, die «Schuldigen» zu bestrafen. Schuld oder Unschuld spielt dabei dann keine Rolle.

Natürlich ist auch das hier ein Narrativ, das zwar mit genügend Indizien untermauert ist, aber keinen Anspruch darauf erhebt, die einzige Wahrheit zu beinhalten.

Cui bono – wem nutzt es?

Aber die alte Frage bei dieser Art von öffentlichen Kampfhandlungen, cui bono, hilft auch hier. Es gibt nur zwei Nutzniesser bei dieser Affäre. Zum einen ein Staatsanwalt, der gegen Ende seiner Karriere ein einziges Mal ein Erfolgserlebnis einfahren möchte, nachdem er bei ähnlichen Strafuntersuchungen bereits fürchterlich in den Senkel gestellt wurde.

Der blutrote Raiffeisen-Platz beim Hauptsitz in St. Gallen.

Der Hauptnutzniesser ist aber Raiffeisen. Man konnte sich so aus dem Schatten des Übervaters Vincenz herausarbeiten, dessen unternehmerischer Leistung unbezweifelbar der Erfolg der Bank zu verdanken ist.

Indem sein Ruf völlig ruiniert ist, indem er im Ruch steht, ein moralisch verworfener Mensch zu sein, der zudem in den eigenen Sack wirtschaftete und kein treuer Diener seines Arbeitgebers war, wird seine Position im eigentlich entscheidenden Zivilprozess geschwächt.

Zudem hat diese ewig währende Strafuntersuchung den schönen Nebeneffekt, dass durch die Arretierung fast aller Vermögenswerte die beiden Hauptbeschuldigten immer stärker in eine finanzielle Bredouille geraten. Was sie weichklopfen könnte, auf die ihnen ihrer Meinung nach zustehenden 125 Millionen Franken zu verzichten, bzw. sich mit einem Trinkgeld abspeisen zu lassen.

Bevor sich dann ab Ende Januar wieder die volle Aufmerksamkeit auf den Strafprozess richten wird, wäre es für die vielen Wirtschaftsjournalisten in der Schweiz doch eine verdienstvolle Aufgabe, diesen Aspekt der Affäre endlich einmal in seiner ganzen Bedeutung zu würdigen.

Es geht nicht um zu Spesenbetrug geschrumpfte ungetreue Geschäftsbesorgung. Es geht nicht um eine Handvoll möglicherweise suspekter Hallodri-Spesen. Es geht um viel, sehr viel Geld, um einen dreistelligen Millionenbetrag. Dort liegt das eigentliche Schlachtfeld.

Verborgen hinter den medialen Nebeln der Reputationsvernichtung.