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Doppelmoral gegen China

Der sich als moralisch überlegen gebärdende Westen zeigt sich solidarisch mit den chinesischen Demonstranten.

…während er seine früheren massiven Gräueltaten gegen China ignoriert.

Von Felix Abt

«White-Paper-Protesters» in China, die im Westen gut ankommen (Foto: Imago)

Natürlich ist das brutale Vorgehen der Polizei gegen friedliche Demonstranten in China und anderswo verwerflich und zu verurteilen. Wenn dies in China geschieht, ist es besonders abscheulich – zumindest aus Sicht der deutschen, schweizerischen und anderen westlichen Mainstream-Medien und Politiker, die sich besonders um die Menschenrechte in China sorgen. Nur ausnahmsweise wirft ein westliches Mainstream-Medium – so wie die amerikanische Zeitschrift «The Atlantic», der man ganz gewiss nicht vorwerfen kann, «chinafreundlich» zu sein, die entscheidende Frage auf: «Wie viele Covid-Tote werden die chinesischen Demonstranten akzeptieren?», und erklärt: «Ohne diese strengen Maßnahmen könnte eine massive Welle neuer Omicron-Infektionen die Intensivstationen überfluten und 1,55 Millionen Menschen töten.» Tatsächlich ist das chinesische Gesundheitssystem eines der schwächsten, mit einer der niedrigsten Krankenhaus- und Intensivstationsraten der Welt. Es wäre mit einem Ansturm vor allem älterer Patienten völlig überfordert.

So zeigt die chinesische Regierung einmal mehr ihr «brutales» Gesicht, in dem sie die meisten Demonstrationen gegen die bisherigen strengen Covid-Einschränkungen in 17 Städten «weitgehend friedlich aufgelöst» hat, wie sogar CNN vor Ort berichtete. Das «Regime» hat sich bereits einen schlechten Namen gemacht, indem es Kartelle und Monopole brutal zerschlägt (im Interesse der ungefragten Verbraucher und Arbeiter) und die armen Reichen zur Zahlung von Steuern zwingt, um seinem Ziel einer besseren Vermögensverteilung näher zu kommen, was als repressiv empfunden werden kann – vor allem von Milliardären wie Jack Ma, dem «Jeff Bezos Chinas», der beispielsweise gezwungen wurde, die in seinem Besitz stehende «South China Morning Post» zu verkaufen.

Westliche Doppelstandards

Da hat es Jeff Bezos in Amerika besser: Er kann die «Washington Post» behalten und seine Regierung wird ihn nicht daran hindern, wenig oder gar keine Steuern zu zahlen. Doch damit nicht genug: Jeff Bezos will und darf sich auch noch die Hände blutig machen mit den Milliardenaufträgen, die er vom US-Verteidigungsministerium erhält – was Jack Ma und seinesgleichen in China verwehrt bleibt: Der gerade verstorbene frühere chinesische Staatspräsident Jiang Zemin sah eine seiner vier größten Errungenschaften darin, «das Militär aus der Wirtschaft zu verbannen». Auf diese Weise hat er jedenfalls den Aufstieg eines weiteren allmächtigen militärisch-industriellen Komplexes verhindert und die Welt ein wenig sicherer gemacht.

Verschwinden Demonstranten in China im Konzentrationslager?

Die westlichen Medienkonsumenten müssen das Schlimmste für die chinesischen Demonstranten befürchten: Die Medien hypen die Proteste gegen die strengen Covid-Massnahmen und verdrängen die Tatsache, dass es in China immer wieder Proteste gibt. In der Regel führen diese Proteste dazu, dass die Behörden Anpassungen im Interesse der Protestierenden vornehmen. Vielleicht überrascht es die Leser, dass die Behörden in China empfänglicher für Kritik sind als die im Westen. Wenn in Amerika Millionen während vieler Monate auf die Strasse gehen, um gegen Polizeibrutalität zu protestieren, löst es dort keine Polizeireform aus. Wenn die Massen in Amerika gegen die übermächtige Wall Street protestieren, geschieht ebenfalls nichts.

Aber wenn in einem Land mit 1,4 Milliarden Einwohnern einige tausend Unzufriedene auf die Straße gehen, ist das für die westlichen Medien natürlich von allergrößter Bedeutung. Das erwähnte Verdienst des verstorbenen Staatsmannes Jiang Zemin ist dagegen keine Zeile wert!

Über grosse Telegram-Konten koordinierten einige Organisatoren der Demonstrationen ihre Bemühungen, wobei sie dieselbe Taktik wie bei den von den US-Geheimdiensten unterstützten Hongkong-Protesten im Jahr 2019 anwandten. Menschen wurden angeworben, um weisse Papiere zu halten, und erhielten 200 Dollar pro Kopf. Sie sollten gegen die chinesische Führung protestieren und die Proteste viel größer erscheinen lassen, als sie waren.  Die meisten der Rekruten stammten aus Hongkong und Taiwan. Ihr Akzent verriet sie schnell. Die Festlandchinesen kauften ihnen das nicht ab.

Bekannte in China von mir, die ebenfalls von der restriktiven Covid-Regelung genervt sind, haben mir gerade erzählt, dass sie befürchten, dass die Behörden, die die Kritik ernst nehmen, nun überreagieren und die Schleusen zu schnell öffnen könnten, was zu einer Überlastung des Gesundheitssektors führen würde und unter anderem eine ganze Reihe von Long-Covid-Fällen auslösen könnte.

Eine grosse Menge von Zuschauern umringte einige chinesische Demonstranten: Die westlichen Medienmagier haben die Demonstranten so präpariert, dass sie für die Fotos aus verschiedenen Blickwinkeln posieren. So sehen sie wie eine große Gruppe aus. Auf diese Weise täuschen sie das Publikum.

(Screenshot:NDTV)

Westliche Politiker und Medien «warnen» die chinesische Regierung oder geben ihr – natürlich wie immer selbstlos – «gute Ratschläge». Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang natürlich die Äußerungen von Rishi Sunak, dem britischen Premierminister indischer Abstammung: «Anstatt auf die Proteste ihres Volkes zu hören, hat die chinesische Regierung beschlossen, weiter hart durchzugreifen», tadelt er. Interessanterweise kündigte er nur zwei Tage nach dieser Kritik folgende Massnahmen zum Umgang mit «illegalen» Protesten im eigenen Land an:

(Screenshot:Twitter)

Die Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und China ist allerdings eine ganz besondere: Im 19. Jahrhundert war Großbritannien ein «Narko-Staat», ein Land, das sich durch den Handel mit illegalen Drogen finanzierte. Während seiner imperialen Blütezeit war Opium, obwohl in Grossbritannien illegal, nach Land und Salz die drittgrößte Einnahmequelle des britischen Empire in Indien. Bis 1890 waren 15 Millionen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten von dem von den Briten aus Indien gelieferten Rauschgift abhängig geworden, was 10 Prozent der damaligen chinesischen Bevölkerung entsprach und wohl den schlimmsten Fall von nationaler Drogenabhängigkeit aller Zeiten darstellte. Der chinesische Vizekönig Lin Zexu schrieb damals an Königin Victoria und forderte sie auf, die Opiumlieferungen nach China zu stoppen: «Wir haben gehört, dass Opium in Ihrem Land mit grösster Strenge und Härte verboten ist – ein starker Beweis dafür, dass Sie sehr wohl wissen, wie schädlich es für die Menschheit ist.»

Die «goldene» britische Vergangenheit

Aber solche Bitten stiessen in London auf taube Ohren – da die Gewinne der britischen Händler Vorrang hatten. Unter dem Deckmantel des «freien Handels» startete die britische Regierung 1839 den ersten Opiumkrieg gegen China, um die vollständige Öffnung der chinesischen Märkte für britische Drogenhändler zu erzwingen. Die jahrhundertelange wirtschaftliche Weltmacht China wurde von den Briten und anderen ausländischen Mächten gründlich zerstört.

Vielleicht ist der britische Premierminister ja genauso geschichtsvergessen wie andere westliche Politiker und Medienvertreter? Sonst würde er sich gegenüber China vielleicht etwas mehr Zurückhaltung auferlegen.

Indien, auch ein Opfer des britischen Empire, erging es nur wenig besser als China: Indiens Anteil an der Weltwirtschaft betrug 23 %, als die Briten kamen, und als die Briten gingen, waren es nur noch 4 %. Außerdem lebten am Ende der britischen Kolonialherrschaft 90 % der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, und die Lebenserwartung lag bei 27 Jahren. Die Alphabetisierungsrate in der britischen Kolonie betrug weniger als 17 %. Die Ausgaben vom Kindergarten bis zur Universität betrugen weniger als die Hälfte des Schulbudgets des Staates New York.

Indien wurde vollständig zugunsten Grossbritanniens regiert. Die industrielle Revolution Grossbritanniens basierte auf der Deindustrialisierung Indiens. So wurde beispielsweise die jahrtausendalte, weltberühmte indische Bekleidungsindustrie, deren Erzeugnisse schon von den Frauen des Römischen Reiches geschätzt wurden, durch eine Industrie auf britischem Boden ersetzt.

Grossbritannien zahlte keinen Cent an Reparationen und entschuldigte sich nicht einmal kostenlos bei China und Indien. Und nicht ohne Ironie erklärte Premierminister Sunak vor ein paar Tagen, die «goldene Ära» der Beziehungen zwischen Grossbritannien und China sei vorbei. Mit Blick auf die «goldene» Vergangenheit, die wohl nur für die Briten gilt, kommt dieses Eingeständnis freilich etwas spät.

«Granma» oder «Süddeutsche»: besser das Original

Die «Grossmutter» ist die Parteizeitung auf Kuba. Wäre für den Tagi eine Alternative zur SZ.

Der Riesenkonzern Tamedia mit seinen vielen Kopfblättern kann sich bekanntlich kaum mehr eine eigene Auslandberichterstattung leisten. Daher übernimmt er fast alles von der «Süddeutschen Zeitung». Das ist keine gute Idee.

Das Hassobjekt Trump ist zwar etwas in den Hintergrund getreten, aber jetzt zeigen die Korrespondenten der SZ, dass sie auch sonst nicht viel Ahnung, dafür umso mehr Meinung haben. Während sie gerne Ferndiagnosen Richtung Kuba stellen, beschäftigt sich nun Thorsten Denkler, ihr «politischer US-Korrespondent in New York», mit der amerikanischen Politik gegenüber der letzten Insel des Sozialismus.

Das wird auch dem armen Tamedia-Leser brühwarm durchgereicht, mit dem Lead:

«Für US-Präsident Joe Biden wird der Umgang mit den Protesten im Karibikstaat zum innenpolitischen Dilemma. Er unterstützt die Revolte, erwähnt aber nicht, dass die USA am Leid der Kubaner einen nicht unerheblichen Anteil haben.»

Diesen wahren Satz könnte er allerdings von Haiti über Nicaragua, von Puerto Rico über El Salvador, von Mexiko bis Guatemala zu eigentlich jedem karibischen oder zentralamerikanischen Staat äussern.

Wir könnten nun die gesammelten Wissenslücken von Denkler aufdecken, aber wozu, dazulernen wird er sowieso nicht. Daher haben wir einen richtigen Knallervorschlag für Tamedia. Der muss eigentlich reinhauen. Denn: zuallererst und am wichtigsten: er ist gratis. Damit schafft er es sicherlich schon mal auf den Schreibtisch von Pietro Supino.

Er ist zudem originell, das muss ja auch nicht dagegen sprechen. Er kommt von ZACKBUM; das ist ein gewisser Nachteil, aber vielleicht können wir inhaltlich mit der Begründung überzeugen.

Ein Leuchtturm der alternativen Berichterstattung 

Trommelwirbel, der Vorschlag lautet: wieso übernimmt Tamedia statt der Trümmel-Berichterstattung der Süddeutschen nicht die mediale Begleitung der Ereignisse durch das Organ, das nun zweifellos am nächsten dran ist und immer noch über mehr Mitarbeiter verfügt als zum Beispiel der Tagi? Dazu aktuell, es könnten auch Tickermeldungen und  eine ganze Varietät von Meinungen und Einschätzungen abgesaugt werden.

Natürlich, die Rede ist von der Tageszeitung «Granma», von der Nachrichtenagentur prensa latina und von der Plattform cubadebate. Gut, es gibt eine kleine Hürde: ist alles auf Spanisch. Genauer gesagt: falls gerade auch die Kosten für ein anständiges Übersetzungsprogramm eingespart wurden, es gibt auch eine deutsche Ausgabe.

Es geht ohne Spanisch – das beherrschen die meisten Kuba-Kenner auch nicht.

Die ist allerdings nicht so aktuell wie die spanische, hilft aber durchaus bei ersten Einschätzungen. Nehmen wir mal zwei Artikel der spanischen Ausgabe vom 14. Juli. Da ruft der Präsident Kubas dazu auf, dass unter Kubanern die Einheit, der Respekt und die Lebensfreude niemals fehlen dürfen. Ist doch rührend und wurde nirgends vermeldet. Dabei sind das Sätze, die zu Herzen gehen:

«Entledigen wir uns jedes Hassgefühls, jeder Vulgarität, jedes unanständigen Verhaltens. Sondern fordern wir die Regeln der Disziplin ein, die Regeln, die die soziale Ruhe in unserer Gesellschaft garantieren.»

Versöhnliche Worte hinter Mundschutz: Präsident Díaz Canel.

 

Die USA, wen wundert es, sind eigentlich an allem schuld

Der Aussenminister Bruno Rodríguez Parilla legt hingegen Beweise vor, dass die USA direkt in die «Ereignisse» vom 11. Juli verwickelt seien und daher dafür verantwortlich. Als Beleg dafür prangert das Mitglied des Politbüros an,

«dass das umstrittene Label #SOSCuba nicht auf den Großen Antillen entstanden sei, sondern seit letztem Juni in New York ins Leben gerufen wurde, um zu versuchen, die Erklärung der Generalversammlung der Vereinten Nationen gegen die Blockade zu verhindern. Er gab an, dass diese Operation Millionärsressourcen, Labore und technologische Plattformen mit Mitteln der US-Regierung» verwende, berichtet «Granma».

Das alles sei von der US-Firma «ProActiva Miami» organisiert worden, die natürlich rein zufällig gleichzeitig die Berechtigung erhielt, staatliche Unterstützung zu empfangen. Diese Anklage wird ergänzt mit weiteren Berichten aus dem kubanischen Alltag; die staatliche Gewerkschaftszentrale spricht sich gegen jegliche Störung der öffentlichen Ordnung aus. Der kubanische Premierminister drückt sein «völliges Vertrauen in das Volk und die Zukunft» aus; optimistisch stimmen auch Berichte über den Kampf gegen Covid-19, und schliesslich kann Kuba eine breite internationale Unterstützung vermelden, vor diesen «Versuchen der Destabilisierung».

Eine Fülle weiterer interessanter Nachrichten aus Kuba.

Man kann sagen, was man will: all diese Nachrichten haben Sie sicherlich noch nirgendwo sonst gelesen. Wäre doch zumindest was anderes als der in der Ferne gequirlte Meinungsbrei der übrigen Medien.

Ach, das sei doch alles parteiisch, Regierungspropaganda, gefiltert, nicht überprüfbar, fragwürdig? Also bitte, wo soll da der Unterschied zur Berichterstattung der Schweizer Medien sein? Vielleicht abgesehen von der Regierungspropaganda, die ist bei diesem Thema, im Gegensatz zu anderen, nicht erkennbar. Alle anderen Qualifikationen treffen aber auch auf die Berichterstattung der SZ, damit von Tamedia, aber auch von CH Media oder NZZ oder Ringier zu.

Also, braucht nur ein wenig Mut; aber wer sich der Debatte um das Gendersternchen, Sexismus und Diskriminierung so tapfer stellte, der wird auch hier nicht einknicken, wenn es Kritik geben sollte. Der Leser würde es danken; endlich mal eine andere Perspektive.